Rücktritts-Theater, Mediensperren und Mastodon-Verbot
Was ist
Tritt Elon Musk jetzt zurück? Warum wurden haufenweise Reporterïnnen gesperrt? Wer soll das neue Twitter Blue verstehen? Auch in der vorletzten Woche des Jahres bleibt Musks Chaosherrschaft das dominierende Thema und wirft eine Menge Fragen auf, an denen wir nicht vorbeikommen – so gern wir dir und uns auch eine Elon-Auszeit gegönnt hätten.
Die gute Nachricht vorweg: Es wird das letzte Musk-Briefing für dieses Jahr sein. Also Endspurt, bringen wir es hinter uns. Damit du in dem Chaos den Überblick behältst, haben wir die wichtigsten Ereignisse gefiltert und ordnen sie ein.
Musk lässt über seinen Rücktritt abstimmen
Die Nachricht
- "Soll ich als Chef von Twitter zurücktreten?", fragte Elon Musk in der Nacht von Sonntag auf Montag und versprach: "Ich werde mich an das Ergebnis halten."
- Eine deutliche Mehrheit wünscht sich, dass Musk seinen Posten räumt. 57,5 Prozent stimmten mit Ja, das entspricht mehr als zehn Millionen Stimmen.
- Bislang hat Musk nur indirekt auf das Ergebnis reagiert. Einer seiner Follower legte nahe, die Umfrage sei von Bots manipuliert worden. Musk antwortete mit einem Wort: "Interesting". Wortgleich reagierte er auf eine absurde Verschwörungstheorie des kriminellen Internetunternehmers Kim Schmitz, der mutmaßte, Musk habe mit der Umfrage "deep state bots" identifizieren wollen.
- Davon abgesehen hüllt Musk sich in Schweigen. Frühere Umfragen, etwa zur Rückholaktion von Donald Trump oder der Begnadigung Tausender Rechtsradikaler, kommentierte er sofort ("Vox populi, vox dei") und setzte sie um. Wenn das vermeintliche Volk seinen Rücktritt wünscht, scheint es sich länger gedulden zu müssen.
Die Einordnung
- Mit der Umfrage erweckt Musk den Anschein von Demokratie. Er suggeriert, dass er sich dem Votum der Mehrheit unterwirft. Das trifft aus zwei Gründen nicht zu.
- Zum einen sind Umfragen auf Twitter alles andere als repräsentativ. Sie seien besonders anfällig für Manipulation, sagte Yoel Roth (Rolling Stone), der bis Mitte November Twitters Abteilung für Vertrauen und Sicherheit leitet. Vermutlich hat Musk also recht: Es haben sich eine Menge Bots und Fake-Accounts beteiligt, die das Ergebnis verzerrt haben könnten. Bei früheren Umfragen störte er sich aber auch nicht daran.
- Selbst wenn man die mögliche Manipulation ignoriert, ist es Willkür, das Votum eines Bruchteils der Nutzerinnen und Nutzer als Grundlage für wichtige Entscheidungen zu nehmen. Musks aktuelle Umfrage war für zwölf Stunden aktiv. Wer in anderen Zeitzonen lebt, nicht ständig online ist oder nicht alles mitbekommen, was Musk von sich gibt, hatte keine Chance, sich zu beteiligen.
- Insgesamt wurden rund 17,5 Millionen Stimmen abgegeben. Wenn man den möglichen Bot-Anteil ignoriert und davon ausgeht, dass nur Menschen mitmachten, entspricht das etwa sieben Prozent der monatlich aktiven Nutzerïnnen. Mit direkter Demokratie hat das nichts zu tun.
- Zum anderen, und das ist der noch wichtigere Grund, holt sich Musk mit der Umfrage nur Rückendeckung für einen Rücktritt, den er ohnehin vorhatte. Vor einem Monat sagte er bei einer Gerichtsverhandlung in Delaware: "Ich gehe davon aus, dass ich meine Zeit bei Twitter reduzieren und jemand anderen finden werde, der Twitter leitet."
- Unmittelbar nach der Übernahme werde er dem Unternehmen mehr Aufmerksamkeit widmen, um es umzustrukturieren. Musk soll Investorïnnen versichert haben, dass diese Phase drei bis sechs Monate dauern werde (Axios). Danach wollte er sich aus dem Tagesgeschäft zurückziehen, aber weiter Eigentümer bleiben.
- Die Umfrage dürfte wenig bis gar nichts an Musks Plänen ändern. Vermutlich wird er in einigen Stunden oder Tagen verkünden, dass er sich dem Willen der Mehrheit beuge, nach einem Nachfolger suche und zurücktrete, sobald er Twitter in geeignete Hände abgeben könne.
- Genau das wäre früher oder später sowieso passiert – nur, dass sich Musk jetzt noch dafür feiern lassen kann, dass er einen neuen Chef einsetzt, während er selbst Eigentümer bleibt und alle wirklich relevanten Dinge weiter selbst entscheiden kann (The Intercept):
It’s important at moments like this to remember how capitalism works. Ready? Here it is: The people who own corporations decide what the corporations do. These owners usually hire a board of directors, which in turn hires the company’s chief executive officer. If the board doesn’t like the CEO’s performance, they replace him or her. If the owners don’t like the board, they replace them.
Twitter sperrt renommierte Journalistïnnen
Die Nachricht
- Am Freitag und übers Wochenende wurden die Twitter-Accounts von zehn Reporterïnnen vorübergehend gesperrt. Unter anderem traf es Angestellte von New York Times, Washington Post und CNN.
- Musk behauptet, die Reporterïnnen hätten die Sicherheit von ihm und seiner Familie gefährdet, indem sie seinen Standort in Echtzeit geteilt hätten. "Anschlagskoordinaten", wie er es nennt. Damit hätten sie gegen Twitters Richtlinien verstoßen und seien für sieben Tage suspendiert worden.
- Neuerdings verbietet es Twitter, Live-Standorte anderer Personen zu veröffentlichen. Diese Regel hatte Musk vergangene Woche eingeführt und daraufhin unter anderem den Account @ElonJet sowie dessen Betreiber Jack Sweeney dauerhaft verbannt.
- Kurz nachdem die Konten gesperrt worden waren, lud BuzzFeed-Reporterin Katie Notopoulos einen Teil der betroffenen Journalisten zu einem Audio-Chat auf Twitter ein (BuzzFeed News).
- Für wenige Minuten schaltete sich auch Elon Musk zu. "Sie doxxen, Sie werden gesperrt, Ende der Geschichte", sagte er. Journalistïnnen würden nicht bevorzugt behandelt. Als Notopoulos eine Nachfrage stellte, verschwand Musk kommentarlos. Kurz darauf wurde das Meeting abrupt und für alle Teilnehmenden beendet.
- Im Laufe des Wochenendes erhielten die meisten der betroffenen Reporterïnnen ihre Konten zurück, eine Erklärung gab es nicht. Die Wirtschaftsjournalistin Linette Lopez, die seit Jahren kritisch und investigativ über Tesla berichtet, bleibt blockiert.
Die Einordnung
- Die Sperren offenbaren Musks Geringschätzung für Pressefreiheit und seine Interpretation von Meinungsfreiheit: Alles ist erlaubt, solange es ihm in den Kram passt.
- Musk rechtfertigt das Vorgehen gegen die Journalistïnnen und @ElonJet mit einem Vorfall (Twitter / Elon Musk), der sich am vergangenen Dienstag in der Nähe von Los Angeles ereignete. Ein Stalker verfolgte ein Auto, in dem er Musk vermutete (der aber gar nicht darin saß). Daraufhin konfrontierte ein Leibwächter von Musk den Mann, später veröffentlichte Musk ein Video und fragte, ob jemand den Stalker erkenne.
- Musks Sorge und sein Wunsch nach Privatsphäre sind vollkommen verständlich. Die Polizei sieht aber keinen Zusammenhang (Washington Post) zwischen dem Vorfall und den Flugdaten, die @ElonJet verÃ…