Salut und herzlich Willkommen zur 612. Ausgabe des Social-Media-Watchblog-Briefings. Heute schauen wir uns an, wie sich Google, Facebook und Twitter gegen Clearview wehren. Zudem erklären wir, warum der Google-Maps-Hack eher ein Medienhack war. Auch geht es um die Tech-Trends 2020 und den Einfluss von Instagram auf die Welt. Wir bedanken uns für das Interesse an unserem Newsletter und wünschen ein angenehmes Wochenender, Simon und Martin

Google, Facebook und Twitter wehren sich gegen Clearview

Was war: In Briefing #607 haben wir uns ausführlich mit Clearview beschäftigt – jenes dubiose Unternehmen, das angeblich drei Milliarden Fotos aus öffentlich zugänglichen Quellen abgesaugt hat und daraus eine gigantische Datenbank zur Gesichtserkennung gebaut haben will. Weitere Fragen zu Clearview und automatisierter Gesichtserkennung habe ich danach noch für die SZ beantwortet.

Was ist: In den vergangenen Tagen gab es einige neue Entwicklungen, die wir hier zusammenfassen und verlinken. Besonders intensiv haben die BuzzFeed-Reporterïnnen Caroline Haskins, Ryan Mac und Logan McDonald dem Unternehmen hinterher recherchiert. In drei längeren Texten berichten sie, dass …

  • Clearviews Behauptung, seine Software habe einen mutmaßlichen Terroristen identifiziert, offenbar gelogen war. Der Artikel enthält außerdem alarmierende Details über die Verbindungen des Gründers Hoan Ton-That ins rechte bis rechtsextreme Milieu. Das lässt keinen Rückschluss auf Ton-Thats politische Überzeugungen zu, zeigt aber, dass er wohl eher keine Scheu hat, seine Systeme auch fragwürdigen Klienten zu verkaufen.
  • Clearview mehrfach widersprüchliche Aussagen über seine Kunden, seine ethischen Standards und den Datenschutz gemacht hat. Der Text zeichnet das Bild eines windigen, skrupellosen Unternehmens, das definitiv nicht im Besitz von drei Milliarden Fotos sein sollte.
  • Clearview seine Technik in mindestens 22 weitere Länder verkaufen wollte, darunter autoritäre Staaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate und neun Mitgliedsländer der EU – wo Clearviews Software gegen die DSGVO verstoßen dürfte. Unklar bleibt, in welchem Stadium sich die Gespräche in diesen Staaten befinden und ob die Technik außerhalb der USA und Kanada bereits eingesetzt wird.

Außerdem wehren sich mehrere Plattformen, dass Clearview ungefragt ihre Daten anzapft: Twitter (NYT), Venmo, Google/YouTube (CBS) und Facebook (BuzzFeed) haben Clearview teils abgemahnt bzw. aufgefordert, sämtliche Informationen zu löschen und das Scraping künftig zu unterlassen.

Der Maps-Hack, der eigentlich ein Medien-Hack war

Was ist: Seit einigen Tagen berichten Medien über den Berliner Künstler Simon Weckert, der angeblich Google Maps „gehackt“ hat. Das YouTube-Video seiner Kunstaktion wurde mittlerweile mehr als drei Millionen Mal angeschaut. Tatsächlich gibt es jedoch begründete Zweifel, die vor allem in der anfänglichen Berichterstattung völlig ignoriert wurden.

Wie die Aktion ablief: Weckert hat sich 99 Smartphones ausgeliehen, in einen Bollerwagen gelegt und ist damit durch einige Berliner Straßen gelaufen, unter anderem auch vorbei an Googles neuem Büro. Google Maps registrierte die 99 GPS-Signale, die sich in Schrittgeschwindigkeit fortbewegten, und zeigte auf der Karte einen Stau an.

Was Medien daraus machten: Zuerst waren es nur deutsche Berichte, später entdeckten Journalistïnnen weltweit das Thema. Fast alle schrieben über einen Hack, über einen Künstler, der Google Maps augestrickst und die Berliner Straßen leergefegt habe. Der allgemeine Tenor: Cooler Typ führt Google vor und zeigt, wie sehr wir uns auf Technik verlassen, die teils gar nicht richtig funktioniert.

Was dabei zu kurz kam: Erst mit einiger Verzögerung wurden kritische Fragen gestellt. Die Texte von Patrick Beuth (Spiegel) und Max Hoppenstedt (SZ) enthalten die nötige journalistische Distanz.

Patrick bleibt im Konjunktiv und sichert sich, da auch Google selbst weder dementiert noch bestätigt, durch solche Absätze ab:

Ob das geklappt hat, kann niemand mit Gewissheit sagen. Im Video von Weckert ist zwar zu sehen, wie sich auf Google Maps die Straßen rot einfärben. Aber ob das eine Reaktion allein auf die 99 Handys ist, kann oder will Weckert nicht beweisen, auch wenn es anhand von Zeitstempeln in den Kamera-Aufnahmen und der Maps-App möglich wäre.

Max hat bei einem Mobilitätsforscher der Fraunhofer-Gesellschaft und einem Sprecher von TomTom nachgefragt, um herauszufinden, wie plausibel die Behauptungen von Weckert sind. Der Künstler selbst trägt nicht besonders viel zu Aufklärung bei und gibt sich eher wortkarg:

Ob es Weckert nun gelungen ist, die Stauanzeige zu manipulieren, wie er in seinem Video behauptet, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit prüfen. Auf die Kommentare einiger Nutzer angesprochen, die sein Video für einen Fake halten, sagt Weckert, man solle sich Demonstrationsorte wie in Hongkong auf Google Maps ansehen: „Dort wird erheblich Stau generiert.

Persönlich glaube ich nicht an einen Fake – habe aber trotzdem Bedenken, inwieweit Weckert Google tatsächlich „vorführt“ oder „austrickst“. Das liegt vor allem an einer Einschränkung, auf die etwa der Faktenfinder der Tagesschau hinweist:

Doch die Sache hat einen Haken: „Das Ganze funktioniert nur, wenn kein Auto auf der Straße unterwegs ist“, sagt Digitalexperte Dennis Horn vom WDR. „Sobald ein Auto auf derselben Route fährt, erkennt die App das.“ In diesem Fall verfehlen die 99 Smartphones von Weckert ihr Ziel, erklärt Horn. (…) Dass Weckert mit seiner Aktion die Straßen tatsächlich staufrei machen konnte, bezweifelt er. „Die Straßen waren ja vorher schon leer.

Be smart: Ich mag die Aktion. Weckerts Idee ist super, das Video ist gut gemacht, die Aufmerksamkeit hat er verdient. Was mich stört, ist die Blauäugigkeit, mit der viele Journalistïnnen darauf anspringen. Natürlich ist das eine nette Geschichte, die man schnell aufschreiben kann und die gut geklickt wird – aber sie ist eben unvollständig und unterkomplex.

Leider kommen solche Sorglosigkeiten bei digitalen Themen regelmäßig vor. Wer mehr dazu lesen will: Marcel Weiß hat sich ausführlich an dem vermeintlichen Map-Hack abgearbeitet (Neunetz).

Abteilung Sicherheit & Datenschutz

Die schlechten Nachrichten: Whatsapp war angreifbar. Die Sicherheitslücke war schwerwiegend. Die guten Nachrichten: Die Schwachstelle ist geschlossen und war eng begrenzt. Es war nur eine bestimmte iOS-Version (2.20.10) in Kombination mit einer bestimmten Desktop-Version (0.3.9309). Patrick Beuth erklärt die Details (Spiegel).

Die EU-Kommission weitet ihre kartellrechtlichen Ermittlungen gegen Facebook aus, wie das WSJ berichtet. Demnach soll es vor allem um die Rolle von Onavo gehen, einer als VPN getarnten App, die heimlich Nutzungsdaten sammelte und Facebook wertvolle Einblicke verschaffte. Kontext zu Onavo gibt es in Briefing #520 und bei der SZ.

Follow the money

Spotify kauft The Ringer: Spotify macht ernst mit den Plänen, die erste Adresse für Podcasts zu werden. Um das sensationelle Wachstum von 200 Prozent im letzten Jahr noch zu toppen, übernimmt Spotify einen der größten und populärsten Podcast-Produzenten, The Ringer. Hier gibt es Hintergründe zum Deal: Spotify is buying The Ringer, expanding its podcast footprint (NiemanLab)

Snap legt Q4-Zahlen vor und enttäuscht die Anleger. Zwar steigerte Snapchat seine tägliche aktive Benutzerbasis im letzten Quartal auf 218 Millionen (plus 3,8 Prozent), blieb aber um 2 Millionen Dollar hinter den Umsatzerwartungen zurück. Das reichte bereits für ein Absacken der Aktie um 10 Prozent.

Empfehlungen fürs Wochenende

My Instagram: Der wohl beste Text zum Einfluss von Instagram auf dich, mich, Fashion, Stars, Politik, die Welt und überhaupt stammt von Dayna Tortorici und ist im Magazin n+1 erschienen. Einfach nur großartig dieser Longread. Wer jetzt keine Zeit findet, das Ding zu lesen, sollte es zumindest bookmarken. My Instagram – We all die immediately of a Brazilian butt lift.

Ben Evans: Tech in 2020 Wer sich dafür interessiert, was das nächste große Ding wird, der ist bei Ben Evans gut aufgehoben. Seine Präsentation zum Thema ist wirklich sehenswert. Tech in 2020: Standing on the shoulders of giants. Wer lieber einer Diskussion zum Thema lauschen möchte, dem sei dieses YouTube-Video ans Herz gelegt.

Neue Features

Tinder

  • Neue Filter & Interaktions-Vorschläge: Tinder plant, neue Filter einzuführen, um Pärchen besser zu matchen. Welche Filter gelauncht werden, ist noch unklar. Da die Konkurrenz aber bereits das Filtern nach Religionszugehörigkeit, Bildungshintergund, Familienplänen und Drogenkonsum zulässt, lässt sich erahnen, wie weit das Feld ist. Zudem plant Tinder neue Interaktions-Vorschläge – falls einem gar nichts einfällt, was man vor dem Date sagen könnte. Tinder to add new features (Techcrunch)

Instagram

Header-Foto von Karol Kaczorek bei Unsplash