Der Clubhouse-Hype, erklärt

Was ist

Das neue Jahr hat seinen zweiten Hype. Nach dem großen Ansturm auf die WhatsApp-Alternativen Signal, Threema und Telegram gibt es seit vergangenem Wochenende unter Marketing-Menschen, Influencerïnnen, Tech-Bros, Medienmacherïnnen und anderen Early-Adoptern nur noch ein Thema: Clubhouse. Samira El Ouassil bringt es mit dem Transkript eines fiktiven Clubhouse-Talks auf den Punkt (Übermedien):

Herzlich willkommen zu unserem ersten und einzigen Clubhouse Weekly Clubhouse Room Daily Update auf Clubhouse, wo wir über das Clubhouse-Branding, die Clubhouse-Performance, das Clubhouse-Storytelling und den Clubhouse-Buzz der neuen Plattform Clubhouse sprechen werden.

Wie wir auf das Thema blicken

Jedes große Medium hat Anfang der Woche den obligatorischen „Was Sie über Clubhouse wissen müssen“-Explainer veröffentlicht. Da wartet die Welt natürlich nur darauf, dass wir die App ebenfalls erklären.

Okay, wartet sie nicht. Und du vermutlich auch nicht – weil du mindestens fünf der 37 Loblieder und Abgesänge, Analysen, Erklärstücke und Twitter-Threads zu Clubhouse gelesen hast, die dich seit Montag per Newsletter, RSS-Feed, Podcast und auf allen sozialen Kanälen erreichen.

Dazu kommt ein weiteres Problem: Ich (Simon) besitze kein iPhone und muss meine Fear of missing out (FOMO) deshalb vorerst mit dem Gedanken an Ello und andere Apps bekämpfen, die ebenfalls mit einem Invite-only-System den Hype befeuerten, um dann schnell wieder zu verschwinden. (Zugegeben: Auch Gmail war einst nur auf Einladung nutzbar. Bis heute hält sich der Dienst recht ordentlich. Immerhin arbeitet Clubhouse an einer Android-Version.) Martin hängt zwar schon im Clubhaus ab, bei Anton und Padlet aber derzeit Lockdown-bedingt noch viel mehr. Da blieb noch keine Zeit, sich eine fundierte Meinung zu bilden.

Trotzdem kommen wir an dem Thema nicht vorbei. Als Social Media Watchblog können wir schlecht ignorieren, dass die halbe Social-Media-Welt um Einladungen bettelt oder auf ihre Clubhouse-Diskussionen mit Thomas Gottschalk hinweist (Twitter / Sascha Lobo). Zumal wir selbst schon im Mai über Clubhouse schrieben und fragten:

HAT DENN EIGENTLICH NIEMAND EINEN CLUBHOUSE INVITE FÜR UNS?!

Wir schauen in diesem Briefing zunächst von Außen auf Clubhouse. Statt die Party zu beschreiben, die Drinnen steigt, denken wir allgemeiner über Erfolgsfaktoren, mögliche Probleme und die langfristigen Aussichten von Clubhouse nach. Wenn wir uns lang genug unter die Gäste gemischt haben, folgt in einer der kommenden Ausgaben die Binnenperspektive.

Wie Clubhouse funktioniert

Die meisten Abonnentïnnen können diesen Abschnitt wohl einfach überspringen. Wenn du bislang erfolgreich einen Bogen um Clubhouse gemacht hast, findet du hier die wichtigsten Fakten in Kürze:

  • Bei Clubhouse dreht sich alles um das gesprochene Wort. Es gibt ausschließlich Audio-Inhalte, niemand kann Schreiben, Streamen oder Fotos posten.
  • Statt eines Newsfeeds gibt es Räume, in denen Nutzerïnnen moderierend, aktiv sprechend oder passiv zuhörend auftreten können. Das entspricht einer digitalen Podiumsdiskussion: Moderatorïn, Speakerïnnen, Publikum.
  • Schweigend zu lauschen ist möglich, heimlich aber nicht: Es wird immer angezeigt, wer spricht und wer im Publikum sitzt.
  • Menschen im Publikum können sich ähnlich wie bei Zoom oder Teams melden, woraufhin ihnen Moderatorïnnen das Wort erteilen können.
  • Alle können öffentlichen Räumen beitreten oder eigen erstellen. Außerdem gibt es private Räume, um sich mit Freundïnnen auszutauschen. Diskussionsrunden lassen sich in Clubs organisieren und vorplanen.
  • Neben einer Timeline fehlen weitere Bestandteile sozialer Netzwerke: Likes, Shares und Kommentare.
  • Eine andere Kernfunktion bleibt dagegen erhalten: Man kann anderen Nutzerïnnen folgen und sieht, in welchen Räumen sie sich gerade aufhalten.
  • Außerdem gibt es eine Suchfunktion, über die sich andere Nutzerïnnen und Clubs finden lassen, die den eigenen Interessen entsprechen.

Wer hinter Clubhouse steckt

  • Die Gründer heißen Paul Davison und Rohan Seth. Beide haben eine Google-Vergangenheit, Davison hat mehrere Unternehmen gegründet.
  • Die Firma Alpha Exploration brachte die App im Frühjahr 2020 auf den Markt und sammelte schnell Geld von Investorïnnen wie Marc Andreessen ein (NYT).
  • Damals hatte Clubhouse zwei Angestellte, ein paar tausend Nutzerïnnen – und wurde mit 100 Millionen Dollar bewertet (Forbes).
  • Das lag auch an zahlreichen Prominenten wie Marc Cuban, Jared Leto, Ashton Kutcher und Kevin Hart, die bereits frühzeitig mitmischten und die Bekanntheit schnell steigerten.
  • Kurz vor Weihnachten hatte die App 600.000 Nutzerïnnen (NYT).

Was den Reiz von Clubhouse ausmacht

  • Künstliche Verknappung: Das Einladungssystem schafft Exklusivität und löst FOMO aus. Es ist ein beliebter Trick, um eine App zu bewerben. Gleichzeitig hilft es, den Zuwachs der Nutzerïnnen zu begrenzen und zu verhindern, dass die Server unter der Last der Neuanmeldungen zusammenbrechen, wie es Anfang der Woche bei Signal geschah.
  • Influencerïnnen und Promis: Maßgeblich zum Hype beigetragen haben Philipp Klöckner und Philipp Gloeckler vom Doppelgänger-Podcast (OMR) und Ann-Katrin Schmitz (Spiegel), vielen besser bekannt als @himbeersahnetorte auf Instagram. Sie machten ihre Followerïnnen auf Clubhouse aufmerksam, zu denen auch Menschen mit noch größerer Reichweite zählen. Schnell tummelten sich auf Clubhouse Promis (Joko Winterscheidt, Elyas M’Barek) Politikerïnnen (Doro Bär, Christian Lindner) und bekannte Medienmenschen (Dunja Hayali, Sascha Lobo). Die Pendants in den USA sind noch eine bis vier Ecken bekannter und heißen Drake oder Oprah Winfrey.
  • Audio, sonst nichts: Seit bald einem Jahr findet ein Gutteil unsere Berufs- und Soziallebens in Zoom, Teams, Jitsi und anderen Videokonferenzen statt. Das ist besser als nichts – aber trotzdem nervt es manchmal. Da kommt eine App, in der man einfach nur Reden kann, gerade recht. Niemand muss sich Schminken oder Kämmen. An Clubhouse-Diskussionen kann man auch im Schlafanzug und im Bett teilnehmen, ohne dass es jemand merkt.
  • Timing: Clubhouse passt nicht nur zum Videokonferenz-Überdruss, sondern generell gut ins Leben in Zeiten einer Pandemie. Nach vielen Wochen der Selbstisolation sehnen sich viele Menschen nach Kontakt und Austausch. Stimmen und direkte Interaktion schaffen eine andere Nähe als Tweets oder Fotos auf Instagram. Das lindert die Einsamkeit und lässt ein bisschen weite Welt (oder zumindest: Berlin-Mitte, denn allzu divers ist Clubhouse bislang nicht) ins Wohnzimmer.
  • Vergänglichkeit: Raum auf, Loslabern, Raum zu – und alles ist Geschichte. Zumindest für andere Nutzerïnnen sind die Diskussionen dann nicht mehr auffindbar. Es gibt kein Archiv und keine alten Tweets, um die man sich Gedanken machen muss. Clubhouse setzt auf das gleiche Prinzip wie das Stories-Format: Alles ist vergänglich, und das entlastet viele Menschen.
  • Zugänglichkeit: Einen Invite zu ergattern, ist nicht so leicht. Sobald man einmal dabei ist, zeigt sich Clubhouse aber sehr niedrigschwellig und selbsterklärend. Wer Telefonieren kann, hat mit Clubhouse keine Mühe.
  • Menschen: Der Erfolg jeder Social-Media-App steht und fällt mit ihren Nutzerïnnen. Im Fall von Clubhouse sind das außergewöhnlich viele prominente Köpfe aus der Tech-, Marketing- und Medienszene, die auf anderen Kanälen oft Hunderttausende erreichen und dort auch über ihre Clubhouse-Erfahrungen schreiben. Diesen Leuten live zuzuhören, sich vielleicht gar zu melden und mit Promis zu reden, die man sonst nur im Fernsehen oder aus dem Netz kennt, reizt verständlicherweise viele Menschen.

Welche Probleme Clubhouse drohen

Content-Moderation

“ But what all of these ‚get to know Clubhouse!‘ carousels and primers don’t mention is the pretty terrible dark side of the app. That includes but is certainly not limited to racism, homophobia, misogyny, alt right conspiracy theories, sexual predators, misinformation, abusers, scams, and business fraud.“

  • Es zeigt sich, dass Content-Moderation nicht nur klassische Social-Media-Plattformen, sondern auch Spotify, Substack oder eben Clubhouse (OneZero) vor große Herausforderungen stellt.
  • Gerade Audio-Inhalte lassen sich kaum maschinell prüfen und erfordern menschliche Moderatorïnnen. Das bedeutet großen personellen und finanziellen Aufwand, wenn die App weiter wächst. Mit aktuell nur rund einem Dutzend Mitarbeiterïnnen ist Clubhouse damit überfordert.
  • Bislang setzt Clubhouse darauf, dass Nutzerïnnen problematische Inhalte melden und sich die Community selbst reguliert. Mit seinem Invite bürgt man: Wenn der Eingeladene verbannt wird, fliegt man womöglich auch selbst.
  • Doch spätestens, wenn sich die App für alle Interessierten öffnet, braucht es bessere und professionellere Content-Moderation. Es wird nicht reichen, die Verantwortung allein den Nutzerïnnen und Moderatorïnnen der jeweiligen Räume zu überlassen.

Datenschutz

  • Wer Invites verteilen will, muss Clubhouse zwingend Zugriff auf das Adressbuch geben. Auf diese Weise erstellt die App Schattenprofile für nicht angemeldete Nutzerïnnen. Das führt etwa dazu, dass Tausende Menschen Profilen wie „Mobilbox“ und „ADAC Pannenhilfe“ folgen (Twitter / Stephan Dörner).
  • In seiner Datenschutzerklärung (Notion) räumt sich Alpha Exploration das Recht ein, diese Daten weiterzugeben.
  • Gespräche werden aufgezeichnet, falls sich Nutzerïnnen über Inhalte beschweren. Angeblich werden sie gelöscht, wenn sich niemand beklagt. Es ist aber unklar, wie lang Diskussionen gespeichert bleiben, nachdem der Raum geschlossen wurde.
  • Obwohl Clubhouse seine Dienste in Deutschland und anderen europäischen Ländern anbietet, wird die DSGVO nirgends erwähnt.
  • Wer seinen Account löschen will, kann das nicht bequem über die App machen, sondern muss den Betreibern eine Mail schicken.
  • Wegen dieser und anderen Mängel schlussfolgert Rechtsanwalt Thomas Schwenke (Datenschutz-Generator): „Als Service-Kanal für Unternehmen oder für kostenpflichtige Angebote ist Clubhouse derzeit eher nicht zu empfehlen.“
  • Er verweist aber auch darauf, dass Clubhouse noch recht jung sei und nachbessern könne. Das sei etwa bei Zoom geschehen, bei dem es zu Beginn auch größere Datenschutzbedenken gegeben habe.

Mangelnde Diversität

  • Der typische Clubhouse-Nutzer ist ein weißer, mittelalter Mann aus Berlin-Mitte, der sich entweder in der Start-up-Szene herumtreibt oder irgendwas mit Medien macht.
  • Dafür kann die App wenig, mittelfristig könnte es aber ein Problem werden. Wenn Clubhouse Erfolg haben will, muss es den Sprung aus Venture-Capital-Szene und Hipster-Blase in den Mainstream schaffen.
  • Ob wirklich so viele „normale“ Menschen Bock auf interaktive Live-Podcasts haben? Zweifel sind zumindest angebracht.

Be smart

Erinnert sich noch jemand an Vero? 2018 stürmte die Social-Media-App plötzlich die Charts der App-Stores. Wenig später sprach niemand mehr über Vero. Damals steckte fragwürdiges Influencerïnnen-Marketing dahinter (OMR), doch die Anekdote zeigt, dass Hypes oft wenig nachhaltig sind.

Die Voraussetzungen für Clubhouse sind besser. Bubble hin oder her, die Begeisterung ist nicht gekauft, sondern echt. Die App hat zwar noch kein Geschäftsmodell, aber das muss nach einem Dreivierteljahr auch noch nicht stehen, solange Risikokapital fließt.

Social Audio könnte tatsächlich das nächste große Ding werden. Jedenfalls investieren Dutzende Unternehmen (a16z), und auch Facebook und Twitter experimentieren mit eigenen Apps (TechCrunch) und Audio-Tweets (Twitter Unternehmensblog).

Doch genau das könnte für Clubhouse auch gefährlich sein. Die Grundfunktion der App lässt sich leicht kopieren. Im Dezember startete Twitter einen Beta-Test für seinen Clubhouse-Klon Spaces (TechCrunch). Und wir wetten drei Clubhouse-Invites, dass auch Facebook und Instagram schon daran arbeiten, die App zu kopieren.


Social Media & Politik


Follow up:

  • WhatsApp verschiebt Update der Privacy Policy: In Ausgabe #695 haben wir ausführlich darüber berichtet, dass WhatsApp eine neue Privacy Policy zum Februar einführt. Dieser Vorstoß wird nun aufgrund von massiven User-Widerständen bis zum 15. Mai vertagt (New York Times).
  • Parlers Website ist wieder da: Mit der Hilfe eines russischen Technologieunternehmens ist die Website von Parler wieder erreichbar (Reuters). Dort verkündet CEO John Matze, an der kompletten Wiederherstellung des Alt-Right-Refugiums zu arbeiten.
  • Telegram will Expansion mit Milliardenkredit vorantreiben: 25 Millionen neue Nutzerïnnen zählte Telegram laut Unternehmensangaben allein in den letzten Wochen. Damit dieses Wachstum noch mehr an Fahrt gewinnt, nimmt die Firma nun einen Milliardenkredit auf (Handelsblatt $).

Schon einmal im Briefing davon gehört

  • Instagram überarbeitet Video-Angebote: Stories, Video-Posts, IGTV, Reels – selbst Instagram-Boss Mosseri muss nun zugeben, dass bei dieser Vielzahl an Video-Formaten niemand mehr so richtig durchblickt. Daher denke das Unternehmen nun über eine Konsolidierung der Video-Angebote nach, heißt es in einem Podcast bei The Verge. Zwar sind die genauen Plänen noch nicht bekannt, Mosseris Begeisterung für TikTok lässt aber erahnen, dass es nicht unbedingt die kurzen Formate sein werden, die bei der App gestrichen werden.
  • Gesundheitsthemen bei YouTube: YouTube ist nach Google die zweitgrößte Suchmaschine in der westlichen Welt. All zu oft wird auf YouTube nach Gesundheitsthemen gesucht. In Pandemiezeiten wird noch einmal sehr viel deutlicher, welche Verantwortung das Unternehmen hier an dieser Stelle trägt. Daher ist YouTubes Ankündigung, an zertifizierten Gesundheitsangeboten zu werkeln, durchaus erfreulich.

Neue Features bei den Plattformen

Snapchat


Tipps, Tricks und App

  • Vier praktische Leitfäden für die Online-Recherche via piqd: Kollege Bernd Oswald empfiehlt bei piqd vier praktische Leitfäden, mit denen sich im Netz besser recherchieren lässt. Wer sich für die Verifikation von Informationen und das Monitoring bestimmter Themen interessiert, sollte sich die Liste einmal anschauen (und bookmarken).
  • Und noch zwei Tipps von uns: Gern greifen wir die Idee von Bernd auf und packen noch zwei Leitfäden obendrauf: einerseits mit Blick auf die Frage, wie man auf TikTok recherchiert (First Draft). Andererseits mit Blick auf das Anliegen, möglichst sicher auf Plattformen wie Parler, Gab und Co zu recherchieren (Kinzen).

Header-Foto von David Raichmann bei Unsplash