ARD/ZDF-Onlinestudie: Scheinriese TikTok, Zombie Facebook, Gigant WhatsApp
Was ist
Im November wird es in Berlin trüb und grau, man holt seine Winterjacke aus dem Keller – und die ARD/ZDF-Onlinestudie erscheint. Nach 2018 (#494), 2019 (#586) und 2020 (#674) fassen wir auch dieses Jahr die zentralen Erkenntnisse zusammen.
Warum das wichtig ist
Neben dem Digital-News-Report des Reuters-Institute (zehn Erkenntnisse aus der aktuellen Veröffentlichung in Ausgabe #730) zählt die ARD/ZDF-Onlinestudie zu den wichtigsten Erhebungen zur Nutzung von (sozialen) Medien in Deutschland. Sie basiert nicht auf Angaben der Plattformen, sondern auf Befragungen unabhängiger Forscherïnnen.
Wie viel Aussagekraft die Ergebnisse haben
Dieses Jahr wurden unterschiedliche Datensätze kombiniert und insgesamt rund 2000 repräsentativ ausgewählte Personen befragt, der Großteil davon per Telefon-Interview im März und April – also während des zweiten Corona-Lockdowns. Die Grundgesamtheit bildet dabei die deutschsprachige Bevölkerung über 14 Jahren.
Wie bei allen Studien gilt: Gerade für die Ergebnisse einzelner Altersgruppen, bei denen die Stichprobe kleiner ausfällt, sollte man nicht allzu viel auf exakte Prozentzahlen geben. Eine gewisse statistische Ungenauigkeit kann selbst das beste Studiendesign nicht verhindern.
Viele Zahlen haben sich im Vergleich zum Vorjahr nur minimal verändert, manche Erkenntnisse sind eher banal: Fast alle Menschen sind online, junge Menschen nutzen Online-Angebote eher als Ältere, das Internet gewinnt an Bedeutung – ach was. Wir konzentrieren uns auf unser Kernthema Social Media und dabei auf Ergebnisse, die uns überrascht haben oder größere Trends erkennen lassen.
Instagram und Facebook
- Im vergangenen Jahr hatte Instagram erstmals Facebook bei der täglichen Nutzung überholt. Dieser Trend setzt sich fort. 18 Prozent der Befragten öffnen Instagram mindestens einmal pro Tag (+3), bei Facebook sind es 15 Prozent (+1).
- Bei der wöchentlichen Nutzung liegt Facebook knapp vorn (28% zu 26%), allerdings wächst Instagram deutlich schneller. Männer nutzen eher Facebook, Frauen neigen zu Instagram.
- Die Nutzung hängt stark vom Alter ab. 73 Prozent der 14-19-Jährigen öffnen Instagram mindestens einmal pro Woche, gerade mal ein Drittel hängt auf Facebook ab. In der Altersgruppe der 30-49-Jährigen dreht sich das Verhältnis um: 41 Prozent verbringen wöchentlich Zeit auf Facebook, aber nur ein Viertel öffnet Instagram. Mit zunehmenden Alter setzt sich der Trend fort.
- Zusammengefasst: Instagram ist das mit großem Abstand wichtigste Netzwerk für Unter-30-Jährige, Facebook bleibt die Plattform, um Boomer und Seniorïnnen zu erreichen – und wird das, allen düsteren Vorhersagen zum Trotz, wohl auch noch einige Jahre lang bleiben. Wir können uns schlecht vorstellen, dass Über-50-Jährige in absehbarer Zeit anfangen werden, massenhaft zu Instagram überzulaufen.
Snapchat
- Bei allem Hype um TikTok konnte man fast vergessen, dass Snapchat auch 2021 noch existiert – und wie: 33 Prozent der 14-29-Jährigen öffnen Snapchat täglich, 44 Prozent nutzen die App mindestens einmal pro Woche.
- In allen anderen Altersgruppen existiert Snapchat dagegen so gut wie überhaupt nicht. Zwei Prozent der 30-49-Jährigen öffnen die App einmal pro Woche, noch ältere Menschen sind dort gar nicht vertreten (jedenfalls nicht statistisch nachweisbar). Über alle Altersgruppen hinweg kommt Snapchat auf zehn Prozent wöchentliche Nutzung.
TikTok
- Damit ist Snapchat immer noch etwas weiter verbreitet als TikTok, das neun Prozent der Befragten einmal pro Woche öffnen. Bei den 14-29-Jährigen ist es knapp ein Drittel.
- Diese Zahlen weichen stark von TikTok eigenen Erhebungen ab. Als wir kürzlich mit Tobias Henning, Deutschlandchef von TikTok, sprachen, sagte er, TikTok sei auch bei älteren Menschen viel weiter verbreitet als angenommen (Details folgen in den kommenden Wochen).
- Glaubt man der ARD/ZDF-Onlinestudie, ist TikTok dagegen immer noch eine Plattform, die fast ausschließlich für Unter-30-Jährige Bedeutung hat. Gerade mal zwei Prozent der 30-49-Jährigen nutzen TikTok demnach mindestens einmal pro Tag.
- Die deutlichen Unterschiede könnten sich durch die unterschiedlichen Erhebungsformen erklären. Wir wissen nicht, wie TikTok seine Daten sammelt, vermutlich werden aber keine repräsentativen telefonischen Befragungen durchgeführt. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo zwischen den beiden Angaben.
- Uns verbindet beide eine Hassliebe mit Twitter: Oft nervt es, trotzdem ist es von allen Netzwerken das Wichtigste für uns. Damit sind wir aber in der Minderheit. Im Vergleich zum Vorjahr büßt Twitter bei der wöchentlichen Nutzung einen Prozentpunkt ein und kommt nur noch auf vier Prozent.
- Nur jeder 25. öffnet die App einmal pro Woche – so viel zur Relevanz von "So lacht das Netz"-Artikeln. Es ist und bleibt einfach eine krasse Bubble.
LinkedIn und Xing
- Unsere anekdotische Evidenz im Freundes- und Bekanntenkreis hätte gesagt, dass LinkedIn an Bedeutung gewinnt. So kann man sich täuschen: ein Prozent tägliche Nutzung, drei Prozent wöchentliche Nutzung, noch weniger als im Vorjahr. Xing entwickelt sich auf den Prozentpunkt genau im Gleichschritt und erreicht ebenfalls nur eine Nische.
Twitch
- Twitch zählt dagegen zu den Pandemie-Gewinnern, die wöchentliche Nutzung steigt von drei auf fünf Prozent. Wenig überraschend ist die Streaming-Plattform sehr jung und sehr männlich geprägt. Jeder fünfte Befragte zwischen 14 und 29 Jahren verbringt einmal pro Woche Zeit auf Twitch. Über alle Altersgruppen hinweg erreicht Twitch acht Prozent der Männer – und nur ein Prozent der Frauen.
- Erstmals wurden Zahlen für Pinterest erhoben. Mit sieben Prozent wöchentlicher Nutzung ist die Plattform ungefähr doppelt so groß wie Twitter, Xing und LinkedIn.
Clubhouse
- Die ARD/ZDF-Onlinestudie bestätigt, was viele ahnten: Clubhouse ist mausetot. 0 Prozent tägliche Nutzung, 0 Prozent wöchentliche Nutzung. Wir fragen uns, ob wir nur die einst gehypte App beerdigen müssen – oder das ganze Thema Social Audio gleich mit, das Anfang des Jahres noch als nächstes großes Ding galt. Damit werden wir uns bei Gelegenheit noch mal ausführlicher beschäftigen.
YouTube
- Für YouTube weist die Studie leider keine separaten Zahlen im Vergleich zu den anderen Social-Media-Diensten aus, sondern behandelt Plattform wie eine reine Videoplattform. Aus öffentlich-rechtlicher Sicht mag der Fokus auf Mediatheken verständlich sein, aus unserer Sicht müsste YouTube eigentlich bei den sozialen Netzwerken auftauchen.
- WhatsApp ist und bleibt der Kommunikationskanal der Wahl: 70 Prozent der Befragten nutzen WhatsApp täglich, acht von zehn Befragten schreiben oder lesen mindestens eine Nachricht pro Woche.
- Vor allem bei der Generation U30 gibt es fast keine Menschen mehr, die man nicht über WhatsApp erreicht. 95 Prozent der jüngeren Menschen öffnen die App einmal pro Woche.
- Auch für Seniorïnnen gewinnt WhatsApp zunehmend an Bedeutung. 53 Prozent der Befragten über 70 schreiben wöchentlich, 39 Prozent chatten jeden Tag. Facebook und Instagram kommen in dieser Altersgruppe nur auf einen Bruchteil.
Telegram, Signal und iMessage
- Zum ersten Mal wurden auch andere Messenger abgefragt.
- Zusammengefasst kann man sagen: WhatsApp muss sich wenig Sorgen machen, der Vorsprung dürfte uneinholbar groß sein.
- Telegram (8% wöchentliche Nutzung), Signal (6%) und Threema (3%) sind bislang keine echte Konkurrenz. Wenn überhaupt, dann ergänzen sie WhatsApp, ersetzen die App aber nicht.
- Leider wurden keine Zahlen für iMessage erhoben. "Sonstige Messenger" kommen nämlich auf insgesamt elf Prozent wöchentliche Nutzung, in der Altersgruppe U30 sogar auf 26 Prozent. Wir vermuten, dass dahinter in erster Linie Apple steckt.
Dig deeper
- die Übersichtsseite
- die Key-Facts samt Infografiken
- Alle Charts auf einen Blick (PDF, 35 Seiten)
- Mediale Internetnutzung und Social Media (PDF, 18 Seiten)
- (Online-)Video (PDF, 23 Seiten)
- Radio- und Audionutzung (PDF, 14 Seiten)
Creator Economy
- Twitter Blue startet in den USA: Nachdem Twitter seinen neuen Bezahldienst vorab in Kanada und Neuseeland getestet hat, ist Twitter Blue nun auch in den USA verfügbar. Wann europäische Nutzerïnnen Twitter Blue nutzen können, ist noch nicht absehbar. Ob man dafür überhaupt Geld ausgeben möchte, dass man Tweets in einem Zeitraum von 30 Sekunden noch einmal bearbeiten, in Ordnern organisieren, Threads besser lesen und die Twitter-Experience etwas personalisieren kann, bleibt fraglich. Wir werden uns das in einer der kommenden Ausgaben noch einmal genauer anschauen.
- Facebook Fan Subscription: Das Unternehmen (hinter Facebook, LOL) kündigt an, dass Creator, die auf Facebook Merchandise oder ähnliches verkaufen, künftig ein dafür gesondertes Checkout-System nutzen können (The Information). So lässt sich Apples 30-Prozent-Cut umgehen und Facebook selbst kann sich von seiner generösen Seite zeigen – vorerst verzichtet das Unternehmen auf eine Beteiligung an den erzielten Einnahmen. Zudem können Creator, die Facebooks neues Newsletter-Tool Bulletin nutzen, ihre gesammelten E-Mail-Adressen „behalten“ und an anderer Stelle nutzen.
- Instagram arbeitet an Abo-Funktionen: Es sieht ganz danach aus, als würde bei Instagram demnächst tatsächlich eine Abo-Funktion eingeführt (Techcrunch). Insta-Boss Mosseri hatte darüber ja bereits hier und da laut nachgedacht in den vergangenen Monaten. Über eine solche Abo-Funktion könnten Creator z.B. exklusive Inhalte anbieten. Wir sind gespannt, wie sich das weiter entwickelt. Grundsätzlich haben wir den Eindruck, dass sich Instagram hier in einer guten Position befindet, um mit derartigen Creator-Abos zusätzliches Geld umzusetzen – und Creator somit etwas unabhängiger von Werbedeals werden könnten.
Video Boom
- Netflix macht einen auf TikTok und testet die Akzeptanz von kurzen Clips für Kids (Bloomberg).
- TikTok gibt es jetzt auch auf dem Fernseher – aber ist das dann überhaupt noch TikTok? Ein lesenswertes Thinkpiece vom Wall Street Journal, dessen Grundskepsis wir uns anschließen können. Während YouTube auf dem Fernseher ohne Wenn und Aber funktioniert, fühlt sich TikTok auf dem Fernseher bis dato nach einer schlechten Kopie des Originals an.
Audio b̶̶o̶̶o̶̶m̶
- Clubhouse jetzt auch als Konserve: Es kommt wie es kommen musste: Clubhouse verabschiedet sich von seinem Anspruch, nur live erlebbar zu sein. Künftig können Gespräche auch aufgezeichnet (Techcrunch) und andernorts als Konserve serviert werden. Wirkt etwas verzweifelt…
- Spaces ohne Twitter-Account: Auch Twitter Spaces scheint bei den eigenen Nutzerïnnn noch nicht wirklich auf Interesse zu stoßen. Anders ist die Nachricht, dass Spaces nun auch ohne Twitter-Account aufgesucht werden können (Techcrunch), wohl nicht zu erklären.
Neue Features bei den Plattformen
- Vorschaubilder wieder bei Twitter: Nach neun Jahren gibt es nun tatsächlich wieder Instagram-Vorschaubilder bei Twitter (Protocol). Wer sich für die Hintergründe dieser (für Twitter durchaus dramatischen) Geschichte interessiert, hier entlang: How Instagram and Twitter buried the hatchet (The Verge)
- Tweets besser finden: Twitter führt eine neue Profil-spezifische Suchfunktion (The Verge) ein. So lässt sich künftig auf der Profilseite einer Nutzerïn leichter nach einem Tweet suchen.
- Community FTW: Es sieht danach aus, dass WhatsApp an einer Art Community-Feature (The Verge) arbeitet. Genaueres weiß man noch nicht. Klingt aber ganz interessant…
- Neue Gruppen-Funktionen: Facebook baut die Funktionen bei seinem Gruppen-Feature weiter aus (Techcrunch). Künftig können Gruppen stärker personalisiert und Unter-Gruppen eingeführt werden. Zudem gibt es ein paar neue Tools, über die sich Geld verdienen lässt.
Threema
- Threema für Desktop: Threema hat jetzt auch eine Desktop-Variante (Threema). Wer hätte das nach all den Jahren noch für möglich gehalten?!
YouTube
- Mehr TikTok wagen: YouTube testet (Techcrunch) derzeit, wie es bei Nutzerïnnen ankommt, wenn die mobile App direkt mit YouTubes TikTok-Rivalen Shorts öffnet anstatt mit dem gewohnten YouTube-Feed.
Header-Foto von Jack Finnigan
Mitglieder-Diskussion