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Alle Artikel zum Coronavirus:

  • Warum die virale Infodemie tödlich ist (Briefing #623)
  • Wie das Netz in der Krise helfen kann (Briefing #624)
  • Covid-19 und Content-Moderation (Briefing #625)
  • Grundrechtseingriffe gegen Covid-19 (Briefing #626)
  • Deutschland will Covid-19 mit einer App eindämmen (Briefing #627)
  • 5G ist gefährlich, aber nicht wegen der Strahlung (Briefing #629)
  • Warum Tracing-Apps die Corona-Krise nicht lösen werden (Briefing #630)
  • Facebook eskaliert den Kampf gegen Corona-Fehlinformationen (Briefing #631)
  • Warum so viele Menschen an Corona-Verschwörungstheorien glauben (Briefing #631)
  • Hygiene-Demos und Corona-Rebellen: Warum pauschale Abwertung gefährlich ist (Briefing #631)

Warum so viele Menschen an Corona-Verschwörungstheorien glauben

Was ist

In den vergangenen Wochen haben Gerüchte und Fehlinformationen über Covid-19 eine neue Dimension angenommen. Wir sind längst über das Stadium der WhatsApp-Kettenbriefe hinaus, die den Ausbruch der Pandemie bestimmten. Politische Akteure nutzen die Situation, um Verschwörungstheorien zu verbreiten und Verunsicherung auszulösen – mit fatalen Folgen.

Warum das wichtig ist

Wir haben uns in diesem Newsletter mehrfach mit Corona-Quatsch beschäftigt, und die Überschriften verdeutlichen die Relevanz und Brisanz des Themas:

  • Warum die virale Infodemie tödlich ist: In Briefing #623 beschreiben wir, wie die Flut aus Gerüchten, Halbwahrheiten, Falschinformationen und bewussten Lügen Menschen dazu bringen kann, sich entweder panisch (hallo, Hamsterkäufe) oder sorglos (hallo, Hygeniedemos) zu verhalten.
  • 5G ist gefährlich – aber nicht wegen der Strahlung: In Briefing #629 erklären wir, wie hanebüchene Verschwörungstheorien, die einen Zusammenhang zwischen 5G und Covid-19 herbeifantasieren, Menschen dazu bringen, Mobilfunkmasten anzuzünden. Damals waren es 20 Brandanschläge in Großbritannien, mittlerweile sind es mehr als 60 (Politico) – hinzu kommen Attacken in mehr als einem Dutzend weiterer europäischer Länder.

Der Unsinn bleibt also nicht im Netz. Es war schon vor fünf Jahren fahrlässig, Drohungen oder Hasskommentare als halb so wild abzutun, weil sie ja „nur in irgendeiner Kommentarspalte“ hingerotzt wurden. Diese Dualität aus analog und digital, real und virtuell hat sich längst überholt.

Beide Sphären beeinflussen und überschneiden sich so stark, dass wir Internet und vermeintliche Realität nicht mehr trennen können. Nach Tausenden Übergriffen auf Flüchtlingsunterkünfte, Pizzagate, Christchurch, El Paso, Poway, Halle und Hanau liefert die aktuelle Krise einen weiteren Beleg dafür, dass die Stimmung aus dem Netz auf die Straße schwappt.

In den USA wurde kürzlich eine 37-jährige Frau festgenommen (The Daily Beast), die mit mehr als einem Dutzend Messern im Gepäck nach New York reiste, um Joe Biden umzubringen. Sie war überzeugt, dass er einem Pädophilenring angehöre, der aus hochrangigen Politikerïnnen der Demokraten besteht – eine Verschwörungstheorie aus dem Umfeld der QAnon-Bewegung, die zum wiederholten Mal dazu führt, dass Irre zu Waffen greifen.

Wir beobachten seit mehreren Wochen Dutzende deutsche Facebook-Gruppen und Telegram-Kanäle und nehmen wahr, wie die Stimmung dort zunehmend aggressiv wird. Das deckt sich mit dem (von uns leicht gekürzten) Fazit der Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich die Corona-Querfront genauer angesehen hat (Belltower News):

Diese neue Bewegung ist reizvoll für klassische Rechtsextreme. Sie sehen nun die Zeit gekommen für den viel beschworenen „Tag X“, an dem man zu den Waffen greifen darf. Genau das sehen wir momentan in zahlreichen Telegram-Kanälen. Hier geben Userinnen bekannt, dass sie bereit dazu sind, für ihren Widerstand auch Waffengewalt einzusetzen. Wir sehen hier also eine Bewegung, die alles andere als harmlos ist – und die mit ihrem proklamierten Ziel, nämlich dem Einsatz für das Grundgesetz, wirklich nichts zu tun hat.“

Was geteilt wird

Wassertrinken und Ibuprofen – diese beiden Stichwörter dürften sofort Erinnerungen an die ersten Gerüchte auslösen, die sich über Covid-19 verbreiteten. Uns kommt es so vor, als sei das eine Ewigkeit her. Tatsächlich gibt es aber immer noch Kettenbriefe, die diese alten Narrative nacherzählen.

Maskenpflicht und Kontaktbeschränkungen haben dazu geführt, dass eine zweite, deutlich aggressivere Welle der Fehlinformationen die Runde macht. Es wird Zweifel an der Wirksamkeit der Maßnahmen gesät und unterstellt, die Regierung nutze die Pandemie, um „endlich“ durchzuregieren.

Solche Andeutungen tauchen selbst in großen, vermeintlich seriösen Medien immer wieder auf – in sozialen Medien sind sie ungleich drastischer formuliert und oft von der Forderung begleitet, sich gegen die Maßnahmen zu wehren. All das vermischt sich zu einer toxischen Brühe, die Till Eckert von Correctiv in einem Newsletter (deshalb kein Link) so beschreibt:

Wir beobachten außerdem vermehrt, dass alte Verschwörungstheorien wieder auftauchen und sich mitunter kräftig mit neuen durchmischen: Da wäre zum Beispiel das immer wieder kehrende Feindbild Bill Gates, der aus nicht näher erläuterten Gründen „Schuld“ an einem angeblichen „Impfzwang“ sein soll, den die Bundesregierung vorbereite. Konkrete und prüfbare Tatsachenbehauptungen dazu haben wir noch nicht entdeckt, nur Spekulationen und Prognosen. Das macht es schwer für uns, solche Theorien zu entkräften – sie eignen sich nur selten für Faktenchecks.

Ein Motiv, das sich durch die zweite Welle der Desinformation zieht, ist die Suche nach vermeintlich Schuldigen. Mal ist es China, mal die Bundesregierung, mal Bill Gates. Gerade der US-Milliardär und Philanthrop wird besonders oft und heftig angefeindet. In den Kreisen der Verschwörungstheoretiker hat er George Soros als ultimatives Feindbild abgelöst (NYT).

 

Warum geteilt wird

In Briefing #629 schrieben wir mit Bezug auf den 5G-Irrsinn:

Menschen haben Angst vor moderner Technik. Menschen haben Angst vor dem Virus. Andere Menschen nutzen das aus und schüren Panik. Es ist ein „Perfect Storm“, ein Szenario, wie es sich Dan Brown nicht besser für einen seiner Verschwörungs-Thriller hätte ausdenken können.

Der letzte Satz lässt sich auf die gesamte Corona-Krise übertragen. Das liegt an mehreren Faktoren:

Der dauerhafte Ausnahmezustand

  • Nach fast jeder Breaking-News-Situation grassieren Gerüchte und Fehlinformationen. Menschen haben Angst und saugen jedes Informationshäppchen auf, das ihnen hilft, sich ein Bild der Lage zu machen.
  • In dieser Hinsicht gleichen die ersten Wochen des Ausbruchs einem fortgesetzten Terroranschlag: Täglich entwickelt sich die Lage weiter, stündlich lassen die Eilmeldungen das Handy vibrieren, viele Menschen sind ständig unter Strom.
  • Dieser Zustand macht anfällig für Desinformation. Wir sind nervös und entscheiden oft mit dem Bauch, statt gründlich abzuwägen.
  • Globale Pandemien gab es auch in der Vergangenheit, aber sie sind noch niemals auf eine derart vernetzte Öffentlichkeit getroffen, in der Milliarden Menschen in Sekundenbruchteilen Informationen in die Welt setzen und weiterverbreiten können.

Die epistemologischen Krise

  • Die redaktionelle Gesellschaft (Vgl. Bernhard Pörksen, re:publica 2019), in der alle Menschen Publizistïnnen sind, führt zu einer unüberschaubaren Flut an Informationen.
  • Es gibt wertvolle Expertise, und es gibt grandiosen Unfug. Der beschriebene Ausnahmezustand verringert die Fähigkeit zu selektieren – entsprechend viel Zulauf bekommt der Unfug.
  • Die epidemiologische Krise wird also zu einer epistemologischen Krise: Menschen sind oft nicht mehr in der Lage, sich echtes Wissen anzueignen und die Gerüchte auszusortieren.

Die fluide Faktenlage

  • Anfang des Jahres war sich das Robert-Koch-Institut sicher: Die Gefahr für die deutsche Bevölkerung ist „sehr gering“, das Virus betrifft vor allem China.
  • Anfang Februar waren sich fast alle Wissenschaftlerïnnen einig: einen selbstgebastelten Mundschutz tragen bringt wenig – nun gibt es eine Maskenpflicht in vielen Geschäften und dem öffentlichen Nahverkehr.
  • Das sind zwei von vielen Beispielen, die zeigen, dass es in der aktuellen Situation keine absolute Wahrheit gibt. Die Erkenntnislage ändert sich ständig, und was vor einer Woche noch als gesichert galt, kann morgen schon wieder überholt sein.
  • Viele Forscherïnnen gehen mit dieser Ungewissheit offen um. Sie geben zu, wenn sie sich nicht sicher sind, und versuchen deutlich zu machen, dass alles, was sie sagen, immer nur den aktuellen Stand der Wissenschaft widerspiegeln kann.
  • Doch in einer Zeit, wo sich fast alle Menschen nach Sicherheit und eindeutigen Aussagen sehnen („Wenn wir R auf 0,9 senken, wird alles gut“ oder „In zwölf Monaten gibt es einen Impfstoff“), wird diese verantwortungsvolle Vorgehensweise oft als Schwäche ausgelegt.
  • Viele fragen sich, wie glaubwürdig Wissenschaftlerïnnen schon sein können, die ihre Meinung ständig ändern – und negieren dabei, dass die meisten Expertïnnen eben nicht „meinen“, sondern unter Hochdruck forschen.
  • Deshalb werden täglich Dutzende neue Studien publiziert (Christian Drosten sagt (SZ), dass er zur Vorbereitung auf seinen Podcast teils 40, 50 vorveröffentlichte Studien lese), und der Erkenntnisstand entwickelt sich in einer Geschwindigkeit, die bei manchen Skepsis auslöst.

Die eingeschränkten Grundrechte

  • Seit dem Zweiten Weltkrieg hat keine Bundesregierung auch nur annähernd so tief in die Grundrechte eingegriffen, wie es derzeit der Fall ist. Für die aktuellen Maßnahmen gibt es gute Gründe – aber es gibt eben auch gute Gründe, die Beschränkung der Freiheitsrechte kritisch zu hinterfragen.
  • Fast alle sind sich einig, dass aus dem Ausnahmezustand kein Dauerzustand werden darf. Doch auf beiden Seiten des politischen Spektrums suggerieren Extremistïnnen, dass die Pandemie der Politik doch durchaus gelegen käme – endlich könne sie schalten und walten, wie sie es sich schon immer gewünscht habe.
  • Daraus basteln sich die Verschwörungstheoretiker eine wirre Manipulationserzählung, die sie damit rechtfertigen, dass sie doch nur „kritische“ Fragen stellen. Diese Taktik findet bei vielen Menschen Anklang, die dem Staat tendenziell ablehnenden gegenüber stehen.

Wer dahinter steckt

Wir beobachten unterschiedliche Gruppierungen, die sich am besten mit Blick auf ihre Motivation unterteilen lassen:

Finanzielle Motive

  • Kaum war „coronavirus“ zum ersten Mal in den Google-Trends, witterten Kriminelle das große Geld.
  • Scammer, Phisher und bösartige Hackerïnnen arbeiten hochprofessionell: Sie identifizieren Trends frühzeitig und optimieren ihre Angriffe, sobald ein Thema wichtig wird.
  • Von Ransomware über Phishing-Mails bis zu Fake-Shops, die dubiose Hilfsmittel anbieten: Mittlerweile haben sich fast alle, die im Netz mit Lug, Betrug und Arglist Geschäfte machen, auf Corona spezialisiert.
  • Je größer die Angst, desto größer die Bereitschaft, Links anzuklicken, Anhänge zu öffnen oder in unseriöse Online-Shops zu bestellen.
  • Dementsprechend schüren die Kriminellen die Infodemie, weil sie hoffen, dass sie davon finanziell profitieren können.

Politische Motive

  • Je länger die Krise andauert und je kontroverser die politischen Maßnahmen diskutiert werden, desto mehr Akteure an den äußeren Rändern des politischen Spektrums schalten sich ein.
  • Vor allem Rechtsradikale vermischen Corona-Verschwörungstheorien mit antisemitischen und islamfeindlichen Narrativen, wettern gegen Flüchtlinge und machen sich über LGBTQ lustig.
  • Eine Untersuchung der BBC zeigt, dass rassistische und menschenfeindliche Stimmungsmache zunehmend mit Corona-Bezug versehen wird: Das Virus sei eine geheime Waffe der Juden/Islamisten/“globalen Eliten“, heißt es dann etwa.
  • Teils vermischen sich auch linkes und rechtes Lager (Belltower News), was sich etwa auf den Hygienedemos vor der Berliner Volksbühne zeigt.

Sie alle kommen aus unterschiedlichen Ecken. Aber sie alle sehen sich als Verteidiger der Freiheit und des Grundgesetzes, alle reden von einem Notstandsregime, die meisten vergleichen die Situation auf die eine oder andere Art mit dem Jahr 1933, dem Faschismus (Lenz) oder warnen vor einem zweiten Auschwitz (Jebsen). Und alle reden von der Gleichschaltung der freien Presse.

  • Hinzu kommen staatliche Akteure, vor allem aus Russland (EU vs Disinfo) und China (Telegraph).

Wer die Infodemie befeuert

Neben den Urheberïnnen des Unsinns gibt es Verbreiterïnnen, die mindestens genauso entscheidend sind:

  • Hinzu kommen Wissenschaftlerïnnen, die zwar Doktor- oder Professorentitel besitzen und einst seriös gearbeitet haben mögen, heute aber vor allem durch Geraune und haltlose Behauptungen auffallen.
  • Sie verbreiten keinen völlig Unsinn, bewegen sich teils aber an der Grenze zu Desinformation und werden oft von deutlich extremeren Kreisen rezipiert und weiter verbreitet.
  • Diese vermeintlichen Expertïnnen nehmen eine wichtige Schnittstellenfunktion ein und sind für viele Menschen eine Art „Einstiegsdroge“, über die sie allmählich in die Ecke der Verschwörungstheoretiker abrutschen.
  • Einer Studie des Reuters Instituts zufolge stammt zwar nur ein Fünftel der desinformierenden Beiträge von Politikerïnnen und Promis, sie lösen aber 69 Prozent der Interaktionen aus.
  • Auch in Deutschland sind es Prominente wie Xavier Naidoo oder Attila Hildmann, die Verschwörungsmythen verbreiten und teils offen zu bewaffnetem Widerstand aufrufen (Volksverpetzer) und damit Hunderttausende erreichen.

Was die Plattformen tun können

Wir haben die Rolle von Facebook, YouTube und anderen Unternehmen in der Corona-Krise in diesem Newsletter immer wieder ausführlich beleuchtet. An unserer grundlegenden Einschätzung ändert sich nichts: Wir glauben, dass die Plattformen in den vergangenen Monaten schneller und entschiedener handeln, als sie das jemals zuvor getan haben. Dafür gebührt ihnen Respekt.

Trotzdem sind die großen Netzwerke immer noch weit davon entfernt, alles richtig zu machen:

  • Facebook will Nutzerïnnen, die Corona-Fehlinformationen teilen, nur vage Warnungen anzeigen, die keinen Bezug auf ihr eigenes Posting nehmen. Studien hätten gezeigt, dass man sonst einen Backfire-Effekt auslösen könne, sagt Facebook (mehr dazu in Briefing #631)
  • Jetzt sagen Forscher: In dieser Konstellation gibt es keinen Backfire-Effekt (Statnews) – pikanterweise sind es die Autoren der Studien, die Facebook zitiert.

We’re right now in the middle of a natural experiment, so what I would like to see is the platforms do more but then allow academics to test alongside them to see what the effects are. All of them are doing different things but what we’re lacking is transparency and oversight.

Be smart

Die letzten Worte überlassen wir diesmal anderen – ein Zitat stimmt sorgenvoll, eins macht Mut.

Claire Wardle warnt vor den Langzeitfolgen der Infodemie (Huffington Post), die bislang kaum diskutiert werden:

My fear is if we’ve got 18 months of conspiracies about Bill Gates, where does that lead us to as a society? We have to think about the longer term rather than if one particular piece of content breaks the rules.

Diese wichtige Einordnung von Christian Fahrenbach unterstreicht dagegen (Mailchimp), dass es um ein Vielfaches mehr vernünftige und hilfsbereite Menschen gibt als protestierende Idioten – und das gilt zum Glück sowohl für die USA als auch für Deutschland:

Tagelang haben die Bilder von martialisch Bewaffneten Protestlern die Runde gemacht, die sich gegen die angebliche Tyrannei der Coronamaßnahmen beschweren. Sie kamen dabei in den einigen Fällen auf kaum ein paar Dutzend Teilnehmer, mehr als einige Hundert waren es meines Wissens nach nie. (…) Ein Vorschlag: Geben wir solchen Demonstrationen die Luft zum Atmen, die ihnen aufgrund der Teilnehmerzahl zustehen. Rücken wir ins Verhältnis, dass Hunderte Millionen sich massiv einschränken und weitestgehend daheim bleiben. Schreiben wir darüber, dass allein in den wenigen Straßen von Midtown New York aktuell geschätzt rund 4.000 Krankenschwestern und Pfleger in Hotels untergebracht sind, angereist aus dem gesamten Land, um die Not in den überforderten Krankenhäusern der Stadt zu lindern.


Digitalisierung der Politik: Online-Sprechstunden als Facebook Livestream

Das Social Media Watchblog hat grob gesagt drei Ziele: Erstens wollen wir mit unserer Arbeit einen Beitrag für eine besser informierte Gesellschaft leisten. Zweitens soll unser Newsletter allen Leserïnnen Zeit ersparen, müssen sie doch nicht mehr selbst alle News im Blick behalten. Drittens wollen wir beim Social Media Watchblog auch als Plattform fungieren und unsere Abonnentïnnen miteinander vernetzen. Heute wird Sebastian Wenzel diesem Community-Gedanken fröhnen und mit uns Erfahrungen teilen, die er als Pressereferent der Stadt Wiesbaden bei der Durchführung von Onlinesprechstunden via Facebook Livestream gemacht hat. Vielen Dank für deinen Gastbeitrag, Sebastian!

5 Dinge, die wir gelernt haben

Einfach machen: Bei unserer ersten Onlinesprechstunde hat es an manchen Stellen gehakt und geruckelt, der Ton war nicht perfekt. Aber wer es nie ausprobiert, kann keine Erfahrungen sammeln und sich auch nicht verbessern.

Erst nachdenken, dann machen: Ganz ohne Vorbereitung sind wir natürlich nicht live gegangen. Hier drei Themen, über die wir uns Gedanken gemacht haben: Welche Fragen beantworten wir? Alle, die freundlich formuliert sind. Wie gehen wir mit Hass um? Wir verweisen auf unsere Netiquette, dokumentieren und leiten im Zweifel rechtliche Schritte ein. Was, wenn zu viele oder keine Fragen kommen? Bei zu vielen Fragen hätte unser Oberbürgermeister kürzer geantwortet, wir hätten 15 Minuten vor Schluss die Frageliste geschlossen und auf unser Bürgerreferat verwiesen. Das können Wiesbadenerinnen und Wiesbadener immer kontaktieren. Bei keinen Fragen wären wir trotzdem eine Stunde live gewesen und hätten dem Oberbürgermeister selbst Fragen gestellt. Beides ist zum Glück nicht passiert. Auch Hasskommentare waren kein Problem.

Authentisch bleiben: Bei analogen Sprechstunden redet unser Oberbürgermeister mit etwa 15 Bürgerinnen und Bürgern. Bei unseren zwei Onlinesprechstunden wurden mehr als hundert Fragen gestellt. Nicht alle konnten wir beantworten. Das haben wir offen kommuniziert. Die Nutzerinnern und Nutzer haben es geschätzt, dass wir trotzdem jede Frage aufgegriffen und erklärt haben, warum wir einige nicht beantworten können.

Viele Kanäle bedienen: Neben Facebook haben wir auf Twitter und Insta „Werbung“ (mit organischer Reichweite) für die zweite Sprechstunde gemacht. Bürgerinnen und Bürger konnten uns außerdem vorab Fragen per Mail schicken. Drauf haben wir mit einer Pressemitteilung hingewiesen. Die Aufzeichnungen der Sprechstunden haben wir auf Facebook (Nummer 1, Nummer 2) und YouTube veröffentlicht. Auch unsere lokale Tageszeitung hat berichtet (Wiesbadener Kurier). So haben wir auch Bürgerinnen und Bürger erreicht, die nicht direkt beim Live-Event auf Facebook dabei waren.

Mit Kollegen austauschen: Ihr habt weitere Fragen oder Tipps für uns? Dann freuen wir uns über den Austausch mit euch. Ihr erreicht uns unter pressereferat@wiesbaden.de.


Social Media & Journalismus

  • Abos via YouTube verkaufen: Die Google News Initiative ist dafür gedacht, Lösungsansätze zu finden, um Publisher besser für das digitale Zeitalter zu rüsten. Eine neue Idee besteht nun darin, Verlagen die Möglichkeit zu geben, über ihre YouTube-Kanäle Abos zu verkaufen (Digiday). Klingt spannend. Mit Blick auf die Wirksamkeit anderer Hilfsangebote (denken wir etwa an Facebooks Instant Articles) lohnt es sich aber sicherlich, zunächst auf die ersten Zahlen und Erfahrungsberichte zu warten.

Schon einmal im Briefing davon gehört

  • Audio Social Networks: Neue Plattformen wie Clubhouse (Techcrunch) genießen gerade extrem viel Aufmerksamkeit. Die App lädt dazu ein, mit Freunden und Freundesfreunden zu quatschen. Der Clou: Im Gegensatz zu den derzeit populären Video-Konferenz-Tools wie Zoom findet die Unterhaltung bei Clubhouse nur via Audio statt – quasi ein Art Live-Podcast unter Freunden. Wir werden uns Clubhouse und weitere Audio Social Networks in der kommenden Ausgabe ausführlicher anschauen. HAT DENN EIGENTLICH NIEMAND EIN CLUBHOUSE INVITE FÜR UNS?! 😅
  • Online Graduation: Weil die Graduierten-Feiern dieses Jahr dem Coronavirus zum Opfer fallen werden, springen Plattformen wie YouTube (Techcrunch) und Facebook (FB Newsroom) in die Bresche und organisieren digitale Feierlichkeiten. Prominenter könnten die Rednerïnnen kaum sein – u.a. sprechen die Obamas, Miley Cirus, Oprah Winfrey und Sundar Pichai.
  • TikTok goes TV: TikTok denkt darüber nach, eine eigene Reality-TV-Show zu starten (Bloomberg) – quasi eine Dauerwerbesendung für die Plattform.
  • Soundcloud macht jetzt Musikfernsehen bei Twitch: Soundcloud startet einen Twitch-Kanal, um mehrmals die Woche Künstlerïnnen, Produzenten und Musikjournalisten live zu Wort kommen zu lassen. Twitch mausert sich damit immer mehr zum Fernsehen 2.0. – die neue Kooperation von Twitch und Soundcloud erinnert nämlich ziemlich stark an die guten alten Zeiten als Musikfernsehen noch ein Thema war.

Neue Features bei den Plattformen

Twitter

  • Warnhinweise: Im Kampf gegen das toxische Klima auf der Plattform testet Twitter Warnhinweise: Ausgewählte iOS-Nutzerïnnen werden vor der Veröffentlichung von Tweets gefragt, ob sie das wirklich so schreiben wollen (Techcrunch). Auf welche Wörter Twitters Prompts auslösen, ist nicht bekannt. Instagram hatte im vergangenen Jahr einen ähnlichen Test durchgeführt (Techcrunch).

Tumblr

  • Reblogs werden nun auch von der Plattform genommen (Techcrunch), wenn sie gegen die Community Richtlinien verstoßen. Bislang wurden nur die Original-Posts gelöscht.

WhatsApp

  • Neuer Bot: WhatsApp launcht einen Chatbot (Techcrunch), um Nutzerïnnen die Möglichkeit zu geben, zweifelhafte Aussagen, die ihnen auf WhatsApp begegnen, schneller zu überprüfen. Dafür arbeitet das Unternehmen mit dem International Fact Checking Institute zusammen.

Tipps, Tricks und Apps

Book Highlighter: Wir haben die App zwar noch nicht testen können, aber sie sieht wirklich vielversprechend aus: Mit Highlighted lassen sich Passagen aus gedruckten Werken digital verschriftlichen (Apple Appstore) und mit Tags versehen. Perfekt für alle, die regeömäßig Bücher und Paper verschlagworten möchten. Bislang ist die App nur für iOS verfügbar.

Firefox Password Manager & Burner-Email: Firefox hat einen Schwung neue Features gelauncht: Einerseits gibt es einen generalüberholten Password-Manager (Techcrunch). Andererseits bietet Firefox ein Plugin an, das kinderleicht Einmal-Emailadressen generiert, um sich bei Services anzumelden, ohne die eigene Emailadresse verwenden zu müssen (ZDnet).


One more thing

Keep it simple: Ja, Abkürzungen sind schön und gut, aber sie bedeuten nicht für alle Menschen das gleiche – vor allem haben reguläre Nutzerïnnen häufig keine Ahnung, was sich hinter den Terminologien versteckt. Von daher, keep it simple 🙆


Header-Foto von Macau Photo Agency bei Unsplash