Metaverse: Was soll das alles?
- Spätestens seit Facebooks Metamorphose ist das Metaverse in aller Munde. Auch wir haben in etlichen Briefings darüber geschrieben (am ausführlichsten in Ausgabe #755), haben Essays dazu gelesen und mit Menschen gesprochen, die mehr davon verstehen als wir.
- Nur: Wir wissen jetzt immer noch nicht, was wir davon halten sollen. Das Meinungsspektrum reicht von "schlimmster und unnötigster Hype der Tech-Geschichte" über "gibt es doch alles längst, siehe Roblox, Minecraft, Epic Games oder – haha! – Second Life" und "nerviges Buzzword, aber schon irgendwie wichtig" bis "das Metaverse verändert alles".
- Für jede dieser Positionen gibt es nachvollziehbare Argumente, wobei wir uns vermutlich irgendwo in der Mitte zwischen Skepsis und Pragmatismus verorten würden.
- Einerseits schreckt es uns ab, dass es eine große Schnittmenge zwischen Metaverse-Fans und Krypto-Crowd, Blockchain-Believern sowie NFT-Fans zu geben scheint: weiße Tech-Bros, die Produkte bauen, die keine realen Probleme lösen, massenhaft Energie verbrauchen und wenige Menschen sehr reich machen werden.
- Andererseits wäre es verdammt leichtfertig zu glauben, dass eine Mischung aus Skepsis, Kulturpessimismus und begründetem Misstrauen eine Entwicklung aufhalten wird, auf die neben Meta gerade auch Unternehmen wie Apple, Microsoft, Snap, Discord, Roblox und Epic Games jede Menge Kapital setzen.
- Klar ist: Ein Metaverse, in dem allein Meta den Ton angibt, ist keine schöne Vorstellung. Denn alle Probleme, die wir jetzt schon mit Social Media haben, werden sich im Metaverse fortsetzen, womöglich sogar potenziert. Menschen werden nicht aufhören, sich zu bedrohen und zu beleidigen, Verschwörungserzählungen zu verbreiten und Terroranschläge zu planen, nur weil sie eine komische Brille auf der Nase haben.
- Wir werden das Thema jedenfalls im Auge behalten und uns nach Möglichkeit auch mal eine VR-Brille vor die Augen setzen. Denn das Video, das Joanna Stern aus ihren 24 Stunden im Metaverse mitgebracht hat (WSJ), ist nach wie vor die beste Möglichkeit, das Thema einem Menschen nahezubringen, der sich nichts darunter vorstellen kann.
DSA/DMA: Kommt die erste einschneidende Regulierung des digitalen Raums?
- Die Europäische Union arbeitet eifrig an dem Gesetz für digitale Dienste (DSA) und dem Gesetz für digitale Märkte (DMA). Die beiden Gesetzespakete sollen eine Art Grundgesetz für die digitale Welt darstellen, die Macht der dominierenden Plattformen eindämmen und fairen Wettbewerb ermöglichen.
- Anders als etwa bei der EU-Urheberrechtsreform schreitet der Gesetzgebungsprozess bislang verhältnismäßig zügig voran. Am Donnerstag legten die für Binnenmarkt und Wettbewerb zuständigen Ministerïnnen der Mitgliedstaaten ihre Verhandlungsposition fest.
- Nun muss sich noch das Parlament über seine Position einig werden, bevor es im kommenden Jahr mit dem Ministerrat der EU-Staaten verhandelt. Frankreich will DSA und DMA in der ersten Jahreshälfte 2020 verabschieden, während es die EU-Ratspräsidentschaft innehat.
- Aus anderen Gesetzgebungsverfahren (Urheberrecht, NetzDG) haben wir gelernt, dass sich die vermeintliche Zielgerade aber ziemlich lang ziehen und unvorhergesehen Kurven bereithalten kann.
- Trotzdem werden wir uns DSA und DMA in den kommenden Wochen wohl noch einmal ausführlicher widmen – denn die EU könnte die scheinbar fest zementierten Machtverhältnisse der Plattformökonomie aufbrechen und das Netz auch aus Sicht der Nutzerïnnen spürbar verändern.
Mosseri vor dem Kongress: Was bleibt von den Facebook Files?
- Am 6. Dezember wird Instagram-Chef Adam Mosseri vor dem US-Kongress aussagen. Häufig liest man bei solchen Anhörungen, die Vertreterïnnen der Tech-Konzerne würden "gegrillt". Das ist fast immer unpassend, meist blamieren sich eher die Politikerïnnen mit ihren Fragen.
- In diesem Fall dürfte die Stimmung aber auf jeden Fall hitzig sein, und für Mosseri könnte es ungemütlich werden – vielleicht wird er nicht gerade gegrillt, aber zumindest sachte geschmort.
- Denn im Zentrum der Anhörung stehen die Auswirkungen, die Instagram auf die psychische Gesundheit von Teenagern hat. Keine andere Enthüllung der Facebook Files hat in den USA auch nur ansatzweise so viel Empörung hervorgerufen wie ein paar interne Studien, die nahelegen, dass das Selbstwertgefühl von Mädchen sinkt, wenn sie viel Zeit auf Instagram verbringen.
- Senatoren wie Richard Blumenthal machen Meta deshalb seit Monaten schwere Vorwürfe, auch viele Eltern sind beunruhigt. Wir halten ausgerechnet diesen Kritikpunkt aber für überschätzt. Die Stichprobe der Studien war winzig, außerdem maßen sie Korrelation, nicht Kausalität.
- Es gibt wahrlich genug andere Dinge, die man Meta berechtigterweise vorhalten kann – etwa, dass die Öffentlichkeit nach wie vor auf Leaks interner Untersuchungen angewiesen ist, weil es für unabhängige Forscherïnnen nahezu unmöglich ist, den Effekt zu messen, den Facebook und Instagram auf Nutzerïnnen haben.
- Wir verstehen zwar, dass die Sorge um das Wohlergehen der Kinder ein guter Talking Point ist, würden uns aber wünschen, dass die Kritik mehr auf Fakten und weniger auf Emotionen gründete. Deshalb sind wir gespannt, wie die Anhörung Anfang Dezember ablaufen wird.
- Nach wie vor haben wir die Hoffnung nicht ganz aufgegeben, dass die Facebook Files zumindest kleine Veränderungen bewirken könnten. Bislang sehen wir aber unsere anfängliche Einschätzung bestätigt: Meta scheint mal wieder einen Skandal relativ unbeschadet überstanden zu haben.
Online-Werbung: Wie verändern sich Adtech und personalisierte Werbung 2022?
- In den vergangenen Monaten wurde der Online-Werbemarkt ordentlich durcheinandergewirbelt. Google wollte die Tracking-Cookies killen (#707), hat die Einführung der FLoCs im Chrome-Browser aber verschoben. Apple verlangt seit iOS 14.5 die Einwilligung der Nutzerïnnen, bevor Apps sie tracken dürfen. Seitdem hat sich Apples Umsatz mit In-App-Werbung verdreifacht, während Konkurrenten Milliarden einbüßen.
- Torsten Klein hat die d3con besucht (Heise), eine Fachmesse für Programmatic Advertising. Sein Bericht zeigt, in welche Richtung sich der digitale Werbemarkt entwickelt. Politische Werbung könnte bald transparenter werden, die EU-Kommission erwägt eine Kennzeichnungspflicht (Netzpolitik) für Online- und Offline-Anzeigen.
- Online-Werbung, Cookies und Adtech sind hochkomplex. Nur wenige Menschen blicken wirklich durch, und kaum jemand beschäftigt sich damit. Aber das Thema ist wichtig: Wir reden über eine Branche, die Hunderte Milliarden Dollar pro Jahr umsetzt und rasant wächst.
- Fast niemand mag Online-Werbung, aber ohne könnte das Netz, wie wir es kennen, nicht existieren. "Warum sich Online-Werbung 2021 grundlegend verändern könnte", überschrieben wir Anfang des Jahres eine Analyse in Ausgabe #693. Im Juni titelten wir dann in Briefing #729: "Warum das EU-Verfahren gegen Googles Werbegeschäft das ganze Netz verändern könnte".
- Bislang hat sich wenig verändert. Aber das heißt nicht, dass das so bleiben muss. Die Werbebranche ist schwerfällig, manche Veränderungen brauchen Zeit. Bevor Unternehmen und Media-Agenturen ihre Budgets umverteilen, muss einiges passieren.
- Wir haben nichts gegen Werbung – wohl aber gegen ein System, das Nutzerïnnen überwacht und ausspioniert, nur um angeblich passendere Anzeigen auszuspielen. Deshalb hoffen wir, dass zumindest die übelsten Auswüchse programmatischer und verhaltensbasierter Werbung verschwinden. Dass das 2022 geschieht, halten wir aber für unwahrscheinlich.
Social Commerce: Bald völlig normal?
- Meta, Snap, TikTok und Twitter müssen stets weiter wachsen, um am Markt nicht ins Abseits zu geraten. So viel steht fest. Nur wenn die Plattformen es schaffen, Quartal um Quartal bessere Umsätze vorzulegen, haben sie eine Daseinsberechtigung. Folglich müssen neue Kanäle her, um mehr Umsatz zu generieren. Das können neue Features wie Kurz-Videos, Stories oder Social-Audio sein. Das kann aber auch ein komplett neues Business sein wie E-Commerce.
- In China zeigen die großen Social-Plattformen bereits, wie viel Geld sich mit Social Commerce verdienen lässt. Kein Wunder also, dass bei Insta und Co ähnlich groß geträumt wird. Social-Shopping-Funktionen werden Stück für Stück ausgerollt, Partnerschaften mit Influencerinnen und Brands unterschrieben.
- Wird Social Commerce aber wirklich zu einem zentralen Erlebnis bei der Nutzung von TikTok, Insta und YouTube? Was macht das mit traditionellen Online-Händlern? Wie viel Geld ist für Creator drin? Wie können Brands sicherstellen, dass sie dort entdeckt werden? 2022 dürfte einige Antworten bereithalten.
Creator Economy: Bloggen bis der Arzt kommt
- Wir sind uns noch nicht ganz sicher, welches Word zum Buzzword des Jahres taugt. Aber während wir uns bei den Themen Metaverse und NFT stets ein wenig schütteln müssen, haben wir den Eindruck, dass der Hype um die Creator / Passion Economy gerechtfertigt ist.
- Zum ersten Mal seit der Erfindung des Internets können sich freie Kreative für ihre Arbeit im Internet adäquat bezahlen zahlen. Und zwar unabhängig von traditionellen Auftraggebern und vor allem gänzlich ohne schleimige Brand Deals samt der eingepreisten Notwendigkeit, sich als Dauer-Werbebotschafter zu gerieren.
- Wer Inhalte erstellt, für die Fans bereit sind zu zahlen, darf berechtigterweise davon träumen, sein ambitioniertes Hobby-Projekt in einen regulären Job zu verwandeln. Das ist ehrlich und das ist groß!
- Aber mit der Professionalisierung beginnt auch der Hustle: Nur wer kontinuierlich liefert, wird auch davon leben können. In der Wissenschaft heißt es publish or perish (Wiki). Das ist in dieser Branche – insbesondere in der Unterhaltungsindustrie – nicht viel anders. Zahlreiche Creator – insbesondere YouTuber – haben in den letzten Monaten von ihren Erfahrungen mit Depression und Burnout berichtet. Creator müssen aufpassen, dass sie nicht alleine darstehen. Alle gegen alle ist auf Dauer keine Option.
- Übrigens: Am 7.12. findet der Steady Growth Day statt. Via Zoom berichten zahlreiche deutsche Creator (über ihre Erfahrungen, ein zahlendes Publikum für ihr Schaffen zu finden. Auch wir werden von 10:30 – 11:00 Uhr dabei sein und darüber sprechen, was die Arbeit am Social Media Watchblog so reizvoll und herausfordernd zugleich macht. Wer mag, reserviert sich einen Platz.
Clubhouse: Die App ist abgestürzt – ist Social Audio damit auch tot?
- Hach, was war das aufregend im Januar: Für ein paar Tage war die (deutsche) Medienbranche in helle Aufruhr versetzt. Sollten wir es hier wirklich mit einer revolutioniären neuen App zu tun haben? Und wie komme ich rein? Fear of missing out galore!
- Wir waren in unserer Analyse etwas zurückhaltender (#696) und wurden den Eindruck nicht los, dass es sich hier womöglich nicht so sehr um eine App handelt, die alles auf den Kopf stellt, sondern Clubhouse letztlich nicht viel mehr ist als ein Feature, dessen Erfolg einige bekannte Risikokapitalgeber herbeiwetten wollten (The Information).
- Heute berichten Tech-Portale über kontinuierlich sinkende Download- und Nutzungszahlen (Business Insider). Der Boom ist vorbei. Clubhouse konnte sich gegen die Platzhirschen nicht durchsetzen. Ein Grund: Facebook und Twitter konnten schnell ihre eigenen Interpretationen von Social Audio auf den Weg bringen. Zudem haben sie das nötige Kleingeld, um Creator von Clubhouse wegzulocken (The Information). Clubhouse nicht viel mehr als ein Feature.
- Ist Social Audio damit tot? Mitnichten! Der anhaltende Podcast-Boom zeigt, Audio ist lebendiger als je zuvor. Auch kommen monatlich neue Apps hinzu, die ihren ganz eigenen Take in Sachen Social Audio wagen. Auf Twitter begegnen uns immer häufiger Event-bezogene Spaces, in denen Menschen klug miteinander diskutieren.
- Dass allerdings mindestens einer von uns beiden (🤐) sich niemals bei Clubhouse angemeldet hat, war jedenfalls nicht die schlechteste Entscheidung dieses Jahr.
In eigener Sache: Facebook, Facebook, Facebook
- Ja, wir wissen es: 2021 haben wir extrem viel über Facebook berichtet. Angefangen beim Sturm aufs Kapitol, über Facebooks Rolle bei der Verbreitung von Impf-Desinformationen, die Enthüllungen rund um die Facebook Files bis zu Zuckerbergs Ankündigung, ins Metaverse zu entfliehen. Selbst ihm schien es irgendwann genug.
- Für einige von euch war es jedenfalls auch etwas zu viel des Guten. Vielen Dank für das ehrliche Feedback an dieser Stelle! Wir können gar nicht oft genug betonen, dass das Social Media Watchblog nicht als Einbahnstraße gedacht ist, sondern vom Austausch mit euch via E-Mail, Slack oder DM lebt. Wirklich eine fantastische Sache!
- Und ja: Auch wir sind genervt von Facebook (zumal wir die App eben auch beide privat fast nicht nutzen). Gleichzeitig kommen wir aber aus journalistischer Sicht an vielen Stellen um Facebook einfach nicht drum. Es ist nun einmal das größte Netzwerk der Welt und darüber hinaus noch der Konzern mit drei weiteren der meistgenutzten Social-Apps: Instagram, Messenger und WhatsApp. Bei so viel Macht muss es eine kritische Öffentlichkeit geben.
- Gleichzeitig nehmen wir eure Hinweise zum Anlass, über unsere Schwerpunkte noch einmal nachzudenken und uns ein Stück weit neu zu justieren. Denn auch wir finden Angebote wie TikTok, Twitch, YouTube Shorts, Discord, Roblox, Snapchat und Co in aller Regel persönlich sehr viel spannender… Mal schauen, wie wir das 2022 hinkriegen! Bock haben wir in jedem Fall!
Header-Foto von Mika Matin
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