Was ist

Das lukrativste Monopol der Welt wackelt. Seit zwei Jahrzehnten steht Googeln synonym fürs Suchen, doch am Horizont ziehen dunkle Wolken auf:

  • KI verändert, wie und wo sich Menschen informieren.
  • Die Gen Z sucht auf TikTok und Insta.
  • SEO-Spammer und Scammer überlisten Google.
  • Die Qualität der Suchergebnisse sinkt, die Werbung nimmt zu.
  • Der Wandel von einer Such- zur Antwortmaschine birgt großes Risiko.

Warum das wichtig ist

Google ist nicht nur der weltweit erfolgreichste Anzeigenverkäufer, der mit seinem Werbegeschäft mehr als 200 Milliarden Dollar pro Jahr umsetzt. Diese Dominanz gibt Google gewaltige Macht:

  • Zum einen beeinflusst der Konzern den Konsum, das Faktenwissen und die Weltanschauung von Milliarden Menschen. Bereits kleine Änderungen an den Suchalgorithmen können große Auswirkungen haben.
  • Zum anderen prägt Google das gesamte Netz. Das Ranking ist gleichbedeutend mit Relevanz. Wer online Aufmerksamkeit erhalten und Geld verdienen möchte, muss auf der ersten Seite bei Google auftauchen. Deshalb hat sich eine milliardenschwere SEO-Industrie formiert, die Seiten so baut, dass Google es mit Sichtbarkeit belohnt. Anfang Januar beschrieb Mia Sato Googles einzigartigen Einfluss auf das Web (The Verge):
We often hear about the latest engagement hacks on other platforms like Instagram, TikTok, or X, formerly known as Twitter. But Google is consequential above all of these, acting essentially as the referee of the web. Yet deep knowledge of how its systems work is largely limited to industry publications and marketing firms — as users, we don’t get an explanation of why sites suddenly look different or how Google ranks one website above another. It just happens.

Bit by bit, the internet has been remade in Google’s image. And it’s humans — not machines — who have to deal with the consequences.

Warum KI Chance und Risiko zugleich ist

  • Der Status quo ist für Google ziemlich angenehm: Fast alle Menschen googeln und bezahlen den Service mit ihrer Aufmerksamkeit für Anzeigen.
  • Doch im Netz ist der Status quo immer nur eine flüchtige Momentaufnahme. Monopole kommen und gehen, Start-ups können Milliardenkonzerne verdrängen. Disruption verteilt die Macht neu, und KI ist definitiv eine extrem disruptive Technologie.
  • Google galt lange als führend bei der KI-Entwicklung, wurde aber von OpenAI und dem Hype um generative KI überrumpelt. Mit dem LLM Gemini scheint man aber eher Schadensbegrenzung  zu betreiben, als OpenAI zu überflügeln (#926).
  • Niemand weiß, wie Chatbots die Websuche verändern oder gar ersetzen werden. Bislang eignen sie sich eher fürs Brainstorming oder zur Inspiration als für Suchen, bei denen es auf Fakten und Verlässlichkeit ankommt. Das kann sich aber ändern.
  • Google hat begonnen, KI tief in die Suche zu integrieren (Google-Blog, Adweek), diese Experimente verlaufen angeblich vielversprechend (Big Technology).
  • Vielleicht gelingt es Google, frühzeitig zu identifizieren, welche KI-Funktionen hilfreich und zuverlässig sind. Dann könnte der Konzern seine Dominanz sogar noch ausbauen.
  • Es ist aber auch möglich, dass ein Start-up nachmacht, was Google vor 25 Jahren vormachte: ein besseres Produkt zu bauen als der Marktführer. Es ist sicher kein Zufall, dass Jeff Bezos und Nvidia in Perplexity investiert haben, das KI als Chance sieht, die Websuche neu zu erfinden (WSJ, OMR).

Wie TikTok Google zusetzt

Over 2 in 5 Americans use TikTok as a search engine.

Nearly 1 in 10 Gen Zers are more likely to rely on TikTok than Google as a search engine.

More than half of business owners (54%) use TikTok to promote their business, posting an average of 9 times per month.

1 in 4 small business owners use TikTok influencers for product sales or promotions.
  • Google ist sich dieses Problems bewusst. Bereits vor anderthalb Jahren sagte Google-Manager Prabhakar Raghavan (TechCrunch):
In our studies, something like almost 40% of young people, when they’re looking for a place for lunch, they don’t go to Google Maps or Search. They go to TikTok or Instagram.
  • Die Plattformen, die das Netz von heute prägen, wurden von Menschen entwickelt, die seit Jahren oder Jahrzehnten online sind. Das Verhalten der Gen Z unterscheide sich drastisch von den bisherigen Gewohnheiten, sagt Raghavan:
We keep learning, over and over again, that new internet users don’t have the expectations and the mindset that we have become accustomed to.
  • TikTok passe für viele junge Menschen besser zu der Art, wie sie Informationen aufnehmen, sagt eine Studentin (Slate):
For a technology-addicted generation with short attention spans, there is little incentive to go out of our way to find new restaurant openings, or click beyond the first page of a Google search for nearby activities. TikTok videos with recommendations are quick, informative, and visually immersive—factors that easily convince us to try something new.
  • Das bedeutet nicht, dass Jüngere gar nicht mehr googeln. Für schnelle, zielgerichtete Suchen nach Fakten und Informationen sowie Navigation sind Google-Produkte nach wie vor das Mittel der Wahl. Wenn es aber um Inspiration und Entdeckungen geht, greift die Gen Z eher zu anderen Apps.
  • Zwei Beispiele: Hochzeiten und Konsumentscheidungen. Wenn Menschen unter 30 heiraten, schauen sie sich davor auf TikTok um. Videos mit dem Hashtag wedding haben mehr als 176 Milliarden Views gesammelt.
  • Gerade für kleine Unternehmen ist das eine große Chance: Start-ups, Schmuckhersteller oder Hochzeitsplanerinnen können über TikTok Paare erreichen, die sie sonst nie kennengelernt hätten (AdAge) – und im Gegenzug auf teures SEO für Google verzichten.
  • Auch 88 Milliarden Views für Videos mit dem Hashtag TikTokMadeMeBuyIt zeigen den Einfluss der Plattform.
  • Für Google ist das bedrohlich. Bei der Suche nach Produkten sind die Werbeplätze besonders begehrt, entsprechend viel erlöst Google mit der Versteigerung der Anzeigen. Die Aussicht, dass sich die Gen Z vor dem Online-Shopping auf TikTok informiert, muss Google Sorgen machen.

Wie Google zur Antwortmaschine wird

  • Als Google 2004 an die Börse ging, sagte Gründer Larry Page (Kottke):
We want you to come to Google and quickly find what you want.
  • Heute hat Google nichts mehr mit dem Unternehmen zu tun, das Page beschrieb. Statt Menschen weiterzuleiten, beantwortet Google viele Fragen selbst.
  • Das hat Folgen: Bereits seit 2021 führt mehr als Hälfte der Google-Suchen zu keinem weiteren Klick (#713). Für Seiten, die auf SEO-Traffic angewiesen sind, ist das eine existenzielle Bedrohung – übrigens auch für Medien.
  • KI wird diese Entwicklung beschleunigen. Mit der Search Generative Experience, kurz SGE, testet Google in den USA eine Funktion, die für viele Suchanfragen oberhalb der Ergebnisse eine KI-generierte Antwort einblendet. Die Snippets verweisen zwar auf Quellen, doch vielen Menschen wird der Auszug reichen.
  • Der Vorteil für Google liegt auf der Hand. Die Suche wird noch nützlicher, mehr Menschen googeln, Google verdient mehr Geld.
  • Links waren nur eine Übergangslosung für Google, das Ziel waren schon immer Antworten – genauer gesagt: die eine richtige Antwort. Vor fast zwei Jahrzehnten sagte der damalige Google-Chef Eric Schmidt (Washington Post):
When you use Google, do you get more than one answer? Of course you do. Well, that’s a bug. (…) We should be able to give you the right answer just once. We should know what you meant. You should look for information. We should get it exactly right and we should give it to you in your language and we should never be wrong. That’s our challenge.
  • Im vergangenen Jahr wiederholte Schmidt seine Aussage (Nieman Lab):
But the other thing that we’re doing that’s more strategic is we’re trying to move from answers that are link-based to answers that are algorithmically based, where we can actually compute the right answer. And we now have enough artificial intelligence technology and enough scale and so forth that we can, for example, give you — literally compute the right answer.
  • Offenbar glaubt Google, dass man dank KI zur ultimativen Antwortmaschine werden kann.

Wie sich Googles Ergebnisse verändern

  • Während sich Google aufs Antworten fokussiert, verliert es seine frühere Kernkompetenz aus den Augen: die besten Webseiten zur jeweiligen Suchanfrage zu präsentieren.
  • Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls ein Forscherteam dreier Universitäten in Leipzig und Weimar (PDF, 404 Media).
  • Bereits im Titel ihrer Studie fragen sie: "Is Google Getting Worse?" Ihrer Ansicht nach lautet die Antwort: ja – und es könnte noch schlimmer werden:
We further observe an inverse relationship between affiliate marketing use and content complexity, and that all search engines fall victim to large-scale affiliate link spam campaigns. However, we also notice that the line between benign content and spam in the form of content and link farms becomes increasingly blurry—a situation that will surely worsen in the wake of generative AI. We conclude that dynamic adversarial spam in the form of low-quality, mass-produced commercial content deserves more attention.
  • Die Klagen über die angeblich sinkende Qualität von Googles Ergebnissen sind allerdings kein ganz neues Phänomen. Bereits 2017 titelte Search Engine Land: "A deep look at Google’s biggest-ever search quality crisis"
  • Seitdem heißt es Jahr fürs Jahr aufs Neue, dass Google jetzt endgültig sein Mojo verloren habe und immer mieser werde. SEO-Spam verdränge nützliche Ergebnisse (Washington Post), Google bevorzuge eigene Inhalte (The Markup), vor lauter Werbung sehe man kaum noch organische Resultate (Gizmodo).
  • Zuletzt schrieben wir im vergangenen Februar ausführlich darüber (#718):
In den vergangenen Tagen ging ein Blogeintrag viral, der eine steile These aufstellte: "Google Search Is Dying" (dkb). Bei Hacker News diskutieren Hunderte Menschen darüber, auf Reddit gab es Zehntausende Upvotes und Tausende Kommentare, Twitter ist ebenfalls voll mit Links und Reaktionen.

Um es vorwegzunehmen: Die Behauptung ist falsch. Google stirbt nicht, weder heute noch morgen, und auch nicht in zwei Jahren. Der Text ist aber differenzierter als die zugespitzte Überschrift und enthält einige spannende Beobachtungen.
  • Klar ist jedenfalls, dass all diese Beschwerden Google bislang nicht geschadet haben. Für den Großteil der Nutzerïnnen sind die Ergebnisse gut genug. Nerds wie wir meckern zwar, aber googeln trotzdem weiter (und hängen vielleicht noch ein "reddit" an den Suchbegriff, um bessere Ergebnisse zu erhalten).
  • Zudem ist der Mensch ein Gewohnheitstier, und Google nutzt das aus. Man zahlt zweistellige Milliardenbeträge, um auf Apple- und Samsung-Geräten sowie im Firefox-Browser die Standard-Suchmaschine zu bleiben. Kaum jemand ändert diese Voreinstellungen.

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