Krieg in der Ukraine

Plattformen sind keine neutralen Instanzen

  • Vor ziemlich genau einer Woche sah es kurz so aus, als würde Meta Menschen in Osteuropa vorübergehend gestatten, Posts zu verfassen, in denen sie konkret zu Gewalt gegen russisches Militär aufrufen. Auch – so schien es zunächst – sei es nun erlaubt, den Staatschefs Putin und Lukashenko den Tod zu wünschen. Reuters hatte von einer entsprechenden Anweisung an Content Moderatoren berichtet.
  • Russland hatte daraufhin Meta als extremistisch bezeichnet und erklärt, Instagram zu sperren (netzpolitik). Die Sperrung von Instagram ist dann auch erfolgt (Golem) – allerdings wäre sie wohl so oder so gekommen.
  • Meta selbst ruderte einige Stunden später zurück und erklärte über ihren „Außenminister“ Nick Clegg, dass es weiterhin nicht erlaubt sei, Staatschefs "den Tod zu wünschen" (@nickclegg). Es ginge lediglich darum, dass Ukrainerïnnen temporär Posts zu ihrem Widerstand gegen russisches Militär verfassen dürften. Diese wäre so vorher von den Community Standards nicht gedeckt gewesen und hätten gelöscht werden müssen. Das wäre den Umständen nicht gerecht geworden, so das Unternehmen.
  • Bei Twitter möchte man ebenfalls nicht tatenlos zusehen. Das Unternehmen hat sich dazu entschieden, einen Post der russischen Botschaft zu löschen. In dem Tweet wurde behauptet, bei der schwangeren Frau, deren Foto viral ging (Techcrunch), weil es sie blutverschmiert zeigte, handele es sich um einen Crisis Actor. Die Frau und ihr Baby sind in der Zwischenzeit verstorben (Spiegel). Es ist alles so fürchterlich.
  • YouTube hat sich seinerseits dazu entschieden, russische Staatsmedien komplett von der Plattform zu verbannen (@YouTubeInsider).
  • Die Beispiele zeigen, dass die Plattformen keine neutralen Instanzen sind. Auch wenn einzelne Entscheidungen, wie etwa die von Twitter, sofort nachvollziehbar sind, sollte jedem klar sein, welche enorme Verantwortung die Plattform tragen. Sie sind längst zu supranationalen Institutionen geworden. Ohne jede Kontrolle. Sie treffen Entscheidungen, die die ganze Welt betreffen. Ihre Entscheidungen sind allerdings in keiner Weise demokratisch legitimiert.

Weitere Schlagzeilen zum Krieg in der Ukraine

  • Google sendet Menschen in der Ukraine Luftangriffswarnungen an Android-Handys. (The Verge)
  • Vor zwei Jahren gab es große Aufregung um Clearview AI (#607). Jetzt berichtet Reuters, dass das Unternehmen der Ukraine die kostenfreie Nutzung ihrer umstrittenen Gesichtserkennungssoftware angeboten hat (BBC), um russisches Militär, Falschinformationen & Tote zu identifizieren.
  • Russische Influencerïnnen wurden bezahlt: Einige von euch haben womöglich die russischen TikToker gesehen, die quasi wortgleich die gleichen Pro-Kremlin-Statements posteten. Vice hat Telegram-Kanäle entdeckt, die die These untermauern, dass es sich dabei um eine koordinierte Kampagne handelte – inklusive Cash für die Influencerïnnen.
  • Dass TikToker längst zu veritablen Waffen im Informationskrieg geworden sind, hat auch das Weiße Haus verstanden. Die Washington Post berichtet von einem wohl bislang einzigartigen Pressebriefing für amerikanische TikTok-Influencerïnnen.
  • Twitch in Wartime: Auch bei Twitch spielt der Krieg in der Ukraine eine Rolle. Dabei machen einige Streamer keine besonders glückliche Figur (Washington Post).
  • Tracking exposed: Wie bereits in Ausgabe #781 dargestellt, können Nutzerïnnen in Russland derzeit auf keine TikToks aus dem Ausland zugreifen. Das Hochladen neuer Videos aus Russland ist ebenfalls untersagt. Das Projekt Tracking Exposed zeigt, wie weitreichend dieser Eingriff in den Informationsfluss ist (PDF). Kollegin Köver hat sich den Bericht für netzpolitik ausführlich angeschaut.
  • Kritik an sozialen Medien: Human Rights Watch bezweifelt, dass die Social-Media-Plattformen wirklich genug tun, um Nutzerïnnen adäquat zu schützen. Vor allem kritisiert die Organisation die intransparente Maßnahmen von sozialen Medien (hrw).
  • Deep Fake von Zelenskyy: In den vergangenen Tagen zirkulierte ein Deep-Fake-Video von Ukraines Präsident Zelenskyy in den sozialen Medien. Meta hat das Video relativ schnell als Fälschung identifiziert und von der Seite genommen (Techcrunch). In russischen Social-Media-Angeboten – allen voran VKontakte – wurde das Video Angaben des DFRLab zufolge aber vielfach geteilt. Das Video zeigt eine Rede von Zelenskyy, in der er sein Land zur Kapitulation aufrief.

Social Media & Politik


Datenschutz-Department

  • Instagram bietet Eltern mehr Kontrolle: Instagram hat neue Tools zum Schutz junger Nutzerïnnen vorgestellt (Facebook Newsroom). Nachdem bekannt wurde, dass Instagram Kids vorerst auf Eis gelegt wurde (und sogar die Verantwortlich dafür laut WSJ das Haus jetzt verlässt), bessert Instagram nun bei der regulären App nach und bietet einige neue Features, damit Eltern stärker im Blick behalten, was ihre Kids (und Teens ?!) bei Instagram so treiben. Im sogenannten „Familienzentrum" können Eltern überwachen, wie viel Zeit ihr Kind in der App verbringt, sich über die Accounts informieren, denen sie in letzter Zeit gefolgt sind und prüfen, wer den Kids folgt.

Follow the money

  • Linktr.ee mit 1,3 Mrd. Dollar bewertet: Ihr kennt alle bei Instagram den Hinweis "Link in Bio". Oft führt der Link dann zu einer Website, die mit Linktr.ee erstellt wurde. Dort gibt es in der Regel nix außer weiteren Links. Dieser Service wird nach einer neuen Finanzierungsrunde nun mit 1,3 Milliarden Dollar bewertet (Techcrunch). Das ist mehr als Facebook damals für Instagram bezahlt hat. Warum die Bewertung so hoch ist und was das Unternehmen alles plant, erfährt man bei Protocol.
  • Avatare for the win: VShojo ist eine Talentmanagement-Firma für VTuber – also virtuelle YouTuber, die beim Livestreaming Avatare verwenden. Das Unternehmen hat nun eine Startfinanzierung in Höhe von 11 Millionen US-Dollar erhalten, damit die Welt bald noch mehr Livestreamings von Avataren bestaunen kann. Yeah!

Metaverse / AR / VR

  • Auch wenn das Metaverse (Tagesschau) und Crypto (Platformer $) bei der diesjährigen SXSW die heißen Themen waren, sind sich viele Branchenbeobachter darin einig, dass beide Technologien noch nicht in den kommenden Jahren Mainstream werden.
  • Klar, Shopify investiert (BI) fleißig in VR-Technologien. Marketing-People gehen schließlich davon aus, dass bald sämtliche Oberflächen (analog & virtuell) Verkaufs- und Werbeflächen sein werden.
  • Instagram soll irgendwann auch einmal NFT bekommen (The Verge).
  • Mark Zuckerberg spricht zwar nicht so gern über die Verantwortung seines Unternehmens im Ukraine-Krieg, für einen Plausch über das Metaverse kommt er aber immer gern vorbei (Handelsblatt).
  • Am Ende sieht es jedoch weiterhin so aus, dass vor allem AR-Anwendungen eine Rolle im täglichen Leben der Menschen spielen werden. Snapchat geht hier einen interessanten Weg, indem sie Stück für Stück neue Features einführen, die sich auch tatsächlich nutzen lassen (Snap Newsroom). Mehr zu diesem Themenkomplex noch einmal in den kommenden Tagen.

Video / Audio

  • TikTok bei Cannes: TikTok ist offizieller Partner der Filmfestspiele in Cannes (Vulture). Der Impact, den TikTok auf die westliche Kultur hat, ist wirklich spannend.
  • TikTok ist in bestimmten Altersbereichen YouTube auf den Fersen: Laut einem aktuellen Bericht von eMarketer ist YouTube in den USA immer noch krass viel populärer als TikTok. In manchen Segmenten – allen voran in der Altersgruppe 18-24 – wächst TikTok jedoch extrem schnell, während YouTube hier schon eine gläserne Decke erreicht hat.
  • Kurz-Videos über alles? Nope! Laut einem lesenswerten Beitrag bei VOX erfreuen sich auch längere Videos (weiterhin) großer Beliebtheit in den sozialen Medien. Insbesondere Video Essays könnten an die Popularität von Podcasts anknüpfen und viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, heißt es. Es müssen also doch nicht immer nur 30-Sekünder sein?!
  • Vimeo will Geld sehen. Viel Geld. Früher war Vimeo mal ziemlich cool. Viel Kunst und Kurzfilme. Heute möchte das Unternehmen lieber eine Technologie-Firma sein und bitte nicht mehr die "Indie-Version von YouTube" (PDF). Creator, die Vimeo bislang dafür genutzt haben, um Videos bei Patreon einzubinden, werden nun kräftig zur Kasse gebeten (The Verge). Eine wirkliche Einladung, die Plattform weiter zu nutzen, sieht anders aus. Die Entscheidung gleicht mehr einem Rausschmiss.

Social Commerce

  • Pinterest Idea Pins jetzt überall nutzbar: Pinterest Idea Pins sind eine Art Hybrid aus Stories und Kurz-Video. Bislang konnte das Format nur auf Pinterest selbst bestaunt werden. Künftig lassen sich die Idea Pins auch herunterladen und bei Instagram, Facebook, Snapchat, TikTok und YouTube nutzen (Techcrunch). Die Videos sind dann mit einem Wasserzeichen versehen und sollen dazu beitragen, dass Pinterest-Creator mehr Aufmerksamkeit für ihre Collections erhalten.
  • Partnerschaft von Instacart und TikTok: Die Vision von Instacart ist es, dass jedes Rezept im World Wide Web shoppable wird. Damit dieses Ziel erreicht wird, gehen sie jetzt eine Partnerschaft mit TikTok ein. Creator können Instacart-Einkaufslisten nun direkt in ihren Videos verlinken (Techcrunch).

Creator Economy

  • Instagram Creator Lab: Damit sich mehr Menschen dazu entscheiden, mit Instagram ihren Lebensunterhalt zu verdienen, launcht Instagram eine Art Lernplattform für Creator.

Was wir am Wochenende lesen


Features bei den Plattformen

TikTok

Clubhouse

  • Wave Bar: Damit es leichter wird, einfach mal spontan mit jemandem zu schnacken, führt Clubhouse die sogenannte Wave Bar ein.

Twitter

  • Circles: Twitter bastelt an einer Funktion, die es ermöglicht, Tweets nur einer ausgewählten Gruppe an Kontakten auszuspielen. Diese „Close-Friends“-Funktion soll wohl Circles heißen (RIP Google Plus) und die Möglichkeit bieten, eine Liste von 150 „engen“ Kontakten anzulegen.

One more thing

  • Facebook ist jetzt auch bei TikTok. Allerdings fühlen sie sich genau so alt wie bei dir im Unternehmen und wissen auch nicht so recht, was sie posten sollen


Community

  • Umbau der Website: Wir haben in den vergangenen Tagen unsere Website ein wenig umstrukturiert. Bislang war unsere Startseite eher eine Art digitale Visitenkarte. Dadurch wurde vielen Besucherïnnen nicht so richtig klar, was für Inhalte sie bei uns finden können. Jetzt kommen wir auf der Startseite stärker über die Inhalte und bieten auf der Archiv-Seite auch die Option an, auf einzelne Themen gezielt zuzugreifen – etwa auf alle Artikel zum Krieg in der Ukraine. Überhaupt: Die Briefings, in denen wir uns explizit mit Themen zum Krieg in der Ukraine auseinandersetzen, sind für alle frei zugänglich.
  • „Workshops“: Wir werden immer wieder gefragt, ob wir neben unserer Arbeit beim Social Media Watchblog auch Workshops anbieten. Ja, das tun wir! Wir unterrichten beispielsweise regelmäßig an der Deutschen Journalistenschule und an der Henri-Nannen-Schule. Auch sind wir immer mal wieder als Keynote-Speaker und Workshop-Referenten bei diversen Institutionen gebucht. Damit dieser Teil unserer Arbeit mehr gesehen wird, gibt es jetzt eine entsprechende Workshop-Rubrik bei uns auf der Website.
  • Neue Steady-Pakete: Zudem haben wir uns dazu entschieden, doch wieder verschiedene Steady-Pakete anzubieten. Wir waren davon im vergangenen Jahr abgerückt, weil wir dachten, dass eine Vereinheitlichung sinnvoller wäre. Wir merken aber, dass es in diesen Zeiten so viel Aufklärungsbedarf in Sachen Social Media gibt, dass wir unser Briefing nicht ausschließlich Profis anbieten möchten. Ja, Social-Profis wie du bleiben weiterhin unsere Kernzielgruppe. Aber alle, die sich vielleicht nicht hauptberuflich über Social Media informieren müssen, sich noch in der Ausbildung befinden oder einfach so ein Interesse an Social Media haben, finden jetzt wieder ein ermäßigtes Paket bei uns. Falls du allerdings nicht nur Profi bist, sondern auch ein Interesse daran hast, unsere Arbeit zu fördern, findest du jetzt wieder das Förderer-Paket bei uns auf der Seite. Wir freuen uns über Empfehlungen unserer Arbeit!
  • Mitarbeit beim Watchblog: Last but not least sind wir tatsächlich auf der Suche nach redaktioneller Unterstützung. Konkret geht es darum, Dinge auf Social passieren zu lassen. Hier geht es zur Stellenausschreibung. Ist. Das. Aufregend!

Header-Foto von Ben Masora