Was ist: Die Tagesschau startet heute ihren TikTok-Account: tiktok.com/@tagesschau. In unserem Artikel wollen wir erklären, warum TikTok schwieriges Terrain für Medienunternehmen ist. Und was die Tagesschau mit ihrem Account bei TikTok vorhat.

Warum ist das überhaupt ein Thema?

  • Bislang gibt es nur sehr wenige Medienangebote, die auf TikTok aktiv sind – in Deutschland etwa 1Live oder das experimentelle Jugendmagazin der Axel Springer Akadamie Hawaiitoast.
  • Auch in den USA gibt es bislang nur wenige Medienunternehmen, die auf TikTok aktiv sind – etwa BuzzFeed oder die Washington Post.
  • All diesen Angeboten ist gemein, dass sie auf der Plattform bislang nicht Journalismus im klassischen Sinne praktizieren – vielmehr handelt es sich um TikTok-typische Inhalte und Infotainment-Angebote.

Warum ist TikTok als Social-Media-Angebot so interessant?

  • Damit ist TikTok derzeit die am drittmeisten heruntergeladene Non-Gaming-App – hinter WhatsApp mit 707,4 Millionen Installierungen und Messenger mit 635,2 Millionen Installierungen.
  • Zwar hält TikTok mit Zahlen zur täglichen / monatlichen Nutzung hinterm Berg, aber sehr wohl lässt sich beobachten, dass die App insbesondere in der jüngeren Zielgruppe sehr populär ist.

Was ist problematisch an TikTok?

  • TikTok gehört zum chinesischen Startup ByteDance. Zwar beteuert das Unternehmen in offiziellen Statements (siehe New York Times) und persönlichen Gesprächen immer wieder, dass sie maximal autark von der chinesischen Mutterfirma agieren würden und keinerlei Nutzerdaten aus dem Westen in China gespeichert würden, aber das ist aus vielerlei Gründen nur die eine Seite der Medaille.
  • Zweitens hat TikTok eine chinesische Schwester-App, Douyin, die bereits viele Funktionen aufweist, die bei TikTok Stück für Stück implementiert werden. So gibt es zumindest in der Entwicklung der Apps eine Form der Zusammenarbeit. (siehe Briefing #587)
  • Auch geht aus geleakten Unterlagen hervor, dass TikTok bestimmte Inhalte und Themen in vielen westlichen Ländern zu Beginn nicht erlaubte, daher direkt gelöscht wurden und/oder ihre Sichtbarkeit eingeschränkt wurde. Zitat aus dem Guardian:

„A ban on criticism of China’s socialist system, for instance, comes under a general ban of “criticism/attack towards policies, social rules of any country, such as constitutional monarchy, monarchy, parliamentary system, separation of powers, socialism system, etc”. Another ban covers “demonisation or distortion of local or other countries’ history such as May 1998 riots of Indonesia, Cambodian genocide, Tiananmen Square incidents”.

  • Zudem hat sich TikToks Mutter ByteDance in Person von CEO Zhang Yiming dazu verpflichtet, den "four onsciousnesses” von Chinas Staatschef Xi Jinping gerecht zu werden: dazu gehört die "correct guidance of public opinion" – also die korrekte Führung der öffentlichen Meinung. (Siehe China Media Project)
  • Zudem wolle man sich bei ByteDance in China um eine "Vertiefung der Zusammenarbeit mit den maßgeblichen Medien der offiziellen Partei" bemühen. (Siehe China Media Project)

Warum die Tagesschau einen TikTok-Account startet:

Wir haben Marcus Bornheim, Erster Chefredakteur ARD-aktuell, sechs Fragen per Email geschickt, die er dankenswerterweise beantwortet hat. Hier sind die Fragen und die Antworten:

1) Was sind die Gründe dafür, mit der Tagesschau einen Account auf TikTok zu betreiben?

„TikTok ist eine stark wachsende Plattform, gerade für jüngere Nutzerinnen und Nutzer. Die Tagesschau hat den Auftrag, die gesamte Gesellschaft zu erreichen. Mit klassisch linearem Fernsehen gelingt dies nur zum Teil.“

2) Welche Inhalte wird die Tagesschau auf ihrem TikTok-Account teilen?

„TikTok hat natürlich einen Schwerpunkt beim Thema Unterhaltung. Wir wollen dort aber auch Journalismus machen. So werden z.B. auch erklärende Beiträge dazu gehören.“

3) Wie viele Personen sind in die Produktion der Inhalte, respektive die Betreuung des Accounts eingebunden?

„Das Social-Media-Team betreut den TikTok-Account.“ (Dazu Kollege Patrick Weinhold: „Die Tagesschau besetzt 12 redaktionelle Social-Schichten am Tag, hinzu kommen technische Gewerke wie Social-CutterInnen und -GrafikerInnen, sowie die KollegInnen aus der Innovationsabteilung. Die 12 KollegInnen produzieren natürlich nicht ausschließlich für TikTok. Sie produzieren Inhalte für YouTube, Instagram, Twitter, Facebook und Telegram und bearbeiten mehr als 20.000 Kommentare täglich.“)

4) TikTok hat erklärt, dass politische Inhalte auf der Plattform nur bedingt eine Rolle spielen sollen – so sind etwa politische Anzeigen verboten: Warum wird die Tagesschau trotzdem TikTok nutzen?

„Wir wollen journalistische Inhalte auf die Plattform bringen und beobachten, ob sie funktionieren. Neben TikTok-typischen Videos, werden wir auch verstärkt erklärende und journalistische Inhalte ausprobieren. Schon jetzt gibt es auch durchaus politische und gesellschaftlich relevante Themen, die bei TikTok viral gehen – etwa zum Klimaschutz oder der Europapolitik.“

5) Bei TikTok hatten laut Guardian bis zum Frühjahr 2019 noch ByteDance-Angestellte aus China das letzte Wort bei Moderations-Entscheidungen. Wie geht die Tagesschau damit um?

6) TikToks Mutterkonzern ByteDance hat sich in Person von CEO Yiming 2018 dazu verpflichtet, den "four onsciousnesses” von Chinas Staatschef Xi Jinping gerecht zu werden: dazu gehört die "correct guidance of public opinion", also die korrekte Führung der öffentlichen Meinung. Zudem wolle man sich bei ByteDance in China um eine "Vertiefung der Zusammenarbeit mit den maßgeblichen Medien der offiziellen Partei" bemühen. Warum wird die Tagesschau die Plattform trotzdem nutzen?

„Wir werden das genau beobachten. Sollten wir feststellen, dass es hier Beeinträchtigungen unserer journalistischen Freiheit gibt, werden wir reagieren.“

Be smart

Bei der Tagesschau wird imho seit Jahren extrem gute Arbeit geleistet, allen voran was das Thema Social Media angeht. Die jüngsten Zahlen untermauern den Erfolg von Patrick Weinhold und Team. (Siehe Horizont). Ich sehe sehr wohl, dass sich die Tagesschau mit dem Einstieg bei TikTok auf schwieriges Terrain begibt. Gleichwohl sehe ich die Notwendigkeit für Medienhäuser, dort präsent zu sein, wo die NutzerInnen sind. Wenn die Tagesschau es schafft, fundierten Journalismus auf TikTok zu platzieren, dann wäre das definitiv ein Gewinn.

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