Was ist

Vielen Medien geht es schlecht. Lokale und regionale Zeitungen stehen am Abgrund, auch große Verlage mit erfolgreichem Digitalgeschäft kämpfen gegen Kündigungen. Start-ups finden nach erfolgreichen Crowdfundings keine Anschlussfinanzierung, die journalistische Creator-Economy hat ihren Glanz verloren.

Warum sinkt die Zahlungsbereitschaft? Wie ernst ist die Lage? Was bedeutet die Entwicklung für das Social Media Watchblog? Wir geben einen kompakten Überblick.

 

Wie sich Krise bemerkbar macht

    • Ein paar Schlagzeilen aus den vergangenen Wochen:
        • Katapult in der Krise: Superkrasse Mega-Insolvenz (taz)

       

        • Titanic „ist pleite wie noch nie“ (DLF)

       

        • tag eins droht zu scheitern (OTS)

       

        • Washington Post will 240 Stellen streichen (Zeit Online)

       

      • Studie: Digitale Medienabos erstmals seit 2018 rückläufig (Heise)

 

    • Zusammengefasst: 2023 ist für fast alle Medien ein schwieriges Jahr.

 

    • Nach Jahren des rasanten Wachstums im Digitalgeschäft stagniert die Zahl der Abonnentïnnen oder steigt nur noch langsam. Gleichzeitig bricht die gedruckte Auflage weg, in manchen Regionen in Deutschland wird gar keine Zeitung mehr zugestellt.

 

    • Viele Verlage müssen sich fragen: Lohnt es sich noch, Papier zu bedrucken und quer durchs Land zu transportieren?

 

    • Dass der Zeitpunkt kommen würde, an dem Print von der Cashcow zum Verlustgeschäft (Poor Dog, wie BWLer sagen) wird, war absehbar. Doch die meisten Medien haben damit gerechnet, dass ihnen noch bis zum Ende des Jahrzehnts Zeit bleibt, um Papier durch Apps zu ersetzen.

 

    • Jetzt schauen sie mit Sorge auf die Zahlen, die sich seit etwa anderthalb Jahren in die falsche Richtung entwickeln. Insbesondere für Tageszeitungen wird es eng, lokale und regionale Blätter ohne echtes digitales Bezahlmodell trifft es besonders hart.

 

    • Die Krise macht auch kleineren Medien und Start-ups zu schaffen. Katapult und Titanic konnten die Insolvenz abwenden, doch allein die Tatsache, dass es zu Rettungsaktionen kommen musste, spricht für sich. (Natürlich kann man nicht verallgemeinern, gerade Katapult hat Fehler gemacht, die nichts mit den generellen Entwicklungen auf dem Medienmarkt zu tun haben.)

 

    • tag eins steht nach erfolgreichem Crowdfunding vor einem Jahr vor einer ungewissen Zukunft. Das österreichische Start-up, inhaltlich vergleichbar mit den deutschen Krautreportern, hat nur einen Bruchteil der nötigen tausend neuen Mitglieder gewonnen (tag eins).

 

  • Selbst Erfolgsprojekte wie der Newsletter Platformer wachsen nur noch langsam. Gerade mal fünf Prozent der Abonnentïnnen zahlen, der Rest begnügt sich mit den Gratis-Inhalten. Kürzlich erklärte Casey Newton, warum er in Jahr vier erstmals mit Anzeigen experimentieren wird (Platformer):

And while the generosity of our paid readers has allowed us to grow revenue well beyond my expectations, the limits of the subscription model mean that at our current rate we would likely never be able to bring on another journalist.

    • Umfragen und Studien wie der Digital Consumer Trends Survey 2023 (Deloitte) oder die Forschung des Reuters Institute zeigen, dass Menschen in fast allen Regionen der Welt weniger für digitale Medien ausgeben. In Deutschland beträgt der Anteil gerade mal elf Prozent – halb so viel wie in den USA und weniger als ein Drittel des Anteils in Norwegen.

 

    • Es kommen kaum Abonnentïnnen neu hinzu, gleichzeitig kündigen viele ihr Abo. Mit günstigen Probemitgliedschaften können zwar Interessenten gelockt werden, den vollen Preis bezahlen aber nur wenige.

 

    • Der Großteil des zahlenden Publikums ist älter, männlich, gut verdienend, formal gut gebildet und interessiert sich stark für Nachrichten.

 

  • Insbesondere bei Jüngeren sieht es düster aus. Viele 18-30-Jährige begnügen sich mit Informationen, die sie gratis im Netz oder auf Social Media finden. Ihr Geld geben sie lieber für Streaming-Dienste und Unterhaltung aus.

 

Welche Faktoren zur Krise beitragen

    • Ein Teil der Probleme ist hausgemacht. Verlage haben das Internet zu lange nicht ernst genommen, Inhalte ohne Not verschenkt und auf Online-Werbung gesetzt. Diese strategischen Fehler wurden aber schon etliche Male analysiert (auch von uns). Wir konzentrieren uns auf die Frage: Was ist in den vergangenen zwei Jahren geschehen?

 

    • 2021 sah es für viele digitale Medien gut aus. In Krisenzeiten suchen Menschen nach verlässlichen Informationen, selten war dieses Bedürfnis so hoch wie im ersten Jahr der Coronapandemie. Das Digitalgeschäft vieler Verlage ging durch die Decke.

 

    • Indie-Projekte profitierten vom Newsletter-Boom und dem Mut zur Nische. Plattformen wie Substack und Steady ermöglichten es, unkompliziert Bezahlmodelle auszuprobieren. Die Creator-Economy war in aller Munde.

 

    • Das änderte sich in der ersten Jahreshälfte 2022. Der Corona-Boom war abgeflaut, die Abo-Zahlen stagnierten – und dann überfiel Russland die Ukraine.

 

    • In den ersten Kriegsmonaten wiederholte sich der Effekt der Pandemie, Menschen schlossen reihenweise Abos ab. Doch schnell setzte Kriegsmüdigkeit ein.

 

    • Und nicht nur das: Die meisten westlichen Staaten hatten die Coronakrise wirtschaftlich erstaunlich gut überstanden, der Krieg in Europa wirkte sich dagegen unmittelbar und für alle spürbar aus. Lebenshaltungskosten stiegen, Heizen und Lebensmittel wurden teurer, Menschen machten sich verständlicherweise Sorgen und begannen zu sparen.

 

    • So schmerzhaft es aus unserer Perspektive als Journalisten sein mag: Journalismus ist für die meisten Menschen ein Luxusgut. Wenn es darum geht, weniger Geld auszugeben, sind digitale Abonnements eines der ersten Dinge, die gestrichen werden.

 

    • Für Verlage kommt verschärfend hinzu, dass auch Unternehmen in Krisenzeiten sparen müssen. Besonders leicht geht das beim Werbegeschäft. Zeitungen und Magazine verkaufen also nicht nur weniger Abos, sondern auch weniger Anzeigen.

 

    • Die globale Wirtschaftskrise geht einher mit einem Strategiewechsel der meisten großen Plattformen. Jahrelang verkauften sich Konzerne wie Meta als Partner für Verlage. Mittlerweile sagt man offen: Wie es Medien geht, ist uns egal (#902).

 

    • Gemeinsame Projekte wurden eingestampft, Plattformen strafen externe Links ab, Algorithmen verbannen Nachrichten und journalistische Inhalte aus dem Feed.

 

    • Der Social-Traffic bricht ein, Verlage verlieren im Schnitt fünf Prozent ihrer Klickzahlen (NYT). In einer Branche, die längst mit geringen Margen arbeiten muss, wird das schnell zum Problem.

 

  • Man kann das als Chance sehen, unabhängiger von Tech-Konzernen zu werden und das Publikum auf anderen Kanälen zu erreichen (Reuters Institute). Adrienne La France, Chefredakteurin des Atlantic, sagt etwa:

Direct connections to your readership are obviously important. We as humans and readers should not be going only to three all-powerful, attention-consuming megaplatforms to make us curious and informed. In a way, this decline of the social web — it’s extraordinarily liberating.

    • Langfristig trifft das sicher zu. Kurzfristig sind die sinkenden Social-Zahlen aber ein weiteres Problem, auf das die meisten Verlage in der aktuellen Situation gern verzichtet hätten.

 

    • Auch Indie-Projekte leiden darunter. In dem Fall geht es weniger Klicks als um Sichtbarkeit. Für viele Journalistïnnen war Twitter die wichtigste Plattform, um auf ihre Arbeit aufmerksam zu machen. Musk hat diese Plattform weitgehend zerstört, das erschwert die Werbung in eigener Sache.

 

  • Wenn Substack neuen Autorïnnen prognostiziert, ob sie mit einem eigenen Newsletter Geld verdienen können, spielte die Reichweite in sozialen Medien – und dabei insbesondere die Zahl der Twitter-Follower – eine große Rolle. Mastodon, Bluesky und Threads sind (noch?) kein Ersatz, wo soll man neue Abonnentïnnen gewinnen?

 

Wie wir die Krise spüren

    • First things first: Uns geht es gut, das Social Media Watchblog ist nicht existenziell bedroht.

 

    • Das verdanken wir in erster Linie unserem Geschäftsmodell. Einen Teil unserer Abos verkaufen wir an institutionelle Kunden, etwa NGOs, Verlage, Agenturen und andere Unternehmen. Für einen individuell festgelegten Jahresbetrag können sie unsere Newsletter dann allen interessierten Mitarbeiterïnnen zugänglich machen.

 

    • Diese Firmenabos sind seit Jahren stabil. Mal kündigen Kunden, dafür kommen andere dazu. Auch im vergangenen Jahr gab es keinen nennenswerten Rückgang.

 

    • Bei den privaten Abonnentïnnen sieht es anders aus. Diese Abos verkaufen wir über Steady, dort schrumpft unser Umsatz seit etwa anderthalb Jahren.

 

    • Die Entwicklung ist nicht dramatisch, weil wir von einem hohen Ausgangsniveau kommen und vorausschauend geplant haben. Trotzdem kündigen Monat für Monat mehr Menschen, als neue Mitglieder dazukommen.

 

    • Hinzu kommt die Inflation, die wir auch selbst spüren: Das Leben wird teurer, die Einnahmen sinken. Das ist keine schöne Entwicklung.

 

    • Auch deshalb werden wir uns in den kommenden Wochen zusammensetzen und gemeinsam überlegen, ob und was wir ändern können. Braucht es neue Formate oder andere Inhalte? Passt unser Erscheinungsrhythmus zu den Lesegewohnheiten unseres Publikums? Wäre ein Podcast ein Mehrwert, oder gibt es schon genug Dudes, die über Technik reden?

 

    • Wir haben dazu bereits unsere Community auf Slack um Rat gebeten und viele hilfreiche Hinweise erhalten. Falls du auch Anmerkungen oder Wünsche hast, dann antworte gern auf diese E-Mail. Wir freuen uns auch über Kritik oder eine kurze Erklärung, warum du dein Abo kündigst – wenn wir wissen, warum wir dir keinen Mehrwert bieten, können wir unser Produkt ändern.

 

    • Bevor das aber alles zu negativ endet: Wir sind nach wie vor wahnsinnig dankbar, dass aus unserem einstigen Hobbyprojekt ein kleines Medienunternehmen geworden ist, das uns maximale inhaltliche und finanzielle Unabhängigkeit ermöglicht.

 

  • Das ist und bleibt ein großes Glück für uns beide, zu dem du einen Teil beiträgt – dafür ganz herzlichen Dank!

 

Be smart

Sebastian Esser, der nach einer Zeit der Solo-Selbstständigkeit bald wieder als Geschäftsführer zu Steady zurückkehrt, beschäftigt sich in seinem Newsletter Blaupause mit der Creator Economy und gibt Tipps, wie man Mitgliedschafts-Modelle etablieren kann. In der aktuellen Ausgabe schreibt Sebastian über ein Thema, das uns auch beschäftigt: „Churn frisst Wachstum“ (Steady).

Zum einen macht er Hoffnung, dass sich die Lage entspannen könnte. Die Inflation sinkt, und Menschen können schon bald wieder spendabler sein. Zum anderen gibt er drei konkrete Ratschläge, was Medienmacherïnnen jetzt tun können:

    • Wenn die Leute jetzt nicht zahlen, bemühe dich, ihre E-Mail-Adresse einzusammeln. Irgendwann werden sie bereit sein, und dann solltest du ihnen ein Angebot machen können.

 

    • Gehe auf deine bestehenden Mitglieder zu und thematisiere die angespannte wirtschaftliche Lage. Viele von ihnen zahlen, auch, um dich zu unterstützen, also sicherzustellen, dass du weitermachen kannst. Transparenz senkt den Churn.

 

  • Was bisher funktioniert hat, ist auch jetzt nicht falsch. Verlier nicht die Nerven und lass dich nicht verunsichern. Nicht von anderen, vor allem aber nicht von dir selbst. Niemand kennt sich wesentlich besser aus als du, selbst die großen Verlagshäuser befinden sich in einer ähnlichen Situation. Weitermachen.