Salut und herzlich Willkommen zur 588. Ausgabe des Social-Media-Watchblog-Briefings. Heute beschäftigen wir uns mit Zuckerbergs Anhörung im US-Kongress. Zudem beschäftigen wir uns mit TikToks Charmeoffensive und Snapchats Höhenflug. Wir wünschen eine gewinnbringende Lektüre und ein angenehmes Wochenende, Simon und Martin

P.S. Simon hat bei den Medientagen über die Radikalisierung im Netz gesprochen – hier ist sein Vortrag bei YouTube zu sehen.

US-Kongress vs. Zuck: Die Lehren aus der Libra-Anhörung

Was ist: Der Finanzdienstleistungsausschuss des Repräsentantenhauses hat Mark Zuckerberg vorgeladen. Am Mittwoch sollte der Facebook-Chef zur geplanten Währung Libra befragt werden – doch die Abgeordneten nutzten die Anhörung, um Zuckerberg zu allen möglichen Themen zu grillen.

Wie die Anhörung ablief: Ich habe mir die sechs Stunden (Youtube) nicht vollständig angeschaut. Aber ich habe etliche Ausschnitte gesehen und Zusammenfassungen gelesen.

Mein Eindruck: Zuckerberg war besser vorbereitet als bei früheren Anhörungen. Er hat dazugelernt, wirkt weniger roboterhaft und tritt öffentlich souveräner auf als vor einigen Jahren.

Auch die Abgeordneten schienen deutlich sachkundiger zu sein als in der Vergangenheit. Zumindest hielt sich die Zahl offensichtlich ahnungsloser Fragen in Grenzen. Vor allem aber waren sie extrem kritisch. Über die Parteigrenzen hinweg signalisierte fast jede Wortmeldung: Die US-Politik ist bereit, sich mit Facebook anzulegen.

Die schärfsten Kritikerïnnen kommen aus den Reihen der Demokraten (Politico). Immer mehr Politikerïnnen schließen sich Elizabeth Warren an und fordern, dass Facebook zerschlagen werden muss (New York Times). Facebook, in der Obama-Ära noch Darling der Liberalen, ist zum Feindbild geworden.

Was der Kongress wissen wollte: Es sprengt den Rahmen dieses Briefings, sechs Stunden Anhörung wiederzugeben. Von wenigen Ausnahmen abgesehen lieferten die Fragen ohnehin wenig neue Erkenntnisse. Letztendlich sind solche Vorladungen vor allem eine Show: Niemand erwartet ernsthaft, dass Zuckerberg Antworten gibt, die von Facebooks bisheriger Position abweichen.

Wer tiefer einsteigen will, wird von Josh Constine bei Techcrunch umfassend bedient. Weitere gute Zusammenfassungen gibt es bei der Wahsington Post und der New York Times.

Diese Szenen vermitteln einen guten Eindruck:

  • Katie Porter fragt nach der Bezahlung und den Arbeitsbedingungen von Content-Moderatorïnnen. Zuckerberg verweigert die Antwort, ob er diese Arbeit selbst erledigen würde. Ausschnit auf Twitter, Transkript bei Nick Heer.
  • Alexandria Ocasio-Cortez fragt, ob sie eine Facebook-Anzeige schalten dürfe, in der sie behauptet, dass Republikaner für den Green New Deal gestimmt hätten – eine offensichtliche Lüge, die Facebook gemäß seinen eigenen Regeln zu politischen Anzeigen aber nicht löschen würde. Zuckerberg sagt, dass er das leider nicht aus dem Stand beantworten könne. Ausschnitt auf Twitter, Transkript und Einordnung bei Vox.
  • Sean Casten fragt Zuckerberg, ob ein Mitglied der American Nazi Party, der als Präsident kandidiert, andere Dinge auf Facebook posten dürfen, als ein Mitglied derselben Partei, der nicht kandidiert. Zuckerberg weiß es nicht. Die richtige Antwort wäre: ja. Ausschnitt auf Twitter, Transkript bei Buzzfeed.

Solche Dialoge, die Zuckerberg nicht gut aussehen lassen, gab es noch einige mehr: AOC zu Facebooks Factchecking (Mother Jones), Joyce Beatty zu Menschenrechten (Twitter), Rashida Tlaib zu Hate Speech (Twitter) oder Bill Posey zu Inhalten von Impfgegnerïnnen (Vice).

Bei allem Spott, den kurze virale Schnipsel auslösen: Kein Firmenchef der Welt sieht gut aus, wenn er sechs Stunden lang Fragen von wütenden Politikerïnnen beantworten muss, die ihn bloßstellen wollen, und das Worst-of anschließend auf Twitter die Runde macht.

Und was ist mit Libra? Ach ja, um Facebooks Währung, die eigentlich das zentrale Thema sein sollte, ging es auch. Grob zusammengefasst: Viele Demokratïnnen sind skeptisch und lehnen das Projekt ab (The Verge).

Die GOP sieht Libra generell positiver. Die Republikaner scheinen Zuckerbergs Argument zu teilen, dass die USA im Bereich der Krypto-Währungen hinter China zurückfallen könnten, wenn sie Libra stoppen. Das verfängt offenbar auch bei US-Notenbankchef Jerome Powell und US-Finanzminister Steven Mnuchin (SZ).

Den Erkenntnisgewinn der Anhörung in Bezug auf Facebooks Absichten mit Libra fasste der republikanische Abgeordnete Patrick McHenry treffend zusammen: „Frankly, I’m not sure we learned anything new here as policy makers.“ (The Information)

Wie es derzeit um Libra steht: Die Währung ist vielleicht das ambitionierteste Projekt, das Facebook je initiiert hat (s. Briefing #556 und #557): Von Anfang an war das gewaltige Potenzial offensichtlich – und die mindestens genauso gewaltigen Risiken (s. Briefing #580).

Der Start verlief, vorsichtig ausgedrückt, holprig. Politik, Aufsichtsbehörden, Kartellämter, Notenbanken – sie alle haben Bedenken. Mit Paypal, Visa, Mastercard, Stripe und Mercado Pago sind alle großen Zahlungsdienstleister abgesprungen, die ursprünglich Teil der Libra Association waren.

Gut möglich, dass der Tweet David Marcus schlecht altert. „I would caution against reading the fate of Libra into this update“, schrieb der Verantwortliche für das Libra-Projekt, nachdem die Kooperationspartner das Bündnis verlassen hatten. „Of course, it’s not great news in the short term, but in a way it’s liberating.“

Dennoch ist es viel zu früh, um Libra zu beerdigen. Anfang Oktober leakte eine interne Tonaufnahme von Zuckerberg (s. Briefing #583), in der er über Libra unter anderem sagte:

The public things, I think, tend to be a little more dramatic. But a bigger part of it is private engagement with regulators around the world, and those, I think, often are more substantive and less dramatic. And those meetings aren’t being played for the camera, but that’s where a lot of the discussions and details get hashed out on things. So this is going to be a long road. We kind of expected this — that this is what big engagement looks like.

Libra wird den meisten Armen ohne Konto nicht helfen (Quartz), es ist keine richtige Krypto-Währung, und wohl auch nicht besonders sicher oder wertstabil (SZ) – aber für Facebook kann das Projekt immer noch ein Erfolg werden.

Autor: Simon Hurtz

Facebook News Tab

To be discussed: Heute wird Facebook das neue News Tab vorstellen – bislang sind noch nicht all zu viele Details bekannt. In Briefing #578 haben wir aufgeschrieben, was wir bislang wissen. In Briefing #572 gibt es Infos zu den Hintergründen der Einführung. Die beiden wichtigsten Fragen lauten: Wer ist in Deutschland mit dabei? Und welchen Einfluss wird das News Tab auf die Verbreitung von journalistischen Inhalten haben? Wir bleiben dran. 👀

Snap is back

Was ist: Snap Inc hat überraschend starke Zahlen für das dritte Quartal vorgelegt. Das Unternehmen konnte sowohl die Anzahl der täglich aktiven Snapchat-Nutzer steigern (im Jahresvergleich sogar um 13 Prozent) als auch den Umsatz deutlich in die höhe Schrauben (+50 Prozent im Jahresvergleich).

Die Gründe für Snaps anhaltenden Höhenflug bestehen laut Techcrunch erstes darin, dass die User sehr viel mehr Zeit mit Stories verbringen (aktiv und passiv) – und das Unternehmen dadurch entsprechend mehr Werbung schalten kannn. Zweitens hat es Snapchat geschafft, dass die Nutzer im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 40 Prozent mehr Zeit darauf verwenden, Inhalte bei Discover zu schauen. Die Strategie, auf Kooperationen mit Medienpartnern zu setzen und eigene, exklusive Serien und Shows anzubieten, scheint sich für CEO Evan Spiegel auszuzahlen.

Speaking of Spiegel: Beim The-Atlantic-Festival hat Snaps CEO über die Zukunft von Social Media gesprochen – sehr spannend und sehr sehenswert. Auf mich wirkt Evan Spiegel übrigens immer ziemlich sympathisch. Wenn ich nur mit seinem Produkt mehr anfangen könnte.

Und: Wo wir gerade über Zahlen sprechen. Twitters waren nicht so dolle.

TikTok: Wer hat die Kontrolle?

Was ist: TikTok hat eine Reihe von Videos lanciert, die erklären, wie die Sicherheits- und Privatsphäreeinstellungen auf der Plattform funktionieren.

Warum ist das eine Meldung wert? Nun, das Unternehmen positioniert sich immer stärker als freundliche / untoxische Alternative zu Facebook, Insta und Co. Während die Nutzer auf anderen Plattformen mit Mobbing, Hass und Hetze rechnen müssen, soll all das bei TikTok keinen Platz haben.

TikTok’s mission is to inspire creativity and bring joy through the short videos on our platform.

Be smart: Sicherlich wüden Facebook und Co auch unterschreiben, dass Hasskommentare und Mobbing bei ihnen kein Platz haben. Allerdings habe ich bislang bei keinem der westlichen Unternehmen gesehen, dass sie deratig pro-aktiv auf ihre Community einzuwirken versuchen und erklären, wie und in welchem Spirit die Plattform genutzt werden sollte. Genau hier zeigt sich womöglich das unterschiedliche Verständnis von „Freedom of Speech“ – während bei FB, Insta und Twitter all der negative Dreck sehr wohl Teil der Plattform sein kann, versucht das chinesische Unternehmen ByteDance bei TikTok direkt alle auf Spur zu bringen. In diesem Fall ist das sicherlich durchaus löblich – mal schauen, wie es weitergeht. Teile der US-Regierung möchten überprüfen lassen, ob TikTok ein nationales Sicherheitsrisiko darstellt – da helfen dann auch keine freundlichen TikTokTips-Videos weiter…

Studien, Fakten, Daten

97 Prozent aller Tweets, die von erwachsenen US-Amerikanern verschickt werden und einen Bezug zu nationaler Politik haben, stammen von lediglich 10 Prozent der Nutzer. ZEHN! Das ist das Ergebnis einer neuen PEW-Erhebung. Für mich unterstreicht das einmal mehr, wie spannend und wichtig dieses Thema ist: die Netzwerke müssten viel struktureller analysiert werden. Wie groß sind die Gruppen, die zu bestimmten Themen schreiben, bzw. Welle machen? Wie sind sie untereinander vernetzt? Wer sind die dominanten Figuren? Und so weiter. Wäre ich Wissenschaftler, ich würde sofort einen Antrag schreiben…

Empfehlungen fürs Wochenende

Technik-Evolution: Immer wieder heißt es: Das ist sowieso alles unausweichlich. Oder: Niemand kann den technologischen Fortschritt aufhalten. Doch ist das so? Ist nicht sämtlicher Fortschritt immer menschengemacht? Vox hat darüber ausführlich nachgedacht: The biggest lie tech people tell themselves — and the rest of us.

Zur Zukunft von Amazon: Wer sich für Jeff Bezos interessiert und sich am Wochenende ausführlich damit beschäftigen möchte, was dieser Mann denkt und welche Ziele er verfolgt, der sollte sich diesen Text merken: Jeff Bezos’s Master Plan (The Atlantic)

Neues von den Plattformen

Facebook

  • Suggested Time: Bei meinen Vorträgen komme ich immer wieder darauf zu sprechen, wie wichtig es ist, den Tagesablauf der Leser / Zuschauer / Hörer / User vor Augen zu haben. Keiner schaut Montagmorgen nach dem Aufstehen ales erstes eine Doku, right? Klingt trivial. Und doch wird bei der Verteilung von Inhalten noch viel zu wenig darauf geschaut, wer zu welchem Zeitpunkt des Tages eigentlich welches Bedürfnis hat. Facebook bietet jetzt Hilfestellung und macht Vorschläge beim Timen von Posts. (Twitter / Matt Navara)

Medium

  • Reading Time: Autoren des Medium’s Partner Program werden ja bekanntermaßen für ihre Texte bezahlt. Bislang spielten die sogenannten Claps (think: Likes) eine zentrale Rolle bei der Frage, wie viel ein Text wert ist, bzw. wie die Vergütung für den Text ausfällt. Das soll sich nun ändern. Künftig soll sich das Honorar primär an der Reading Time bemessen.

Slack

  • App Launcher Time: Slack bietet bereits seit Jahren die Möglichkeit, Anwendungen von Dritten in die eigenen Kanäle zu integrieren. Da aber viele User gar nicht so genau wissen, welche Apps und Bots Slack anbietet, wird nun ein sogenannter App Launcher sehr viel prominenter eingebunden.

One more thing

Paper Phone: Um die „Time Well Spent“-Diskussion (siehe Briefing #420) voranzutreiben, startet Google sogenannte Digital-Wellbeing-Experimente. Was zunächst einmal total löblich erscheint, wirkt bei etwas genauerer Betrachtung wie Satire: Zu den ersten Ideen gehört das Paper Phone – also die großartige Idee, die wichtigsten Infos einfach auszudrucken. Kein Scherz 😂 In dem Innovationslabor will ich auch arbeiten!

Header-Foto von Clay Banks bei Unsplash