The Facebook Files #3
Was ist
Die vom Wall Street Journal veröffentlichten Facebook Files (WSJ, #745, #746) haben einige Dinge ins Rollen gebracht. Insbesondere Instagrams Einfluss auf die mentale Gesundheit seiner Nutzerïnnen steht dabei im Fokus der Auseinandersetzung. US-Kollege Casey Newton spricht im Zusammenhang mit den Facebook Files gar vom größten Skandal seit der Debatte um Cambridge Analytica (Platformer).
Die aktuellen Entwicklungen
- Anhörung vor dem US-Senat: Facebooks Global Head of Safety, Antigone Davis, muss am Donnerstag bei einer Anhörung vor dem US-Senat zu den Vorwürfen, Instagram hätte negative Auswirkungen für die mentale Gesundheit von Teenagern, Stellung beziehen. Auf der Seite von US-Senatorin Marsha Blackburn gibt es mehr zur Anhörung: „Protecting Kids Online: Facebook, Instagram, and Mental Health Harms.“
- Facebook widerspricht der Berichterstattung: Facebook hat einen Blogeintrag publiziert, in dem Pratiti Raychoudhury, Vice President Head of Research, der Berichterstattung des Wall Street Journal an zentralen Stellen widerspricht. So hätte Instagram vor allem einen positiven Einfluss auf die mentale Gesundheit. Ja, mehr noch: Instagram würde Teenagern sogar dabei helfen, bestimmte mentale Probleme zu verbessern. Zudem verweist Facebook auf allerlei Features, die sie eingeführt hätten, um das Wohlbefinden der Nutzerïnnen zu verbessern – etwa Ressourcen zur Unterstützung von Menschen, die mit „body image issues“ zu kämpfen haben, sowie eine spezielle Meldeoption für Inhalte im Zusammenhang mit Essstörungen.
- Die Arbeit am Projekt „Instagram Kids“ wird pausiert: Instagram arbeitet bekanntlich seit einiger Zeit an einer Version für 10- bis 12-Jährige (BuzzFeed News). Die Arbeit an diesem Projekt wird jetzt erst einmal pausiert (Instagram Newsroom). Instagram möchte die Zeit nutzen, um Eltern, Experten und Politikerïnnen davon zu überzeugen, dass „Instagram Kids“ eine sinnvolle Sache sei. Ein Eingeständnis, dass das Vorhaben vielleicht doch keine all zu gute Idee ist, sei das ausdrücklich nicht.
Be smart
Instagram versucht seit Monaten, für die Einführung einer Kinder-Version zu trommeln. Sie verweisen darauf, dass Kids so oder so Instagram nutzen. Eine Version, die nur Kind-gerechte Inhalte bereithält, und zudem auch werbefrei ist, wäre da doch die besser Wahl, so Facebook. Auch hätten Mitbewerber (read: YouTube & TikTok) entsprechende Angebote, respektive Features, bereits gelauncht.
Auch wenn das nach schlichter PR tönt, sind die Punkte nicht so leicht von der Hand zu weisen. Das Thema ist tatsächlich sehr viel komplexer, als nur zu rufen: Insta für Kids ist eine beschi+#/ene Idee!
Alex Stamos, ehemaliger Sicherheitschef bei Facebook und heute Stanford-Prof schreibt bei Twitter:
Ugly Truths:
1) Preteens probably shouldn’t have phones, but parents give them anyway.
2) Young teens shouldn’t be on social media, but parents allow.
3) Older teens still need guidance and check-ins.
4) If you have younger users, knowing and catering to that might be safer.
Everybody ragging on “X for Kids” should propose their ideas. Parents letting 11yos lie about their age and join services with adults is a pretty bad status quo.
Die Berichterstattung des Wall Street Journal ist jedenfalls Wasser auf die Mühlen all jener, die dem Projekt schon länger kritisch gegenüberstehen. Direkt nach Bekanntwerden der Pläne hatte ein Verbund von 35 Kinder- und Verbraucherschutzgruppen Instagram in einem offenen Brief (fairplayforkids) dazu aufgefordert, die Pläne nicht weiter zu verfolgen. Jetzt sehen sie sich in ihrer Arbeit bestätigt und feiern das Einfrieren des Projekts.
Wir sehen in Facebooks Blogpost und der Ankündigung, die Arbeit an Instagram Kids zu pausieren, vor allem politische Schachzüge. Facebook bringt sich für die Anhörung am Donnerstag in Stellung. Man möchte nicht mit leeren Händen dort auftauchen. Das haben sie auch bitter nötig. Unmittelbar nach der Veröffentlichung der Facebook Files hatten US-Abgeordnete einen Facebook-Manager bereits sehenswert gegrillt (c-span), obwohl es eigentlich um ein ganz anderes Thema ging. Das dürfte am Donnerstag noch eine Spur härter ausfallen. Zurecht.
Für die Öffentlichkeit aber machen solche Machtdemonstrationen keinen wirklichen Unterschied. Der Welt wäre geholfen, wenn Facebook die Untersuchungen, auf die sich das Wall Street Journal bezieht, öffentlich teilt. Dann könnte sich jeder selbst ein Bild machen.
Social Media & Politik
Bundestagswahl
- Jungwählerïnnen lieben die FDP: Unmittelbar nach Bekanntwerden der ersten Hochrechnungen war die Aufregung um die Stimmanteile der Erstwählerïnnen (tagesschau) groß: Da hatten doch tatsächlich fast genau so viele junge Menschen die FDP wie die Grünen gewählt. In zahlreichen Twitter-Threads (z.B. hier @tincon und hier @BentFreiwald) wurde diesem „Phänomen“ nachgespürt. Einige der Erklärungsversuche betreffen die Schnittstelle von Social Media & Politik.
- Christian Lindner ist Berlins größter Polit-Influencer mit den meisten Followerïnnen auf Instagram, Facebook und Twitter (#746). Das hätte ihn als Kandidaten vielen jungen Menschen näher gebracht.
- Die FDP habe ihre Sache auf Social generell einfach gut gemacht – vor allem auf Instagram konnte die FDP punkten (#746)
- YouTuber und Influencerïnnen würden es den jungen Menschen vorleben, dass jeder selbst für sein Glück verantwortlich ist – die FDP zu wählen, läge da nahe.
In other news
- Myanmar: Ein US-Bundesrichter hat Facebook angewiesen (WSJ), Aufzeichnungen von Accounts freizugeben, die mit der Anti-Rohingya-Gewalt in Myanmar in Verbindung stehen. Datenschutzbedenken, die Facebook ins Feld führt, um der Anweisung nicht entsprechen zu müssen, hält der Richte für „pure Ironie“. (Kann man ihm nicht verdenken.) Zur Einordnung: Ein UN-Bericht (ohchr) hatte im September 2018 festgestellt, dass soziale Medien die brutale Vertreibung der Rohingya in Myanmar katalysiert hatten – Facebook wurde dabei eine Mitverantwortung zugesprochen (#501).
TikTok feiert eine Milliarde monatliche Nutzerïnnen
TikTok feiert eine Milliarde (monatliche) Nutzerïnnen. TikTok hat den 1-Milliarde-Milestone schneller geschafft als die anderen, die sich auch in dieser Liga befinden: WeChat, Instagram, WhatsApp und Facebook. Gründe für den rasanten Aufstieg:
- Durchdringung mit Smartphones
- Pandemie (People hatten Zeit / waren auf der Suche nach Ablenkung)
- ByteDance investierte mind. 1 Milliarde in App-Install-ADS
- Video ist die Plattform der Stunde
- TikToks UI / For You Feed
Aber: TikTok sagt nicht, was eine Milliarde monatliche Nutzerïnnen wirklich bedeutet. Bei Facebook reicht es zum Beispiel, wenn sich Nutzerïnnen einmal pro Monat für wenige Augenblicke einloggen, um als monatlich aktive Nutzerïn gezählt zu werden. Wer also sein Facebook-Konto gelöscht hat, sich aber einmal im Monat einloggt, um das Handle zu behalten, wird auch als aktiver Nutzer gezählt… Anyway! 1 Milliarde ist eine Ansage. Keine Frage.
Follow the money
- TikTok World: TikTok veranstaltet am 28.9. sein erstes virtuelles Marketing-Event: TikTok World. Das Unternehmen plant, neue Branding- und Commerce-Angebote vorzustellen.
- TikTok Community Commerce: Speaking of commerce: TikTok ist verdammt stolz darauf, dass sich so viele Menschen von den Videos auf ihrer Plattform in ihren Kaufentscheidungen beeinflussen lassen. Community Commerce (TikTok for Business) nennen sie das. So würden Nutzerïnnen bei TikTok nicht mit einem Funnel konfrontiert – vielmehr handele es sich bei TikTok um ein „Flywheel“, das eine Endlosschleife aus „Discovery“ und Konsum ermöglichen würde. Alle, die grün gewählt haben, bitte weghören. FDP-Anhänger hier entlang:
In that sense, TikTok doesn't push users along the marketing funnel so much as it guides them through a flywheel—a continuous loop of awareness, consideration, and conversion that happens in the TikTok environment. By enabling users to discover products and make purchases right on TikTok, then immediately re-enter their For You pages, we're ensuring we don't take them away from the ecosystem they know and love. Rather, we're ensuring that their joyful, endless product discovery can continue, even after they've made a purchase.
- Facebook Portal: Facebook hat zwei neue Smartscreen-Produkte aus der Portal-Familie (Facebook Newsroom) am Start. Schon ganz interessant, wie Facebook immer weiter versucht, die Nutzung der eigenen Netzwerke mit Hardware-Komponenten zu ergänzen. Wir persönlich kennen zwar bislang niemanden, der sich ein solches Facebook-Gadget auf den Küchentisch gestellt hätte, um mit Oma per Messenger zu telefonieren. Aber das kann ja noch kommen. Falls jemand von euch so ein Ding nutzt, bitte Fotos an kontakt@socialmediawatchblog.de!
Creator Economy
- Twitter Tipping für alle (sogar via Crypto): Twitter hat die angekündigte Trinkgeldfunktion jetzt für alle iOS-Nutzerïnnen freigeschaltet. Und weil Twitter-Chef Jack Dorsey so ein großer Crypto-Fan ist, können Creator in den USA jetzt auch mit Bitcoin (Reuters) für ihr Wirken belohnt werden.
- Brands schanghaien Creator: Weiter oben sprachen wir darüber, wie stolz TikTok über seinen Community Commerce ist. Marken haben diesen Trend natürlich längst erkannt und tun ihr übriges, um ganz vorne mit dabei zu sein. The Information berichtet, dass Firmen wie Chipotle, Hollister und American Eagle ihre ganz eigenen Interpretationen von Creator Funds aufgesetzt haben, um Menschen mit einem großen Social-Following nicht nur für eine Kampagne an sich zu binden, sondern zu einer Art Lizenz-Creator zu machen. Trainings inklusive.
Video Boom
- Captions FTW: Video, Video, Video!! Das ist die Zukunft!! Und ja, die Prophezeiung hat sich ja auch tatsächlich bewahrheitet. Video ist die populärste Plattform bei der Gen Z. Mehr dazu in einem Augenblick. Aber Video ist eben auch nichts ohne Captions. Denn nur Untertitel ermöglichen es, Videos beim Scrollen schnell zu erfassen. Aber nicht nur das: Captions haben sich zu einem ganz eigenen Stilmittel entwickelt. Die LA Times hat einen interessanten Beitrag dazu verfasst: Why captions are everywhere on TikTok: ‘Glasses for your ears’.
- TikToks bei Google: Der Suchmaschinenriese würde gern die Videos von TikTok und Instagram mit in den Index aufnehmen. Aber so einfach ist das nicht. Vor allem weil keine der Firmen so ganz genau weiß, wie viel man sich da womöglich gegenseitig wegnimmt. Um das herauszufinden, laufen jetzt die ersten Tests zwischen Google und TikTok (The Information). Wenn du also das nächste mal Sea Shanty googelst, könnten dir womöglich nicht nur YouTube-Videos mit geklauten TikToks angezeigt werden sondern auch die Original-TikToks. Aber vielleicht auch nicht. Hihi.
Paper, Report, Studies
- Gen Z hat keinen Bock auf Facebook: Digital Content Next hat eine interessante Studie zur Mediennutzung von Gen Z (PDF) veröffentlicht. Wir haben beim Durchschauen viel gelernt. Vor allem haben uns folgende Ergebnisse überrascht:
- Gen Z liebt Video! Video ist die mit Abstand wichtigste „Plattform“ für die junge Generation.
- Wenn es um die Frage geht, für welche Inhalte Gen Z bezahlt, dann geht es in der Regel nicht so sehr darum, Angebote Werbe-frei nutzen zu können.
- Vor allem aber zeigt sich mit Blick auf die Nutzung von Social Media einmal mehr, wie wenig Bock Gen Z im Vergleich zur Gen Y auf Facebook hat. Das Schaubild verdeutlicht den eklatanten Unterschied:
Schon einmal im Briefing davon gehört
- Facebooks Chief Technical Officer geht: Facebooks langjähriger CTO – Mike Schroepfer – tritt 2022 ab (@schrep). Das ist deshalb interessant, weil Schroepfer innerhalb von Facebook als kritische Stimme galt. Ersetzt wird er von Andrew Bosworth. Boz – wie er bei Facebook genannt wird – gilt als sehr viel rigoroser. "Bekannt" wurde Bosworth vor allem durch ein geleaktes Memo (BuzzFeed News), in dem er Facebooks Wachstumsstrategie rigoros verteidigte:
“The ugly truth is that we believe in connecting people so deeply that anything that allows us to connect more people more often is *de facto* good.“
Dass das Verbinden von Menschen eben keineswegs de facto gut und über alle Kritik erhaben ist, haben die letzten Jahre mehr als eindrücklich gezeigt. In einem Tweet distanzierte sich Bosworth später von der Interpretation seines Memos. Auch Mark Zuckerberg sah sich zu einer Erklärung genötigt. BuzzFeed berichtete. Dass Bosworth nun noch weiter im Unternehmen aufsteigt, zeigt einmal mehr, wie gern Mark Zuckerberg langjährige, treue Weggefährten um sich herum versammelt. Nichts gegen Loyalität, aber nach dringend notwendiger Erneuerung sieht das nicht aus.
- Content Distribution Guidelines: Facebook hat seine Content Distribution Guidelines (Transparency Facebook) veröffentlicht – um zu erklären, warum einige Inhalte im News Feed bei Facebook „downgeranked“ werden. Es geht also nicht darum, wann und warum Inhalte gelöscht werden – das regeln die Community Standards. Es geht vielmehr um Inhalte, die von Facebook im News Feed soweit vergraben werden, dass sie von Nutzerïnnen aller Voraussicht nach sowieso nicht gefunden werden. Die Gründe dafür sind manigfaltig. Wer auf Facebook professionell Inhalte teilen muss, sollte sich das mal anschauen. Hier ein paar Beispiele mit den jeweiligen Erläuterungen dazu:
Neue Features bei den Plattformen
YouTube
- Download-Option: Wer ein YouTube-Video herunterladen möchte, weiß wie unfassbar nervig es ist, auf den richtigen Knopf auf der Download-Seite zu drücken, um dann am Ende vielleicht doch noch das Video in der gewünschten Qualität herunterzuladen… YouTube könnte dem jetzt ein Ende bereiten: YouTube confirms it is testing a feature that lets users download videos on their browsers. (Techcrunch)
- Tweets sollen nicht mehr von selbst verschwinden: Twitter-Nutzerïnnen klagen seit Ewigkeiten darüber, dass Tweets immer mal wieder just in dem Moment verschwinden, wenn man sie gerade liest. Das hat etwas mit der Auto-Refresh-Funktion von Twitters Feed zu tun und soll sich nun ändern (@TwitterSupport).
- Filter / Limit: Twitter kaut auf einer Idee herum, die einem nervige Kommentare ersparen könnte (The Verge). Wenn die Funktion Filter aktiviert wird, werden potenziell verletztende Antworten auf Tweets weder einem selbst noch anderen Personen angezeigt. Bei der Aktivierung von Limit könnten Accounts, die immer wieder durch entsprechende Kommentare auffallen, gar keine Replies mehr verfassen.
Header-Foto von Priscilla Du Preez