Trump vs. TikTok: ByteDance will sich nicht aus den USA vertreiben lassen
Was ist
Unsere letzte TikTok-Analyse liegt knapp zwei Wochen zurück. In Ausgabe #658 erklärten wir, warum Donald Trump eine der erfolgreichsten Apps der Welt verbannen will und wer als Käufer in Frage kommt. Seitdem ist einiges passiert. Deshalb geben wir ein Update und ordnen die Geschehnisse ein.
Warum das wichtig ist
Nach knapp vier Jahren Trump hat man sich mittlerweile an die tägliche Dosis Irrationalität gewöhnt. Dennoch ist und bleibt die Tatsache, dass ein US-Präsident einen ausländischen Konzern erst mit einer Executive Order (EO) zum Verkauf zwingt und dann unverhohlen Schmiergeld dafür verlangt (Bloomberg), nicht nur politisch höchst fragwürdig.
Für Dutzende Millionen US-amerikanischer Teenager gehört TikTok zum Alltag: Hier treffen sie ihre Freundïnnen, lästern über Lehrerïnnen, informieren sich über die Klimakrise und protestieren gegen Rassismus. Influencerïnnen haben ihr Leben auf TikTok ausgerichtet, Medien bauen sich Reichweite auf, Unternehmen schalten millionenschwere Kampagnen. All das steht auf dem Spiel.
Wie Trump den Verkauf erzwingen will
- Mit seiner dritten EO (PDF) verlängert Trump die Deadline: ByteDance bleiben nun 90 statt 45 Tage.
- Ursprünglich hätte ByteDance am 20. September sein US-Geschäft einstellen oder TikTok verkaufen müssen. Jetzt bleibt bis 12. November Zeit (The Verge), um einen Deal auszuhandeln. Der Termin liegt gut eine Woche nach der US-Wahl.
- Die EO zwingt ByteDance, das Geschäft von TikTok in den USA komplett in fremde Hände zu übergeben (Axios) und sämtliche gespeicherten Daten zu löschen.
- Die Gründe bleiben unverändert: TikTok sei angeblich eine Gefahr für die nationale Sicherheit. ByteDance könne jederzeit Daten nach China übermitteln.
- Trump scheint sich jedenfalls schon mal vorzubereiten: Er hat jetzt einen verifizierten Account beim TikTok-Konkurrenten Triller (Gizmodo).
- In seinem ersten Video (Triller) bezeichnet er sich selbst als "Professional at Technology".
- Sagen wir es so: Der Clip, der bislang mehr als 30 Millionen Mal abgerufen wurde, ist zumindest professionell produziert. Dafür dürfte aber eher Trumps Team verantwortlich gewesen sein.
Wie TikTok reagiert
- Am Wochenende kündigte TikTok juristische Schritte an. Eine Sprecherin sagte uns:
"Auch wenn wir die Bedenken der US-Regierung nicht teilen, haben wir uns fast ein Jahr lang um eine konstruktive Lösung bemüht. Wir begegneten jedoch keinem ordnungsgemäßen Verfahren, weil die Regierung Fakten keine Beachtung schenkte und versuchte, sich in Verhandlungen zwischen Privatunternehmen einzumischen. Um sicherzustellen, dass die Rechtsstaatlichkeit nicht missachtet wird und unser Unternehmen und unsere Nutzerïnnen fair behandelt werden, haben wir keine andere Wahl, als die Executive Order über das Justizsystem anzufechten."
- Diese Ankündigung hat TikTok am Montag wahrgemacht und die US-Regierung an einem kalifornischen Gericht verklagt (NYT).
- In einem ausführlichen Blogeintrag (TikTok-Newsroom) erklärt TikTok die Hintergründe und weist die Vorwürfe zurück.
- Trumps Anschuldigungen seien spekulativ, TikTok schütze die Privatsphäre seiner Nutzerïnnen und teile keine Daten mit der chinesischen Regierung (Axios).
- Trump habe TikTok verbannt, ohne vorher die Gegenseite zu hören oder Belege vorzulegen, die seine Vorwürfe stützen. Deshalb verstoße die EO gegen den Fünften Zusatzartikel der US-Verfassung.
- Zuvor hatten bereits US-amerikanische WeChat-Nutzerïnnen Klage eingereicht (Washington Post). Auch diese App will Trump verbannen.
Warum Trump den USA schaden könnte
- Auch TikTok kann Polit-Poker: Eigentlich hätte man ja 10.000 neue Arbeitsplätze in den USA schaffen wollen – aber wenn der Präsident auf seiner Entscheidung beharre, sei das leider nicht möglich (Axios).
- Ein noch gewichtigeres Argument dürften die Auswirkungen für US-Unternehmen sein, die in China Geschäfte machen. Das gilt vor allem für Apple, das 44 Milliarden Dollar pro Jahr (Bloomberg) in China umsetzt.
- Sollte Trump WeChat verbieten, dürfte der iPhone-Verkauf dort einbrechen. Die App ist in China nicht aus dem Alltag wegzudenken (SZ).
- Die meisten Chinesïnnen würden eher auf iPhones verzichten als auf WeChat. Bei einer Umfrage auf Weibo mit mehr als einer Million abgegeben Stimmen sagten 95 Prozent der Teilnehmerïnnen, dass ihnen die App wichtiger sei als das Apple-Handy.
- Ein chinesischer Weibo-Nutzer drückt es so aus (What's on Weibo): "For the Chinese market, not using an iPhone could have some impact, but not using WeChat would mean cutting yourself off from society."
- Die US-Regierung versucht, Apple, Google und andere Unternehmen zu besänftigen. Hinter verschlossenen Türen soll Trump den Konzernen versichern (Bloomberg), dass sie in China weiter Geschäfte mit dem WeChat-Eigentümer Tencent machen dürften.
Wie gefährlich TikTok wirklich ist
- … weiß wohl nur ByteDance selbst – und auch das nicht mit Sicherheit. Selbst wenn die Beteuerungen zutreffen und ByteDance noch nie Daten von US-Nutzerïnnen nach China übermittelt hat, dürfte der Konzern keine Chance haben, einer Anordnung der Regierung zu widerstehen.
- Für die ausführliche Sicherheitsanalyse verweisen wir deshalb auf die Ausgaben #657 und #658. Hier beschränken wir uns auf Meldungen, die seitdem neu dazu gekommen sind.
- TikTok sammelte jahrelang die MAC-Adressen von Android-Nutzerïnnen (SZ). Das ist unschön, aber keineswegs ungewöhnlich. Auch US-Unternehmen wie Uber legen ähnliche Praktiken an den Tag (pxlnv).
- Geleakte Dokumente zeigen, dass TikTok eine Menge Daten an US-Behörden weitergibt (The Intercept). Auch das ist in der Branche aber normal: Amazon, Facebook und Google arbeiten genauso mit Strafverfolgungsbehörden zusammen und rücken auf Anfrage auch private Informationen heraus.
- Offiziell ist TikTok ab 13 Jahren freigegeben. Ein Drittel der TikTok-Nutzerinnen in den USA ist jünger als 14 (NYT). Ob die alle genau 13 Jahre als sind?
- TikTok setzte die Regeln wohl selbst nicht durch und sperrte minderjährige Nutzerïnnen nicht (Netzpolitik).
- Weltweit ermitteln immer mehr Datenschutzbehörden wegen möglicher Verstößte gegen TikTok. In Europa haben Dänemark, die Niederlande und Frankreich (Netzpolitik) Verfahren eingeleitet.
Wer TikTok kaufen könnte
- Lange Zeit galt Microsoft als eindeutiger Favorit. Nun ist auch Oracle ins Bieterrennen eingestiegen (FT).
- Eigentümer Larry Ellison ist nicht nur ein recht exzentrischer Milliardär, sondern wohl nicht ganz zufällig auch ein Freund von Trump.
- "Oracle ist ein großartiges Unternehmen und sein Besitzer ein toller Typ", sagte der US-Präsident (SZ), der wohl eindeutige Präferenzen hat, was die möglichen Käufer angeht.
- Microsoft könnte TikTok im Fall einer Übernahme ähnlich behandeln wie LinkedIn (Digiday): wenig eingreifen und das Unternehmen unabhängig arbeiten lassen, um den bisherigen Erfolg nicht zu gefährden.
- Zumindest ein Teil der Angestellten von Microsoft lehnt den Kauf als "unethisch" ab (Business Insider).
- Dan Primack hält Microsoft dennoch weiter für den wahrscheinlichsten Käufer. Könnte man in Vegas auf die Übernahme wetten, gäbe er als Buchmacher folgende Quoten heraus (Axios): Microsoft 2:1, Oracle 5:2, Twitter 20:1, gar kein Deal 30:1.
- Wir geben zu bedenken: Bis vor einigen Tagen hatte niemand Oracle auf dem Schirm. Noch sind einige Monate Zeit – in denen durchaus ein überraschender Bieter auftauchen könnte, der letztendlich das Rennen macht.
- ByteDance selbst sagt bislang ohnehin, dass sie gar nicht verkaufen wollen. Und auch die bisherigen Investoren scheinen eine "feindliche" Übernahme abzulehnen (Reuters): Sie wollen wohl lieber ihre Anteile erhöhen und Microsoft oder Oracle höchstens kleine Teile abtreten.
Was Facebook dazu sagt
- Einer der größten Gewinner eines TikToks wäre Facebook: TikTok ist der wohl hartnäckigste Rivale, dem Zuckerberg bislang begegnet ist, und wird sich nicht einfach aufkaufen oder in die Bedeutungslosigkeit kopieren lassen.
- In einer der kommenden Ausgaben werden wir uns ausgiebig mit Facebook TikTok-Klon Reels beschäftigen. Spoiler: Es ist bislang eine ziemlich miese Kopie und würde unter normalen Umständen wohl eher das Lasso-Schicksal teilen – jenen TikTok-Nachbau, den Facebook im Juli nach anderthalb erfolglosen Jahren einstellte (TechCrunch).
- Nun wird bekannt, dass Mark Zuckerberg, bereits im vergangenen Jahr bei Treffen mit Trump und US-Senatorïnnen vor dem Einfluss Chinas gewarnt haben soll.
- Facebook habe gezielt Bedenken geschürt, TikTok als Bedrohung für US-amerikanische Werte bezeichnet und versucht, sich selbst in einer Imagekampagne öffentlich als Konzern darzustellen, der viel für die USA leiste.
- Im Kern sind diese Berichte aber nicht neu: Zuckerberg vertritt diese Position öffentlich, etwa in einer Rede, die er im vergangenen Oktober vor Studierenden gehalten hatte und auf seinem Facebook-Account veröffentlichte. Das Transkript stellte Facebook auch in seinem Newsroom zu Verfügung.
- Damals ging es eher darum, harte Regulierung zu verhindern – sinngemäß: Wenn ihr uns zerschlagt, übernehmen die Chinesïnnen.
- Ein Facebook-Sprecher betont (Twitter / Andy Stone), dass Zuckerberg sich niemals für ein Verbot von TikTok eingesetzt habe.
- Das ist glaubwürdig: In den vergangenen Wochen wurden mehrere (The Verge) Aussagen (BuzzFeed) von Zuckerberg öffentlich, der auf internen Meetings vor einem "gefährlichen Präzedenzfall" gewarnt hatte, den ein TikTok-Verbot schüfe.
Be smart
Es gibt gute Argumente (ACLU), ein Verbot abzulehnen. Es gibt aber auch Gründe, es für überfällig zu halten. Tim Wu argumentiert (NYT), dass Trump zwar aus den falschen Motiven handle, sein Ziel aber richtig sei:
"In China, the foreign equivalents of TikTok and WeChat — video and messaging apps such as YouTube and WhatsApp — have been banned for years. The country’s extensive blocking, censorship and surveillance violate just about every principle of internet openness and decency. China keeps a closed and censorial internet economy at home while its products enjoy full access to open markets abroad. The asymmetry is unfair and ought no longer be tolerated."
TikTok dürfte seinerseits fragen: Und was können wir dafür? Wir sind doch nicht für die Politik der chinesischen Regierung verantwortlich.
Kurzum: Es ist kompliziert. Und nichts drückt das besser aus als diese Grafik, die der frühere Facebook-Sicherheitschef Alex Stamos auf Twitter geteilt hat.
Ein Zwischenfazit: Was bringt die Corona-App?
Was ist
Im Juni berichteten wir in Ausgabe #647 das letzte Mal ausführlich über die Corona-App. Damals war sie gerade gestartet, und die Hoffnungen waren groß. Gut zwei Monate später ist es Zeit für ein erstes Zwischenfazit.
Was die Download-Zahlen sagen
- Bislang wurde die App rund 17,2 Millionen Mal heruntergeladen (RKI): 9,2 Millionen Mal in Googles Play-Store, 8 Millionen Mal in Apples App-Store.
- Anfangs waren die Bewertungen überwiegend positiv, dann sind sie stetig gesunken. Aktuell kommt die App im Play-Store auf rund 3,4 Sterne (GoogleWatchBlog).
- "Damit die Corona-Warn-App wirklich etwas bringt, sollte sich die Zahl der Downloads verdoppeln", sagt Ökonom Gert Wagner (Welt), Mitglied des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen.
Wie viele Menschen gewarnt wurden
- Das RKI selbst gibt nur die Zahl der herausgegeben Teletans an. Damit können Menschen ihr positives Testergebnis über eine telefonische Hotline (Netzpolitik) melden, wenn das Testlabor noch keine digitale Verifizierung per QR-Code unterstützt.
- Bislang wurden knapp 1700 Teletans ausgehändigt. Diese Zahl ist aber wenig aussagekräftig, da unklar ist, wie hoch der Anteil der telefonischen Verifizierung im Vergleich zum QR-Code-Verfahren ist.
- Vor knapp zwei Wochen wurden insgesamt 77.000 Testergebnisse digital übermittelt (SZ). Es ist aber nicht bekannt, wie viele davon positiv waren. Unklar ist auch, wie viele davon in die App eingegeben wurden.
- "Wegen des datensparsamen, dezentralen Ansatzes der Corona-Warn-App können in der Tat keine Aussagen dazu getroffen werden, wie viele Menschen eine Benachrichtigung über eine Risikobegegnung erhalten haben", teilt das RKI mit.
- Diese Aussage ist gewagt. Der Entwickler Michael Böhme hat ein Dashboard gebaut (Github), das genau diese Zahlen ausspuckt – zwar nur geschätzt, aber wohl ziemlich genau.
- Demnach haben bislang knapp 2000 Menschen ihren positiven Diagnoseschlüssel geteilt und damit Warnungen über die App ausgelöst. Die Zahl steigt seit einigen Wochen deutlich an, allein in der vergangenen KW 34 waren es mehr als 500.
- Das kann unterschiedliche Gründe haben: Entweder nutzen mehr Menschen die App – oder es gibt einfach nur mehr positive Tests, während die Zahl der Nutzerïnnen höchstens leicht ansteigt.
Was Studien sagen
- Ende Juni veröffentlichten irische Forscherïnnen eine Studie (PDF), die in Deutschland erst mit einiger Verspätung wahrgenommen wurde.
- Nach einem Heise-Bericht, griffen Nachrichtenagenturen die Untersuchung auf, woraufhin etliche Medien das Thema entdeckten.
- Der Studie zufolge funktioniert die Kontaktverfolgung in Zügen, S-Bahnen, Straßenbahnen und Bussen nur sehr unzuverlässig. Die metallenen Streben und Oberflächen im Inneren des ÖPNV reflektierten die Bluetooth-Signale und brächten die Messungen durcheinander.
- Die irische Studie durchläuft derzeit ein Peer-Review-Verfahren und soll im kommenden Monat in der Fachzeitschrift PLOS ONE veröffentlicht werden.
- Eine neue Meta-Studie des University College London (The Lancet) kommt zum wenig überraschenden Ergebnis, dass Apps kein Allheilmittel, sondern allenfalls eines von vielen Werkzeugen im Kampf gegen die Pandemie sein können.
Was Gesundheitsministerium und Entwickler sagen
- BMG, Telekom und SAP verteidigen die Corona-App.
- Das Gesundheitsministerium zweifelt die Studie an (Netzpolitik) und verweist auf eigene Messungen des Fraunhofer-Instituts. Demnach seien rund 80 Prozent der Begegnungen korrekt erfasst worden
- Allerdings stellte das Fraunhofer-Institut das Bus-und-Bahn-Szenario lediglich im Labor nach. Den Autorïnnen der Studie zufolge sei das nicht vergleichbar.
- Eine RKI-Sprecherin sagt, das Problem der Störungen durch Metall sei bekannt gewesen und ausreichend berücksichtigt worden.
Be smart
Bei der Corona-App ist einiges schief gelaufen. Die Kommunikation von Regierung und RKI ließ lange Zeit zu Wünschen übrig. Der öffentliche Streit um den richtigen Ansatz hat Vertrauen zerstört. Bei ihrer Kostenkalkulation gingen die Entwickler von viel zu hohen Nutzerzahlen aus (Golem), wie aus Verträgen hervorgeht, die FragDenStaat veröffentlicht hat. Eine europaweite Lösung lässt immer noch auf sich warten (Netzpolitik), was angesichts der Ferienzeit mindestens unglückliches Timing ist.
Und dennoch: Es spricht nichts dagegen, die App zu nutzen. Nach allem, was wir wissen, ist sie sicher und so datenschutzfreundlich wie möglich. Bei uns sieht das dann so aus:
Header-Foto von Braden Collum bei Unsplash
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