Salut und herzlich Willkommen zur 503. Ausgabe des Social Media Watchblog Briefings. Heute widmen wir uns YouTubes fragwürdigen Empfehlungen, blicken auf eine Studie zum Zusammenhang von Social Media und Depressionen und stellen einen Bot der Financial Times vor, der Journalisten alarmiert, wenn sie zu häufig Männer zitieren. Wir wünschen eine gewinnbringende Lektüre und wünschen einen schönen Tag, Simon und Martin

[line]
[gap size=“40px“]

YouTubes fragwürdige Empfehlungen

Was ist: Bei YouTube werden auf der Startseite manchmal Empfehlungen auch an jene gerichtet, die nicht bei YouTube eingeloggt sind. Je nach Bildschirmauflösung können es etwa acht oder zwölf Videos sein, die direkt als erstes prominent von YouTube beworben werden. Als ich am Dienstagabend mit meinem Firefox-Browser die Startseite von YouTube aufrief, wurden mir diese acht Videos empfohlen:

Weil ich nicht glauben konnte, was mir dort von YouTube empfohlen wurde, teilte ich den Screenshot bei Twitter. Der Tweet bekam eine Menge Aufmerksamkeit und führte schließlich zu einem Hintergrundgespräch mit YouTubes Head of Comms.

Warum ist das interessant?

  • Wir führen seit mindestens zwei Jahren eine Debatte darüber, dass fragwürdige Akteure die Plattformen für ihre Zwecke ausnutzen, ja sogar sehr clever darin geworden sind, die (Empfehlungs-) Algorithmen faktisch zu missbrauchen.
  • Wenn man etwa einen Ausschnitt aus einer Bundestagsdebatte bei YouTube anschaut, wird einem häufig als nächstes ein Video aus dem Dunstkreis extrem Rechter Akteure empfohlen. Wenn man ein Video über Sehenswürdigkeiten in New York anschaut, ist der Inside Job nicht weit weg. Wenn man sich über Diäten informieren will, werden einem schnell Anorexie-Videos vorgeschlagen. Kritiker warnen deshalb vor YouTube als großem Radikalisierer. (New York Times)
  • Gerade YouTube hat als zweitgrößter Suchmaschine der Welt deshalb eine enorme Verantwortung.
  • Insbesondere auch deshalb, weil YouTube für jüngere Nutzer die populärste Plattform darstellt. (Pew)
  • YouTube ist wirtschaftlich stark abhängig von den Empfehlungs-Algorithmen: Satte 70 Prozent der Zeit, die Nutzer auf YouTube-Videos verwenden, werden durch YouTubes Empfehlungs-Algorithmen gesteuert. (CNET)
  • Man sollte also annehmen, dass YouTube sehr genau weiß, was sie mit den Empfehlungen bezwecken.

YouTubes offizielle Reaktion lässt zum Redaktionsschluss noch auf sich warten. Ich bin aber optimistisch, dass ich noch im Laufe des heutigen Tages Antworten erhalten werde, die ich dann auch an dieser Stelle teilen werde. Nur so viel schon einmal:

  • Dass diese Empfehlungen bei YouTube niemanden glücklich machen, dürfte auf der Hand liegen.
  • Aus ähnlichem Grund hatte sich YouTube bereits im Frühjahr 2018 vorgenommen, bei Breaking-News-Situationen künftig in erster Linie Videos von zertifizierten News-Anbietern anzuzeigen. (Google Blog) Eine Situation wie etwa bei den Kundgebungen in Köthen, Karsten Schmehl berichtete für BuzzFeed darüber, dass die Top-Videos dazu von Verschwörungstheoretikern und RT Deutsch stammten, hätte sich somit nach YouTubes Vorstellungen eigentlich gar nicht ergeben dürfen. Das Problem dabei: YouTube ist davon abhängig, dass Algorithmen eine Breaking-News-Situation richtig erkennen.
  • Über Breaking-News-Situationen hinaus arbeitet YouTube bekanntermaßen daran, bei fragwürdigen Inhalten, weiterführende Artikel anzubieten. (Guardian)

Aber… die hier aufgeführten Maßnahmen haben natürlich zunächst einmal nichts damit zu tun, dass mir als „neutralem“ Besucher der Website (ich hatte nach bestem Wissen meine Datenspuren gelöscht und bin auch nicht der einzige, der diese Erfahrung macht) so eine Grütze angeboten wird, um es mal auf den Punkt zu bringen.

Be smart: YouTube hat eine enorme Marktmacht. Dadurch ergibt sich auch eine große Verantwortung. Zumindest moralisch. Ob und wie YouTube dieser Verantwortung gerecht wird, sollte einer ständigen Überprüfung unterzogen werden.

[line]
[gap size=“40px“]

Weniger Social-Media-Nutzung kann Depressionen abmildern

Was ist: Vier Wissenschaftlerinnen der Universität von Pennsylvania haben untersucht, wie sich Einsamkeitsempfinden und depressive Symptome entwickeln, wenn die Betroffenen weniger Zeit mit sozialen Medien verbringen. Die Studie wurde im Journal of Social and Clinical Psychology veröffentlicht und hat damit einem Peer-Review standgehalten. Der Titel nimmt das Ergebnis vorweg: „No More FOMO: Limiting Social Media Decreases Loneliness and Depression“.

Die Methodik: Die Forscherinnen haben ihre Studie mit 143 Studierenden durchgeführt. Per Zufall wurde der einen Hälfte aufgetragen, ihren Social-Media-Konsum zu reduzieren. Sie durften Facebook, Instagram und Snapchat nur noch jeweils zehn Minuten pro Tag verwenden und mussten ihr geändertes Nutzungsverhalten mit Screenshots nachweisen. Die andere Hälfte diente als Kontrollgruppe und sollte die Apps normal wie gewohnt weiter nutzen. Nach drei Wochen befragten die Wissenschaftlerinnen die Probanden und nutzten dafür sieben anerkannte psychologische Methoden und Faktoren.

Die Ergebnisse: Wer seinen Social-Media-Konsum einschränkte, zeigte am Ende des Untersuchungszeitraums im Vergleich zur Kontrollgruppe „signifikante Rückgänge bei Einsamkeit und Depressionen“. Viele Probanden, die zu Beginn der Studie moderate depressive Symptomatik aufwiesen, hätten drei Wochen später nur noch „sehr milde Symptome“ gehabt, sagt eine der beteiligten Forscherinnen bei Marketwatch. Bei allen Teilnehmern, also auch bei der Kontrollgruppe, reduzierten sich Angstgefühle und die Furcht, etwas zu verpassen. Die Wissenschaftlerinnen führen das auf das Self-Monitoring der Probanden zurück. Diese seien sich dadurch bewusster geworden, wie sie soziale Medien nutzen. Auf andere untersuchte Faktoren wie Selbstvertrauen und allgemeines Wohlbefinden hatte der reduzierte Social-Media-Konsum keinen Einfluss.

Die Aussagekraft: Seit Jahren gibt es immer wieder Studien, die einen Zusammenhang zwischen Depressionen und Social-Media-Nutzung nahelegen. Insbesondere die älteren beschränkten sich jedoch auf Facebook oder hatten keine Kontrollgruppe. Der Großteil der bisherigen Untersuchungen habe lediglich Korrelationen aufgezeigt, schreiben die Forscherinnen. „Unsere Studie ist die erste valide Untersuchung mit experimentellem Studiendesign, die mehrere Social-Media-Plattformen analysiert und die tatsächliche Nutzung objektiv misst.“ Sie weise einen „klaren kausalen Zusammenhang“ nach: weniger Zeit in sozialen Medien führe zu weniger depressiven Symptomen.

Die Einschränkungen: Obwohl sie selbst von Kausalität sprechen, weisen die vier Forscherinnen auf die Limitierungen ihrer Untersuchung hin. Die Studie habe nur den Social-Media-Konsum auf Smartphones kontrolliert, am Laptop sei keine Überwachung möglich gewesen. Außerdem konnten die Teilnehmer andere Plattformen wie Twitter, Tumblr, den Facebook-Messenger oder Dating-Seiten nutzen. Die Probanden bestanden ausschließlich aus Studierenden der Uni Pennsylvania, die iPhones besitzen (auf Android-Geräten lässt sich die App-Nutzung schlechter tracken). Mit jeweils gut 70 Teilnehmern für Test- und Kontrollgruppe ist die Stichprobe auch nicht besonders groß, insbesondere da für Folgeuntersuchungen einige Teilnehmer absprangen und sich die Anzahl weiter reduzierte.

Be smart: Pauschale Aussagen wie „Social Media macht depressiv“ sind Unsinn. Hashtags wie #NotJustSad oder die Erfahrungen von Uwe Hauck („Rückblickend war Twitter für mich Teil des Heilungsprozesses“) zeigen, dass soziale Medien depressiven Menschen durchaus helfen können, mit ihrer Krankheit umzugehen und Hilfe zu finden. Das gilt aber nicht für alle: „Facebook war Gift für mich„, sagt etwa die Autorin und Journalistin Kati Krause, die beeindruckend offen über ihre Erfahrungen berichtet.

Insbesondere unsichere Jugendliche, die ohnehin schon ein geringes Selbstwertgefühl haben, können Plattformen wie Instagram noch unglücklicher machen. Hier scheinen alle anderen perfekt zu sein, jeder zeigt nur seine beste Seite. Kaum jemand postet freiwillig unvorteilhafte Selfies oder schreibt bei Facebook, was gerade alles schiefläuft. Die eigenen Schwächen und Versagensängste kennt man nur allzu genau, von anderen bekommt man immer nur die Erfolgserlebnisse mit. Wer die Plattformen nutzt, sollte sich bewusst machen, dass er nur einen Teil der Realität sieht und andere Menschen oft genauso an sich zweifeln wie man selbst.

Autor: Simon Hurtz

[line]
[gap size=“40px“]

Kampf gegen Desinformation

Fact Checking in Indien: Für das sogenannte EU Disinfo Lab hat Karen Rebelo von der indischen Fact Checking Initiative BOOM Live ein Webinar gehalten, in dem sie darstellt, warum der Kampf gegen Desinformationen gerade in Indien eine große Herausforderung darstellt. Das Webinar ist zwar leider nicht online, der begleitende Text aber sehr lesenswert. (Disinfo Lab)

Instagram jetzt im Fokus: Da hingehen, wo die Nutzer sind, heißt es. Dass dieser No-Brainer nicht nur für Journalisten und PR-Experten gilt, sondern auch für Akteure, die politische Ziele verfolgen, liegt auf der Hand. Folglich darf es nicht verwundern, dass Instagram jetzt auch zur Zielscheibe für politische Desinformation geworden ist. (Quartz)

Klarnamenpflicht bringt nix: Wer meint, mit Klarnamen würde alles besser, der irrt. Ingrid Brodnig beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema und zeigt gute Gründe auf, um nicht für die Einschränkung von Anonymität im Internet zu sein. (Brodnig)

1 Million Dollar verteilt WhatsApp an 20 Projekte aus 11 Ländern, um herauszufinden, wie genau Desinformationen auf der Plattform geteilt werden. (Poynter)

[line]
[gap size=“40px“]

Zukunft von Snapchat

Discover mit neuem Chef: Hoppla! Das haben jetzt auch nicht so viele Branchenbeobachter kommen sehen: Snapchats Nummer Eins für Discover, Nick Bell, geht von Bord (Recode). Das ist nicht nur interessant, weil Bell gerade noch vor ein paar Tagen im Recode-Podcast das genaue Gegenteil vermuten ließ. Es ist deswegen so spannend, weil Bell sich einreiht in die Riege all jener Top-Leute, die in den letzten Monaten bei Snapchat ausgestiegen sind (Reuters). Oh Snap!

[line]
[gap size=“40px“]

Social Video

Weniger Views auf Facebook für Funk: Dieser Bericht von Leonhard Dobusch aus dem ZDF Fernsehrat ist wirklich interessant. Nicht nur, weil Dobusch die Meinung vertritt, dass die Anstalten sehr, sehr viel vom großartigen Angebot funklernen können. Für mich ist der Bericht auch deshalb so interessant, weil darin eine Grafik aufgeführt wird, die uns verrät, wie stark die Views auf Facebook für die funk-Angebote zurückgegangen sind – dürfte nicht nur interne Gründe haben, sondern wohl auch an Facebooks Umstellung hinsichtlich der Verbreitung von Video-Inhalten liegen.

Lascher Start von Lasso: Facebooks neue Social-Video-App Lasso kommt in den ersten Tagen nur auf wenige Zehntausend Downloads. (Techcrunch) Das ist ein wirklich dürftiger Start. Jetzt wird bekannt: Einer der Hauptverantwortlichen für das Produkt verabschiedet sich Richtung Netflix. (Facebook / Brady Voss) Nun ja. Scheint alles nicht unter einem so wahnsinnig guten Stern zu stehen.

[line]
[gap size=“40px“]

Inspiration

Bot-Alarm: Die Financial Times hat einen Bot programmiert, der die JournalistInnen alarmiert, wenn sie zu viele Männer zitieren. Das hört sich doch mal ganz sinnvoll an, oder? (Guardian)

[line]
[gap size=“40px“]

Neues von den Plattformen

Google

  • Angriff auf Facebook Pages: Das ist wirklich ganz spannend: Google gibt Geschäftsinhabern jetzt die Möglichkeit, Google-Suchenden mehr Infos an die Hand zu geben. So können via My Business App (iOS, Android) Fanpage-mäßige Profile erstellt werden, um etwa Fotos, Posts oder Angebote zu teilen. Auch kann über die App mit Suchenden / Kunden interagiert werden. Nachdem Google ja bislang kein gutes Händchen in Sachen Social Networks bewiesen hat, ist dies ein ziemlich cleverer Weg, die Millionen an Nutzern auf eine neue Art anzusprechen. (Techcrunch)

Facebook

  • Mehr wie LinkedIn: Facebook unternimmt den Versuch, etwas mehr wie LinkedIn zu sein und nimmt dafür verschiedene Funktionen in die App auf, die an das Business-Netzwerk erinnern: Kurse, Mentorenprogramme, etc. (Techcrunch)

Snapchat

  • Wolle Bitmojis kaufen? Auf der Suche nach neuen Erlösmodellen ist Snapchat auf die Idee gekommen, die sehr populären Bitmojis zu Geld zu machen: Bitmoji-Merchandise here we come! (Techcrunch)
  • Friendship Profile: Zudem launcht Snapchat ein neues Feature, das Nutzern direkt sämtliche Inhalte anzeigt, die sie mit Freunden teilen. Zur Stärkung der Freundschaft, versteht sich. (Snap)

Twitter

  • Vorsichtiges Nachdenken über den Edit-Button: Erst einmal nur wenig prominent hier in dieser Abteilung vermerkt, weil ich noch nicht wirklich dran glaube. Wenn es dann aber tatsächlich soweit ist, dass der Edit-Button für alle NutzerInnen ausgerollt wird, dann gibt es einen ausführlichen Beitrag dazu, versprochen. (The Next Web)

WhatsApp

  • QR-Code: Machen wir es kurz: Auch WhatsApp werkelt an einem QR-Code, über den sich Freunde / Bekannte adden ließen. (Wabetainfo)

[line]
[gap size=“40px“]

Tipps, Tricks und Apps

Emoji-Builder: Falls dir gerade langweilig ist und du gern ein eigenes Emoji hättest – hier kannst du eins basteln: phlntn.com/emojibuilder

Deep Fakes identifizieren: Watchblog-Gründungskollege und SRF-Digitalstratege Konrad Weber hat einen tollen Blogpost darüber geschrieben, wie man Deep Fakes erkennt. Ein sehr, sehr guter Primer und definitiv ein Bookmark wert. (Konrad Weber)

[line]
[gap size=“40px“]


Die letzten drei Briefings: