Neun Erkenntnisse aus dem Reuters Digital News Report

Was ist

Es gibt zwei Studien, über die wir jedes Jahr berichten: die ARD/ZDF-Onlinestudie und den Digital News Report des Reuters-Institutes der Universität Oxford. Es sind die umfassendsten und methodisch besten Untersuchungen zur Nutzung klassischer und sozialer Medien.

Der Oktober ist Onlinestudien-Zeit, im Juni erscheint der DNR. Wir haben die internationalen sowie die Deutschland-spezifischen Ergebnisse betrachtet und uns mit anderen Journalistïnnen ausgetauscht. Jetzt fassen wir neun Erkenntnisse zusammen und vergleichen dabei globale und deutsche Resultate. Natürlich gibt der DNR noch mehr her, das sprengt aber den Rahmen dieses Briefings.

Was war

Falls du die Ergebnisse mit denen der vergangenen Jahre vergleichen willst, verlinken wir hier unsere entsprechenden Newsletter:

Wo sich das nachlesen lässt

Der Reuters-Report ist hervorragend aufbereitet und setzt hohe Standards für Interaktivität und Zugänglichkeit. Klar, da stecken auch enorme Ressourcen dahinter – aber manche Universität könnte einsehen, dass es wenig bringt, viel Zeit und Geld für Forschung auszugeben, um die Ergebnisse dann in einem unübersichtlichen, schwer auffindbaren PDF-Dokument zu verstecken.

Die wichtigsten Anlaufstellen im Überblick:

Wer, wann und wie gefragt wurde

  • Den Großteil der Befragungen hat das Meinungsforschungsinstitut YouGov im Januar und Februar 2022 durchgeführt. Insgesamt fließen in den Bericht die Antworten von mehr als 93.000 volljährigen Menschen aus 46 Ländern ein.
  • Der Zeitraum ist wichtig: Die Ergebnisse spiegeln den Ukraine-Krieg damit nicht wider. Die Reichweiten deutscher und internationaler Medien sind in den ersten Monaten nach dem russischen Überfall signifikant angestiegen (mittlerweile aber wieder deutlich gesunken).
  • Um die aktuellen Ereignisse zu berücksichtigen, wurden Menschen in fünf ausgewählten Ländern Ende März und Anfang April erneut und mit Bezug auf die Ukraine befragt. Dazu zählt neben Polen, Großbritannien, Brasilien und den USA auch Deutschland. Wir gehen auf diese Ergebnisse gesondert ein.
  • Die Ergebnisse sind für fast jedes Land repräsentativ, auch für Untergruppen (Alter, Geschlecht, Region, Bildung) soll die Stichprobe nach Angaben der Forscherïnnen noch groß genug sein.
  • Es gibt eine wichtige Einschränkung: Da es sich um eine Online-Befragung handelt, fließen nur Rückmeldungen von Menschen ein, die online sind – ältere und schlechter gebildete Gruppen könnten unterrepräsentiert sein. Auch deshalb ist der direkte Vergleich zwischen Ländern schwierig: In Norwegen und Dänemark sind 98 Prozent der Bevölkerung online, in Südafrika und Indien nur gut die Hälfte.
  • "Nachrichten" sind ein weit gefasster Begriff. Um ein gemeinsames Verständnis zu schaffen, erhielten die Befragten zu Beginn folgende Definition: "Informationen über internationale, nationale, regionale/lokale oder andere aktuelle Ereignisse, die über Radio, Fernsehen, Printmedien oder online zugänglich sind".

Was dabei herauskam

Wir konzentrieren uns auf neun Ergebnisse, die wir für wichtig halten oder die uns überrascht haben. Dabei blicken wir vor allem auf Deutschland, internationale Daten nennen wir nur als Vergleichswerte. Unabhängig von unserer eigenen Gewichtung empfehlen wir dir, dich selbst mit dem DNR zu beschäftigen – zumindest, wenn die Inhalte beruflich für dich relevant sind.

1. Mehr Menschen verzichten bewusst auf Nachrichten, das Grundinteresse bleibt vergleichsweise hoch

  • Der DNR für Deutschland lässt sich auf zwei Arten lesen. Man kann sich auf die Entwicklung im Vergleich zu den Vorjahren fokussieren: Der Anteil der Befragten mit großem Interesse an Nachrichten sinkt um zehn Prozentpunkte im Vergleich zu 2021 und liegt jetzt bei 57 Prozent.
  • Zudem versuchen zehn Prozent der Befragten oft, Nachrichten zu vermeiden – doppelt so viele wie vor drei Jahren. Fast zwei Drittel geben an, zumindest gelegentlich aktiv Nachrichten zu vermeiden.
  • Das klingt unschön, relativiert sich aber etwas, wenn man die zweite Lesart anwendet und Deutschland mit anderen Ländern vergleicht. Beide Werte sind im internationalen Vergleich eher harmlos, in Ländern wie Brasilien, Großbritannien oder den USA haben sich noch viel mehr Menschen von Nachrichten abgewendet.
  • Die Befragten in Deutschland geben dafür folgende Hauptgründe an: zu viel Berichterstattung über Politik und das Coronavirus (47%), negativer Einfluss von Nachrichten auf die Stimmung (39%), Erschöpfung ob der Menge an Nachrichten (32%).
  • Wir wollen die Tendenz nicht schönreden. Der Anteil der Menschen in Deutschland, die mehrmals pro Woche Nachrichten konsumieren, bleibt mit 92 Prozent zwar recht stabil und hoch. Der drastische Rückgang der sehr nachrichteninteressierten Rezipientïnnen ist aber besorgniserregend (zumindest aus Sicht der Medien). 2014 waren es 81 Prozent, 2020 71 Prozent – jetzt sind es 57 Prozent.
  • Zwei weitere Entwicklungen fallen auf: Jüngere Menschen interessieren sich generell deutlich weniger für Nachrichten – und wenn sie es tun, dann eher für Themen wie Lifestyle oder Kriminalität/Sicherheit als für Politik, Internationales und Lokalnachrichten. Letztere sind für ältere Befragte der wichtigste Grund, sich mit News zu beschäftigen.

2. Die Zahlungsbereitschaft steigt, Finanzierung bleibt aber eine große Herausforderung

  • Fangen wir mit der guten Nachricht in: In Deutschland zahlen deutlich mehr Menschen für Journalismus. Unter den erwachsenen Onlinern liegt der Anteil fünf Prozentpunkte höher als im vergangenen Jahr.
  • Die weniger schöner Nachricht gleich hinterher: Damit geben trotzdem nur 14 Prozent der Menschen Geld für Online-Medien aus. Im internationalen Vergleich ist das ein durchschnittlicher Wert.
  • Nach wie vor liegen Norwegen (41%) und Schweden (33%) deutlich vorn, danach folgen Länder wie Finnland, Belgien und die USA. In insgesamt elf Ländern zahlen anteilig mehr Menschen für Nachrichteninhalte als in Deutschland.
  • Der Bericht geht nicht auf mögliche Gründe ein. Wir können uns zwei Erklärungen vorstellen: Zum einen hinkt Deutschland bei vielen digitalen Entwicklungen traditionell hinterher (was auch mit der Infrastruktur zu tun hat, Stichwort Breitbandausbau und Mobilfunkabdeckung). Zum anderen gibt es hierzulande einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der für viele Menschen die Grundversorgung mit Nachrichten sichert (und für den sie ohnehin zahlen).
  • Global betrachtet stagniert der Anteil der Menschen, die für Journalismus Geld ausgeben. Dabei gibt es große Unterschiede. In den USA entfällt ein Großteil der Abos auf wenige Medien wie New York Times, Washington Post und Wall Street Journal. In Deutschland zahlen dagegen mehr als ein Drittel der Menschen für Lokal- oder Regionalmedien.
  • Für die Medienvielfalt ist das wichtig. Ein Blick in die USA zeigt, wie gefährlich es ist, wenn in einem Land fast alle Lokalzeitungen wegsterben. Wir brauchen nicht nur den Spiegel und die Zeit, sondern auch Lokalzeitungen, die digital überleben können.
  • Was uns ebenfalls (verhalten) optimistisch stimmt: In Deutschland ist mehr als ein Viertel der zahlenden Onliner jünger als 30 Jahre, das ist ein vergleichsweise hoher Wert. Die Zahlungsbereitschaft bei den 18-24-Jährigen hat besonders stark zugenommen.
  • Nur wenige Menschen schließen mehr als ein Abo ab, der Markt wird also hart umkämpft bleiben. Wenn überhaupt, dann zahlen sie für ein General-Interest-Medium und einen Nischentitel, die einen speziellen Bedarf erfüllen.
  • Für Verlage bleibt es eine große Herausforderung, journalistische Arbeit zu finanzieren. Pandemie, Krieg und die steigende Inflation führen zu wirtschaftlicher Unsicherheit. Das könnte viele Menschen dazu bringen, ihre nicht unbedingt nötigen Ausgaben zu reduzieren – und Journalismus ist für die meisten leider Luxus und nicht lebenswichtig.
  • Gleichzeitig werden Bezahlmodelle immer wichtiger, da die Anzeigenerlöse weiter sinken dürften. Zudem können Verlage durch das absehbare Ende der Third-Party-Cookies weniger Daten sammeln, das erschwert die Werbevermarktung. Große Reichweiten werden also immer weniger wert. Es braucht Menschen, die regelmäßig Geld ausgeben, um eine Redaktion zu finanzieren.

3. Online-News überholen TV-Nachrichten, Print lebt (noch)

  • Das klingt fast schon historisch: "Das Jahr 2022 markiert in der Geschichte des Reuters Digital News Reports das erste Jahr, in dem in Deutschland mehr erwachsene Onliner Nachrichten regelmäßig im Internet nutzen als im linearen Fernsehen."
  • Die Veränderung im Vergleich zum Vorjahr ist überschaubar: 2021 lagen beide Gattungen mit 69 Prozent gleich auf, dieses Jahr erreichen Nachrichten im Internet innerhalb einer normalen Woche 68 Prozent der Befragten und Nachrichten im Fernsehen 65 Prozent der Befragten.
  • Und dennoch: The trend is your friend, und die Entwicklung ist eindeutig. Vor acht Jahren lagen Internet, Radio und Print noch fast gleichauf, während das Fernsehen dominierte. Jetzt ist das Netz zum wichtigsten Medium der Nachrichtennutzung geworden, klassische Ausspielwege verlieren an Bedeutung.
  • Es gibt keine Anzeichen, dass sich diese Entwicklung verlangsamen oder umkehren wird. Das zeigt ein Blick in die Gruppe der 18-24-Jährigen: Internet 79 Prozent, Fernsehen 29 Prozent, Radio 16 Prozent, Print 15 Prozent. Auch in zehn Jahren wird sich die Gen Z keine gedruckte Tageszeitung nach Hause liefern lassen oder UKW-Radio hören.
  • Über alle Altersgruppen hinweg bleibt der Print-Anteil an der Nachrichtennutzung mit 26 Prozent zwar stabil, nachdem dieser Wert jahrelang gefallen war. Weiter darauf zu setzen, tote Bäume zu bedrucken, ist aber keine erfolgversprechende Strategie.

4. Menschen lesen Nachrichten lieber, als sie anzuschauen

  • Video, Video, Video (und irgendwann VR/AR und das Metaverse) – das hört man oft aus dem Silicon Valley. Zumindest in Sachen Nachrichtennutzung scheint da noch einiges an Überzeugungsarbeit auf Meta und Co. zuzukommen.
  • Denn sechs von zehn Befragten lesen die Nachrichten am liebsten, während sie nur zehn Prozent bevorzugt als Bewegtbild anschauen. Selbst in der Altersgruppe der 18-24-Jährigen weichen die Ergebnisse nicht allzu stark ab: 54 bevorzugen Text, 17 Prozent Video.
  • Für die Jüngeren ist der Hauptgrund, der sie davon abhält, Video-News zu konsumieren, die als lästig empfundene Werbung, die oft vorgeschaltet wird.
  • Über alle Altersgruppen hinweg ist eine andere Motivation wichtiger: Die meisten Menschen geben an, in Textform Informationen schneller aufnehmen zu können. Zudem haben sie das Gefühl, beim Lesen mehr Kontrolle über die Rezeption zu haben als bei einem Video.
  • Das können wir gut nachvollziehen: YouTube ist eine großartige Quelle für alle möglichen Nischenhobbys (in unserem Fall etwa Rennradfahren, Bikepacking und Pizzabacken), aber einfach nicht besonders gut geeignet, wenn es darum geht, sich möglichst effizient zu einem Thema zu informieren. Wir erwischen uns jedenfalls immer wieder, wie wir ungeduldig skippen oder die Abspielgeschwindigkeit auf 1,5 setzen.
  • Für Medien oder Unternehmen, die auf Instagram und TikTok Inhalte mit hoher Informationsdichte produzieren, bedeutet das: Reels und Videos mögen gerade hip sein, aber in manchen Fällen können normale Feedposts mit Texttafeln oder längeren Captions die geeigneteren Formate sein.

5. Das Vertrauen in Medien sinkt leicht, bei Jüngeren drastisch

  • Exakt die Hälfte der Befragten geht davon aus, man könne dem Großteil der Nachrichten in der Regel vertrauen.
  • Ist das Glas halb voll oder halb leer? Kommt drauf an, welchen Zeitraum man als Vergleich heranzieht: 2021 war das Vertrauen um drei Prozentpunkte höher, das diesjährige Ergebnis liegt aber immer noch fünf Prozentpunkte über dem Wert vor der Pandemie.
  • Ein Grund zur Sorge oder zumindest zur Vorsicht: Nur 37 Prozent der Befragten zwischen 18 und 24 Jahren vertrauen den Nachrichten. Das sind elf Prozentpunkte weniger als vor einem Jahr, aber immer noch sechs Prozentpunkte mehr als 2020.
  • Der Ausnahmezustand im ersten Jahr der Pandemie löste ein großes Bedürfnis nach verlässlichen Informationen aus – und resultierte in der Folge auch in einem gestiegenen Vertrauen in Nachrichten und Medien. Ein Teil dieser Zugewinne ist nun wieder verschwunden.
  • In Deutschland bleiben öffentliche-rechtliche Institutionen wie Tagesschau und ZDF Heute sowie Lokal- und Regionalzeitungen und etablierte Titel wie SZ und Zeit die vertrauenswürdigsten Marken. Wie jedes Jahr genießt die Bild-Zeitung die geringste Glaubwürdigkeit (während die Welt, ebenfalls ein Springer-Blatt, gleichauf mit dem Spiegel liegt).

6. Medienmarken sind wichtiger als einzelne Journalistïnnen

  • Im angelsächsischen Raum hat sich eine Art Beat-Journalismus entwickelt: Einzelne Reporterïnnen fokussieren sich auf bestimmte Themengebiete (und zwar nicht etwa "Tech", sondern viel stärker spezialisierte Bereiche wie Plattformökonomie, Kryptowährungen oder Content-Moderation).
  • Dadurch bauen sie eine enorme Expertise auf, erhalten Zugang zu Quellen und gewinnen Glaubwürdigkeit. Für unser Briefing lesen wir deshalb nicht Medien, sondern folgen in erster Linie gezielt einzelnen Personen. In unseren RSS-Readern finden sich die Autoren- und Twitter-Feeds Hunderter Reporterinnen und Forscher.
  • In Deutschland sind wir damit eher eine Ausnahme. Nur zwölf Prozent der Befragten achten bei der Nachrichtensuche am ehesten auf bestimmte Journalisten oder Kommentatorinnen. Mit 45 Prozent sind Medienmarken für fast viermal so viele Menschen wichtig.
  • Selbst bei den 18-24-Jährigen zeigt sich ein ähnliches Ergebnis. Gerade mal 16 Prozent geben an, sich vorrangig an Personen zu orientieren. Auch in dieser Altersgruppe sind Dachmarken deutlich wichtiger. Zumindest wenn es um Nachrichten geht, scheint also nicht zwangsweise überall ein Gesicht mit dabei sei zu müssen.
  • Allerdings gibt es einen deutlichen Graben zwischen Jung und Alt, und zwar bei der Frage, wie sich Journalistïnnen mit ihren privaten Accounts in sozialen Medien äußern sollten.
  • Die Antwortmöglichkeiten lauteten: "Sie sollten bei der Berichterstattung bleiben" oder "Sie sollten neben der Berichterstattung auch ihre persönliche Meinung äußern können."
  • Die Mehrzahl der Jüngeren wünscht sich Meinung (49% zu 31%), bei den über 55-Jährigen ist das Verhältnis umgekehrt (26% zu 60%).
  • Aus unserer eigenen Erfahrung können wir sagen, dass viele Menschen vielleicht die theoretische Idee von Neutralität und Meinungspluralismus unterstützen. Wenn man es aber an konkreten Beispielen festmacht, wollen sie lieber ihre eigenen Ansichten bestätigt bekommen.

7. Deutschland ist TikTok-Entwicklungsland, Facebook hält sich hartnäckig

  • Keine andere Social-Media-App ist so schnell gewachsen, noch nie hatte Meta so ernsthafte Konkurrenz, noch nie hatte Mark Zuckerberg so große Angst: TikTok gilt als der hellste Stern am Social-Media-Himmel.
  • Zumindest die Zahlen für Deutschland spiegeln das nicht wider. Demnach kommt TikTok auf eine Verbreitung von neun Prozent, die nachrichtenbezogene Nutzung liegt bei gerade mal zwei Prozent. Auch unter den 18-24-Jährigen nutzen demnach nur sieben Prozent TikTok, um Nachrichten zu suchen, zu lesen, anzuschauen, zu teilen oder um darüber zu diskutieren.
  • Über alle Altersgruppen hinweg liegt TikTok damit hinter Netzwerken wie Twitter, Telegram, Pinterest und dem Facebook Messenger. Apropos Facebook: Die blaue App ist einfach nicht totzukriegen. Allen Abgesängen zum Trotz bleibt Facebook die relevanteste Plattform für News: 17 Prozent interagieren dort mit Nachrichten, etwas mehr als auf WhatsApp (15%) und YouTube (14%).
  • Diese Zahlen passen zu den Ergebnissen der ARD-ZDF-Onlinestudie: "Scheinriese TikTok, Zombie Facebook, Gigant WhatsApp", überschrieben wir Briefing #757, in dem wir die Studie zusammenfassten.
  • Ist der Hype um TikTok also übertrieben? Hat Meta gar nichts zu befürchten? Nein, dieser Schluss wäre falsch.
  • Zum einen wurden für den DNR nur Menschen ab 18 Jahren befragt. Ein Gutteil der TikTok-Nutzerïnnen ist minderjährig, deren Nutzungsverhalten taucht in den Ergebnissen gar nicht auf.
  • Zum anderen ist Deutschland nicht repräsentativ für die globale Nutzung von TikTok. Insgesamt erreicht die App 40 Prozent der Befragten zwischen 18 und 24 Jahren, 15 Prozent konsumieren Nachrichten über TikTok. In vielen afrikanischen, lateinamerikanischen und asiatischen Ländern ist TikTok bereits in allen Altersgruppen relevant. Gut möglich, dass sich Deutschland nur (mal wieder) ein wenig mehr Zeit lässt.
  • Gleichzeitig verliert Facebook seit Jahren konstant an Relevanz, 2016 war es vor WhatsApp und YouTube noch die meistgenutzte Social-Media-App. Jetzt liegt Facebook mit deutlichem Abstand auf Platz drei, und der Trend dürfte so weitergehen.
  • Trotzdem bleibt die blaue App für Medien interessant. Neue und jüngere Zielgruppen kann man sich dort vermutlich nicht mehr erschließen, aber auch ältere Menschen schließen Abos ab und schauen Werbung an. Größere Reichweite kann jedenfalls nicht schaden, und keine Plattform eignet sich dafür (noch) so gut wie Facebook.
  • Doch Vorsicht: Seit Jahren warnen wir davor, sich auf Facebook zu verlassen oder gar ein ganzes Geschäftsmodell darauf aufzubauen. Zuckerberg beteuert zwar immer, wie wichtig im Journalismus ist, aber im Zweifel priorisiert er Metas Interessen immer höher als die der Medien.
  • Einen guten Überblick der aktuellen Entwicklungen, die Facebooks Umgang mit journalistischen Inhalten betreffen, gibt Joshua Benton:

So on one hand, Facebook might stop writing checks to news publishers, having found they don’t make its PR problems go away. And on the other, Facebook wants to demote what little news still remains in its primary feed, having found that it doesn’t keep users engaged as much as an algorithm-generated stream of random videos.

This is what a breakup looks like. Facebook was not originally intended to be the world’s largest distributor of human attention to news stories. It became that, circa 2015. But that responsibility became a nuisance, and it’s spent the past seven years walking away from it. These two stories signal how ready for a divorce Facebook really is.

8. Jüngere nutzen Newsletter vollkommen anders als Ältere

  • 19 Prozent der Befragten informieren sich regelmäßig per Newsletter über das Nachrichtengeschehen oder andere Themen. Die Motivation dafür variiert je nach Alter stark.
  • Knapp der Hälfte der 18-24-Jährigen gefällt der informelle Ton, ein Viertel schätzt Newsletter aufgrund der Persönlichkeit der Autorïnnen. Je älter die Befragten, desto seltener fallen diese Antworten. Stattdessen sagen zwei Drittel der 45-54-Jährigen und sogar drei Viertel der Menschen über 55 Jahren: Sie lesen Newsletter, weil sie ein bequemer Weg seien, um Nachrichten zu erhalten.
  • Das schlägt sich in den Quellen nieder. Ältere Newsletter-Abonnentïnnen interessieren sich in erster Linie für große Medienmarken und deren Journalistïnnen.
  • Dagegen sagen zwei Drittel der 18-24-Jährigen, die regelmäßig Newsletter lesen, dass sie Fachmedien abonniert haben, die auch beruflich relevant für sie sind. Auch die Newsletter freier Journalistïnnen sind in dieser Altersgruppe überdurchschnittlich beliebt.
  • Spannend für alle, die ein Geschäftsmodell rundum Newsletter aufbauen wollen (also unter anderem für uns): 37 Prozent der jüngeren Befragten halten es für wahrscheinlich, dass sie in Zukunft für einen Newsletter bezahlen, der ihnen gefällt. Ab 35 Jahren sinkt dieser Wert auf 17 Prozent.

9. Der Ukraine-Krieg lässt deutlich mehr Menschen Nachrichten meiden

  • Vor vier Monaten griff Russland die Ukraine an. Der Krieg löste große politische und wirtschaftliche Unsicherheit aus. Viele Menschen sorgen sich vor einer Rezession oder sogar einem neuen Weltkrieg.
  • Die Forscherïnnen des Reuters-Instituts wollten herausfinden, wie sich der Ukraine-Krieg auf die Nachrichtennutzung auswirkte. Deshalb befragten sie Ende März und Anfang April erneut jeweils rund 1000 Menschen in fünf ausgewählten Ländern. Zu diesem Zeitpunkt waren die Befragungen für der DNR eigentlich schon abgeschlossen.
  • Zu diesen Ländern zählt auch Deutschland. Hierzulande verfolgen mehr als 80 Prozent der Befragten den Krieg extrem, sehr oder relativ eng. Nur fünf Prozent informiert sich gar nicht darüber.
  • Ähnlich wie zu Beginn der Corona-Pandemie zeigt sich: Krisenzeit ist offenbar Fernsehzeit. Fast die Hälfte der Befragten hält sich vorwiegend über TV-Nachrichten über den Ukraine-Krieg auf dem Laufenden. Online Medien (14%), Radio (9%) und soziale Medien (6%) folgen abgeschlagen. Print-Zeitungen sind nur für vier Prozent die wichtigste Informationsquelle für den Ukraine-Krieg.
  • Gleichzeitig stieg der Anteil der Menschen, die Nachrichten aktiv vermeiden, deutlich an. Vor dem russischen Angriff waren es 29 Prozent, bei der zweiten Befragung 36 Prozent.
  • Dieser Anstieg um sieben Prozentpunkte binnen zwei Monaten ist größer als die gesamte Zunahme in den vergangenen fünf Jahren.
  • Das sollte nicht überraschen: Einer der wichtigsten Gründe, warum Menschen Nachrichten meiden, ist der als negativ empfundene Einfluss auf die Stimmung. Wenige Ereignisse waren so deprimierend und belastend wie die Nachrichten über den brutalen Krieg mitten in Europa.

Header-Foto von Hao Rui