The Facebook Files #4
Was war
In unseren vergangenen Briefings haben wir uns bereits ausführlich mit den Facebook Files beschäftigt. Wer noch einmal nachlesen möchte, worum es geht, bitte hier entlang:
- #745: Überblick über die ersten vier Artikel der WSJ-Serie
- #746: Blick auf den fünften Artikel, erste Kritik von Facebook, Mosseri vergleicht Social Media mit Autos, möglicher neuer Ad-Boycott, Projekt Amplify wird bekannt, Oversight Board plant ein Review von Facebooks XCheck-System
- #747: Facebook widerspricht der Berichterstattung, Arbeit an Instagram Kids wird auf Eis gelegt
Die aktuellen Entwicklungen
- Mittlerweile hat das WSJ den sechsten Teil der Facebook Files publiziert: Facebook’s Effort to Attract Preteens Goes Beyond Instagram Kids, Documents Show. Der Artikel beleuchtet, wie rigoros Facebook versucht, junge Nutzerïnnen zu rekrutieren. Der Konzern versucht demnach, Verabredungen zwischen Kindern zu nutzen, um die Nutzung von Messenger Kids zu pushen – quasi Playdates als Wachstumshebel. Was aus Facebooks wachstumsgetriebener Innenperspektive womöglich logisch anmutet, macht nach außen keinen guten Eindruck.
- Facebook hat rasch eine Art Gegendarstellung publiziert: Explaining the Research We Do to Support Families. Darin heißt es u.a.:
This is nothing more than an attempt to recycle previous reporting.
The article featured an image of an internal slide that is attention grabbing because it’s presented with no context
Also alles halb so wild? Das lässt sich leider erst beantworten, wenn Facebook die entsprechenden Studien und internen Untersuchungen komplett frei gibt. So könnten sich alle selbst ein Bild machen. Aber genau damit tut sich Facebook schwer:
- Facebook veröffentlicht Teile seiner Forschung, um der Insta-Teen-Story zu widersprechen: Facebook hatte sich in seiner Verteidigung mehrfach über angebliches Cherrypicking beklagt: Das WSJ habe nur bestimmte Aspekte aus den Dokumenten rausgesucht, um Facebook und Instagram in einem möglichst schlechten Licht darzustellen. Daher werde man die Untersuchungen zur mentalen Gesundheit von Teenagern komplett freigeben. Dieses Versprechen wurde nicht eingelöst: Facebook hat nur zwei Präsentationen ausgewählt und jede einzelne Folie mit Hinweisen und Anmerkungen versehen, um Kontext zu liefern. Frei nach dem Motto: Nur weil da jetzt steht, Instagram sei schlecht für die mentale Gesundheit von Teenagern, heißt das ja noch lange nicht, dass Instagram schlecht ist für die mentale Gesundheit von Teenagern.
- Instagram Teen Annotated Research Deck 1 (PDF, 27 Seiten)
- Instagram Teen Annotated Research Deck 2 (PDF, 66 Seiten)
- Das Wall Street Journal veröffentlicht daraufhin alle Unterlagen: Auf dieser Seite gibt es alle Dokumente, auf deren Grundlage das WSJ die Artikel geschrieben hat. Hier die Direkt-Links zu den PDF:
- Teen Girls Body Image and Social Comparison on Instagram—An Exploratory Study in the US (PDF)
- Teen Mental Health Deep Dive (PDF)
- Appearance-based social comparison on Instagram (PDF)
- Social comparison: Topics, celebrities, Like counts, selfies (PDF)
- Mental Health Findings (PDF)
- Teens & Young Adults on IG & FB (PDF)
- Facebook fragt Oversight Board, was sie mit XCheck machen sollen: Da Facebook es mit der Anzahl der Personen, die von den normalen Community Standards ausgenommen sind, wohl etwas übertrieben hat, rufen sie nun ihr Oversight Board an und bitten um eine Prüfung des XCheck-Programms (Protocoll).
- Head of Safety musste zur Anhörung: Facebook-Managerin Antigone Davis hat sich den Fragen der Abgeordneten im Senat gestellt. Hier die komplette Anhörung bei YouTube. Wie bei solchen Aufeinandertreffen üblich gab es reichlich Scharmützel zwischen den Senatorïnnen und Facebook sowie den einen obligatorischen Fauxpax, über den das Netz dann lacht (@CharlotteAlter). Inhaltlich ist leider wenig dabei rumgekommen. Das Wall Street Journal liefert einen guten Überblick: Senators Accuse Facebook of Disregarding Research Showing Harm to Teens
In the meantime
- Metaverse products "are developed responsibly“: Eigentlich versucht Facebook, sich als Innovationstreiber zu präsentieren – hallo Metaverse! Da passen diese ganzen Diskussionen um die mentale Gesundheit von Kids und mangelnder Content Moderation in Dritt-Staaten überhaupt nicht. Nicht weiter verwunderlich also, dass Facebook verspricht, das Metaverse mit aller Vorsicht zu bauen (Facebook Newsroom). Facebooks Chef-Lobbyist Nick Clegg sülzt (Axios):
"It's definitely a departure for us (…) This is going to be a much more gradual, deliberate and therefore a much more thoughtful process of building technology."
- YouTube ist der Meinung, dass die Plattform für die mentale Gesundheit positiv sei: Glaubt man Susan Wojcicki, dann tut es Teenagern gut, Video auf YouTube anzuschauen (Bloomberg) ist. Falls jemand fragt.
Up next
- Whistleblower im Senat: Am Dienstag wird der / die Facebook-Whistleblowerïn im Senat zur Anhörung erwartet. Das könnte spannend werden, denn…
- Whistleblower am Sonntag bei 60Minutes: … bereits am Sonntag zuvor ist sie/er bei 60Minutes zu Gast (CBSNews). In der Ankündigung ist von 1000 Seiten geleaktem Material die Rede. Da könnte also noch einiges kommen.
- Kampagne von Accountable Tech: Zum Beispiel eine Kampagne der Organisation Accountable Tech, die jetzt im US-Fernsehen mit ziemlich zugespitzten (und wenig fairen) Clips (YouTube) Stimmung gegen Instagram und Co machen wollen.
Unterm Strich
Es fällt uns selbst nicht leicht, den Überblick zu behalten. Allein am Donnerstag haben das WSJ und Facebook selbst eine Vielzahl an Dokumenten veröffentlicht. Das alles zu lesen, zu durchdringen und hier sinnvoll aufzubereiten, braucht mehrere Tage Zeit. Das konnten wir diese Woche noch nicht leisten. Daher schließen wir den heutigen Block zu den Facebook Files mit den folgenden Gedanken:
- Mike Masnick bei Techdirt:
“ I don't think the Facebook Files show a company that is evil or incompetent. It seems to show a company that is in way too deep, but still thinks it can totally get things back under control."
- Eike Kühl bei Zeit Online:
Insgesamt muss man also sagen: Beide Seiten, weder Facebook noch das Wall Street Journal, geben in der Angelegenheit eine besonders gute Figur ab. Facebooks Studien sind, auch wenn sie nur für die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gedacht sind, schlecht formuliert, bisweilen irreführend und aufgrund der an einigen Stellen wenigen befragten Personen womöglich ohnehin wenig aussagekräftig. Die Autorinnen und Autoren des Wall Street Journal dagegen konzentrieren sich zu sehr auf die mutmaßlich negativen Effekte der Plattform und erwähnen nicht, dass es am Ende der Studien um die durchaus begrüßenswerte Frage geht, wie Instagram den Nutzenden helfen kann, sich besser zu fühlen.
- Cory Doctorow bei Medium:
The mainstream critique of Facebook is surprisingly compatible with Facebook's own narrative about its products. FB critics say that the company's machine learning and data-gathering slides disinformation past users' critical faculties, poisoning their minds.
Meanwhile, Facebook itself tells advertisers that it can use data and machine learning to slide past users' critical faculties, convincing them to buy stuff.
In other words, the mainline of Facebook critics start from the presumption that FB is a really GOOD product and that advertisers are DEFINITELY getting their money's worth when they shower billions on the company.
Which is weird, because these same critics (rightfully) point out that Facebook lies all the time, about everything. It would be bizarre if the only time FB was telling the truth was when it was boasting about how valuable its ad-tech is.
Social Media & Politik
Bundestagswahl
- Politikerïnnen auf Twitter: An dieser Stelle mal was Praktisches: Martin Fuchs hat eine Twitter-Liste mit allen Bundestagsabgeordneten erstellt – Abo lohnt sich.
In other news
- YouTube vs Impf-Desinformation YouTube hat beschlossen, rigoroser gegen Impf-Desinformationen auf der Plattform vorzugehen. Künftig sollen nicht nur Inhalte entfernt werden, die sich gegen die Corona-Impfung richten, sondern auch Videos, die andere, bereits zugelassene Impfstoffe in Misskredit bringen. Diese Änderungen wirken sich auch auf die Accounts bekannter Akteure aus dem Verschwörungslager aus – etwa den Kanal des Children's Health Defense Fund von Robert F. Kennedy Jr. und zwei Kanäle von RT Deutsch …
- Russland vs YouTube vs Deutschland: YouTube hatte RT Deutsch wegen der Verbreitung von Falschinformationen über die Coronavirus-Pandemie einen Strike erteilt. Eigentlich hätte RT Deutsch daraufhin zunächst keine weiteren Beiträge hochladen dürfen. Da sie dies aber über einen anderen Kanal taten, hat YouTube die Kanäle am Dienstag gesperrt. Sehr zur Verärgerung Russlands, die ihrerseits nun damit drohen, YouTube und die Deutsche Welle in Russland zu sperren. Casey schreibt (Platformer):
And so now you have one country threatening to expel the media of a second country because a tech platform in a third country terminated two accounts.
- LinkedIn zensiert Accounts in China: LinkedIn ist eine der wenigen großen amerikanischen Social-Media-Plattformen, die den Forderungen der chinesischen Regierung nach Zensur von Inhalten zustimmt – in letzter Zeit besonders oft (Axios).
- Social Media reparieren: Wie könnten soziale Medien zu einem besseren Ort werden? Der German Marshall Fund macht dazu interessante Vorschläge: Immediate Bipartisan Fixes for Social Media.
Datenschutz-Department
- OnlyFans hat offenbar ein ziemliches Datenschutz-Problem (Vice). Interessanterweise juckt sie das gar nicht so sehr (@samleecole).
Social Media & Journalismus
- CNN macht Facebook-Pages für Australier dicht: CNN hat entschieden, dass Australier keinen Zugang mehr zu ihren Facebook-Seiten erhalten (WSJ). Grund dafür ist ein Gerichtsurteil (PDF), demzufolge Publisher in Australien für die Kommentare auf ihren Facebook-Pages haften. Anstatt sorgfältig zu moderieren, macht CNN die Seiten für Australier dann lieber direkt dicht.
Follow the money
- Wie TikTok so groß wurde: TikTok feiert ja in diesen Tagen den Meilenstein von einer Milliarde monatlicher Nutzerïnnen. Aber wie konnte TikTok so schnell so groß werden? Neben den Gründen, die wir in Ausgabe #747 nannten, kommt noch ein spannender Fakt hinzu: TikTok hat ganz gezielt bei der Konkurrenz Werbung schalten lassen. (Digiday)
- 🗓 2019 hat TikTok fast 80% seines Werbebudgets bei Snapchat investiert
- 🗓 2020: 73% bei Facebook
- 🗓 2021: die Mehrheit im regulären TV
- TikTok launcht NFT-Programm: Das Phänomen Non-fungible Tokens hatten wir Anfang des Jahres einmal ausführlicher erklärt – wer mag, liest dort noch einmal nach, was es mit NFT auf sich hat. Heute nur der Hinweis, dass TikTok jetzt ein NFT-Programm für Creator aufgesetzt hat. Interessierte Nutzerïnnen können sich auf der Drop-Seite in den kommenden Wochen Zertifikate kaufen, die einem bescheinigen, Besitzerïn eines bestimmten Videos zu sein – etwa dem legendären M to the B von Bellapoarch. Na, wenn das keine vernünftige Geldanlage ist, was dann?!
- TikTok launcht eine Reihe neuer Ad-Features: Bei seinem TikTok World Event hat TikTok eine ganze Reihe neuer Anzeigen-Optionen präsentiert. Techcrunch hat den Überblick.
Creator Economy
- TikTok hübscht seinen Creator Marketplace auf, um Influencerïnnen zielgerichteter mit Marken in Kontakt zu bringen (The Information).
- YouTube Shorts Fund – jetzt auch in Deutschland: Hier gibt es einige Infos zum Shorts Fund – so richtig genau ist bislang nicht geklärt, wer wann wie viel Geld für seine Shorts bekommt. Der Fund ähnelt eher einer Lotterie – Social Media Today schreibt:
So YouTube can’t say what you need to do to get that Shorts cash. But the idea is that by holding out the carrot of immediate cash payouts, that will motivate more YouTubers to at least give Shorts a try, which could keep them posting to YouTube, instead of migrating to TikTok instead.
Was wir am Wochenende lesen
- On the Internet, We’re Always Famous. What happens when the experience of celebrity becomes universal? (New Yorker)
- From Spy Glasses to the Metaverse (One Zero, Medium)
- The Largest Autocracy on Earth (The Atlantic)
Schon einmal im Briefing davon gehört
- Metaverse? Machen wir schon lange! Damit die Meetings bei Shopify etwas unterhaltsamer werden, hat sich das Unternehmen ein eigenes kleines Universum gebastelt. Bei @pushmatrix kann man sich anschauen, wie das funktioniert.
Neue Features bei den Plattformen
- Reels gibt es in den USA jetzt auch bei Facebook selbst – und somit nicht mehr nur bei Instagram.
Facebook Messenger
- Cross-App Group Chats: Gruppen-Chats sind jetzt auch zwischen Instagram und Messenger möglich (Techcrunch).
- Polls in Instagram DMs: Wer mag, kann künftig in Instagram Direct Messages abstimmen lassen (Techcrunch) …
- Watch Together: … vielleicht ja darüber, wie man das Reel fand, das man gerade gemeinsam angeschaut hat. Die entsprechende „Watch Together“-Funktion ist jetzt nämlich auch bei Insta verfügbar (Techcrunch).
Clubhouse
- Universal Search, Clips, Replays: Clubhouse launcht drei neue Features:
- Universal Search: eine Suche für Clubhouse (Leute, Clubs, Live-Sessions und künftige Events)
- Clips: Bis zu 30 Sekunden aufnehmen und auf Social teilen
- Replays: Talks aufnehmen, im Profil teilen, runterladen und als Podcast irgendwo wieder hochladen
Twitch
- Neues Anti-Harrassment-Tool: Die neue Funktion gibt Moderatoren die Möglichkeit, Chats auf die Userïnnen zu beschränken, die sich bereit erklären, ihre Telefonnummern oder E-Mail-Adressen verifizieren zu lassen (Hollywood Reporter).
Spotify
- Umfragen und Q&A: Wer seine Podcasts für Spotify mit Anchor produziert, kann künftig ein paar neue interaktive Elemente nutzen – etwa Umfragen und Q&A-Funktionen. (The Verge)
One more thing
Unnützes Partywissen: Etwa 15 % der Google-Anfragen betreffen Dinge, die noch nie zuvor in das Suchfeld eingegeben wurden (Protocol). 🤯
Header-Foto von Juan Carlos Trujillo
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