Fünf Fragen zu Facebooks Metamorphose

Was ist

Facebook heißt jetzt Meta, aus dem Big-Tech-Akronym FAANG (Facebook, Amazon, Apple, Netflix, Google) wird MANGA. Die Nachricht ist vom Donnerstagabend, in Internetzeitrechnung also ungefähr drei Monate alt. Alle guten und schlechten Witze wurden gemacht, jede Interpretation mindestens einmal niedergeschrieben. Trotzdem können wir das Thema nicht ignorieren, nur weil es zeitlich nicht ganz in unseren Veröffentlichungsrhythmus passt.

Seit Mark Zuckerberg seine Vision für das Metaverse präsentiert hat, haben wir viel gelesen, mit Kollegïnnen gesprochen und nachgedacht. Trotzdem wissen wir selbst noch nicht so ganz, was wir davon halten sollen. Deshalb haben wir uns für ein ungewohntes Format entschieden: Wir sammeln alle Fragen, die wir uns stellen – und versuchen, sie bestmöglich zu beantworten.

Will Zuckerberg von den Facebook Files ablenken?

  • Die naheliegende Interpretation: Zuckerberg möchte mit der Flucht in die Zukunft die Gegenwart vergessen machen. Wer den Herbst nicht winterschlafend unter einem Stein verbracht hat, dürfte mitbekommen haben, dass es für Facebook gerade nicht ganz so gut läuft.
  • Diese Unterstellung sei "lächerlich", sagt Zuckerberg selbst. (The Verge). Er hat recht: Kein Konzern trifft eine so grundlegende Entscheidung in so kurzer Zeit. Die Entscheidung muss gefallen sein, bevor das Wall Street Journal den ersten Aufschlag der Facebook Files veröffentlichte.

Hat die Entscheidung gar nichts mit Facebooks Krise zu tun?

  • Zuckerbergs Aussage trifft nur zu, wenn man sie ausschließlich auf die Facebook Files bezieht. Der neue Name ist keine Reaktion auf die Ereignisse der vergangenen Monate, sehr wohl aber auf die der vergangenen Jahre.
  • In diesem Zeitraum sind zwei Dinge geschehen: Zum einen ist Facebook, die blaue App, uncool geworden, Teenager und junge Erwachsene laufen davon oder melden sich gar nicht mehr an. Zum anderen ist Facebook, die Marke, toxisch geworden, viele Menschen verbinden mit dem Namen negative Schlagzeilen.
  • Wäre Facebook nach wie vor die Go-To-App der Gen Z, hätte Zuckerberg wohl nicht nach einem neuen Namen gesucht. Doch Facebook ist nicht die Zukunft von Facebook Inc., auch wenn Zuckerberg angekündigt hat, die Plattform verjüngen zu wollen.
  • Facebooks Image aufzupolieren, ist eine ähnliche Mammutaufgabe. Uns ist kein Beispiel bekannt, bei dem es einem ähnlich großen Konzern gelungen ist, sein Kernprodukt komplett neu zu branden. Angestellte sprachen intern gar von einer "brand tax" (CNBC): Die Marke Facebook wirke sich negativ auf alle anderen Produkte wie Instagram, WhatsApp, Portal und Oculus aus.
  • Zuckerberg und Meta-Technikchef Andrew Bosworth beteuern beide in mehreren Interviews, die Entscheidung habe rein gar nichts mit Vergangenheit und Gegenwart zu tun, sie richte sich ausschließlich auf die Zukunft. Das halten wir für wenig überzeugend.

Welche Ziele verfolgt Meta mit dem neuen Namen?

  • Fokus auf die Zukunft: Mehr als 10.000 Menschen arbeiten bereits jetzt bei Meta im AR/VR-Bereich, in der Reality-Labs-Sparte sollen 10.000 weitere Jobs in Europa entstehen. Allein in diesem Jahr investiert Facebook zehn Milliarden Dollar in Technologie und Produkte, die das Gerüst für das Metaverse bilden soll. Das ist kein Ablenkungsmanöver, Zuckerberg glaubt wirklich daran. Meta passt als Dachmarke besser dazu als Facebook.
  • Rekrutierung von Entwicklerïnnen: Dokumente der Facebook Files zeigen erneut, dass Facebook seit mehreren Jahren ernsthafte Probleme hat, talentierte Angestellte zu finden. Politik und Nutzerïnnen misstrauen Facebook, das schlägt sich auch auf die Stimmung im Silicon Valley nieder. Wenn es Zuckerberg gelingt, den Konzern nicht nur dem Namen nach aufs Metaverse auszurichten, könnte das junge Entwicklerïnnen anziehen, die sich für dieses Thema begeistern.
  • Beruhigung von Investoren: Facebook und Instagram sind nach wie vor Cashcows, aber der langfristige Ausblick wurde zunehmend ungemütlich. Drohende Regulierung, Konkurrenz durch TikTok, Abwanderung von Teenagern, Apple Anti-Tracking-Maßnahmen – all das kommt bei Kapitalgeberïnnen nicht gut an. Jetzt gibt es eine neue Vision, in die Menschen ihr Geld investieren können.
  • Klarheit für Nutzerïnnen: Man kann sich darüber lustig machen, dass auch neun bzw. sieben Jahre nach den Übernahmen noch in fast jedem Artikel stand: "WhatsApp/Instagram, das zum Facebook-Konzern gehört". Leider war es nötig. Viele Menschen kennen den Zusammenhang bis heute nicht oder vergessen immer wieder, dass ein Konzern, der eine gleichnamige App betreibt, andere Plattformen besitzt. Bei Google/Alphabet war das kein großes Problem, weil es wenige Produkte gibt, die sich in die Quere kommen können. Bei Facebook war es ein ständiger Quell der Verwirrung – das ist jetzt klarer.
  • Unabhängigkeit von Apple und Google: Seit Nutzerïnnen zustimmen müssen, bevor Entwicklerïnnen sie auf iOS-Geräten tracken dürfen, hat sich Apples Geschäft mit mobiler Werbung verdreifacht – und Facebook, Snap, Twitter sowie YouTube haben fast zehn Milliarden Dollar an Werbeeinnahmen eingebüßt (beide FT). Anders ausgedrückt: Am Ende sind auch Facebook und Instagram nur Apps, die sich nach den Spielregeln von Apple und Google richten müssen. Facebook hat es verpasst, ein eigenes mobiles Betriebssystem zu etablieren und ist abhängig, solange Smartphones die dominierenden Endgeräte sind. Im Metaverse werden die Karten neu gemischt.

Ändert sich irgendwas, weil Facebook jetzt Meta heißt?

  • "Raider heißt jetzt Twix – sonst ändert sich nix", warb der Lebensmittelkonzern Mars vor genau 30 Jahren. Das gilt bislang auch für Meta: Für den Moment hat Facebook nur seine Fassade übertüncht.
  • Das bedeutet: Alle Risiken und Nebenwirkungen, die Facebook noch am Donnerstag hatte, bringt Meta ebenfalls mit sich. Und das sind eine ganze Menge.
  • Wir haben den Eindruck, dass Facebook den Slogan von Mars abgewandelt hat: "Facebook heißt jetzt Meta – Verantwortung kommt später."
  • Dazu tragen die Interviews bei, die Zuckerberg rundum das Rebranding gegeben hat. Im Gespräch mit Alex Heath (The Verge) nutzt er siebenmal das Wort "aufregend", einer Frage von Ben Thompson nach Metas Verantwortung (Stratechery) für die physikalische Welt weicht er auf unbefriedigende Art aus, und natürlich habe er nie über einen Rückzug nachgedacht (The Information), sondern wolle weiter im Tagesgeschäft aktiv sein.
  • Das ist keine gute Kombination: Zuckerberg interessiert sich seit jeher mehr für die Zukunft als die Gegenwart und überlässt es lieber anderen, mit den lästigen Niederungen fertig zu werden, die eine globale Kommunikationsplattform eben so mit sich bringt. Wenn er seine Aufmerksamkeit nun noch mehr auf seine ach so aufregende Vision konzentriert, gleichzeitig aber über seine Class-B-Aktien mit zehnfachem Stimmrecht Alleinherrscher bleibt, könnte der Schaden, den Facebook in der Welt anrichtet, weiter wachsen.
  • "Wir entwickeln keine Dienste, um Geld zu verdienen", schrieb Zuckerberg vor neun Jahren. "Wie verdienen Geld, um bessere Dienste zu entwickeln." In seinem aktuellen Founder's Letter wiederholte er diese Aussage und fügte hinzu: "Die vergangenen fünf Jahre haben mich und unser Unternehmen in vielerlei Hinsicht Demut gelehrt."
  • Von beiden Behauptungen war bislang wenig zu sehen. Soziale Netzwerke spiegeln nicht nur die Menschheit wider, wie Zuckerberg selbst gern sagt, sie verstärken die Schattenseiten. Globale Vernetzung birgt Chancen, aber Facebook hat bislang nicht gezeigt, dass es in der Lage wäre, die Schattenseiten in den Griff zu bekommen.
  • Wenn der Konzern jetzt schon damit überfordert ist, seine Plattformen zu zivilisieren, wie wird es dort erst aussehen, wenn das Metaverse wichtiger wird als Social Media? Milliardäre wollen mit Kryptowährungen das Geldsystem ersetzen, bauen nutzlose Blockchains, fliegen ins Weltall und träumen vom virtuellen Welten – dabei gäbe es genug reale Probleme, die sie mit ihrem Geld und ihrer Macht angehen könnten.

Was bitteschön ist das Metaverse genau?

  • Wir haben lange Essays und neunteilige Primer (beide Matthew Ball) gelesen, die im Silicon Valley gefeiert werden. Wir haben kluge Menschen wie Ethan Zuckerman (Atlantic) gesehen, die das Metaverse als Dystopie bezeichnen, haben erfahren, dass es das Metaverse längst gibt (WaPo) oder dass es aus etlichen Gründen "Bullshit" sei (PC Gamer – der Artikel ist besser argumentiert als seine Überschrift vermuten lässt und hat auch kaum etwas mit Games zu tun).
  • Das Problem: Wir wissen jetzt immer noch nicht, was wir davon halten sollen. Wenn überhaupt, dann sind wir noch verwirrter als zuvor. Ständig fallen Buzzwords wie NFTs, Krypto-Gläubige sehen den endgültigen Durchbruch gekommen, andere warnen vor dem größten Hype der Tech-Geschichte.
  • Ehrlich gesagt glauben wir auch nicht, dass irgendjemand derzeit genau weiß, wie das Metaverse in fünf oder zehn Jahren aussehen wird. Wenn Zuckerberg davon spricht, ist alles unglaublich nebulös (Riffreporter). Auch die Connect-Konferenz war nicht mehr als eine Ansammlung klinisch gerenderter Videos mit hölzern schauspielernden Top-Managern und mittelprächtigen Witzen, mehr ferne Vision als nahe Zukunft.
  • Zumindest bei einer Sache sind wir uns aber sicher: Menschen werden nicht aufhören, sich zu bedrohen und zu beleidigen, Verschwörungserzählungen zu verbreiten und Terroranschläge zu planen, nur weil sie eine komische Brille auf der Nase haben.
  • Alle Probleme, die wir jetzt schon mit Social Media haben, werden sich im Metaverse fortsetzen, womöglich sogar potenziert. Wir haben die Demo nicht als "wahnhaften Fiebertraum" wahrgenommen wie Jason Koebler, aber wir müssen diese Überschrift einmal erwähnen: "Zuckerberg Announces Fantasy World Where Facebook Is Not a Horrible Company" (Vice)
  • In unseren eigenen Worten: Ist es eine gute Idee, wenn der Mann, der maßgeblich dazu beigetragen hat, das freie und offene Netz in eine Handvoll hyperkommerzieller Ökosysteme zu verwandeln, nun auch noch das Metaverse prägt?
  • Zuckerberg spricht zwar brav bei jeder Gelegenheit von Offenheit und Interoperabilität, erwähnt Privatsphäre und Sicherheit als Eckpfeiler des Metaverse (Facebook Newsroom). Aber ganz ehrlich: Vertrauen muss man sich verdienen, und das hat Facebook nun wirklich nicht getan.
  • Zumindest vor drei Jahren klang das noch ganz anders. "Das erste Metaverse, das wirklich an Fahrt gewinnt, wird wahrscheinlich das letzte sein", schrieb der damalige Oculus-Manager Jason Rubin, heute bei Meta für Metaverse-Inhalte verantwortlich, in einem 50-seitigen Strategiepapier (CNBC). "Wir müssen als Erste handeln und groß werden, oder wir riskieren, abgehängt zu werden."
  • Zwischenüberschriften wie "The Metaverse is ours to lose" klingen jedenfalls nicht nach friedlicher Koexistenz, sondern nach dem altbekannten Machtanspruch. Wir erinnern uns: Zuckerberg ist großer Caesar-Fan und beendete Meetings früher mit dem Ausruf: "Domination!"
  • Deshalb verspüren wir eher Beunruhigung, wenn wir uns ein Metaverse vorstellen, das in erster Linie nach Metas Vorstellungen funktioniert. Wir sparen uns Witze über Metadaten, der potenziell dystopische Charakter eines immersiven Überwachungskapitalismus mit dreidimensionaler Werbung dürfte sich von selbst erklären.
  • Nur einen Fehler sollte man nicht machen: Glauben, dass eine Mischung aus Skepsis, Kulturpessimismus und begründetem Misstrauen eine Entwicklung aufhalten wird, auf die neben Facebook gerade auch Unternehmen wie Apple, Microsoft, Snap, Roblox und Epic Games jede Menge Kapital setzen.
  • Wir teilen den Tech-Optimismus von Marcel Wichmann nur eingeschränkt, stimmen aber seinem Fazit zu (Substack):

Man kann von Zuckerberg, Social Media und Meta halten, was man will. Man kann sich über den Namen Metaverse lustig machen, sogar hochnäsig erwähnen, dass man das Buch kennt, das der Name referenziert und man weiß, was das klug klingende Wort "Dystopie" bedeutet. Was man, wenn man in den nächsten 10-15 Jahren nicht abgehängt werden möchte, allerdings nicht tun sollte, ist zu unterschätzen, was hier gerade passiert.


Header-Foto von Steve Johnson