Social Media & Politik

  • Facebook ist und bleibt eine Spam-Schleuder: Meta hat den Community Standards Enforcement Report und den Widely Viewed Content Report für Q2/2022 vorgestellt. Abby Ohlheiser fasst den Inhalt recht treffend zusammen: "The most popular content on Facebook belongs in the garbage" (MIT Technology Review). Der erfolgreichste Post war ein anzüglicher 69-Witz, die Top 20 ist voller billiger Memes, Junk, TikTok-Reposts und bereits gelöschtem Spam. Das repräsentiert zwar nur einen kleinen Anteil aller Inhalte, wirft aber trotzdem kein gutes Licht auf den aktuellen Zustand von Facebook (Integrity Institute). Das Ergebnis ähnelt dem ersten dieser Reports, den Facebook vor genau einem Jahr vorlegte. Ausführliche Hintergründe findest du in Ausgabe #740.
  • Facebook schließt Vergleich im Cambridge-Analytica-Verfahren: Vor vier Jahren wurde bekannt, dass eine windige Datenanalyse-Firma über eine offene Schnittstelle Daten von Dutzenden Millionen Facebook-Nutzerïnnen abgreifen konnte. Im September sollten Mark Zuckerberg und Sheryl Sandberg vor Gericht aussagen. Doch wie es der Zufall will, einigte man sich jetzt vorläufig auf einen Vergleich (Reuters) und setzte das Verfahren aus, bis die endgültigen Details geklärt sind. Die genauen Konditionen sind nicht bekannt. Und wir lernen: Ganz egal, wie groß die Aufregung über angebliche, vermeintliche oder echte Skandal ist – was am Ende dabei herauskommt, interessiert niemanden mehr.
  • Trump-Netzwerk geht den Bach runter: Truth Social ist ein gewaltiger Flop. Keine Werbetreibenden, keine Android-App, kaum Entwicklerïnnen, dafür jede Menge technischer und juristischer Probleme. Diese Shitshow beschrieben wir in Briefing #806. Jetzt kommen offenbar auch noch massive finanzielle Sorgen dazu. Der Hosting-Anbieter RightForge, der rechtskonservativen Plattformen "ohne Zensur durch Big Tech" eine Bühne bieten will, wartet seit Monaten auf sein Geld (Axios). Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Midterms der Trump-Plattformen einen Reichweitenschub bescheren. Derzeit sieht es aber so aus, als stünde Truth Social das gleiche Schicksal bevor wie Gab, Gettr, Parler und andere Rechtsaußen-Netzwerke: Bedeutungslosigkeit. Unsere Trauer hält sich in Grenzen.
  • Leise Zweifel am Twitter-Whistleblower: Hacker-Legende Peiter "Mudge" Zatko macht Twitter bekanntlich schwere Vorwürfe. In unserem Deep Dive vergangene Woche äußerten wir bereits vorsichtige Skepsis bei einigen der Anschuldigungen des früheren Sicherheitschefs. Ein langes und lesenswertes TIME-Portrait untermauert diese Zweifel. Die Autoïnnen führten mehr als ein Dutzend Interviews mit aktuellen und ehemaligen Twitter-Angestellten sowie Freunden und Familie von Mudge. Alle sind sich einig, dass Mudge viele wichtige Punkte anspricht und es schlecht um die Datensicherheit bestellt ist. Manche Vorwürfe – etwa mit Bezug auf Bots und Fake-Accounts – seien aber übertrieben oder irreführend. Sie beträfen Themen, bei denen Mudge in seiner Zeit bei Twitter wenig zu gearbeitet habe.
  • Telegram vs. BKA: Monatelang ignorierte Telegram alle Anfragen der Bundesregierung und widersetzte sich den Anordnungen der Behörden (#766). Im Juni gab es erste Annäherungen, Telegram lieferte erstmals Nutzerdaten ans BKA (#800). Nun startet man eine Umfrage, die alle deutschen Nutzerïnnen sehen (Netzpolitik). Telegram möchte wissen, wie es künftig mit Anfragen von Ermitlerïnnen und Strafverfolgungsbehörden umgehen soll. Stand 14 Uhr wurde rund eine Million Mal abgestimmt. 41 Prozent sind dafür, dass Telegram IP-Adressen und Telefonnummern von Terrorverdächtigen nur mit Gerichtsbeschluss herausgibt. Das entspricht dem aktuellen Vorgehen.
  • Wie die AfD TikTok nutzt: Im Mai 2022 löschte TikTok den offiziellen Account der AfD. Trotzdem ist die Partei auf der Plattform erfolgreich. Das Funk-Format "DIE DA OBEN!" hat die TikTok-Strategie der AfD analysiert (YouTube) und zeigt, wie es einzelnen Abgeordneten und den Konten der Bundestags- und Landtagsfraktionen gelingt, mit ihren Inhalten viele Menschen zu erreichen (Tagesschau). Obwohl die Partei wenig Wert auf TikTok-Trends und plattformgerechte Formate legt, sondern Videos oft zweitverwertet, werden sie teils millionenfach abgerufen. Transparenz scheint eine untergeordnete Rolle zu spielen: Hinter "@mutzurwahrheit90", mehr als 200.000 Follower und zwei Millionen Likes, steckt etwa der sachsen-anhaltische Landtagsabgeordnete Ulrich Siegmund – einen Hinweis findet man in der Biografie allerdings nicht.

Kampf gegen Desinformation

  • Russische Propaganda in Deutschland: In der Ukraine wird am Boden und in der Luft gekämpft, gleichzeitig führt Russland einen Krieg im Netz – und dieses Schlachtfeld erstreckt sich auch auf Deutschland. Recherchen von T-Online offenbaren das Ausmaß der russischen Desinformation: Hunderte Fake-Accounts und Dutzende täuschend echt nachgebaute Webseiten sollen die öffentliche Meinung in Deutschland beeinflussen. Wie immer bei solchen Kampagnen ist es wichtig, nicht in Panik zu verfallen. Es gibt bislang wenig wissenschaftliche Evidenz, dass massenweise Menschen auf diese Fakes hereinfallen. Trotzdem ist es natürlich wichtig und verdienstvoll, dass Journalistïnnen diese Propaganda entlarven.
  • Auch der Westen betreibt Desinformation: Beim Stichwort Propaganda denken die meisten Menschen an russische Trolle. Doch auch der Westen versucht, mit ähnlichen Methoden Meinung zu machen. Forschende des Stanford Internet Observatory und Graphika haben fiktive Facebook-, Instagram- und Twitter-Konten entdeckt, die jahrelang in Russland, China, Iran und anderen repressiven Regimen aktiv waren. Sie verbreiteten US-freundliche Botschaften (Vice) und kritisierten die Politik der autoritären Machthaber in den jeweiligen Staaten. Es handelte sich allerdings um verhältnismäßig kleine Kampagnen mit geringem Einfluss. Passend dazu zirkuliert unter EU-Mitgliedsstaaten gerade ein Diskussionspapier (Bloomberg), das auslotet, wie TikTok- und YouTube-Creator eingesetzt werden könnten, um gezielt prorussische Propaganda in Russland zu demaskieren.
  • Was hilft gegen Desinformation? Diese Frage stellte sich der Google-Thinktank Jigsaw, der sich der Extremismus-Bekämpfung verschrieben hat. Im Fachmagazin Science veröffentlichten die Wissenschaftlerïnnen eine Studie, die Mut macht: "Psychological inoculation improves resilience against misinformation on social media". Grob zusammengefasst: "Prebunking" kann Menschen gegen Propaganda immunisieren. Statt Fehlinformationen nachträglich zu debunken, muss man im Vorhinein über die Mechanismen der Manipulation aufklären (Nieman Lab). Mit einer Reihe an Kurzvideos, die als YouTube-Werbung in Polen, Slowenien und Tschechien laufen, wird die These nun getestet (Protocol).
  • Twitter verwechselt medizinische Aufklärung und Desinformation: Die Plattform hat offenbar nicht nur ein Problem mit Datensicherheit, sondern auch mit seiner inhaltlichen Moderation. Vergangene Woche sperrte Twitter versehentlich Konten von Ärztinnen, Wissenschaftlern und Patientenschützern (Washington Post), die über Covid-19 aufklären wollten. Dutzende Tweets mit wissenschaftlich korrekten Fakten wurden als Desinformation gekennzeichnet. "We acknowledge the mistakes made in these cases, and we are reviewing our team’s protocol to safeguard against such mistakes in the future", sagt eine Sprecherin. Oopsie.

Schon einmal im Briefing davon gehört


Zahl der Ausgabe


Neue Features bei den Plattformen

Instagram

  • QR-Codes: Instagram-Nutzerïnnen können jetzt mittels QR-Codes Reels, Locations und Tags teilen (Mashable). Irgendwie hat Insta das Feature still und heimlich ausgerollt. Wir persönlich mögen QR-Codes ja ziemlich gern – vor allem offline als Aufkleber.

LinkedIn

  • Kommentare pinnen: LinkedIn-Creator können jetzt ausgewählte Kommentare oben festpinnen (@LindseyGamble), um aufzuzeigen, welche Art von Kommentaren sie am liebsten hätten. Instagram, TikTok und YouTube lassen grüßen!

Twitter

  • Neue Karten: Publisher sollen künftig wohl mehr Optionen haben, um auf Artikel aufmerksam zu machen. War bislang das Design der Artikel-Vorschau, die sich der hinterlegte Link gezogen hat, immer gleich, sollen künftig individuellere Gestaltungsformen möglich sein. Die New York Times, der Guardian und die Washington Post gehören zu den ersten, die mit der neuen Option spielen dürfen (@ashevat).
  • Neue Links: Auch bastelt Twitter daran, professionellen Accounts mehr Möglichkeiten an die Hand zu geben, um über das Twitter-Profil Traffic zu generieren (@nimaowji).

Snapchat

  • BeReal jetzt auch bei Snapchat: Tja, so läuft das halt. Da hat man mal eine gute Idee und was machen die anderen? Genau! Sie klauen sie einfach. Jetzt können also auch Snapchat-User gleichzeitig mit der Frontkamera und der Kamera auf der Rückseite ein Foto aufnehmen (The Verge). BeReal you better BeWorried! Vor allem weil das Feature ja bei Snapchat noch viel mehr Sinn ergibt als bei Instagram, die seit letzter Woche ein ähnliches Feature intern testen. Snapchat wird genutzt, um mit Freunden zu kommunizieren. Ganz klar BeReal-Turf. Hui, ui, ui. Wir sind schon jetzt gespannt, von welcher App das Team von BeReal aufgekauft wird…

Header-Foto von Denys Nevozhai