Google stellt eine neue Cookie-Alternative vor

Was ist

Google arbeitet seit Jahren daran, Drittanbieter-Cookies abzuschaffen. Ein System namens Federated Learning of Cohorts, kurz FLoC, sollte in Chrome die Tracking-Cookies ersetzen, gleichzeitig aber zielgenaue Werbung ermöglichen. Nutzerïnnen wurden zu Kohorten zusammengefasst, damit sollte Anonymität gewährleistet werden. Jetzt hat Google die Pläne gestoppt und stattdessen eine Alternative präsentiert: Topics (Google-Blog).

Warum das wichtig ist

In diesem Jahr wird voraussichtlich mehr als eine halbe Billion Dollar (kein Übersetzungsfehler) für digitale Werbung ausgegeben werden. Ein Großteil davon fließt in personalisierte, verhaltensbasierte Werbung – und die beruht, sofern die Anzeigen im Browser ausgespielt werden, meist auf Cookies.

Safari und Firefox haben Drittanbieter-Cookies längst verbannt, Chrome zieht nur nach. Doch angesichts des Marktanteils ist dieser Schritt entscheidend. Falls die Möglichkeit eingeschränkt wird, Menschen quer durchs Netz zu verfolgen, bedroht das Adtech-Anbieter, Werbenetzwerke und Verlage, auf deren Seiten die Anzeigen zu sehen sind.

Warum FLoC keine Zukunft hat

Im März stellten wir FLoC ausführlich vor (#707), im Juni fragten wir dann: "Zukunft der Cookies: Sind Googles FLoC gefloppt?" Es zeichnet sich schon länger ab, dass Google einen schweren Stand hat. Dafür gibt es mehrere Gründe:

  • Von Anfang an gingen NGOs auf die Barrikaden. Die EFF nannte FLoC eine "schreckliche Idee", etliche Organisationen und Bürgerrechtsaktivistïnnen schlossen sich an.
  • Google konnte keinen andere Browser-Hersteller oder Konkurrenten überzeugen. Amazon sperrt FLoC auf fast allen seinen Webseiten aus, ebenso GitHub, das Microsoft 2018 übernahm.
  • Die meisten großen Browser, die nicht Chrome heißen, blockieren bereits Third-Party-Cookies – und haben keine Absicht, FLoC zu unterstützen. Das gilt für Firefox, Microsoft Edge, Safari, Brave und Vivaldi.
  • Mit WordPress hat Google auch noch das größte Content-Management-System gegen sich. Man will FLoC wie ein Sicherheitsrisiko behandeln und die dafür benötigten HTTP-Header wegfiltern. Das betrifft gut 40 Prozent aller Webseiten.
  • Auch die Werbebranche hatte massive Bedenken. Der Vorwurf: Der größte Profiteur sei Google selbst, das seine Dominanz im Werbemarkt ausbauen wolle. Google besitze genug First-Party-Data und andere, um auf Tracking-Cookies verzichten zu können – während andere Anbieter aufgeschmissen wären.
  • Vor diesem Hintergrund beschwerten sich am Montag acht Verbände der deutschen Verlags- und Werbebranche bei der EU-Kommission über angebliche "Wettbewerbsverzerrung" (ZAW). Eine ähnliche Beschwerde gab es bereits im September (Movement for an Open Web).
  • Seit Juni untersucht die EU-Kommission (Europa.eu), ob sich Google im Bereich der Online-Werbung wettbewerbswidrig verhalten hat. Dabei spielt auch FLoC eine Rolle.

Zusammengefasst: Der Einzige, der FLoC so richtig gut fand, war Google selbst. JR Raphael hat das Akronym folgerichtig angepasst: "Fury-generating Load of Confusion" (Computerworld). Universale Ablehnung ist keine gute Voraussetzung. Die Neuausrichtung war alternativlos.

Was Topics anders macht

Der Name ist nicht nur eingängiger, das System ist auch leichter verständlich. Wer nachlesen möchte, auf welchem Ansatz FLoC beruhte, erfährt das in Briefing #707. Topics funktioniert so:

  • Nach wie vor werden Daten nur lokal im Browser gespeichert und verarbeitet. Chrome erfasst den Surf-Verlauf (allerdings nur Domains und Subdomains, keine einzelnen Webseiten) und generiert daraus ein Interessenprofil. Als Beispiel für mögliche Themen nennt Google "Fitness" oder "Reisen & Verkehrsmittel".
  • Zu Beginn soll die Liste rund 350 mögliche Interessen umfassen, später könnte sie anwachsen. Das sind deutlich weniger als die Zehntausenden Kohorten, die FLoC ermöglichte.
  • Zudem werden die Interessen händisch kuratiert und nicht mehr automatisch zusammengestellt. Damit möchte Google ausschließen, dass sensible Kategorien wie Ethnie, sexuelle Orientierung oder Religion darin auftauchen.
  • Nutzerïnnen können das Interessenprofil einsehen und auf Wunsch einzelne Themen entfernen. Es ist auch möglich, Topics komplett zu deaktivieren (so wie auch jetzt schon Drittanbieter-Cookies vollständig blockiert werden können).
  • Jede Woche stellt Chrome auf Grundlage der besuchten Webseiten ein neues Interessenprofil zusammen. Nach drei Wochen werden die Informationen gelöscht.
  • Bei jedem Besuch einer Webseite übermittelt Chrome drei Interessen, die ein Algorithmus auswählt. Auf dieser Grundlage kann personalisierte Werbung ausgespielt werden.
  • Das System soll die gröbsten Bedenken ausräumen und Browser-Fingerprinting verhindern. Bislang machen aber keine anderen Browser-Hersteller bei Topics mit.

Wie es mit Topics weitergeht

Google möchte möglichst bald mit ersten Topics-Tests beginnen, denn der Zeitplan ist sportlich: Bis Ende 2023 sollen Drittanbieter-Cookies endgültig aus Chrome verbannt werden. Bis dahin muss Google die massiven Bedenken der Branche aus dem Wegräumen, sich mit den Mitgliedern des W3C abstimmen, nach Möglichkeit andere Browser-Hersteller mit ins Boot holen und Kartellbehörden besänftigen.

Peter Snyder, Director of Privacy beim Browser Brave, schreibt etwa:

Google claims this new API addresses FLoC’s serious privacy issues. Unfortunately, it does anything but. The Topics API only touches the smallest, most minor privacy issues in FLoC, while leaving its core intact. At issue is Google’s insistence on sharing information about people’s interests and behaviors with advertisers, trackers, and others on the Web that are hostile to privacy.

Dass ein Konkurrent wie Brave wenig von Googles Vorschlag hält, kommt nicht überraschend. Doch auch Verleger und Werbetreibende äußern sich bislang skeptisch (Digiday):

It appears that Topics will: a) seriously degrade targeting; b) quite possibly frustrate frequency capping and also c) substantially constrain measurement. (…) Google must be clearer about Topics’ controls and value proposition for publishers is the overwhelming initial response to it from that part of the market.

Wenn Topics nicht dasselbe Schicksal wie FLoC drohen soll, muss Google noch einiges an Überzeugungsarbeit leisten.

Be smart

Als wir vor knapp einem Jahr das erste Mal über FLoC schrieben, endeten wir mit dieser Einschätzung:

Wir glauben, dass die Abkehr von Drittanbieter-Cookies richtig ist und helfen kann, allzu aggressives Tracking deutlich einzuschränken. Viele Webseiten liefern Dutzende oder Hunderte Cookies aus und übermitteln Informationen an Werbenetzwerke oder anderen Zwischenhändler. Dieses System ist intransparent, und 90 Prozent der Menschen wissen nichts davon. Vor diesem Hintergrund halten wir Googles Entscheidung für überfällig. Ob FLoC aber die beste Lösung sind, daran gibt es zumindest Zweifel.

Die Zweifel haben sich erhärtet, aber der Rest trifft nach wie vor zu. Online-Werbung beruht auf systematischer Überwachung. Dieses System muss sich ändern. Es ist gut, dass selbst Google die Regeln nicht allein schreiben kann, wie das Scheitern von FLoC zeigt – aber es ist trotzdem sinnvoll, dass Google an einer Alternative für Drittanbieter-Cookies arbeitet.

Meta verkauft den traurigen Überrest seiner Digitalwährung

Was ist

Meta hat seinen Traum von einer eigenen Währung begraben. Was einst als Libra mit gewaltigen Ambitionen startete, wurde nach mehreren Kurswechseln, Namensänderungen und Personalrochaden für 200 Millionen Dollar an Silvergate Capital verkauft (WSJ). Die kalifornische Bank zahlt dabei in erster Linie für die Technologie der Diem Association, jener Organisation, in die Meta seine Krypto-Ambitionen überführt hatte.

Warum das wichtig ist

Als wir 2019 das erste Mal über Libra berichteten (#556), schrieben wir:

Facebook wird die Art und Weise verändern, wie Menschen online (und mittelfristig auch offline) bezahlen. Investorïnnen bezeichnen Libra bereits als eines der wichtigsten Projekte in Facebooks Geschichte.

Ein Jahr später zogen wir eine Zwischenbilanz (#646):

Libra war und ist eines der (über)ambitioniertesten Projekte in Facebooks Firmengeschichte. Das Potenzial ist gewaltig, aber das gilt auch für die Hürden und Probleme, die Facebook überwinden muss. Offenbar hat es Facebooks Blockchain-Chef David Marcus bislang nicht geschafft, Kartellbehörden, Notenbanken und Regierungen von Libra zu überzeugen.

Mit einer eigenen Währung wäre Meta endgültig zum Staat geworden. Seine Plattformen haben mehr Nutzerïnnen als Länder Einwohnerïnnen, die Einnahmen des Konzerns übersteigen das Bruttoinlandsprodukt mancher Volkswirtschaften. Auch die Rechtsprechung liegt größtenteils in Metas Hand, mit dem Oversight Board gibt es sogar eine Art Verfassungsgericht. Wäre Mark Zuckerberg auch noch zum Notenbanker geworden, hätte er auch noch die Regeln des Finanzsystems neu schreiben können.

Warum Libra scheiterte

  • Wir gehen an dieser Stelle nicht ausführlich auf das Konzept und die strukturellen Probleme von Metas Digitalwährung ein. Dafür verweisen wir auf unsere beiden ausführlichen Analysen.
  • In einem Satz lässt sich das Scheitern so zusammenfassen: Die Politik mag zugesehen haben, wie aus dem studentischen Start-up Facebook der mächtige Plattformbetreiber Meta wurde – aber beim Geld hört der Spaß auf.
  • Auf Ablehnung war Facebook eingestellt, doch die schnelle und entschlossene Reaktion der Finanzwelt brachte das ganze Projekt ins Schlingern.
  • Binnen Tagen sah sich Facebook mit erbittertem Widerstand konfrontiert: Zentralbanken warnten, Finanzminister mahnten, und die G-7-Staaten ließen einen Bericht erstellen, der Risiken zeigen sollte. Die EZB begann, einen digitalen Euro zu planen, die Fed signalisierte: nicht mit uns.
  • Bereits nach wenigen Monaten sprangen wichtige Verbündete ab, darunter Mastercard, Visa, Ebay und Paypal. Während die Unterstützung schwand, blieb der Druck der Regulatoren und Notenbanken bestehen, und Libra schrumpfte immer weiter.
  • Aus dem digitalen Geld, gedacht für die ganze Welt und gekoppelt an unterschiedliche Währungen und Staatsanleihen, wurde ein Stablecoin, dessen Kurs fest mit dem US-Dollar verbunden ist.
  • Das Projekt wurde in Diem umbenannt, zog von Genf in die USA um, schließlich verließ auch noch Facebooks Krypto-Chef David Marcus das Unternehmen.
  • Heute ist von Facebooks Versuch, das Währungssystem zu revolutionieren, nur noch der digitale Wallet Novi übrig. Damit können Nutzerïnnen in den USA und Guatemala Geld in Form eines Stablecoins speichern und verschicken.
  • Novi hat sich dabei für den Pax Dollar entschieden. Die eigene Digitalwährung Diem sucht man in Metas Portemonnaie vergeblich. Im Firmenblog wurde Novi das letzte Mal im Mai 2020 erwähnt. Nachfragen zur Zukunft von Novi kommentiert Meta nicht.

Social Media & Politik

  • TikTok klagt gegen das NetzDG: Das Unternehmen will Informationen über Nutzerïnnen nicht proaktiv ans BKA weiterleiten, wenn diese strafbare Inhalte gepostet haben. Deshalb hat TikTok vor dem Verwaltungsgericht Köln Klage eingereicht (Spiegel). Zuvor hatten bereits YouTube und Meta im Eilverfahren gegen die Pflicht zur aktiven Datenweitergabe ans BKA geklagt.
  • Facebook empfiehlt weiter radikale politische Gruppen: Recherchen der SZ und von The Markup zeigen, dass Facebook sein Versprechen nicht halten kann, keine politischen Gruppen mehr zu empfehlen. Teils wurden extreme und verschwörungsideologische Gruppen vorgeschlagen. Eine Meta-Sprecherin erklärt das mit technischen Problemen: "In diesem Fall ist beim Filtern nach der Kennzeichnung der Gruppen ein Problem aufgetreten, sodass einige Gruppen im Empfehlungstool verblieben sind." Solange Forscherïnnen keinen Zugriff haben, kann das niemand unabhängig überprüfen.
  • BGH zur Klarnamenpflicht: Der BGH hat entschieden, dass Facebook Nutzerïnnen zugestehen muss, auch Pseudonyme nutzen zu dürfen. Die Lage ist allerdings etwas verzwickt: Die Entscheidung (Tagesschau) gilt nur für Accounts, die vor Mai 2018 angelegt wurden. Und auch hier müssen Nutzerïnnen gegenüber Facebook ihren richtigen Namen angeben und können nur nach außen ein Pseudonym verwenden. Wirklich privat darf bei Facebook also letztlich niemand sein.

Follow the money

  • Shopping Lenses: Snapchat präsentiert ein neues Feature mit dem Namen Catalog-Powered Shopping Lenses. Die neuen Filter sind dafür gedacht, das Nutzerïnnen direkt in einem Filter mehrere Dinge aus- bzw. anprobieren können. Ein Beispiel: User nutzen einen Sonnenbrille-Filter von Firma X und können direkt mit diesem Filter sämtliche Modelle der Marke via AR ausprobieren.

Neue Features bei den Plattformen

Instagram

Facebook

Substack

  • Eigener Video-Player: Substack zeigt sich weiter flexibel und bietet Nutzerïnnen nun auch die Möglichkeit, Videos direkt bei Substack hochzuladen (Axios). Bislang konnten Videos nur über YouTube-Embeds integriert werden. Bislang profitieren nur einige ausgewählte Publikation von der neuen Option. Stück für Stück soll das Feature aber allen zugänglich gemacht werden.

Social Media Barcamp

Last but not least möchten wir Dich zu einem Barcamp einladen! Am 22.2.2022 veranstalten wir gemeinsam mit den feinen Kollegen von Was Mit Medien ein Barcamp zum Thema Social-Media. Auf dieser Seite erfährst du alle Details zur Veranstaltung. Als Abonnentïn des Social Media Watchblogs kannst du dich mit diesem Anmeldelink vergünstigt anmelden: für zehn statt zwanzig Euro. Wichtig: Beim Anmeldelink wird der Gutschein direkt mitgeführt. Wenn du also ein Ticket in deinen Warenkorb legst, wird der Gutschein dann auf der folgenden Seite – noch vor dem eigentlichen Bezahlvorgang – geltend gemacht. Bei Rückfragen gern melden! Wir freuen uns auf ein tolles Event mit tollen Kollegïnnen!


Header-Foto von Kevin Lien