Facebook schrumpft zum ersten Mal
Was ist
Normalerweise machen wir uns wenig aus Quartalszahlen und Aktienkursen. Das Herdenverhalten der Investorïnnen taugt selten als Indikator, wie es um ein Unternehmen steht. Von kurzfristigen Kursschwankungen bleibt meist schon am Folgetag nichts mehr übrig.
Die Zahlen (Meta Investor Relations), die Meta für das vergangene Quartal vorgelegt hat, sind aber aus mehreren Gründen interessant. Zum einen stellen sie eine historische Zäsur dar: Erstmals in seiner 18-jährigen Geschichte verliert Facebook Nutzerïnnen. Zum anderen unterstreichen sie, wie ernst Mark Zuckerberg den Fokus auf das ominöse Metaverse meint.
Deshalb versuchen wir, die wichtigsten Fakten herauszuarbeiten, und ordnen sie mit Blick auf Metas Zukunft ein. Die Angaben beziehen sich teils auf die Zahlen für das vierte Quartal 2021, teils auf die gesamte Jahresbilanz.
Der blaue Riese wankt
- Die Zahl der täglich aktiven Facebook-Nutzerïnnen sank in Q4 um eine Million auf 1,929 Milliarden (PDF). Das entspricht einem Rückgang von gerade einmal 0,05 Prozent – vielleicht hat Facebook auch einfach nur ein paar Fake-Accounts mehr gelöscht.
- Es gibt weitere Argumente, mit denen Meta sich die Entwicklung schönreden kann: Die Zahl der Menschen, die Facebook unregelmäßiger öffnen, steigt sogar leicht und liegt bei knapp drei Milliarden.
- Zählt man Instagram und WhatsApp dazu, nutzen rund 3,6 Milliarden Menschen die Plattformen des Konzerns. Auch finanziell läuft es gut, 2022 setzte Meta 118 Milliarden Dollar um, mehr als je zuvor.
- Zudem gab es auch früher schon einzelne Quartale, in denen die Verbreitung in Kernmärkten wie Europa und den USA stagnierte oder leicht zurückging.
- Nach 18 Jahren ununterbrochenem Wachstum ist es trotzdem ein wichtiges Symbol: Facebook ist schon lange nicht mehr cool – und jetzt schlägt sich das auch global in Zahlen nieder.
- Trotzdem muss sich Meta keine akuten Sorgen machen. Facebook wirft nach wie vor Geld ab, die Zukäufe WhatsApp und Instagram sprechen auch Jüngere an. Und trotz aller Abgesänge bleibt die blaue App die größte Kommunikationsplattform der Welt – für Myspace-Vergleiche ist es noch etwas zu früh.
- Die Gefahr ist aber offensichtlich: Es droht eine Art negativer Netzwerkeffekt. Für Teenager ist Facebook nur noch cringe, dort finden sie höchsten ihre Eltern oder Lehrerïnnen.
- Dieser Trend breitet sich langsam in anderen Altersgruppen aus und wird sich ab einem gewissen Punkt selbst verstärken. Wer Facebook öffnet und nur noch Karteileichen sieht, wird sich selbst nach anderen Plattformen umsehen.
Meta wettet aufs Metaverse
- Als sich Facebook Ende Oktober in Meta umbenannte, widmeten wir der neuen Strategie ein ganzes Briefing (#755) und erklärten, warum Zuckerberg aufs Metaverse setzt.
- Die aktuellen Zahlen liefern weitere Anhaltspunkte, warum die Neuausrichtung nötig war. Die blaue App ist nicht die Zukunft (eher das Gegenteil), auch Instagram kann und wird nicht unbegrenzt wachsen. Die Zahl der Menschen ist begrenzt, irgendwann sind Social-Media-Plattformen gesättigt.
- Wenn ein Drittel der Menschheit Metas Plattformen nutzt, klingt das erst mal nach einem überschaubaren "Problem". Doch um Investorinnen und Aktionäre bei der Stange zu halten, braucht es mehr als Stagnation auf gigantischem Niveau.
- Zuckerberg dürfte auch aus den Fehlern anderer, einst dominanter Unternehmen gelernt haben. Die größte Gefahr ist Trägheit. Wer sich ausruht, riskiert, dass ein Start-up das nächste große Ding entwickelt und so schnell wächst, dass man es nicht einfach kaufen kann.
- Facebook hätte fast die mobile Revolution verschlafen. Bis heute wurmt es Zuckerberg, dass Meta von Apple und Google abhängig ist und kein eigenes mobiles Betriebssystem besitzt.
- Beim Metaverse soll das anders laufen, dort will Zuckerberg auf keinen Fall abgehängt werden. Deshalb bewirft Meta das Problem einfach mit Geld – von dem der Konzern praktischerweise genug übrig hat.
- Im vergangenen Jahr produzierte die Sparte Reality Labs einen Verlust von mehr als zehn Milliarden Dollar. Darin fasst Meta alle Abteilungen zusammen, die VR-Brillen und andere Hardware entwickeln, die den Grundstein für das Metaverse legen soll.
- Gleichzeitig verdoppelte sich der Umsatz von 1,1 auf 2,3 Milliarden Dollar. Trotzdem rechnet Meta für 2022 mit Verlusten in ähnlicher Höhe und will weiter investieren. Zuckerberg meint es also wirklich ernst.
- Dabei scheint er auch einen Teil seiner eigenen Belegschaft vor den Kopf zu stoßen (NYT). Teils müssen sich langjährige Angestellte intern auf neue Jobs bewerben, mehrere aktuelle und ehemalige Mitarbeiterïnnen berichten anonym von Verwerfungen und Unsicherheit.
- Falls die Wette aufgeht, ist das egal. Ob Metas Metamorphose gelingt, wird sich frühestens in einigen Jahren herausstellen. Noch weiß niemand, ob, wie und wann die Vision des Metaverse Realität werden wird.
- Zuckerberg selbst denkt in einem Zeitraum von zehn bis 15 Jahren. "Although our direction is clear, it seems that our path ahead is not quite perfectly defined", sagte er im Gespräch mit Investorïnnen. "Ultimately, our continued success relies on building products that people find valuable and that people want to use."
- Für die meisten Anlegerïnnen scheint das Versprechen zu langfristig angelegt zu sein. Sie wollen lieber morgen Geld sehen als 2035. Die Aktie brach um mehr als 20 Prozent ein, das entspricht rund 200 Milliarden Dollar.
- Wir gehen davon aus, dass sich der Kurs bald wieder erholen wird, aber das ist trotzdem eine recht deutliche Botschaft. (Das ist keine Investitionsempfehlung. Wir haben nicht die geringste Ahnung von Aktien und würden unser Geld eher unters Kopfkissen legen, als es in einen Konzern zu investieren, über den wir berichten.)
Apple ärgert Meta
- Die zehn Milliarden Dollar, die Meta ins Metaverse steckt, sind ein kurzfristiger Verlust, der langfristig Hoffnung machen kann. Die zehn Milliarden Dollar, die Meta verliert, weil Apple das Tracking einschränkt, schmerzen kurz- und langfristig.
- Seit iOS 14.5 müssen Entwicklerïnnen die Erlaubnis der Nutzerïnnen einholen, bevor sie Daten außerhalb der eigenen App sammeln (mehr dazu in #691 und #703). Deshalb sehen viele Menschen ein Pop-up: "Darf Facebook deine Aktivitäten in Apps und auf Websites anderer Unternehmen erfassen?"
- Wenig überraschend sagen die meisten: nee, lieber nicht. Doof für Meta: Das Anzeigengeschäft beruht auf Überwachung, und je weniger Daten Meta sammeln kann, desto ungenauer wird die Werbung und desto weniger Geld geben Unternehmen dafür aus.
- Metas Finanzchef Dave Wehner schätzt den Einnahmerückgang auf zehn Milliarden Dollar und rechnet damit, dass das ungenauere Tracking Meta auch 2022 schaden wird: "We believe the impact of iOS overall is a headwind on our business in 2022."
- Aktuell ist Meta damit beschäftigt, Werbekunden zu erklären, wie sie trotz Apples Maßnahmen den Erfolg ihrer Anzeigen halbwegs effektiv messen können.
- Auf längere Sicht wird Facebook sein gesamtes Werbeinventar erneuern und umbauen müssen, sagt Sheryl Sandberg (Mobile Dev Memo): "Over the longer term, we need to develop privacy-enhancing tech to help minimize the amount of personal information we learn and we use."
TikTok ärgert Meta
- Neben Apple gibt es einen zweiten Konkurrenten, der Zuckerberg beunruhigt. Als er die Quartalszahlen erklärte, erwähnte er mehrfach TikTok.
- Die App ist einer der Gründe, warum sich jüngere Menschen erst gar nicht mehr bei Facebook anmelden und auch Instagram bangen muss.
- Instagram hofft, dass der TikTok-Klon Reels die Abwanderungsbewegung der Nutzerïnnen stoppen kann – und Werbetreibende davon abhält, einen Großteil ihres Budgets in TikTok zu stecken (The Information).
Be smart
Fast jeder börsennotierte Konzern muss seine Investorinnen und Aktionäre zufriedenstellen und ihnen Strategiewechsel gut verkaufen. Mit ihren Anteilen erwerben sie normalerweise ein Mitbestimmungsrecht. Bis zu einem gewissen Grad gilt das auch für Meta: Wenn Zuckerberg verkündete, dass er personalisierte Werbung abschafft, wäre der Aufschrei groß.
Doch seine Aktien geben ihm besondere Macht. Er hält B-Aktien, die mit einem zehnfachen Stimmrecht einhergehen. Obwohl er nur 14 Prozent von Meta besitzt, kann er allein entscheiden und alle A-Aktionärïnnen einfach überstimmen. Wenn Zuckerberg aufs Metaverse wetten will, dann kann er das also tun, ohne sich darum kümmern zu müssen, ob seine langfristig angelegte Strategie alle überzeugt.
Social Media & Politik
- Alle gegen das NetzDG: Nach TikTok (#773) klagt nun auch Twitter gegen die Pflicht zur aktiven Datenweitergabe ans BKA, die das NetzDG vorsieht. Zuvor hatten bereits YouTube und Meta im Eilverfahren Klage eingereicht. Eigentlich hätten die Plattformen vom 1. Februar an potenziell strafrechtliche Inhalte an das BKA melden (Spiegel) und Daten der Verfasserïnnen übermitteln müssen. Bislang hat aber keiner der Konzerne an die dafür vorgesehen Schnittstelle angedockt. Die Meldepflicht gilt vorerst also nur auf dem Papier (Netzpolitik).
- Facebook muss Daten von Hetzern rausrücken: Das Bundesverfassungsgericht hat Renate Künast Renate recht gegeben (taz) und ein fragwürdiges Urteil der Vorinstanz revidiert. Damit dürfte Facebook der Grünen-Politikerin die Daten von Nutzern übermitteln müssen, die diese übel beleidigt hatten. Dann könnte Künast zivilrechtlich gegen die Absender vorgehen. Endgültig muss nun das Berliner Kammergericht entscheiden.
- Apple hilft Bundesregierung beim Vorgehen gegen Telegram: Angeblich hat Apple eine ladungsfähige Anschrift von Telegram übermittelt (Welt). Damit könnte die deutsche Politik Bußgeldbescheide zustellen und Telegram womöglich zu einer Reaktion nötigen. Die Bundesregierung versucht seit Monaten vergeblich, das Unternehmen zu verpflichten, strafbaren Hass und Mordaufrufe zu löschen. "De facto ist Telegram im Moment ein unreguliertes Netzwerk", sagt Hate-Aid-Gründer Anna-Lena von Hodenberg (SZ). "Die Verantwortlichen sitzen irgendwo am Arabischen Golf in der Sonne und ignorieren Anfragen deutscher Behörden."
- Hamburg will Kennzeichnungspflicht für Beauty-Filter: Das Land möchte, dass Plattformen es transparent machen (Golem), wenn bestimmte Fotofilter angewendet werden. Das soll Nutzerïnnen davor bewahren, unrealistische Schönheitsideale zu verinnerlichen und darunter zu leiden, dass sie nicht so aussehen wie vermeintlich perfekte Influencerïnnen.
Datenschutz-Department
- Fast alle Cookie-Banner könnten illegal sein: Der Standard, auf dessen Grundlage ein Großteil der Einwilligungen zu Datensammlung eingeholt wird, verstößt gegen die DSGVO (Netzpolitik). Die Einschätzung der belgischen Datenschutzbehörde APD ist mit anderen europäischen Datenschutzbehörden abgestimmt und hat Konsequenzen für Cookie-Banner und verhaltensbasierte Online-Werbung in der gesamten EU. Das betrifft nicht nur Werbefirmen und Plattformen wie Google, sondern auch die meisten Verlage.
- Facebook muss Pseudonyme zulassen: Der BGH gibt zwei Klägern recht, die von Facebook gesperrt wurden, weil sie sich nicht mit ihrem echten Namen angemeldet hatten. Das Urteil bedeutet aber kein generelles Ende der Klarnamenpflicht (Zeit), sondern gilt nur für Nutzerïnnen, die sich vor Mai 2018 angemeldet hatten. Zu diesem Zeitpunkt trat die DSGVO in Kraft, was die Rechtslage veränderte.
- EU zweifelt an neuen Whatsapp-Bedingungen: Die Kommission hat Bedenken, ob die neuen AGB und die Datenschutzrichtlinie in Einklang mit europäischen Verbraucherrechten steht. Deshalb soll WhatsApp bis Ende Februar die Änderungen erläutern (Standard), um die Bedenken auszuräumen.
- Spotify bessert nach, hält aber Kurs: In einem internen Meeting hat Spotify-Chef Daniel Ek den Deal mit Joe Rogan verteidigt (The Verge). Gleichzeitig hat Spotify neue Maßnahmen angekündigt, um mehr im Kampf gegen Desinformation zu unternehmen (Spotify Newsroom).
Follow the money
- Alphabet steigert Jahresgewinn um 90 Prozent: Insgesamt stieg der Umsatz des Unternehmens auf 258 Milliarden Dollar. YouTube spielt dabei mittlerweile eine wesentlich größere Rolle: Hatte Google im Jahr 2006 das Videoportal noch für (damals unglaubliche) 1,65 Milliarden Dollar gekauft, generiert Youtube diesen Betrag mittlerweile zweimal im Monat als Umsatz.
- Amazon boomt: Allein mit Werbung hat das Unternehmen 31 Milliarden Dollar umgesetzt.
- Snapchat übertrifft Erwartungen: Snap meldete am Donnerstag seinen ersten Quartalsgewinn und übertraf damit sämtliche Schätzungen für das vierte Quartal: bei Gewinn, Umsatz und Nutzerwachstum.
- Pinterest lebt: Pinterest konnte das erste Mal einen Umsatz von mehr als zwei Milliarden Dollar (Zdnet) in einem Jahr verbuchen.
Was wir am Wochenende lesen / gucken
- Fashion is just TikTok now (Vox)
- How the Snowflakes won (The Atlantic)
- Problemfreies Olympia auf TikTok und Instagram (Zeit)
- Jonas Ems, Gnu, LeFloid: Macht Social Media krank? (YouTube, STRG F)
Tipps & Tricks
- Twitter Toolbox: Twitter hat eine Toolbox veröffentlicht. Darin befinden sich allerlei nützliche Werkzeuge, um die Arbeit mit Twitter zu professionalisieren. Es handelt sich dabei um Angebote von Drittanbietern – ganz spannend, dass Twitter auf der eigenen Seite dafür wirbt, wo sich das Unternehmen doch über Jahre gegen Angebote von Drittentwicklern verkämpfte.
AR / VR / Metaverse
- Mehr Avatare: Mag das Metaverse auch noch weit weg sein: Meta möchte, dass sich Menschen schon einmal an die Nutzung von Avataren gewöhnen. Dafür rollt (Facebook Newsroom) das Unternehmen die Möglichkeit aus, fancy 3D-Avatare bei Facebook, Facebook Messenger, Instagram Stories und Instagram DMs zu nutzen. Nun ja.
- AR Preview: Pinterest launcht (The Verge) in Kooperation mit einigen Versandhändlern in den USA eine neue AR-Funktion, mit der sich testen lässt, wie Möbel in der heimischen Wohnung aussehen könnten.
Neue Features und Tests bei den Plattformen
YouTube
- Neues Design: YouTubes Video-Player bekommt (The Verge) einen neuen Look. Künftig rücken einige der Funktionen stärker ins Blickfeld – etwa die Optionen, Videos zu liken und Videos in Playlists zu sortieren.
- Sprachnachrichten aufzunehmen, ist ja immer ein ziemlicher Hustle. Entweder es klappt beim ersten Take oder man muss das ganze noch einmal aufnehmen. WhatsApp gelobt nun Besserung: Künftig soll es möglich sein, die Aufnahme von Sprachnachrichten zu pausieren.
- Communities: Um den Überblick über all die Gruppen zu behalten, denen man beigetreten ist, bzw. die man verwaltet, bastelt (Wabetainfo) WhatsApp an einem neuen Communities-Hub. Darüber soll der Zugriff auf Gruppen erleichtert werden. Auch soll es einfacher werden, allen Gruppen-Mitgliedern gleichzeitig zu schreiben.
- Twitter Articles: Es sieht ganz so aus, als würde Twitter womöglich demnächst eine Funktion einführen, die es ermöglicht, Artikel direkt auf Twitter zu publizieren (@wongmjane). What?!
- Story Highlights —> Reels: Ja, ja. Instagram-Nutzerïnnen sollen doch bitte, bitte, bitte mehr Reels produzieren! (Und nicht immer nur TikToks glotzen.) Um sicherzustellen, dass mehr Reels kursieren, werkelt (Social Media Today) Instagram an einer Option, Story Highlights mit einem Klick in Reels zu verwandeln.
Header-Foto von Ju On
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