Was ist

Facebook und Instagram waren einst spannende Orte, um sich mit Freunden, Bekannten und Verwandten auszutauschen. Mittlerweile posten dort fast nur noch Menschen, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Irgendwas mit Content.

Alle andere haben sich längst daran gewöhnt, die großen Social-Media-Plattformen überwiegend passiv zu nutzen — als eine Art zeitgemäßes Fernsehen. Der Trend ist nicht wirklich neu. Wir haben im Februar 2020 das erste Mal darüber geschrieben.

Selbstpräsentation und Beziehungsmanagement findet schon seit einiger Zeit in vermeintlich privateren Gefilden statt: allen voran in Gruppen und Messengern. Kaum jemand möchte noch sein Leben komplett öffentlich abbilden. Der legendäre Ausspruch von Mark Zuckerberg „Public is the new private“ hat fürs Erste ausgesorgt.

Das wissen auch die Plattformen. Daher gibt es nun mit Broadcast Channels bei Instagram und den Kanälen bei WhatsApp neue Möglichkeiten, um als Marke, Publisher oder Content Creator ebenfalls in diesen „privateren“ Räumen aufzutauchen.

Aber muss das sein?

Wenn wir Workshops geben oder als Speaker eingeladen sind, werden im Anschluss in aller Regel immer diese zwei Fragen gestellt. Sollen wir auf TikTok? Und wie können wir denn die User in ihren Messengern erreichen?

Meta hat mit der Einführung der neuen Channel- bzw. Kanal-Optionen eine Antwort darauf gegeben. Zwar schafft man es als Inhalte-Lieferant nicht in den eigentlichen Gruppenchat mit den Freunden, Bekannten und Verwandten. Das entscheiden die User schon noch selbst, welche Inhalte dort zirkulieren. Sehr wohl ist man aber mit diesen neuen Features den privaten Chats so nah wie noch nie.

Wir haben allerdings unsere Zweifel, ob das sein muss. Ist es denn nicht so, dass sich User ganz bewusst an diese Orte zurückgezogen haben, um dem Kampf um Aufmerksamkeit zu entfliehen?

Anstatt sich den immer neuen Botschaften auszusetzen, öffnen sie lieber ihren ausgeruhten Gruppenchat. Anstatt durch die Flut an Content zu tauchen, machen sie es sich in Räumen gemütlich, über die sie selbst die Kontrolle haben. Kein Algorithmus sortiert hier irgendwas. Der Gruppenchat ist der beste For-You-Feed.

Wenn wir Medienmacherïnnen nun aber ebenfalls an diesen Orten auftauchen und User mit unseren – garantiert total gut gemeinten und qualitativ herausragenden – Beiträgen behelligen, kann das imho auch nach hinten losgehen. Fatigue ist real. Oder nicht? Nur mal so als Zwischenruf.


Social Media & Politik

  • Chatkontrolle: EU-Rat vertagt Abstimmung: Eigentlich hätte diesen Mittwoch der Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten das Dossier zur umstrittenen Chatkontrolle besprechen sollen, um es beim Treffen der Justiz- und Innenminister am 28. September zum Beschluss vorlegen zu können. Doch daraus wird nichts. Laut heise wurde das Thema von der Sitzung gestrichen. Vor allem Deutschland soll sich dafür stark gemacht haben, den Gesetzentwurf noch einmal zu überarbeiten. Warum die Chatkontrolle so umstritten ist, haben wir in Ausgabe #904 ausführlich beleuchtet.
  • TikTok-Verbot in den USA auf Eis: TikTok und die US-Regierung verhandeln wieder: Laut Washington Post sieht es derzeit aber nicht danach aus, als käme ein generelles TikTok-Verbot in den USA. Schon gar nicht vor den US-Wahlen im kommenden Jahr. Zum einen gibt es rechtliche Bedenken, ob die US-Regierung überhaupt in der Lage ist, ein Angebot wie TikTok grundsätzlich zu verbieten. Zweitens ist der Vorschlag, wie die App zu regulieren sei (Washington Post), massiv unter die Räder gekommen. Drittens haben Demokraten und Republikaner entdeckt, dass TikTok ziemlich nützlich ist, um junge Wählergruppen anzusprechen. Da käme ein Verbot natürlich ziemlich ungelegen. Lol.
    • Go deeper: Das The Wall Street Journal berichtet in einer spannenden Recherche, wie US-Milliardär Jeff Yass zahlreiche Politikerïnnen aus dem republikanischen Lager dafür gewinnen konnte, sich gegen ein TikTok-Verbot auszusprechen. Seine Motivation: Sein Vermögen (ca. 28 Milliarden Dollar) hängt zu einem Großteil von einer guten Bewertung von TikToks Mutterhaus ByteDance ab. Bereits 2012 hatte Yass massiv in ByteDance investiert.
  • Ehemaliger Twitter-Sicherheitschef bedroht: Vielleicht erinnerst du dich noch an Yoel Roth. Der ehemalige Twitter-Sicherheitschef hatte in unserer Berichterstattung rund um die Sperrung von Donald Trump eine große Rolle gespielt. In einem Gastbeitrag bei der New York Times berichtet Roth nun davon, welchen massiven Anfeindungen er sich im Anschluss an die Sperrung ausgesetzt sah: „I’ve lived with armed guards outside my home and have had to upend my family, go into hiding for months and repeatedly move.“ Für Roth sei das Vorgehen gegen ihn exemplarisch dafür, wie rechte Gruppierungen immer öfter Tech-Mitarbeiterïnnen unter Druck setzten. Das Ziel sei es, dass die Angestellten vor kontroversen Entscheidungen über die Moderation von Inhalten zurückzuschrecken. Black Mirror lässt grüßen.

Follow the money

  • Flow: WhatsApp baut Shopping-Funktionen aus: Die neue Funktion „Flow“ soll Kunden befähigen, Termine zu buchen und Sitzplätze zu reservieren, ohne die App zu verlassen (TechCrunch). Baut WhatsApp also eigentlich heimlich an der nächsten Super-App?
  • Meta: Blaue Haken jetzt auch für Unternehmen: Meta hat angekündigt, dass das Programm Meta Verified bald auch Unternehmen auf Instagram und Facebook zur Verfügung stehen wird. Eine Einführung bei WhatsApp soll später folgen. Für 22 Dollar pro Monat erhalten Unternehmen dann einen blauen Haken und eine vermeintlich bessere Kundenbetreuung. Zudem werden „verifizierte“ Unternehmen in den Suchergebnissen ganz oben angezeigt und Nutzerïnnen wird empfohlen, ihnen im Feed zu folgen (The Verge). Klingt ganz spannend, aber…
  • Creator zeigen sich verärgert über Meta Verified: Wie The Information berichtet lässt die versprochene bessere Kundenbetreuung arg zu wünschen übrig. Auch konnten einige Nutzerïnnen weder Namen noch Profilfoto tauschen, nachdem sie sich für das Verified-Programm angemeldet hatten.

Next (VR, AR, KI, Metaverse)

  • TikTok führt Label ein, um KI-Inhalte zu kennzeichnen: KI-generierte Inhalte sind aus den Feeds dieser Welt nicht mehr wegzudenken. Damit User in der Flut an Inhalten künftig nicht den Überblick verlieren, sind Tech-Plattformen in der EU dazu angehalten, entsprechende Labels einzuführen. Die Sorge vor Falsch- und Desinformationen ist weiterhin groß. TikTok kommt dieser Aufforderung nun nach. (AP)
  • Wie wichtig KI-Labels sind, zeigt eine Recherche des neuen Tech-Portals 404Media: Wer jüngst den Begriff „tank man“ googelte, bekam nicht als erstes das historische Foto angezeigt, sondern ein KI-generiertes Selfie eines jungen Mannes. Mittlerweile ist das Foto wieder aus der Google-Suche verschwunden.

  • Google integriert Bard in weitere Produkte: Googles Antwort auf ChatGTP kann jetzt E-Mails bei Gmail zusammenfassen (vielleicht mag uns jemand unser Briefing zusammengefasst schicken?), Bewerbungen schreiben, nachdem es Zugriff auf Google Docs erhalten hat, Routen bei Google Maps und Fluginformationen bei Google Flights raussuchen. Sagten wir schon Google? (Google)
    • Google deeper: Alles spannend, was Bard kann. Aber halt auch nur bis Gemini kommt. (The Information)

X-Watch

  • X bald komplett hinter einer Paywall? Musk hat bei einer Diskussion mit Israels Premierminister Benjamin Netanyahu erwähnt, dass X bald komplett hinter einer Paywall verschwinden könnte. Das sei laut Musk die einzige Möglichkeit, Bots wirklich effektiv von der Plattform auszuschließen (BBC). Wenig später fühlte sich Musk aber schon wieder missverstanden und wollte eigentlich nur gesagt haben, dass Twitter-Blue-Subscriber künftig vielleicht noch etwas weniger für ihr Abo bezahlen müssen (Twitter / Elon Musk).
  • Was auch immer Musk wirklich plant, die User zeigen sich ob der Pläne irritiert und suchen wieder einmal nach Alternativen: Bluesky konnte am Tag der Paywall-Verwirrung die meisten Signups an einem Tag verzeichnen. (Mashable).
  • Wo wir gerade bei Twitter-Alternativen sind: T2 heißt jetzt Pebble, weil T(witter)2 offenkundig keinen Sinn mehr ergibt, wenn Twitter nicht mehr Twitter heißt. (Wired)
  • X drosselt immer noch Links zu anderen Seiten: Facebook, Substack, Instagram und Bluesky sind von der Drosselung am meisten betroffen. The Markup hat eine Website gebaut, auf der du selbst prüfen kannst, wie lange die Weiterleitung eines spezifischen Links dauert.
  • X testet größere Bio-Section: Wer Mastodon nutzt, weiß wie angenehm es ist, wenn die eigene Bio nicht auf 160 Zeichen begrenzt sein muss. Bei X könnten Nutzerïnnen künftig ebenfalls mehr Platz bekommen, um von sich zu erzählen. (Social Media Today)

Trends / Beobachtungen

  • Kommt Threads überhaupt noch nach Europa? Eigentlich sollte es nur eine Frage der Zeit sein, bis Meta seinen Twitter-Herausforderer Threads auch in Europa launcht. Jetzt sieht es aber so aus, als könnte eine Einführung womöglich überhaupt nicht erfolgen. Nachdem sich die Macher der App zum Start über überraschend hohe Download-Zahlen freuen durften, hat das Interesse mittlerweile deutlich abgenommen. Laut SimilarWeb fiel die Zahl der täglich aktiven Nutzerïnnen bei Android um 79 Prozent auf nur noch rund 10 Millionen User. Laut The Information ist das Threads-Team daher in erster Linie damit beschäftigt, die US-User dazu zu bringen, die App weiter (und öfter) zu nutzen. Eine Einführung in Europa habe demnach nicht oberste Priorität. Well, Meta hat schon oft gezeigt, wie wenig zimperlich es mit Apps umgeht, die nicht den Erwartungen entsprechen. Wir sind uns gar nicht so sicher, ob es die App überhaupt über den großen Teich schafft.
  • Beehiiv startet Werbenetzwerk: Eigentlich ist Beehiiv angetreten, um ähnlich wie Substack kostenpflichtige Newsletter anzubieten. Jetzt aber wird das Subscription-Modell um ein Anzeigennetzwerk ergänzt. Sieht ganz so aus, als wäre das Abo-Modell der Creator Economy für viele halt doch nur bedingt skalierbar. (YouTube / Beehiiv)

Neue Features bei den Plattformen

WordPress

  • WordPress-Blogs kann man jetzt im Fediverse folgen. Zum Beispiel auch bei Mastodon. Stark! (TechCrunch)

Substack

  • Substacks neue App sieht aus wie… eine Social-Media-App? Die Newsletter- (und Podcast-) Plattform Substack hat seine App recht grundlegend überarbeitet Substack). Das Hauptziel dürfte darin bestehen, Autorïnnen mehr Follower und Subscriber zuzuspielen.
  • Ganz oben auf dem Startbildschirm gibt es nun eine Reihe mit Inhalten von Accounts, denen man folgt, bzw. für die man bezahlt. Einfach durchswipen. Fair enough.
  • Darunter folgt ein Feed mit Inhalten, der vom Design her stark an Twitter erinnert. User erhalten hier einen Mix aus „Notes“ (Substacks Tweets) und Artikel-Empfehlungen von bekannten und fremden Accounts.
  • Susbtack wird durch diesen Feed auf einmal zum eigenen kleinen Social-Universum. Auch ein Grund, warum wir mit Substack experimentieren wollen und in den kommenden Wochen unsere Briefings testweise über Substack verschicken wollen. Falls du ebenfalls daran interessiert bist, das Briefing via Substack zu erhalten, findest du im Briefing #904 alle Infos dazu.
  • Unsere Accounts findest du hier: