Journalismus bei TikTok – geht das? In unseren Social-Media-Briefings #524 und #531 hatten wir ja bereits ausführlich über TikTok berichtet. Unter anderem stand dabei die Frage im Raum, wann und wie deutsche Medienhäuser auf den TikTok-Hype reagieren und erste journalistische Experimente wagen. Zu den ersten professionellen Medienanbietern, die TikTok ausprobieren, gehört 1Live. Der kreative Kopf dahinter ist Robert Rack. Freundlicherweise lässt er uns an den ersten Eindrücken teilhaben. Ein Werkstattgespräch:

Robert, was war für euch der Anstoß, bei TikTok mitzumischen?

Wir beobachten die Plattform bereits seit einigen Monaten. Angestoßen wurde unsere Neugierde dabei insbesondere durch diesen Artikel von Akash Senapaty, der sich mit den Besonderheiten der neuen Plattform analytisch auseinandersetzt, und natürlich durch die Zahlen zu TikTok, die dir auch bekannt sind. Anfang 2019 haben wir dann eine Potentialanalyse durchgeführt, in der wir uns insbesondere auf User-Generated-Content konzentriert haben: Was produzieren, kommentieren und liken deutsche TikTok-User*innen? Wir wollten herausfinden, ob und welcher 1LIVE-Content TikTok geeignet ist. Dabei haben sich spannende Potentialfelder ergeben, die wir seit einigen Wochen im Rahmen einer Pilotphase erproben. Unser primäres Ziel ist es dabei, Erfahrungen mit TikTok und den Pattform-spezifischen Dynamiken zu sammeln, um anschließend Erfolgsmerkmale definieren. Dafür haben wir einen Fragenkatalog mit qualitativen Fragen erarbeitet.

Als öffentlich-rechtliche Medienmarke für junge Menschen in Nordrhein-Westfalen, ist 1LIVE jeden Tag mit dem veränderten Mediennutzungsverhalten seiner Zielgruppe konfrontiert. Statt nur der erfolgreichste Radiosender für junge Deutsche zu sein, ist es deshalb auch unser Auftrag (zukünftige) Beitragszahler*innen im Digitalen zu erreichen, und dort, aus unserer Perspektive, relevante Inhalte und Themenwelten zu schaffen. Möglicherweise ist TikTok ein weiterer Schritt, um neue und alte 1LIVE-User*innen zu erreichen und mit ihnen auf Augenhöhe zu kommunizieren; So wie wir es schon erfolgreich bei Facebook, Instagram, YouTube und Twitter tun.

Gibt es andere redaktionelle / journalistische Accounts, die euch als Vorbild dienen?

Natürlich beobachten wir die Angebote anderer professioneller Publisher. Ein konkretes Vorbild gibt es dabei allerdings nicht. Wir haben das Gefühl, dass bei TikTok viele Sender und Marken in der Findungsphase sind, genau wie wir. Radio ESKA bietet sehr authentische Einblicke in Backstage-Anmutung, BBC Radio 1 beschränkt sich auf einige wenige Studio-Interviews und Filtr Germany produziert Originäres, usw. – da lassen wir uns natürlich gerne inspirieren.

Wie hoch ist der Aufwand für euch?

Der Aufwand, den wir für die TikTok-Pilotphase betreiben, ist moderat. Die redaktionelle Betreuung ist an einen Digitalredakteur angedockt und das alltägliche Social-Media-Management des Kanals geschieht durch freie Mitarbeiter*innen im Tagesdienst. Da wir bisher fast ausschließlich auf Zweit- / Drittverwertung setzen, hält sich der produktionelle Aufwand in Grenzen und die meisten Inhalte werden langfristig vorgeplant. Allerdings optimieren wir Plattform-spezifisch und experimentieren auch mit originären Inhalten. Hier liegt in unseren Augen ein großes Potential, da TikTok’s Funktionen und Dynamiken eine neue Form von Social Media ermöglichen – das finden wir verdammt spannend!

Gibt es ähnliche Möglichkeiten wie bei Facebook oder Instagram, um den eigenen Erfolg auf der Plattform zu überprüfen?

Ja. Es gibt einen Insights-Tab, den uns TikTok Deutschland freigeschaltet hat. Dieser befindet sich aktuell in einer Beta-Phase. Hier werden die täglichen Views (auch rückwirkend), die erreichten User*innen und ihr Standort aufgeschlüsselt (nach Nationen). Außerdem gibt es Insights zum Follower-Wachstum (täglich, auch rückwirkend), Follower-Geschlecht und Follower-Standorten (Nationen). Rückwirkend für die letzten zehn Videos werden Zahlen zur durchschnittlichen Wiedergabezeit und zur Entwicklung der Aufrufe, Likes, Kommentare und Shares angezeigt.

Seid ihr in Kontakt mit TikTok Deutschland?

Ja. Wir befinden uns im netten und offenen Austausch auf Augenhöhe und haben eine feste Ansprechpartnerin. Sie sitzt in London und unterstützt uns bei Fragen und Ideen. Dieser direkte Austausch war ein wichtiger Faktor dafür, dass wir die Pilotphase tatsächlich angestrebt haben.

Wie reagieren die Künstler, wenn ihr ihnen sagt, wir müssten noch was für TikTok produzieren?

Da wir unsere Produktionen mit den Künstler*innen und ihren Managements vor ihrem Besuch abstimmen, kommt es hier zu keinen bösen Überraschungen. Die meisten stehen unseren Ideen dabei sehr offen gegenüber.

Last but not least: Ab wann würdet ihr sagen, dass es sich lohnt, mit TikTok weiterzumachen?

Wenn wir den Zahlen von TikTok trauen, haben wir in den ersten 2,5 Wochen der Pilotphase circa 7,3 Millionen Views mit unseren Inhalten erzielt und dabei hunderttausende User*innen erreicht. Inzwischen haben wir rund 90K Fans, 1Mio Likes und es wurden zehntausende User-Videos mit 1LIVE Comedy-Sounds erstellt. Das sind natürlich Zahlen, die erstmal für sich sprechen und interessant sind. Das Ziel unserer Pilotphase war von Anfang an lediglich die Beantwortung einiger qualitativer Fragen. Allem voran: Wo liegt der Mehrwert / USP für 1LIVE in der Nutzung von TikTok?

Grundsätzlich können wir aber sagen, dass es sich für uns lohnt weiterzumachen, wenn wir hier junge User*innen mit 1LIVE-Inhalten erreichen, die mit uns interagieren und unseren Content als Mehrwert empfinden. Bisher ist das Feedback, das wir von der Community bekommen, sehr positiv. Unser erstes Gefühl: 1LIVE ist hier als Medienmarke willkommen und unsere Inhalte aus den Bereichen Comedy, Stars und Infotainment erfreuen sich großer Beliebtheit. Für eine finale Bewertung ist es allerdings zu früh und wir haben noch viele Ideen, die es in nächster Zeit zu erproben gilt.

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Dieses Interview ist Teil unseres Social-Media-Briefings #533. Das Briefing ist ein wöchentliches Email-Update mit den wichtigsten News und Debatten rund um Social Media. Hier kann man das Briefing abonnieren: steadyhq.com/de/socialmediawatchblog

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Relevante Briefings

In Ausgabe 524 blicken wir ausführlich auf den Hype um TikTok. Außerdem geben wir Lese-Empfehlungen fürs Wochenende und berichten über die neuesten Features bei den Plattformen. Da wir davon ausgehen, dass unser Erklärstück zu TikTok viele interessieren dürfte, ist das Briefing heute ausnahmsweise für alle frei.

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In Ausgabe 531 blicken wir darauf, wie sich Social-Media-Plattformen derzeit verändern. Ferner schauen wir abermals auf den schwierigen Kampf gegen Desinformationen und die Tech Trends 2019.