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8 Min. Lesezeit

Warum Tracing-Apps die Corona-Krise nicht lösen werden, rechtes Online-Portal Fritzfeed, Facebook-App für Pärchen

Salut und herzlich Willkommen zur 630. Ausgabe des Social Media Briefings. Heute beschäftigen wir uns ausführlich mit Tracing-Apps und zeigen, warum sie die Corona-Krise nicht lösen werden. Zudem blicken wir auf Fritzfeed – ein buzzfeedesques Angebot vom rechten Rand. Darüber hinaus gibt es einen ganzen Haufen neuer Features und Tests bei den Plattformen. Herzlichen Dank für das Interesse an unserem Newsletter, Simon und Martin

Hinweis: Unsere Briefings sind eigentlich kostenpflichtig. Da wir unsere Recherchen zum Coronavirus aber nicht hinter einer Paywall „verstecken“ möchten, sind alle Analysen zum Thema Covid-19 frei zugänglich.

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Warum Tracing-Apps die Corona-Krise nicht lösen werden

Was ist: Apple und Google schließen sich zusammen, um das Coronavirus zu bekämpfen. Sie wollen in ihren jeweiligen mobilen Betriebssystemen Schnittstellen zur Verfügung stellen, um mit Hilfe von Bluetooth Kontaktpersonen von Infizierten zu ermitteln.

Warum das erstaunlich ist: Die beiden Unternehmen konkurrieren erbittert um Marktanteile. „Android vs. iOS” mag nicht mehr die emotional diskutierte Glaubensfrage sein, die das Netz einst bewegte, doch es geht immer noch um viele Milliarden Dollar.

Nun verkünden Tim Cook und Sundar Pichai die Kooperation auf Twitter und klingen dabei nicht wie Rivalen, sondern wie Verbündete. Man werde gemeinsam daran arbeiten, die Ausbreitung von Covid-19 zu verhindern und dabei die Privatsphäre der Nutzerïnnen schützen.

Warum das wichtig ist: Bislang ist nicht überliefert, ob die Hölle schon zugefroren ist – entscheidender dürfte es für die meisten Menschen derzeit sein, ob das Coronavirus seinen Schrecken verliert und sie irgendwann wieder ihren gewohnten Alltag aufnehmen können.

Von allen technischen Initiativen, die dabei helfen sollen, ist die Ankündigung von Apple und Google vermutlich die wichtigste, weitreichendste und erfolgversprechendste.

Wie das Tracing funktionieren soll: Wir haben uns in Briefing #627 und #628 ausführlich mit der europäischen Plattform Pepp-PT beschäftigt, die genau wie Apple und Google auf Bluetooth-Low-Energy (BLE) setzt, um Infektionswege nachzuvollziehen. Die Funktionsweisen ähneln sich stark. So wollen Apple und Google vorgehen:

Warum Datenschutz nicht das größte Problem ist: Zwei der mächtigsten Tech-Konzerne der Welt schließen sich zusammen, um nachzuverfolgen, wer wann wem begegnet ist. Das klingt creepy, doch Datenschützerinnen sind bislang vergleichsweise entspannt.

Selbst notorische Tech-Kritiker wie die Bürgerrechtsorganisation ACLU gestehen Apple und Google zu, „die schlimmsten Privatsphäre und Zentralisierungs-Risiken abgemildert” zu haben. Man werde wachsam bleiben, um sicherzustellen, dass sämtliche Tracing-Apps freiwillig und dezentralisiert angeboten, ausschließlich für gesundheitliche Zwecke eingesetzt und nach dem Ende der Pandemie wieder eingestellt werden.

Das Gleiche dürfte für etliche andere Organisationen, Datenschützerïnnen und Aktivistïnnen gelten, die ebenfalls misstrauisch beäugen werden, was Apple und Google anstellen. Nach Hintergrundgesprächen mit beiden Unternehmen sowie unabhängigen Wissenschaftlerïnnen und der Lektüre der entsprechenden Whitepaper sind wir relativ zuversichtlich, dass es in diesem Fall tatsächlich ausschließlich um Gesundheitsschutz geht und kein kommerzielles Interesse dahintersteckt.

Dennoch bleiben in Sachen Datenschutz Fragen offen, die etwa das Forum Informatikerïnnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung in einem 101-seitigen Gutachten aufwirft. Dieses Dokument haben wir noch nicht vollständig gelesen und verweisen auf die zugehörige Presseerklärung. Dort äußern die Forscherïnnen Bedenken, ob die Nutzung dauerhaft freiwillig bleiben wird und inwieweit tatsächlich Anonymität gewährleistet ist.

Auch der Kryptografie-Experte und Signal-Entwickler Moxie Marlinspike ist noch nicht endgültig überzeugt (Twitter), ob die Privatsphäre der Nutzerïnnen dauerhaft gewährt bleibt. Doch selbst wenn sich diese Zweifel als unbegründet erweisen und sich das System sicher und anonym herausstellt, könnte das Vorhaben scheitern.

Was die größten Hürden sind: In den vergangenen Tagen sind zahlreiche umfangreiche Analysen, Kommentare und Essays erschienen, die erklären, welche Schwächen Contact-Tracing hat. Wer tiefer einsteigen will, sollte lesen, was Ross Anderson (Light Blue Touchpaper), Julia Angwin (The Markup), Andreas Proschofsky (Standard) sowie Christin Schäfer und Ann Cathrin Riedel (Tagesspiegel) schreiben.

Für alle anderen fassen wir die wichtigsten Punkte zusammen:

Verbreitung

Verwirrung

Zuverlässigkeit

Sicherheit

„The performance art people will tie a phone to a dog and let it run around the park; the Russians will use the app to run service-denial attacks and spread panic; and little Johnny will self-report symptoms to get the whole school sent home.”

Psychologische und soziale Folgen

Testkapazitäten

Be smart: Ende März machte eine Oxford-Studie (Science) die Runde, wonach Contact-Tracing helfen könne, das Coronavirus unter Kontrolle zu halten. Doch Technik wird niemals die Lösung für soziale, politische oder epidemiologische Probleme sein – sie kann höchstens ein kleiner Teil der Lösung sein.

Tracing scheint uns die datenschutzfreundlichste und beste Methode zu sein, die diskutiert wird. Die Kooperation von Apple und Google ist der bislang aussichtsreichste Ansatz und hat die besten Voraussetzungen, die hohen Hürden zu überwinden, schnell eine signifikante Verbreitung und damit eine kritische Masse an Nutzerïnnen zu erreichen. Es wäre wünschenswert, dass alle Forscherïnnen ihre Kräfte bündeln, um aus dem Potpourri der Apps und Plattformen ein gemeinsames System zu entwickeln.

Bis dahin werden noch Monate vergehen – und der entscheidende Meilenstein wird kein Bluetooth-Tracing, sondern die Impfung sein. Technik könnte dazu beitragen, Kontaktsperren und Ausgangsbeschränkungen vorsichtig lockern zu können. Noch wichtiger sind ausreichend Abstand, Mundschutz und Händewaschen.

Autor: Simon Hurtz

Kampf gegen Desinformation

Fritzfeed: Der Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje hat in der vergangenen Woche gezeigt, dass die AfD auf Facebook und Twitter während der Coronakrise massiv an Reichweite verloren hat (Tagesspiegel). Die Wutmaschine funktioniere aktuell nicht mehr, so das Fazit seiner Untersuchung, die hier von Correctiv ausführlich eingordnet wird. Daniel Laufer und Watchblog-Kollege Jan Petter berichten nun bei netzpolitik und bento von einer neuen Website, mit der die rechte Szene Anhängerïnnen ködern und wieder mehr Sichtbarkeit im Netz erhalten will. Laut Laufer und Petter haben die Macher enge Verbindungen zu AfD-Politikern und ins rechtsextreme Milieu.

Falschmeldungen mit Millionenpublikum: Datenanalyst Philip Kreißel hat Videos und Artikel erfasst, die von Fakt Checkern als irreführend oder falsch gekennzeichnet wurden, und untersucht, wie sie sich in sozialen Netzwerken verbreiten. Demnach wurden allein 18 Videos, die Fehlinformationen über das Coronavirus enthalten, bis zum Freitag mehr als zwölf Millionen Mal auf Youtube angesehen (SZ).

Neue Features bei den Plattformen

Facebook

WhatsApp

Instagram

IGTV

YouTube

Google

Header-Foto von Yohann LIBOT bei Unsplash