Meta: Ach geh mir doch weg mir der lästigen Politik

Was ist

Mark Zuckerberg scheint endgültig das Interesse an Politik zu verlieren. Zwei Recherchen zeigen, was offenbar die oberste Priorität bei Meta genießt: das schöne, neue Metaverse statt irdischem Ballast. Zum einen wurde die Größe des Teams, das daran arbeitet, die Integrität von Wahlen zu sichern, signifikant verkleinert. Zum anderen soll das Werkzeug CrowdTangle eingestellt werden, mit dem Forscherinnen und Journalisten Metas Plattformen nach Desinformationskampagnen durchsuchen konnten.

Warum das wichtig ist

Nach der Wahl ist vor der Wahl: Die USA steuern auf die Midterms zu, gleichzeitig formieren sich neue Verschwörungserzählungen. Hunderttausende Menschen teilen in sozialen Medien die Lüge über die gestohlene Wahl, Donald Trump bringt sich bereits in Stellung für 2024.

Noch düsterer sieht es in Brasilien aus. Dort regiert mit Jair Bolsonaro ein Autokrat, der Plattformen wie Facebook und WhatsApp missbraucht, um die Demokratie auszuhebeln. Im Oktober stehen Wahlen an, ebenso in Lettland, Bosnien und Slowenien. Wie wenig sich Meta um Desinformation und Content-Moderation im Globalen Süden kümmert, ist spätestens seit den Facebook Files bekannt.

Tech-Konzerne wie Meta spielen eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, die politische Meinungsbildung vor Wahlen zu gewährleisten, Lügen einzudämmen und demokratische Prozesse zu schützen. Das kostet viel Geld und personelle Ressourcen, gleichzeitig gibt es finanziell wenig zu gewinnen.

Dass Zuckerberg das Metaverse aufregender findet als Politik, ist verständlich – und gefährlich. Als wir in Ausgabe #755 Facebooks Metamorphose beschrieben, warnten wir:

Zuckerberg interessiert sich seit jeher mehr für die Zukunft als die Gegenwart und überlässt es lieber anderen, mit den lästigen Niederungen fertig zu werden, die eine globale Kommunikationsplattform eben so mit sich bringt. (…) Globale Vernetzung birgt Chancen, aber Facebook hat bislang nicht gezeigt, dass es in der Lage wäre, die Schattenseiten in den Griff zu bekommen. Wenn der Konzern jetzt schon damit überfordert ist, seine Plattformen zu zivilisieren, wie wird es dort erst aussehen, wenn das Metaverse wichtiger wird als Social Media?

Wahlen werden zur Nebensache

  • Vor der US-Präsidentschaftswahl 2020 war die Sorge groß: Lügen und Desinformationen könnten soziale Medien fluten und das Wahlergebnis beeinflussen. Dass es weniger schlimm kam als befürchtet, lag auch an den Anstrengungen, die Plattformen wie Facebook, Instagram, Twitter und YouTube unternahmen, um die Integrität der Wahl zu schützen.
  • In der Vergangenheit beteuerte Zuckerberg immer wieder, wie wichtig dieses Anliegen sei. "The most important thing I care about right now is making sure no one interferes in the various 2018 elections around the world", sagte er etwa bei einer Anhörung im US-Kongress vor vier Jahren.
  • Das scheint sich geändert zu haben. Sheera Frenkel und Cecilia Kang beschreiben (NYT), wie sich Metas Fokus weg von Wahlen und Politik hin zum Metaverse entwickelt hat.
  • Einst arbeiteten mehr als 300 Menschen bei Meta an der Sicherung von Wahlen. Nun sollen es nur noch 60 sein, der Rest des Teams wurde auf andere Projekte verteilt.
  • Meta dementiert diese Zahlen. Angeblich seien nach wie vor Hunderte Angestellte in mehr als 40 Teams für diese Aufgabe verantwortlich. Allerdings bezieht sich das auf Angestellte, die auch daran arbeiten – aber nicht mehr ausschließlich, so wie früher.
  • Vier Angestellte sagen, Zuckerberg konzentriere sich darauf, seine Vision für das Metaverse zu verwirklichen. Früher traf er sich wöchentlich mit dem Wahl-Team, jetzt übernimmt das Nick Clegg für ihn.
  • Zuckerberg war schon immer mehr am Produkt als an Politik interessiert. Wachstum ist ihm wichtiger als die realen Konsequenzen, die seine Plattformen in der Welt hinterlassen.
  • Katie Harbath war bis vergangenes Jahr für Election Policy bei Meta zuständig und leitete jenes Team, das jetzt geschrumpft wurde. In der aktuellen Ausgabe ihres Newsletters (Anchor Change) beschreibt sie, was der Times-Artikel in ihr ausgelöst hat.
  • Man merkt, dass sie ihren Ex-Arbeitgeber nicht allzu harsch kritisieren möchte. Harbath sammelt Ideen und Vorschläge, was Tech-Konzerne, Politik, Zivilgesellschaft und Medien unternehmen können, um Wahlen zu schützen.
  • Trotzdem wird in einigen Absätzen deutlich, dass sie Zuckerbergs Entscheidung bedauert und für falsch hält:

While I understand why companies might be pulling back it also makes me very sad and worried. I feel like we are normalizing and accepting how various actors exploit the systems rather than tackling the really hard problems. I continue to be incredibly worried that we are not ready for all of the elections that will happen in 2024 – many of which will actually start in 2023.

Crowdtangle steht vor dem Aus

  • 2016 kaufte Facebook das Tool CrowdTangle. Damit kann man Facebook, Instagram, Twitter und Reddit gezielt durchsuchen. Es ist ein wichtiges Werkzeug für Wissenschaftlerinnen, Factchecking-Organisationen und Aktivisten, die damit Desinformationskampagnen aufdecken oder ein kleines bisschen Transparenz schaffen. Mehr Hintergründe zu CrowdTangle gibt es in Briefing 740 und 760.
  • Nachdem Meta das CrowdTangle-Team bereits im vergangenen Jahr aufgelöst hatte, scheint nun das Ende des Tools bevorzustehen, wie Bloomberg-Reporterin Davey Alba berichtet:

In February, Meta started an official internal process to shut down CrowdTangle, but paused the plan as the Digital Services Act, a landmark law in Europe that aims to provide transparency into how Facebook, YouTube and other internet services amplify divisive content, gained traction, according to a person familiar with the matter. CrowdTangle is still on track to be shut down eventually, the person said, with some Facebook engineers tasked to killing it.

  • Ein Meta-Sprecher sagt, man werde Forscherïnnen weiter unterstützen und ihnen "noch wertvollere Werkzeuge" zur Verfügung stellen. Zudem soll CrowdTangle noch mindestens bis zu den US-Midterms weiterbetrieben werden.
  • Allerdings funktioniert CrowdTangle bereits jetzt deutlich schlechter als früher, es gibt immer wieder Fehlermeldungen. Seit 16 Monaten wurden keine neuen Funktionen mehr hinzugefügt. Weniger als fünf Angestellte arbeiten an dem Tool und halten es mehr schlecht als recht am Leben.
  • Im Bloomberg-Artikel tauchen etliche Wissenschaftlerinnen und NGO-Vertreter auf, die eindringlich davor warnen, CrowdTangle abzuwickeln, ohne brauchbare Alternativen anzubieten. Sonst werde es nahezu unmöglich, Manipulationsversuche und gezielte Propaganda aufzuspüren.
  • Unter Berufung auf anonyme Quellen berichtet Alba, dass Meta als Ersatz wohl ein deutlich abgespeckteres Tool anbieten wird, dem viele der aktuellen Funktionen fehlen.
  • Falls es so kommt, wäre das ein weiterer Rückschlag im Kampf für mehr Transparenz. Seit Jahren sagt Meta öffentlich, man arbeite daran, Wissenschaft und teils auch Medien Einblick und Zugriff zu ermöglichen. Fast alle diesbezüglichen Projekte sind bislang ohne Ergebnis geblieben oder wurden eingestellt.
  • Auch Metas eigene Untersuchungen produzieren in erster Linie dadurch Schlagzeilen, dass sich ihre Veröffentlichung ständig verzögert. Bereits im vergangenen Sommer sollte in Zusammenarbeit mit externen Forscherïnnen ein ausführlicher Bericht erscheinen, der Facebooks Einfluss auf die US-Wahl 2020 beleuchtet. Im Juli 2021 wurde er auf die erste Jahreshälfte 2022 verschoben (Protocol).
  • Wir sind gespannt, ob die Studie wirklich bis Ende Juni erscheint. Aber wir haben da so einen Verdacht, dass wir vergeblich warten.

Be smart

Bei aller berechtigten Kritik an Meta wäre es unfair, sich nur auf Facebook, Instagram und WhatsApp zu konzentrieren. Twitter scheint ebenfalls andere Sorgen zu haben (NYT), als sich um die Midterms zu kümmern:

Other social media companies have also pulled back some of their focus on elections. Twitter, which stopped labeling and removing election misinformation in March 2021, has been preoccupied with its $44 billion sale to Elon Musk, three employees with knowledge of the situation said. Mr. Musk has suggested that he wants fewer rules about what can and cannot be posted on the service.

Katie Harbath hat recht, wenn sie appelliert, auch andere Plattformen in den Blick zu nehmen und verantwortlich zu halten:

I’m worried that we continue to mainly focus on Facebook and aren’t thinking about the role that newer platforms like TikTok, Discord, Telegram, and others will play. If we only turn our focus to this two years from now we will be at a serious disadvantage for what we can actually do.


Social Media & Politik

  • Nutzer können nun Werbung und Angebote melden, die Kinder zum Kauf von Waren oder Dienstleistungen drängen oder verleiten könnten
  • Markeninhalte unterliegen nun einer Richtlinie zum Schutz der Nutzer, die die Werbung für unangemessene Produkte und Dienstleistungen wie Alkohol, "schnelles Geld" und Zigaretten verbietet
  • Nutzer werden aufgefordert, einen Schalter zu betätigen, wenn sie Inhalte veröffentlichen, die mit bestimmten markenbezogenen Schlüsselwörtern wie #ad oder #sponsored versehen sind
  • Wenn ein Nutzer mehr als 10.000 Follower hat, werden seine Videos von TikTok anhand der Richtlinien für Markeninhalte und der Community-Richtlinien überprüft, um sicherzustellen, dass der Inhalt angemessen ist
  • Bezahlte Werbung in Videos wird mit einer neuen Kennzeichnung versehen, die von einer dritten Partei auf ihre Wirksamkeit geprüft wird
  • Nutzer können unveröffentlichte Markeninhalte melden, und es werden neue Regeln für Hashtags und Labels eingeführt
  • Verhaltenskodex für Influencer: Chinesische Influencer müssen künftig einen Nachweis über ihre Qualifikationen vorlegen (Fortune), wenn sie in einem Livestream zu den Themengebieten Recht, Medizin oder Finanzen sprechen. Der vom Ministerium für Kultur und Tourismus vorgelegte Verhaltenskodex verpflichtet Influencer zudem, keine Inhalte zu promoten, die die Führung der kommunistischen Partei diskreditieren könnten, bzw. einen verschwenderischen Lebensstil propagieren.

Datenschutz-Department

  • Altersverifikation: Instagram testet derzeit eine neue Methode, um das Alter der Nutzerïnnen zu überprüfen (Meta Newsroom). Zusätzlich zur Vorlage eines Ausweises müssen User nun ein Video-Selfie hochladen, das Meta dann von der Firma Yoti überprüfen lässt – den Unternehmen zufolge alles super-privacy-friendly. Ok.

AR / VR / Metaverse

  • Fortnite Creator basteln Marken-Welten: Marken, die etwas auf sich halten, lassen sich bei angesagten Spielen eigene Welten bauen – damit die Kids dann nicht nur von überteuerten Balenciaga-Pullis träumen können, sondern auch bei Balenciaga abhängen können. The Verge erklärt das Geschäftsmodell dahinter. Spannend!
  • Meta arbeitet an AI-Sounds, damit sich im Metaverse auch alles so anhört, wie man das erwarten würde (Meta Newsroom). Auch sehr spannend!

Aus der Praxis

  • How to TikTok… Wer mit TikTok noch etwas fremdelt und einen Primer braucht, wie die einzelnen Funktionen der Plattformen genutzt werden können, bekommt in diesem Artikel von Buffer einen guten Überblick. Von „How to duet videos“ über „How to stitch videos“ bis zu „How to create a TikTok sound“ wird alles erklärt.

Zahl der Woche

  • Khaby Lame ist der neue King of TikTok: Der ehemalige Fabrikarbeiter mit dem markanten Gesichtsausdruck hat Charli D’Amelio als Creator mit den meisten Followern auf der Plattform abgelöst: 144,5 Millionen Follower für Khaby, 142,9 Millionen für Charli. Nun ja. Charli kann damit leben, sagt sie.

Neue Features bei den Plattformen

Substack

  • Umfrage-Tool: Wer mag, kann jetzt bei Substack Umfragen direkt im Newsletter integrieren.

Clubhouse

Reddit

Twitter

Google

  • Google Hangouts macht im November dicht. Wer via Google chatten möchte, nutzt dann Chat (The Verge).

Spotify


Wir wollen von euch hören

Wie Ende April angekündigt, möchten wir gern noch stärker in den Austausch mit euch kommen. Dafür wollen wir ein neues Community-Format starten und hören, was euch gerade in Sachen Social bewegt. Allerdings eben nicht in Form einer bloßen Umfrage, sondern indem wir in den kommenden Ausgaben immer wieder einzelne Leserïnnen zu Wort kommen lassen. Wer bei unserem neuen Community-Format mitmachen möchte, hier entlang! Aber Vorsicht: 4500 Social-Media-Profis könnten deine Antworten interessieren ☺️


Header-Foto von Frankie Cordoba