Ausgabe #885 | 8.6.2023
Was ist
Das bestimmende Thema des Jahres 2023 ist der beeindruckende Fortschritt bei der Entwicklung von Sprachmodellen und anderen Technologien, die viele Menschen als KI bezeichnen. Dabei gerät gern mal aus dem Blick, dass Konzerne wie Meta oder YouTube auch noch ein recht lukratives Tagesgeschäft betreiben. Milliarden Menschen schauen sich dort Werbung an, nebenbei veröffentlichen und konsumieren sie auch noch ein paar Inhalte.
Das geht erwiesenermaßen mit Risiken und Nebenwirkungen einher, etwa strafbare und gefährliche Beiträge in allen Formen und Farben: Hass und Hetze, Drohungen, Verschwörungserzählungen und medizinische Desinformation.
Nach vielen Jahren des weitgehenden Wegschauens begannen die Plattformen 2020, ihre Verantwortung ernster zu nehmen. Das hing zusammen mit Donald Trump und der US-Wahl sowie der Corona-Pandemie. Wir beschrieben etwa, wie das Silicon Valley (ein bisschen) das Wild Wild Web zähmte (#654), Twitter Trump verbannte (#694) und Facebook sich dazu durchrang, Impf-Unsinn konsequent zu löschen (#701).
Diese Maßnahmen wurden in den vergangenen Monaten immer weiter beschnitten. Wir beobachten das mit Sorge.
Kommando zurück
- Trump darf längst wieder posten, was und wo er will. (#855)
- Der drastische Personalabbau bei den großen Tech-Konzernen traf Teams besonders hart, die für Trust & Safety sowie den Kampf gegen Desinformation zuständig sind. (Anchor Change)
- Über Twitter unter Elon Musk ist alles gesagt – dort bleiben gefährliche Halbwahrheiten und antisemitisches Geraune nicht nur unkommentiert online, der Eigentümer setzt sie persönlich in die Welt.
- Anfang Juni entschied sich YouTube, Verschwörungserzählungen über die vermeintlich manipulierte US-Wahl 2020 wieder zu erlauben. (YouTube-Blog)
- Am vergangenen Wochenende gab Meta Robert F. Kennedy Jr. sein digitales Mikrofon zurück, nachdem der persönliche Instagram-Account des demokratischen Politikers 2021 gesperrt worden war, weil dieser Desinformation über die COVID-Impfung verbreitet hatte. (Washington Post)
Welche Überlegung dahintersteckt
- Wir unterstellen den Tech-Konzernen nicht, dass es ihnen egal ist, was auf ihren Plattformen geschieht (Musk sei an dieser Stelle ausgeklammert). Sie scheinen aber überzeugt zu sein, dass die Nachteile der Maßnahmen mittlerweile die Vorteile überwiegen.
- Sprich: Die Einschränkung der Redefreiheit ist in ihren Augen ein größeres Problem als die Gefahr, die Fehlinformationen mit sich bringen können. Das gilt insbesondere für Akteure aus dem politischen Bereich, etwa kandidierende Politikerinnen oder gewählte Repräsentanten.
- Das ist kein komplett abwegiges Argument. Jeder Eingriff muss sorgsam abgewogen werden. Zudem gibt es neben der Entfernung von unerwünschten Inhalten weitere wirksame Maßnahmen, etwa Faktenchecks und den Entzug von Reichweite. Bevor man die Freedom of Speech beschneidet, fängt man lieber bei der Freedom of Reach an.
- YouTube nennt das "The Four Rs of Responsibility" (YouTube-Bl…