Twitter-Newsflash: Was wichtig war, ist und wird
Nur wenige Menschen möchten zweimal pro Woche 15.000 Zeichen über Elon Musk lesen. Vor allem wollen wir vermeiden, uns ständig zu wiederholen. Aufgrund akuter Musk-Übersättigung bilden wir die wichtigsten Entwicklungen in einer kompakten Übersicht ab.
Angriff auf Apple angeblich ein "Missverständnis"
- Am Montag schrieb Musk: "Apple has also threatened to withhold Twitter from its App Store, but won’t tell us why". Es folgten Hunderte Artikel, der Tenor war meist: Apple hat zu viel Macht in seinem Ökosystem, es braucht externe Kontrolle und Regulierung.
- Wir teilen diese Ansicht (warum, erklären wir in Ausgabe #843), aber offenbar war Musks Tweet der falsche Anlass, um den Fokus auf Apple zu richten.
- Tim Cook hat Musk in Apples Firmenzentrale eingeladen, um ihn zu beschwichtigen. Mit Erfolg, am Mittwochabend gab sich Musk plötzlich versöhnlich: "Good conversation. Among other things, we resolved the misunderstanding about Twitter potentially being removed from the App Store. Tim was clear that Apple never considered doing so."
- Wir wissen nicht, was genau vorgefallen ist, haben aber eine Vermutung: Apple schickt App-Entwicklern standardisierte E-Mails, wenn Inhalte online bleiben, die gegen Apples Richtlinien verstoßen. Auch Twitter hat in der Vergangenheit solche Nachrichten erhalten.
- Vermutlich hat Musk eine solche E-Mail zum Anlass genommen, öffentlich zu behaupten, Apple habe gedroht, Twitter aus dem App-Store zu werfen.
- An ein "Missverständnis", wie Musk es nennt, glauben wir nicht. Er hat einfach nur auf eine Gelegenheit gewartet, um Apple zu attackieren.
- Sobald Twitter Blue wieder startet (nach etlichen Pannen, Peinlichkeiten und Verschiebungen gibt es immer noch keinen fixen Termin dafür), müsste Twitter 30 Prozent Provision an Apple abtreten. Das schmeckt Musk gar nicht, also zettelt er einen Streit vom Zaun.
- Seine Strategie scheint Erfolg zu haben. Neben fast allen großen Medien ist auch Mark Zuckerberg darauf angesprungen. Bei einer Konferenz der New York Times sagte der Meta-Chef (Axios):
I do think Apple has sort of singled themselves out as the only company that is trying to control, unilaterally, what apps get on the device and I don’t think that's a sustainable or a good place to be.
- Musk hat sein Ziel erreicht, jetzt wird wieder über Apples Macht diskutiert. Wie nehmen uns vor, künftig noch weniger Wert auf einen einzelnen Musk-Tweet zu legen: Der Typ sagt und schreibt, was er will, solange es in seine Agenda passt.
- Apropos: Musks Tirade gegen Apple begann mit diesem Tweet: "Apple has mostly stopped advertising on Twitter. Do they hate free speech in America?"
- Jetzt zeigen Zahlen des Marketing-Unternehmens Pathmatics (Gizmodo), dass Musk ein seltsames Verständnis von einem fast vollständigen Werbestopp zu haben scheint:
In fact, Apple spent $84,615 on Twitter ads that very same day (…). The day before that, Apple spent a full $104,867.
EU erhöht den Druck auf Twitter
- Im kommenden Februar tritt der der Digital Services Act (DSA) in Kraft, mit dem die EU Online-Plattformen harte Auflagen macht. Die Betreiber werden verpflichtet, illegale Inhalte zu moderieren und die Sicherheit der Nutzenden zu schützen.
- Die Entwicklung, die Twitter im ersten Monat unter Musk genommen hat, deutet nicht darauf hin, dass Twitter den DSA besonders ernst nimmt. Große Teile der Teams für Trust & Safety, algorithmische Verantwortung und Content-Moderation wurden gefeuert.
- Das beobachtet Thierry Breton mit Sorge. Nach einem Videotelefonat mit Musk teilte der EU-Binnenmarktkommissar mit:
There is still huge work ahead, as Twitter will have to implement transparent user policies, significantly reinforce content moderation and protect freedom of speech, tackle disinformation with resolve, and limit targeted advertising.
- Das ist noch zurückhaltend formuliert. Am Dienstag gab Twitter bekannt, dass man die Richtlinien zu gefährlicher Covid-Desinformation außer Kraft gesetzt habe (TechCrunch). Alle anderen großen Plattformen halten weiter daran fest, Lügen und Verharmlosungen über das Coronavirus zu entfernen oder zumindest zu kennzeichnen.
- Auch der frühere Sicherheitschef Yoel Roth sieht Musks Einfluss kritisch (Reuters). Die Plattform sei unsicherer geworden, zudem entscheide man nicht mehr auf Grundlage von Prinzipien:
One of my limits was if Twitter starts being ruled by dictatorial edict rather than by policy … there's no longer a need for me in my role, doing what I do
"Twitter 2.0": viele Phrasen, wenig Konkretes, mehr TikTok
- Der Titel klingt nach einem großen Schritt: "Twitter 2.0: Our continued commitment to the public conversation"
- Tatsächlich enthält der Blogeintrag aber kaum Neues. Man wolle der "Dorfplatz des Internets" sein, Sicherheit der Nutzerïnnen habe höchste Priorität, keine der Richtlinien habe sich verändert, das Team für Trust & Safety sei nach wie vor bestens aufgestellt.
- Das klingt alles schön, die Worte stehen aber in krassem Kontrast zu den bisherigen Taten.
- Spannender ist da schon ein Tweet des offiziellen Support-Accounts:
We want to ensure everyone on Twitter sees the best content on the platform, so we’re expanding recommendations to all users, including those who may not have seen them in the past.
- Ähnlich wie Instagram und Facebook will Twitter also mehr in Richtung TikTok gehen. In der Timeline sollen künftig mehr Tweets von Menschen auftauchen, denen man nicht folgt. Der Social Graph bleibt zwar wichtig, wird aber durch Vorschläge ergänzt, die nichts mit dem eigenen Netzwerk zu tun haben.
- Gute Nachrichten für alle, die lieber selbst kuratieren: In der rechten oberen Ecke der Twitter-App gibt es einen Schalter, mit dem sich zwischen chronologischer und algorithmisch sortierter Timeline umschalten lässt. Wir hoffen, dass Twitter diese Möglichkeit beibehält.
Übrigens: Wir waren bei der geschätzten Kollegin und langjährigen Watchblog-Leserin Pia Frey (Twitter, LinkedIn) im OMR Media Podcast zu Gast und haben ausgiebig über Twitter und Musk gesprochen. Wer Zeit und Lust hat, hört mal rein:
Datenschutz-Department
- Finger weg von Hive Social: Mastodon, Post, Tumblr und Hive Social: Das sind die Twitter-Alternativen, die in den vergangenen Wochen am häufigsten genannt wurden. Wer von Twitter zu Hive Social wechselt, riskiert offenbar, vom Regen in die Traufe zu geraten. Das Team von Zerforschung hat die App analysiert und dabei "eine Vielzahl von schwerwiegenden Sicherheitslücken" gefunden, die immer noch nicht behoben wurden. Unter anderem ist es möglich, auf alle Daten aller Nutzenden zuzugreifen. Deshalb raten die Forscherïnnen "dringend davon ab", Hive Social zu benutzen. Der Rat der Autorinnen: "Falls Ihr auf der Suche nach einer Alternative zu Twitter seid, könntet Ihr euch Mastodon ansehen. Dort sind wir unter @zerforschung@chaos.social zu finden."
- South Dakota verbannt TikTok: Ein Monat Musk bedeutet auch: Ein Monat fast ohne TikTok-Skandale. Twitter absorbiert die mediale Aufmerksamkeit, über Chinas Einfluss auf TikTok war vergleichsweise wenig zu lesen. Das könnte sich schnell wieder ändern. Die republikanische Gouverneurin von South Dakota hat allen staatlichen Behörden, Angestellten und Mitarbeitenden mit sofortiger Wirkung verboten (CNN), TikTok zu nutzen. Als Grund führt sie Sicherheitsbedenken und mögliche Spionage an. Die Entscheidung verdeutlicht das Misstrauen, das TikTok in den USA entgegenschlägt. Weitere Hintergründe zu TikToks China-Problem findest du in den Ausgaben #835 und #826.
- Meta muss 265 Millionen Euro Bußgeld zahlen: Vergangenes Jahr kursierte ein Datensatz mit Informationen über mehr als eine halbe Milliarde Facebook-Nutzerïnnen in Hacking-Foren. Mal wieder, muss man sagen, solche Leaks sind mittlerweile alltäglich. In diesem Fall hat die irische Datenschutzbehörde DPC ein Bußgeld von 265 Millionen Euro verhängt. Meta teilte Netzpolitik mit, dass man die Entscheidung sorgfältig prüfe. Erst im September hatte die DPC Instagram ein Bußgeld in Höhe von 405 Millionen Euro aufgebrummt, weil die Plattform Minderjährige angeblich nicht ausreichend schützt. Die DSGVO-Bußgelder gegen Meta summieren sich mittlerweile auf fast eine Milliarde Euro – das ist selbst für Meta kein Rundungsfehler mehr, sondern ernsthaft lästig.
Follow the money
- Wie Meta mit WhatsApp Geld verdienen möchte: Gemessen an dem, was Meta sonst erwirtschaftet, hat es der Tech-Riese bislang nicht wirklich geschafft, aus WhatsApp Kapital zu schlagen. Auf gerade einmal 218 Millionen Dollar Umsatz hat es WhatsApp im letzten Quartal gebracht. Verglichen mit den 29 Milliarden Dollar, die Meta insgesamt eingeheimst hat, ein mageres Ergebnis. Gegenüber Insider hat WhatsApp-Manager Matt Idema skizziert, wie die App künftig mehr Umsatz einfahren soll. Einerseits über Firmenkunden, die für die „Business Messaging“-Funktion zahlen. Andererseits wird weiterhin die Option ausgelotet, WhatsApp in eine Super-App zu verwandeln, mit der sich nicht nur kommunizieren lässt, sondern über die auch Geld transferiert, Essen bestellt und Reisen gebucht werden sollen. So gäbe es in Indien, einem der wichtigsten Märkte für WhatsApp, bereits vielversprechende Kooperationen mit JioMart und Uber – über Super-X-Apps zu fabulieren, scheint gerade wieder im Trend zu liegen.
Creator Economy
- Pinterest beerdigt Creator-Reward-Programm: Tja, das war doch eine schöne Zeit, oder? Ging halt ein bissl schnell vorbei. Aber so ist das nun einmal. Anhaftung ist ja bekanntlich einer der größten Verursacher von menschlichem Leid. Also, was soll’s. Vorbei sind die Zeiten, in denen die Plattformen einzelne Creator mit Geld beschmissen haben. Pinterest begräbt sein Creator-Reward-Programm, Facebook steigt aus Features aus, die Kreativen mehr Umsatz bescheren sollten und Snapchat hat sowieso schon lange keinen Bock mehr darauf, 1 Million Dollar am Tag für Content auszugeben. Ist ja auch verständlich irgendwie. War ein bissl arg viel. Aber halt auch irgendwie ganz schön für einzelne Akteure. Nun denn: Leben geht weiter.
Audio / Video
- Mark Zuckerberg hängt doch gar nicht nur im Metaverse rum: Beim DealBook Summit der New York Times hat Metas Boss betont, dass er immer noch die meiste Zeit mit der Entwicklung von Facebook und Instagram verbringt (The Information). Klar, das Thema Metaverse wird womöglich irgendwann einmal wichtig. Aber das Geld will ja im hier und jetzt verdient werden – bei Meta derzeit allen voran mittels Kurzvideos. Hatten wir Mitte September noch von einem internen Dokument berichtet (#825), aus dem laut Wall Street Journal hervorging, dass Reels bislang nicht der erhoffte Befreiungsschlag gegen TikTok sind, zeigt sich Zuckerberg nun doch sehr erfreut über die aktuelle Entwicklung:
In the interview, Zuckerberg said that Reels draws “about half the time of TikTok’‘ from users outside of China, based on external metrics. “Obviously, we don’t aspire to be half of anything. But look, compared to where we were a year ago…the trends have been pretty good.”
- Spotify, YouTube und Apple Music haben in den letzten Tagen ihre User wieder mit den obligatorischen Jahresrückblicken beglückt. Selbst die Washington Post macht dieses Jahr mit (NiemanLab). Warum das vor allem wunderbares Marketing ist, erklärt Digiday.
- Alexa? Alexa? ALEXA!!!! Es ist nicht lange her, da brauchte jeder Newsroom eine Alexa-Strategie. Smartspeaker und Voice seien die Zukunft, hieß es. Nun, das mag in Teilen auch noch stimmen. Ganz offensichtlich glaubt Amazon aber nur noch bedingt daran, dass sich mit Sprachassistenten wirklich etwas reißen lässt. Intern fallen Sätze wie “colossal failure of imagination” und “wasted opportunity”, berichtet Axios. Dem Vernehmen nach könnte die Alexa-Abteilung dieses Jahr 10 Milliarden Dollar Miese machen und zahlreiche Mitarbeiterïnnen vor die Tür setzen.
Linktipps
Hier einige Artikel, Videos und Paper, die wir selbst noch nicht gelesen haben, aber gern mit dir teilen wollen.
- The Dark Side of TikTok: The biggest social media app in the world can’t keep children off of its platform — sometimes with tragic results (Bloomberg Video).
- Monolith: Real Time Recommendation System With Collisionless Embedding Table (Arxiv)
- Age that kids acquire mobile phones not linked to well-being, says Stanford Medicine study: Stanford Medicine researchers did not find a connection between the age children acquired their first cell phone and their sleep patterns, depression symptoms or grades. (Stanford Medicine)
- What is Discord, the voice and text chat app popular with gamers? (Washington Post)
- Instagram Is Over: The app’s original purpose has been lost in the era of “performance” media. (The Atlantic)
Header-Foto von Mahdi Bafande