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Warum Deutschland jetzt doch eine dezentrale Corona-App will, Facebook setzt auf Video-Chats, Fundraising via Social Media

Warum Deutschland jetzt doch eine dezentrale Corona-App will, Facebook setzt auf Video-Chats, Fundraising via Social Media

Warum Deutschland jetzt doch eine dezentrale Corona-App will

Was ist: Am Wochenende verkündeten Kanzleramtsminister Helge Braun und Gesundheitsminister Jens Spahn, dass die Bundesregierung ihren Kurs bei der geplanten Proximity-Tracing-App ändert: Nachdem Deutschland wochenlang hartnäckig an einem Modell mit zentralem Server festgehalten hatte, bevorzugt sie nun einen dezentralen Ansatz.

Warum das wichtig ist: Keine App der Welt wird die Pandemie aufhalten. Aber Tracing-Technologie kann einer von vielen Bausteinen sein, um Kontaktpersonen von Erkrankten zu warnen und Infektionsketten zu unterbrechen.

Obwohl dieses Thema nicht direkt in unsere Kernkompetenz fällt, haben wir die Entwicklung deshalb fortlaufend und mit ausführlichen Analysen begleitet:

Um das Format dieses Newsletters nicht zu sprengen, setzen wir die bisherigen Briefings als bekannt voraus. Wir wiederholen nur die nötigsten Information und fokussieren uns darauf, die neuesten Entwicklungen zu beleuchten.

Warum die Entscheidung überraschend kommt: Die Bundesregierung hat sich vor Wochen für die europäische Plattform Pepp-PT ausgesprochen. Das Projekt sollte aus technologischer Perspektive agnostisch sein, also sowohl zentrale als auch dezentrale Ansätze ermöglichen. In Deutschland war aber ein Modell mit zentralem Server geplant.

In der vergangenen Wochen wurde es dann chaotisch:

Wie die Reaktionen ausfallen: Zusammen mit meinem SZ-Kollegen Daniel Brössler habe ich Stimmen aus der Opposition (SZ) und von netzpolitischen Vereinen wie dem CCC eingeholt. Für einen weiteren Text (SZ) habe ich mit Professoren für IT-Sicherheit sowie dem Richter und Grundrechtsaktivisten Ulf Buermeyer gesprochen. Die Zusammenfassung:

Wie die App funktionieren soll: Wer den Unterschied zwischen Tracing und Tracking mittlerweile im Schlaf erklären kann, darf beim nächsten Punkt weiterlesen. Für alle anderen nochmal die Eckpunkte im Überblick:

Wie sich die Ansätze unterscheiden: Die Modelle funktionieren ganz ähnlich und haben nur einen entscheidenden Unterschied:

Welche Vor- und Nachteile die Modelle haben: Das Für und Wider hat Chris Köver ausführlich beschrieben (Netzpolitik). In einem Gastbeitrag arbeiten Samuel Brack, Jeanette Hofmann, Leonie Reichert und Björn Scheuermann die Unterschiede genauer heraus (Netzpolitik). Wir glauben, dass es gute Argumente für beide Ansätze gibt:

Welche Rolle Apple und Google spielten: Neben der massiven öffentlichen Kritik der Forscherïnnen und Verbände dürften die beiden US-Konzerne eine entscheidende Rolle für den Sinneswandel der Regierung gespielt haben. Vor allem Apple hat die Verhandlungen maßgeblich geprägt:

Welche Hürden es gibt: In Briefing #630 haben wir unter den Kategorien „Verbreitung“, „Verwirrung“, „Zuverlässigkeit“, „Sicherheit“, „Psychologische und soziale Folgen“ und „Testkapazitäten“ etliche Herausforderungen aufgezählt, die Tracing-Apps überwinden müssen, um erfolgreich zu sein. Zwei Punkte dieser Liste wollen wir nochmal unterstreichen:

Was noch unklar ist: Das Ziel steht fest, Deutschland soll eine Tracing-App mit dezentraler Software-Architektur erhalten. Wie der Weg dorthin aussehen wird, wissen wir aber noch nicht:

Be smart: In seinem Newsletter „The Interface“ versteckt Casey Newton eine wichtige Beobachtung in einem eingeklammerten Absatz im letzten Drittel (Revue):

(As an aside, the idea that we live in a time where Apple is telling Europe what forms of exposure notification will be permitted is basically the entire thesis behind / pitch for the existence of this newsletter. Not because I believe Apple abused its power, but because the world is still catching up to the idea that Apple and a handful other tech giants have this power.)

Das gilt für seinen Newsletter, aber natürlich genauso auch für uns. Die Pandemie zeigt erneut, welch zentralen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und zunehmend auch politischen Funktionen Plattformen und Tech-Konzerne übernommen haben.

Das muss nicht zwangsläufig schlecht sein: Wenn wir die Wahl hätten, ob Tim Cook und Sundar Pichai oder Donald Trump und Jair Bolsonaro über Anti-Corona-Maßnahmen entscheiden sollen, müssten wir nicht lange grübeln. Natürlich denken diese Unternehmen auch ans Geldverdienen, aber das ist nicht verwerflich. Außerdem macht es sie berechenbar – im Gegensatz zu manchem Staatsoberhaupt.

Unabhängig vom Ergebnis kann man den Prozess hinterfragen: Ist es wünschenswert, dass private Konzerne demokratisch legitimierten Regierungen diktieren, wie sie die Pandemie zu bekämpfen haben? Dass Apple und Google in diesem Fall eine datenschutzfreundlichere Lösung erwirkt haben, ist bemerkenswert – aber wenn beim nächsten Mal ein Unternehmen wie Palantir, dessen Corona-Software Hessen nutzen will (SZ), mit am Verhandlungstisch sitzt, sieht die Sache womöglich anders aus.

Know more: Auch andere Medien haben schöne Tracing-Analysen:


Kampf gegen Desinformation

YouTube erweitert Fact Checks

YouTube fährt beim Kampf gegen Falschinformationen u.a. die Strategie, bei kritischen Inhalten auf verlässliche Medienpartner zu verweisen. In Sachen Fact Checking wird daher künftig auch in den USA auf Angebote von Factcheck.org verlinkt, ist im Firmenblog zu lesen.


Follow the money

Warum Snap derzeit erfolgreich ist

In Ausgabe #633 hatten wir berichtet, dasss Snap überraschend gute Zahlen für das erste Quartal 2020 vorgelegt hat. The Information ($) ist der Sache nun noch einmal auf den Grund gegangen und hat zwei Faktoren für Snaps Erfolg ausgemacht: Discover und Direct Response Ads – mehr als die Hälfte von Snaps Umsatz stammt von dieser (eher ungeliebten) Werbeform.

Fortnite Rekord-Konzert

Rapper Travis Scott hat mit einem virtuellen Gig bei Fortnite mehr Zuschauer erreicht als irgendjemand zuvor: 12,3 Millionen Fortnite-Spielerïnnen haben laut Variety gleichzeitig an Scotts Performance teilgenommen. Der alte Rekord stammte von Marshmello und lag bei 10,7 Millionen Menschen. Was Scott damit verdient hat, ist nicht bekannt. Mit Blick auf die 1,9 Milliarden Dollar, die Epic Games mit Fornite 2019 umgesetzt hat, dürfte der Deal für beide Seiten aber ein Gewinn gewesen sein.


Schon einmal im Briefing davon gehört

Menschen, die auf Laptops starren

Die Programmiererin und Künstlerin Maya Man hat sich darüber Gedanken gemacht, wie es wohl für den Computer ist, wenn du so viel Zeit am Tag damit verbringst, ihn anzustarren. Das Resultat ihrer Überlegungen ist eine Chrome-Erweiterung, die völlig random beim Öffnen eines neuen Tabs ein Foto von dir per Webcam knipst und dich fragt, was du gerade denkst. No worries: Die Fotos und Texte werden nur lokal gespeichert und können jederzeit wieder gelöscht werden. Wer Bock auf digitale Selbstreflexion hat, kann die Extension ja mal ausprobieren. Erfahrungsberichte werden gern entgegengenommen.


Neue Features bei den Plattformen

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