Was ist

Twitters Start in die Woche ist gründlich schiefgegangen. Wer am Montagmorgen US-Zeit auf einen Link in einem Tweet klickte, sah eine Nachricht, die nur Entwicklerïnnen zu Gesicht bekommen sollten (The Register):

{„errors“:[{„message“:“Your current API plan does not include access to this endpoint, please see https://developer.twitter.com/en/docs/twitter-api for more information“,“code“:467}]}

Das Gleiche galt für Fotos. Videos, TweetDeck und Twitters Link-Shortener t.co waren ebenfalls kaputt. Zudem dauerte es ewig, die App oder Seite zu öffnen.

Der offizielle Support-Account schrieb maximal vage (Twitter):

Some parts of Twitter may not be working as expected right now. We made an internal change that had some unintended consequences. We’re working on this now and will share an update when it’s fixed.

Als prominente Nutzer wie der Investor Marc Andreessen auf die Probleme hinwiesen, antwortete Musk selbst (Twitter):

A small API change had massive ramifications. The code stack is extremely brittle for no good reason. Will ultimately need a complete rewrite.

Was hinter dem Ausfall steckt

  • Musk hatte recht: Eine kleine Code-Änderung hat einen Dominoeffekt ausgelöst und Twitters gesamte API lahmgelegt. Das Unternehmen schraubt seit gut einem Monat heftig an seinen Schnittstellen herum, der Zugang soll kostenpflichtig werden (The Verge).
  • Was Musk verschweigt: An dem massiven API-Projekt arbeitet ein einziger Entwickler, der dafür zuständig ist, dass die Plattform weiter stabil läuft (Platformer).
  • Freundlich ausgedrückt ist das naiv. Realistisch betrachtet ist es ein Recipe for Disaster, das zu weiteren Ausfällen führen dürfte.

Wie Twitter erodiert

  • Bei Twitter arbeiten nur noch rund 550 festangestellte Entwicklerïnnen (CNBC). Von einst 7500 Angestellten sind rund 1300 übrig.
  • Als Musk Twitter übernahm, mag das Unternehmen aufgebläht gewesen sein. Das Verhältnis von Umsatz und Größe der Plattform zur Zahl der Mitarbeitenden war jedenfalls ungewöhnlich.
  • Zudem ist jede Plattform ein komplexes Geflecht aus Datenbanken, Servern und Code – bei Twitter gilt es als ein besonders undurchschaubares Dickicht. Musk vergleicht die Plattform mit einer Rube-Goldberg-Maschine (Twitter), also mit einem nichtsnutzigen, aber unterhaltsamen Apparat, der einfache Dinge extrem kompliziert macht.
  • Das ist auch der Grund für seine Bemerkung, den kompletten Programmcode perspektivisch in die Tonne treten und bei null anfangen zu müssen. Tatsächlich hätte Twitters Codebasis eine Generalüberholung nötig. Das sagen uns jedenfalls aktuelle und ehemalige Angestellte.
  • Wir bezweifeln aber stark, dass Musk auf dem richtigen Weg ist. Innerhalb weniger Monate hat er Twitter komplett entkernt. Das geschah zu schnell und zu radikal, um nachhaltig sein zu können.
  • Unter anderem feuerte er etliche Entwicklerïnnen, die teils seit mehr als einem Jahrzehnt für das Unternehmen arbeiteten (Twitter). Mit ihnen gingen genau jene, die verstehen, wie das System funktioniert.
  • Das hat Konsequenzen. Twitter wird wohl nicht vom einen auf den anderen Tag zusammenbrechen, dafür gibt es zu viele Sicherheitsnetze und doppelte Böden (Matthew Tejo).
  • Das wahrscheinlichere Szenario ist, dass die Plattform langsam, aber sicher erodiert. Kleine Fehler häufen sich, Tweets verschwinden, Bilder laden nicht.
  • Die vergangenen Wochen gaben einen guten Eindruck. Zwischen 23. Januar und 5. März kam es siebenmal zu plattformübergreifenden Ausfällen (Platformer). Mal luden Tweets nicht, mal erschienen Fehlernachrichten, mal verschwanden Kommentare.
  • Hinzu kommen etliche kleinere Fehler. Bei uns verschwinden immer wieder Benachrichtigungen, Bilder laden oft nur verzögert oder gar nicht. Im Vergleich zu allen anderen großen Plattform läuft Twitter mit großem Abstand am unzuverlässigsten.
  • Besonders kritisch könnte es werden, wenn unplanbare Dinge geschehen: Hacker greifen an, Server fallen aus. Womöglich muss Twitter bald den berüchtigten „Fail Whale“ wiederbeleben. Diese Illustration eines Wals auf dem Meeresgrund tauchte früher auf, wenn die Webseite wegen technischer Probleme nicht erreichbar war (The Atlantic).

Wenn es nur die Technik wäre

  • Keine Sorge, wir zählen nicht noch mal auf, was Musk bereits alles bei Twitter angerichtet hat. Von seinem zynischen Umgang mit Angestellten über das Hofieren von Rechtsradikalen und Sperren von Journalistïnnen bis zum vollständigen Fehlen einer ansatzweise kohärenten Strategie haben wir One-Musk-Show oft genug dokumentiert.
  • Allein die Überschriften unserer Briefings sprechen für sich:
  • Wie Musk Twitter ruiniert (#840)
  • Was verloren geht, wenn Twitter untergeht (#841)
  • Musk wütet weiter: Was Medien daraus lernen können (#842)
  • Warum Musk sich jetzt auch noch mit Apple anlegt (#843)
  • Musk dreht durch: Wann wird es Zeit zu gehen? (#847)
  • Rücktritts-Theater, Mediensperren und Mastodon-Verbot: Das Chaos bei Twitter geht weiter (#849)
  • Twitters Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (#853)
  • Diese Anekdote zeigt, wie Elon Musk tickt (861)
  • Fast täglich steht Twitter in den Schlagzeilen, selten sind es gute. Twitter Blue bleibt ein Flop, und falls Musk wie angekündigt die Menge der Werbung für Abonnentïnnen halbiert, könnte das Bezahlmodell sogar zum Verlustgeschäft werden. Aber hey, immerhin dürfen zahlende Kundïnnen bald 10.000 Zeichen lange Tweets schreiben (Twitter), 4000 waren offenbar nicht genug. Das wird der Durchbruch, garantiert.
  • Der Exodus der Werbekunden geht weiter, im Dezember soll der Umsatz 40 Prozent unter dem des Vorjahrs gelegen haben (WSJ). Die Schulden von 13 Milliarden Dollar drücken zusätzlich auf die Bilanz, allein die Zinsen betragen mehr als eine Milliarde Dollar pro Jahr.
  • Twitter weigert sich weiter, offene Rechnungen zu bezahlen, das gilt etwa für Büromieten, Server-Kosten, Wartungsverträge und andere Dienstleistungen. Kleinere Unternehmen lassen sich von Musk vielleicht einschüchtern, nun scheint er sich aber mit den Falschen angelegt zu haben.
  • Nachdem Twitter monatelang nicht mehr für Amazons Cloud-Speicher AWS gezahlt hatte, drohte Amazon offenbar, keine Werbung mehr auf Twitter zu schalten (The Information). Kurz darauf überwies Twitter zehn Millionen Dollar – schuldet Amazon aber wohl noch mindestens 60 Millionen mehr und steckt in einem Fünfjahresvertrag für AWS fest, der 2020 unterschrieben wurde.
  • Amazon möchte nicht nachverhandeln, Musk sitzt ausnahmsweise am kürzeren Hebel. Lerneffekt: Leg dich nicht mit deinen Werbekunden an.
  • Die Situation neben der Plattform ist chaotisch – die Stimmung auf der Plattform ist toxisch. Die BBC hat mit Nutzerïnnen sowie aktuellen und ehemaligen Angestellten gesprochen. Das bittere Fazit: Belästigungen, Drohungen und strafbarer Hass nehmen massiv zu, davon sind insbesondere Frauen betroffen.
  • Auf eine Anfrage der BBC antwortete Musk nicht. Nach der Veröffentlichung machte er sich auf seine ganz spezielle Art über die Recherche lustig (Twitter): „Sorry for turning Twitter from nurturing paradise into place that has… trolls.“

Be smart

Die Welt dreht sich auch ohne Twitter weiter. Schade wäre es trotzdem, zumal sich bislang keine echte Alternative aufdrängt. Der Mastodon-Boom ist schon wieder abgeflaut. Das dezentrale Netzwerk taugt höchstens als angenehme Diskussionsplattform für bestimmte Nischen, wird aber kein Ersatz für Twitter und dessen politische, gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung.

Jack Dorsey wirft seinen Hut jetzt mit Bluesky in den Ring. Die App ist als Beta-Version für iOS-Geräte verfügbar, man benötigt aber eine Einladung. Optisch erinnert alles stark an Twitter (TechCrunch), die Plattform basiert aber auf dem offenen, dezentralen AT-Protokoll. Wir bezweifeln, dass Bluesky das nächste Twitter wird, haben uns aber zumindest mal auf die Warteliste setzen lassen (Bluesky).


Social Media & Politik

  • WhatsApp verspricht mehr Transparenz bei Nutzungsbedingungen: Geplante Änderungen würden von WhatsApp künftig verständlicher erklärt, heißt es in einer Mitteilung der Europäischen Kommission. Zudem werde das Unternehmen seinen Nutzerïnnen künftig eine „Option zur Ablehnung aktualisierter Nutzungsbedingungen so deutlich anbieten wie die Möglichkeit, diese zu akzeptieren“. Hintergrund ist eine Beschwerde des Europäischen Verbraucherverbands (BEUC) bei der EU-Kommission: Die BEUC befand, WhatsApp habe seine User genötigt, neuen Nutzungsbedingungen zuzustimmen. In den Ausgaben #695 und #705 hatten wir ausführlich darüber berichtet. Kommt uns gerade so vor, als wäre das alles eine halbe Ewigkeit her.
  • USA: Weitere Schritte in Richtung TikTok-Verbot: Während in Deutschland gerade noch die letzten Feuilleton-Redakteure darüber staunen, welche kulturelle Wirkmacht TikTok hat, schreiten die Bemühungen der US-Gesetzgeber, TikTok zu verbieten, weiter voran. Es sieht danach aus, dass die Biden-Administration einen Gesetzentwurf unterstützt, der am heutigen Dienstag von Senator Mark Warner eingebracht werden soll. Das Gesetz würde der US-Regierung die Befugnis verleihen, ausländische Unternehmen oder Technologien zu verbieten, die als Bedrohung für die nationale Sicherheit angesehen werden. Da es sich explizit nicht um ein „TikTok-Gesetz“ handelt, werden dem Entwurf gute Chancen eingeräumt (CNBC).

Follow the money

  • Meta: Tausende weitere Stellen könnten wegfallen: Mark Zuckerberg macht ernst mit seinem Versprechen, 2023 werde bei Meta das „year of efficiency“ #857. Wie Bloomberg berichtet, könnte schon diese Woche die zweite Kürzungsrunde innerhalb von gerade einmal vier Monaten anstehen. Dass weitere Kürzungen anstehen, sollte niemanden überraschen. Zeitpunkt und Umfang hingegen schon.
  • Clubhouse verliert zahlreiche Top-Manager: Nutzt von euch noch jemand Clubhouse? Die App war mal die Zukunft von Social Media. Also mindestens. Mittlerweile ist vom Höhenflug aber bekanntlich nicht viel übrig. Das haben auch zahlreiche hochrangige Mitarbeiter erkannt und sich vom Unternehmen unlängst wieder verabschiedet (The Information). Noch dürfte das Unternehmen genug Geld haben, um einige Jahre am Markt zu bleiben. Aber wofür?

Next (AI, AR, VR & Metaverse)

  • Enkeltrick mittels AI: Die Washington Post berichtet von Betrügern, die mittels AI Stimmen imitieren, um besorgte Angehörige um Tausende Dollar zu erleichtern. Wer schon einmal erlebt hat, wie viel Trauer, Verunsicherung und Wut eine gefälschte WhatsApp auslöst, kann sich bestimmt gut in die Lage von all jenen hineinversetzen, die glauben, sie würden tatsächlich von ihren Liebsten angerufen. (Letzte Woche zeigten wir uns noch begeistert von der Option, Stimmen zu imitieren. Heute nun dieser Case. Jede Medaille hat zwei Seiten. Sonst gäbe es keine Medaille.)
  • Stability AI plant Bewertung von vier Milliarden Dollar: Der Rivale von OpenAI (ChatGPT, Dall-E, Whisper) schickt sich an, mehr Geld einzusammeln. Die Firma hinter Stable Diffusion strebt eine Bewertung von vier Milliarden Dollar an. Im Oktober wurde das Unternehmen noch mit einer Milliarde Dollar bewertet. (Bloomberg) Pas mal.
  • Kein Metaverse für Minderjährige? Zwei US-Senatoren haben einen Brief an 1 Hacker Way geschickt (PDF). Ihre Bitte: Mark Zuckerberg möge sich von seinen Plänen verabschieden, Horizon Worlds für Teenager zu öffnen. Nun, ganz absprechen können wir ihnen ihre Bedenken nach über zehn Jahren Arbeit am Social Media Watchblog nicht. Zitat:

„In light of your company’s record of failure to protect children and teens and a growing body of evidence pointing to threats to young users in the metaverse, we urge you to halt this plan immediately.“


Schon einmal im Briefing davon gehört

  • Wenn Teenager etwas bei Facebook posten, das sie auch schon bei Instagram gepostet haben, dann liegt das vermutlich an einem Kniff, den Meta unternommen hat, um das Engagement bei Facebook künstlich zu erhöhen (New York Times). Growth Hacking in Reinkultur.

Neue Features bei den Plattformen

Facebook

  • Facebook Reels können jetzt auch 90 Sekunden lang sein. Instagram Reels konnten das schon länger (Facebook / Meta for Creators). Warum gibt es überhaupt eine Unterscheidung zwischen diesen Formaten? Wieso macht man es Profis so schwer, die selben Videos auf beiden Plattformen zu verwenden?
  • Hashtags in Gruppen bald nur noch bedingt verfügbar: Ab April können Admins keine Hashtags mehr zum Gruppenbeitrag einer anderen Person hinzufügen (Facebook / Hilfebereich). Interessant zu sehen, wie die Plattform seit Jahren keine richtige Idee hat, wie sie Hashtags nutzen wollen.

TikTok

  • Sounds for Business: Gewerbliche Nutzer stehen oft vor dem Problem, nur auf eine sehr eingeschränkte Auswahl von Sounds zugreifen zu können. Mit der Einführung von Sounds for Business versucht TikTok nun, kleinen und mittelständischen Betrieben die Produktion von Videos schmackhafter zu machen. (TikTok / Newsroom)