Ausgabe #904 | 14.9.2023
Umstrittene Chatkontrolle: Der Showdown steht an
Was ist
Der 28. September könnte ein wichtiges Datum für Grund- und Freiheitsrechte werden. An diesem Tag könnte sich entscheiden, wie sich die Justiz- und Innenministerïnnen der EU-Staaten zur Child Sexual Abuse Regulation positionieren. Die Verordnung ist in Deutschland besser bekannt als "Chatkontrolle".
Warum das wichtig ist
Die EU möchte Kindesmissbrauch und die Verbreitung von Child Sexual Abuse Material (CSAM) bekämpfen (Europa.eu). Das ist verständlich. Doch der Zweck heiligt nicht alle Mittel. Das geplante Gesetz würden Ende-zu-Ende-Verschlüsselung aushebeln und gefährdet die Privatsphäre von Hunderten Millionen Menschen.
Warum die Pläne gefährlich sind
- Der Gesetzentwurf soll es ermöglichen, jede Form von Online-Kommunikation zu durchleuchten. Betreiber von Plattformen und Messengern könnten gezwungen werden, sämtliche Nachrichten auf strafbare Inhalte zu scannen.
- Wenn sie strafbares Material finden, müssen sie das geplante EU-Zentrum gegen Kindesmissbrauch informieren. Die Zentralstelle ist der Polizeibehörde Europol untergeordnet. Dort werden die Inhalte geprüft und anschließend die zuständigen nationalen Strafverfolgungsbehörden informiert.
- Der Gesetzentwurf (Europa.eu) enthält zwar einige Formulierungen, die den Eingriff in die Privatsphäre abmildern sollen. Trotzdem bleiben massive Bedenken.
- Sollte der Entwurf zum Gesetz werden, etabliert die EU ein Überwachungssystem, wie es bislang kein demokratischer Staat gesehen hat.
- Die Chatkontrolle ist unvereinbar mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, mit der viele Messenger Nachrichteninhalte vor Kriminellen oder Geheimdiensten schützen.
- Die zuständigen Politikerïnen beteuern zwar, dass ihnen Verschlüsselung am Herzen liege und alle Eingriffe minimal und gezielt sein müssten. Dennoch wälzen sie das Problem auf die Unternehmen ab, die bitteschön die Quadratur des Kreises lösen sollen.
- Es gibt keine Hintertür, die ausschließlich dafür genutzt werden kann, CSAM aufzuspüren. Wer Verschlüsselung aufbricht, setzt die Privatsphäre aller Menschen aufs Spiel. Die Vergangenheit zeigt, dass jede Lücke früher oder später missbraucht wird – sei es von Behörden, Geheimdiensten oder kriminellen Hackern.
Was Kritikerïnnen sagen
- Im Juli warnten bereits rund 500 renommierte Forscherinnen und Wissenschaftler eindringlich vor den Plänen (Google Docs). In den vergangenen Monaten formierte sich weiterer Widerstand, dem sich sogar Vertreter von Ermittlungsbehörden, der Deutsche Kinderschutzbund und das FBI anschlossen (EDRi).
- Kritik kommt auch von innerhalb der EU: Der Juristische Dienst des EU-Rats hält die Chatkontrolle für grundrechtswidrig (Netzpolitik). Ähnlich sehen es die Wissenschaftlichen Dienste des EU-Parlaments (Netzpolitik).
- Am Mittwoch richteten 81 NGOs einen offenen Brief an die EU-Staaten (
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