Diese Anekdote zeigt, wie Elon Musk tickt | Ausgabe #861

Was Elon Musk bei Twitter anrichtet, ist schwer zu beschreiben. Nach 111 Tagen Willkürherrschaft sind alle Superlative aufgebraucht. Sätze wie "Das ist eine neue Eskalationsstufe" oder "Jetzt dreht er endgültig durch" nutzen sich ab, wenn man sie mehrfach verwendet. Wir versuchen deshalb erst gar nicht, die passenden Worte zu finden, sondern lassen Musks Taten für sich sprechen.
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Ausgabe #861 | 16.2.2023

Was ist

Casey Newton und Zoë Schiffer liefern in ihrem Newsletter Platformer die perfekte Metapher für die One-Musk-Show. Wenn man den Irrsinn der vergangenen Monate komprimieren müsste, hätte man sich keine bessere Anekdote ausdenken können.

Die Vorgeschichte

  • Seit Wochen treibt Musk eine Frage um: Warum werden seine Tweets so selten gesehen?
  • „Selten“ ist in diesem Fall relativ. Im Januar sammelten Musks Tweets im Durchschnitt immerhin knapp 140 Millionen Views pro Tag (WaPo).
  • Allerdings hat Musk auch fast 130 Millionen Follower und schreibt an manchen Tagen Dutzende Tweets. Vor diesem Hintergrund ist Musks Reichweite tatsächlich verhältnismäßig gering. Im Dezember lag sie noch deutlich höher.
  • Ende 2022 führte Twitter einen öffentlichen View-Counter ein. Neben Antworten, Retweets und Likes sieht man unter jedem Tweet eine Zahl, die angeblich zeigt, wie oft der Inhalt angeschaut wurde.
  • Allzu viel sollte man nicht darauf geben. Selbst bei privaten Konten ohne Follower werden teils dreistellige Views angezeigt (Twitter / Taylor Lorenz), obwohl diese Tweets niemand zu Gesicht bekommen sollte. Entweder sind private Accounts nicht privat, oder der View-Counter übertreibt.
  • Musk scheint das egal zu sein. Im Laufe des Januar beschwerte er sich immer wieder intern und öffentlich über das sinkende Engagement.
  • Anfang Februar stellte er seinen Account zwischenzeitlich auf privat, um herauszufinden, ob seine Tweets dann häufiger gesehen werden.
  • Vergangene Woche ermöglichten Zoë Schiffer und Casey Newton einen ersten Einblick in die Musksche Obsession (Platformer).
  • Einer der beiden verbliebenen Chef-Entwickler präsentierte Musk eine mögliche Erklärung für dessen sinkende Reichweite: Nicht die Algorithmen seien schuld, sondern das schwindende Interesse an der Person Musk.
  • Das Volumen der Google-Suchen stützt diese These (Google Trends). Trotzdem – oder gerade deshalb – reagierte Musk mit maximalem Unverständnis: „You’re fired, you’re fired.“
  • Was bereits nach Eskalation klingt, war nur der Auftakt für ein absurdes Schauspiel, das sich in den vergangenen Tagen sowohl intern in Twitters Firmenzentrale als auch öffentlich auf Twitters Plattform abspielen sollte.

Das Drama beginnt

  • Am Sonntag macht Musk eine ungewohnte Erfahrung: Er verliert, und das gleich mehrfach. Zuerst sehen Hunderte Millionen Menschen in der Halbzeit des Superbowls einen Werbespot, der die Elektroautos von Musks Unternehmen Tesla als Gefahr für Kinder darstellte (CBS).
  • Dann unterliegen die Philadelphia Eagles, die Musk zuvor öffentlich angefeuert hatte.
  • Die schmerzhafteste Niederlage steckt Musk auf Twitter ein. Die Sympathiebekundung von US-Präsident Joe Biden für die Eagles (Twitter) erreicht mehr als dreimal so viele Menschen wie Musks eigener Tweet, den er mittlerweile gelöscht hat (Snopes).
  • Dafür gibt es eine logische Erklärung. Biden teilte eine persönliche und nahbare Botschaft: „As your president, I’m not picking favorites. But as Jill Biden’s husband, fly Eagles, fly.“ Musk beschränkte sich auf ein simples „Go Eagles“, eingerahmt von drei Ausrufezeichen und sechs US-Flaggen.
  • Ausgerechnet Biden, den Musk nicht ausstehen kann, hat den erfolgreicheren Tweet geschrieben – eine offenbar inakzeptable Demütigung für den erfolgsverwöhnten Multimilliardär. Nach dem Football-Spiel fliegt er mit seinem Privatjet zurück an die Westküste und lässt Twitter-Angestellte zusammentrommeln.
  • „We are debugging an issue with engagement across the platform“, zitiert Platformer aus einer internen Nachricht, die Musks Cousin James in der Nacht von Sonntag auf Montag um 2:36 Uhr verschickt haben soll. „Any people who can make dashboards and write software please can you help solve this problem. This is high urgency.“
  • Binnen Stunden werden rund 80 Entwicklerïnnen von anderen Projekten abgezogen. Bis in die frühen Morgenstunden untersuchen sie, warum manche Tweets, die Musk absetzt, nur einige Millionen Mal aufgerufen werden.
  • Der Druck ist groß: Wenn sie keine Lösung finden, droht ihnen das gleiche Schicksal wie dem Entwickler, der vergangene Woche gefeuert wurde.

Der Höhepunkt

  • Musks Drohungen zeigen Wirkung. Am Montagnachmittag US-Zeit präsentiert das Team einen Vorschlag, um Musk zur maximalen Aufmerksamkeit zu verhelfen.
  • Twitter setzt für seinen Chef einfach sämtliche Filter außer Kraft. Alles, was Musk von sich gibt, wird um den Faktor 1000 bevorzugt. Dieser sogenannte „Power User Multiplikator“ gilt nur für Musk und soll sicherstellen, dass seine Tweets so oft wie möglich angezeigt werden.
  • Die Maßnahme hat durchschlagenden Erfolg. Wer Musk folgt, wird am Montag und Dienstag mit dessen Tweets zwangsbeglückt Techdirt. Teils besteht fast die gesamte Timeline aus Ein-Wort-Antworten, Memes, Emojis und geklauten Witzen, die Musk so gern teilt. Selbst Menschen, die ihn geblockt haben, bekommen Musk-Content vorgesetzt.…

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