#TikTokMadeMeBuyIt und "site:reddit" statt einfach googeln: Wie sich Suchen verändert

Was ist

In den vergangenen Tagen ging ein Blogeintrag viral, der eine steile These aufstellte: "Google Search Is Dying" (dkb). Bei Hacker News diskutieren Hunderte Menschen darüber, auf Reddit gab es Zehntausende Upvotes und Tausende Kommentare, Twitter ist ebenfalls voll mit Links und Reaktionen.

Um es vorwegzunehmen: Die Behauptung ist falsch. Google stirbt nicht, weder heute noch morgen, und auch nicht in zwei Jahren. Der Text ist aber differenzierter als die zugespitzte Überschrift und enthält einige spannende Beobachtungen. Wir nehmen das zum Anlass, uns Gedanken über die Zukunft des Suchens im Netz zu machen. Und am Ende gibt es noch drei Search-Hacks.

Warum Google manchmal nervt

  • Wer Google ohne Adblocker nutzt, kennt das Problem: Bei bestimmten Suchbegriffen sieht man gar keine Ergebnisse mehr, weil alles voller Anzeigen ist.
  • Teils muss man anderthalb bis zwei Smartphone-Displays scrollen, bis das erste organische Resultat angezeigt wird. Auch auf dem Desktop ist manchmal der gesamte Bildschirm voll mit Werbung: Search-Ads, Shopping-Ads, Ads in der Seitenleiste neben der Suche. Zwei aktuelle Beispiele: "urlaub portugal" oder "gravel bike kaufen"
  • Ein weiterer Nervfaktor ist SEO-Spam (Michael Tsai). Dabei gilt die Formel: "beliebtes Produkt + test" = Mist. Fast immer sind die Ergebnisse voller nutzloser Aggregatoren und Ratgeber (etwa vergleich.focus oder testsieger.de), die mit Affiliate-Links Geld verdienen. Hinzu kommen Seiten wie kuechenmaschinetests.com oder staubsaugertest.org, die alles machen, nur nicht unabhängig zu testen.
  • Als Faustformel gilt: Je mehr Geld sich mit einem Suchbegriff verdienen lässt, desto unbrauchbarer sind die Ergebnisse. Entweder ist alles mit Anzeigen zugekleistert, oder SEO-Klitschen haben die organische Suche versaut. Oder beides.
  • Der Blogger dkb, dessen echten Namen wir nicht kennen, drückt es in seinem Rant so aus:

If you’ve tried to search for a recipe or product review recently, I don’t need to tell you that Google search results have gone to shit. You would have already noticed that the first few non-ad results are SEO optimized sites filled with affiliate links and ads.

Wie Menschen stattdessen googeln

  • Wenn wir seriöse Testberichte suchen, gibt es mehrere Möglichkeiten: Portale wie die Stiftung Warentest oder Wirecutter, spezialisierte Seiten wie Notebookcheck für Laptops oder Granfondo für Fahrräder sowie diverse YouTube-Kanäle, etwa Marquees Brownlee und MobileTechReview.
  • Die Alternative: Wir googeln "Produkt review site:reddit.com" oder einfach "Produkt reddit". Das scheint sich bei vielen Menschen etabliert zu haben. Für viele Tech-Produkte lautet der erste Autocomplete-Vorschlag "reddit".
  • Nirgendwo sonst findet man so zuverlässig ehrliche Meinungen von echten Menschen. Teils diskutieren sie über Testberichte, die auf anderen Seiten veröffentlicht wurden, und fügen wertvollen Kontext hinzu. Teils schreiben einzelne Redditors ausführliche Reviews, die bei der Kaufentscheidung helfen.
  • Reddit steht hier pars pro toto. Je nachdem, was man sucht, wird es durch Stack Overflow, ein bestimmtes Forum oder andere Communities ersetzt, denen man mehr vertraut als Googles Versprechen, relevante Ergebnisse zu finden.
  • Festzuhalten bleibt aber auch: Keines dieser Portale hat es geschafft, eine interne Suche zu bauen, die Google und den "site:xy"-Operator ersetzt (die meisten Medien übrigens auch nicht). Es ist fast immer zielführender, über den Umweg Google zu suchen als direkt auf einer Seite.

Warum Google die Websuche dominiert

  • Es gibt Bing, es gibt DuckDuckGo, es gibt Startpage. Keine dieser alternativen Suchmaschinen hat sich richtig etabliert. Nur in manchen Ländern wie Russland (Yandex) gibt es ernsthafte Alternativen, aus China hat sich Google zurückgezogen und Baidu den Markt überlassen.
  • Für die meisten Menschen liefert Google brauchbare Suchergebnisse. Kein Index ist größer, kein Algorithmus komplexer, kein Machine-Learning-System smarter.
  • Der SEO-Spam und die Anzeigenflut versauen vor allem kommerziell motivierte Suchen. Zum Glück gibt es noch jede Menge andere Dinge, für die Menschen sich interessieren – und da funktioniert Google einfach gut.
  • Google dominiert seit Jahrzehnten und vergrößert seinen Vorsprung mit jedem Tag. Ähnlich wie bei sozialen Medien gibt es eine Art Netzwerkeffekt: Niemand sammelt so viele Daten, gewinnt so viele Erkenntnisse über Suchanfragen und kann die Ergebnisse weiter optimieren – woraufhin es noch weniger Argumente gibt, bei der Konkurrenz zu suchen oder dort Werbung zu schalten.
  • Bei Google arbeiten Tausende talentierte Entwicklerïnnen. Sie feilen nicht nur fortlaufend am Ranking der Suchergebnisse, sondern bauen faszinierende neue Systeme. Das Multitask Unified Model, kurz MUM (Google-Blog), soll künftig komplexe Suchanfragen verstehen, Informationen aus Fotos, Videos oder Podcasts extrahieren und Sprachbarrieren überwinden.
  • Zudem setzt Google darauf, dass immer mehr Menschen per Sprache suchen. Amazon und Google teilen sich den Markt für Sprachassistenten auf. Siri sammelt weniger Daten, funktioniert aber auch schlechter.
  • Wir haben uns noch nicht daran gewöhnt, mit unseren Geräten zu reden. Mal nach der Regenwahrscheinlichkeit fragen? Okay. Doch komplexe Suchanfragen tippen wir lieber und sind damit schneller. Womöglich gehören wir damit bald zu einer Minderheit. Falls es so kommt, ist Google auch darauf gut vorbereitet.

Wie sich Google verändert hat

  • Als Google 2004 an die Börse ging, sagte Gründer Larry Page (Kottke): "Wir wollen, dass Sie zu Google kommen und schnell finden, was Sie wollen. Dann schicken wir Sie gern weiter zu anderen Seiten."
  • Heute hat Google nichts mehr mit dem Unternehmen zu tun, das Page beschrieb. Statt Menschen weiterzuleiten, blendet Google viele Informationen selbst ein. Das kann praktisch sein: Wenn die Suche auch Fragen beantwortet, die Wettervorhersage anzeigt, Rechenaufgaben löst, Flugpreise vergleicht oder Podcasts abspielt, spart das Zeit.
  • Dahinter steckt der sogenannte Knowledge Graph, den Google seit 2012 pflegt. In diese Sammlung fließen Informationen von Milliarden Seiten ein, die Google systematisch durchsucht, indexiert und aufbereitet.
  • Es stecken aber auch finanzielle Motive dahinter, denn Behalten ist lukrativer als Weiterleiten: Wenn Nutzerïnnen mehr Zeit mit Google, YouTube, Maps oder Gmail verbringen, kann das Unternehmen ihnen entweder mehr Werbung zeigen oder mehr Daten sammeln, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren.
  • Die Folge: Mehr als Hälfte der Google-Suchen führt zu keinem weiteren Klick (mehr dazu in Briefing #713). Für Seiten, die auf SEO-Traffic angewiesen sind, ist das eine beängstigende Perspektive.

Was Google gefährlich werden kann

  • Im Dezember veröffentlichte TikTok einen Blogeintrag, dessen Überschrift uns eher abschreckte: "Das Jahr auf TikTok: Wir feiern Marken, die die Community unterhalten und inspiriert haben". Joa, nicht direkt unser Thema.
  • Was danach kommt, ist aber spannend. Der Hashtag #TikTokMadeMeBuyIt wurde bis zu diesem Zeitpunkt mehr als sechs Milliarden Mal aufgerufen – mit entsprechenden Folgen:

#TikTokMadeMeBuyIt ist immer wieder dafür verantwortlich, dass Regale im Handel leergeräumt und Produkte ausverkauft werden. Der Einfluss zeigt sich im Einzelhandel, in Buchläden, Cafés, in der TV-Werbung. Die von der Community geliebten und von der TikTok Präsenz der Marken unterstützten Produkte haben in diesem Jahr die gesamte Community zum kreativen Austausch und natürlich zum Shoppen animiert.

  • Wir ignorieren den Marketing-Slang und halten fest: Was für uns eher site:reddit ist, ist für die Gen Z TikTok (World Finance) – eine Möglichkeit, Kaufentscheidungen zu treffen.
  • Das Gleiche gilt für Instagram und andere Plattformen. Es ist nur konsequent, dass von ByteDance über Meta bis YouTube alle Konzerne im Monatsrhythmus E-Commerce-Start-ups aufkaufen und weitere Shopping-Funktionen in ihre Apps integrieren.
  • Die Metriken sind fake, die News sind fake, die Lippen der Influencerinnen sind fake, aber der Kaufrausch ist echt. Schöne neue Social-Shopping-Welt.
  • Für uns Beinahe-Boomer ist das befremdlich, für Google ist es gefährlich. Wenn junge Menschen Produkte auf TikTok, Snapchat und Insta entdecken und direkt dort kaufen, entgehen Google umsatzstarke Anzeigen in der Suche. Immerhin spielt man mit YouTube auch selbst im Shopping-Game mit.
  • Die noch akutere Bedrohung stellt eine Plattform dar, die viele Menschen bloß als Online-Shop kennen: Amazon verdient nicht nur mit seinem Marktplatz und dem Cloud-Geschäft, sondern hat das Werbe-Duopol aus Google und Facebook gesprengt (The Information).
  • Im vergangenen Jahr nahm Amazon mehr als 30 Milliarden Dollar mit Anzeigen ein. Wenn Menschen shoppen wollen, suchen viele erst gar nicht mehr mit Google, sondern direkt auf Amazon. Deshalb sind die Werbeplätze dort so begehrt.
  • Ausgerechnet bei den lukrativen E-Commerce-Suchen kämpft Google also an zwei Fronten: Die Gen Z shoppt per Social-Media-App, ältere Menschen erreicht man mit Amazon-Anzeigen.

Be smart

Den Reddit-Hack haben wir schon erwähnt. Hier sind weitere Tipps und Tools, die uns helfen, zielgerichtet zu suchen:

  • Custom Search Engines: In Chrome und Firefox lassen sich individuelle Suchmaschinen erstellen. Damit kannst du über einen Shortcut in der Adresszeile jede Seite durchsuchen oder bestimmte Google-Parameter vordefinieren und abspeichern. Ein Beispiel: Wenn du "smwb tiktok" in die Adresszeile eingibst, könnte Google das Watchblog-Archiv nach Artikeln zu TikTok durchsuchen. Wie das genau geht, haben wir hier beschrieben.
  • Programmable Search Engine: Wenn du nicht nur eine, sondern mehrere Seiten auf einmal durchsuchen willst, kannst du dir einen Mini-Google-Index erstellen. Mit dem Google-Tool haben wir uns etwa eine Suchmaschine erstellt, die nur Ergebnisse von FAZ, Spiegel, SZ, Tagesschau, Welt, ZDF und Zeit Online anzeigt. Eine Anleitung gibt es im Recherche-Newsletter von Sebastian Meineck (Mailchimp).
  • uBlacklist: Keine Lust mehr auf SEO-Spam der Marke testbericht.de, strawpoll.de oder vergleich.org? Genervt von Preisvergleichsportalen und Bullshit-Seiten, die sich in die Ergebnisse fast jeder Suchmaschine drängeln? uBlacklist (Github) ermöglicht es, beliebige Seiten und Domains zu filtern, damit mehr Platz für nützliche Resultate bleibt. Das Tool funktioniert mit Google, Bing, DuckDuckGo, Ecosia, Qwant und Startpage. Es gibt Add-ons für Chrome und Firefox. Wer Safari nutzt, kann uBlacklist nicht nur am Desktop, sondern auch mobil verwenden.

Social Media & Politik

  • Truth Social startet Beta: Bislang haben wir uns aus der Berichterstattung um das Social-Media-Angebot von Donald Trump rausgehalten. Da die App nun aber tatsächlich offiziell in ein Beta-Stadium mit ein paar Hundert Test-Nutzern (Reuters) überführt wird, werden wir uns in den kommenden Wochen damit wohl doch etwas ausführlicher auseinandersetzen müssen.
  • Immer mehr Behörden nutzen Mastodon: Wo wir gerade bei alternativen Social-Media-Angeboten sind: Kollege Markus Reuter berichtet bei netzpolitik, dass immer mehr Behörden Mastodon für die Kommunikation nutzen. Das ist insofern interessant, als dass sich Mastodon zwar unter Datenschutz-Nerds, Hackern und Gamern durchaus größerer Beliebtheit erfreut. Die Plattform an sich aber noch lange nicht im Mainstream angekommen ist. Dass jetzt ausgerechnet Behörden ein Treiber sein könnten, hatten wir nicht erwartet.
  • Mark Zuckerberg möchte endlich raus aus der Schusslinie: Seit gut einem halben Jahr wissen wir, dass Mark Zuckerberg wirklich keinen Bock mehr hat, immer seinen Kopf für alles hinzuhalten, was bei Meta schief läuft. Er möchte lieber als cooler Macher gesehen werden (New York Times) – und nicht als unnahbarer, wenig empathischer Computer-Milliardär. Um diesen Plan zu realisieren, wird Facebooks Außenminister Nick Clegg auf einen neuen Posten gehoben. Der ehemalige, stellvertretende Premierminister des Vereinigten Königreichs arbeitet bereits seit 2018 bei Facebook, um dem Unternehmen in Sachen Kommunikation auf die Sprünge zu helfen. Künftig kümmert sich Clegg um alles, was mit Politik bei Meta zu tun hat (Spiegel). Mark Zuckerberg kann sich dann endlich wieder mehr um Produkte kümmern…

Kampf gegen Hass und Desinformation

  • YouTube möchte mehr tun: Anstatt eine Palette an neuen Features im Kampf gegen Desinformation vorzustellen, hat das Unternehmen in einem Blogpost verschiedene Ideen skizziert, was sie tun könnten. Normalerweise sind Unternehmen dieser Größenordnung nicht gerade berühmt dafür, zunächst öffentlich in den Dialog zu treten, bevor sie neue Dinge implementieren. Wir hatten noch keine Chance, uns näher mit den Vorschlägen auseinanderzusetzen. Gern schauen wir uns das aber in den kommenden Wochen genauer an.
  • Twitter: Kennzeichnung für Bots: Twitter führt nun offiziell die Option ein, Bots zu kennzeichnen (Heise). Die Idee dahinter: Gute Bots sollen sich schneller von anderen unterscheiden lassen.

Follow the money

  • Spotifys Deal mit Joe Rogan soll dem umstrittenen Podcast-Host nicht nur die bereits im Vorfeld kolportierte Summe von 100 Millionen Dollar sondern satte 200 Millionen eingebracht haben. Das jedenfalls berichtet die New York Times in einem spannenden Artikel über Spotifys Podcast-Ambitionen.

Neue Features bei den Plattformen

YouTube

Twitter

Snapchat

  • Zusammenarbeit mit Ticketmaster: Snapchats Karten-Feature Snap Map ist ja durchaus ein Alleinstellungsmerkmal der App. Um die Stellung weiter zu halten, wird das Feature jetzt mit einer neuen Funktion versehen. Snap-Nutzerïnnen können künftig über die Kartenfunktion Veranstaltungen in ihrer Nähe entdecken und direkt Tickets buchen (Techcrunch).
  • Nutzernamen ändern: Userïnnen können jetzt bei Snapchat ihre Nutzernamen ändern (Techcrunch).

Substack

  • Größere Bilder, Podcasts auf Twitter, E-Mail-Previews: Substack ist zwar nicht unsere Newsletter-Plattform der Wahl, sehr wohl liefert das Unternehmen aber kontinuierlich nützliche, neue Features. Ganz frisch hat Substack drei neue Tools angekündigt: die Möglichkeit, größere Bilder in Posts einzufügen, Podcasts direkt auf Twitter abspielen zu können, sowie die Option, ein Preview des zu verschickenden Newsletters zu nutzen. Alles kein Hexenwerk und von anderen Plattform bereits erprobt. Trotzdem schön zu sehen, wie sich Substack entwickelt.

Header-Foto von Julia Joppien