Salut und herzlich Willkommen zur 520. Ausgabe des Social Media Watchblog Briefings. Heute blicken wir auf Facebooks Zahlen für das vierte Quartal 2018. Zudem berichten wir darüber, warum Facebook Teenager dafür bezahlt hat, ihre Smartphones ausspionieren zu dürfen. Auch blicken wir auf die neuesten Entwicklungen im Kampf gegen Desinformationen und teilen eine Studie, die aufzeigt, dass Menschen etwas glücklicher sind, wenn sie Facebook nicht nutzen. Arme Teufel. Wir wünschen eine gewinnbringende Lektüre und bedanken uns für das Interesse, Martin & Simon & Tilman

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Facebook bezahlt Teenager, um deren Smartphones überwachen zu dürfen

Was ist: Mit finanziellen Anreizen versuchte Facebook, Teilnehmer für ein sogenanntes "Forschungsprogramm" zu gewinnen. Wer eine VPN-App installierte, erhielt bis zu 20 Dollar pro Monat – und gab Facebook dabei nahezu unbegrenzten Zugriff auf sein Smartphone. Teilweise forderte Facebook die Nutzer sogar auf, Screenshots ihres Amazon-Bestellverlaufs zu machen und einzuschicken. Der Techcrunch-Enthüllung zufolge richtete sich das Programm an 13-35-Jährige, also auch an Minderjährige.

Was Facebook antrieb: Detaillierte Nutzungsdaten sind für Facebook wertvoll. Das Unternehmen setzte jahrelang auf eine VPN-App namens Onavo, die Privatsphäre vorgaukelte, tatsächlich aber das Smartphone überwachte und Informationen an Facebook schickte. Diese Daten sollen unter anderem maßgeblich zu Zuckerbergs Entscheidung beigetragen haben, Whatsapp zu kaufen. Im vergangenen August zwang Apple Facebook, Onavo aus dem Apple-Store zu entfernen. Doch offenbar wollte Facebook nicht darauf verzichten, seinen Nutzern über die Schulter zu schauen – und fand eine Möglichkeit, Apples Richtlinien für den App-Store zu umgehen.

Wie Facebook vorgegangen ist: Facebook machte sich mehrere Beta-Programme zunutze, die es Entwicklern ermöglichen, Apps mit erweiterten Zugriffsrechten außerhalb des Apple-Stores anzubieten. Das Unternehmen ließ etwa auf Instagram und Snapchat um minderjährige Nutzer werben. Anzeigen richteten sich an 13-17-jährige Teenager, die an einer "bezahlten Social-Media-Forschungs-Studie" teilnehmen sollten. Auf der Anmeldeseite wurde nicht erwähnt, dass Facebook dahintersteckte. Teilnehmer willigten unter anderem ein, dass Facebook auf Inhalte zugreifen darf, die erstellt und gesendet werden, wenn Nutzer mit den Apps interagieren – teilweise sogar, wenn die Apps diese Inhalte verschlüsseln.

Was Facebook sagt: Ein Sprecher teilte mit, dass der Techcrunch-Bericht wichtige Fakten unterschlage. Entgegen der Anschuldigung sei es kein "geheimes" Programm gewesen und habe Nutzer nicht ausspioniert. Demnach hätten diese bei der Anmeldung ausdrücklich eingewilligt, dass Daten gesammelt werden. Weniger als fünf Prozent der Teilnehmer seien minderjährig gewesen, Facebook habe die Zustimmung der Eltern eingeholt. In einer ersten Reaktion auf die Enthüllung von Techcrunch verteidigte Facebook sein Vorgehen. Wenige Stunden später teilte das Unternehmen mit, das Programm für Apple-Nutzer zu beenden.

Was Facebook nicht sagt: Das Statement ist äußerst dürftig, es bleiben eine Menge Fragen offen: Welche Daten sammelte Facebook genau? Wie viele Nutzer hatten die Apps, und wie viele davon waren minderjährig? Gab es auch Nutzer in Deutschland? Warum bot Facebook Nutzern finanzielle Anreize, um ihre Privatsphäre zu verkaufen? Die Praxis verstößt mutmaßlich gegen die DSGVO, die vorschreibt, Teenager eindeutig und unmissverständliche zu informieren, wenn Daten gesammelt werden. War sich Facebook dieses Verstoßes bewusst? Warum nutzte Facebook nicht Apples offizielles Testprogramm? Prüft Apple doch dort die Apps vorab, so wie es auch im Apple-Store geschieht.

Was andere sagen: Facebook ist schlechte Presse und harsche Kritik gewohnt. Doch diesmal fallen die Reaktionen noch heftiger aus als bei anderen Datenschutz-GAUs:

  • IT-Sicherheitsexperte Will Strafach hat für Techcrunch die App untersucht, die Facebook den Teilnehmern aufdrängte. "Das ist das dreisteste Verhalten eines App-Entwicklers, das ich jemals gesehen habe", schreibt Strafach auf Twitter. Er sei sprachlos und "komplett geplättet", dass Facebook offenbar glaubte, damit davonzukommen. Strafach hält Teile des ersten Statements, das Facebook Techcrunch gab, für "Bullshit erster Güte": Die ursprüngliche Behauptung, das Forschungsprogramm verstoße nicht gegen Apples Bedingungen für Entwickler, sei eine "eindeutige Lüge".
  • Der Blogger und Apple-Experte John Gruber schreibt, dass Facebook Apples Privatsphäre-Schutz den Krieg erklärt habe. "Ich bleibe dabei, dass Facebook ein kriminelles Unternehmen ist, und ich übertreibe nicht."
  • Marco Arment, renommierter iOS-Entwickler und Podcaster drückt es ähnlich drastisch aus: "Facebook schlägt Apple ins Gesicht, am helllichten Tag, die Welt kann dabei zusehen, weil es sich für unverwundbar hält". Er frage sich, ob Apple jemals zurückschlage.

Wie Apple reagiert: Um in Arments Bild zu bleiben: vielleicht nicht mit einer rechten Geraden, aber zumindest mit einer kräftigen Ohrfeige. Ein Sprecher sagte, dass Facebook gegen Apples "Developer Enterprise Program" verstoßen habe. Das erlaubt es Unternehmen, Apps für ihre eigenen Mitarbeiter zu testen und zu verbreiten. Teilnehmer installieren dabei Sicherheitszertifikate, die nur für den internen Firmengebrauch gedacht sind. Apples Nutzungsbedingungen verbieten es, normale Nutzer dafür zu rekrutieren. Genau das tat Facebook. Als Reaktion entzieht Apple Facebook alle Zertifikate – auch jene für Apps, die tatsächlich dem internen Gebrauch dienen, wie Facebook Recode bestätigte. Facebook-Mitarbeiter sollen wütend auf Apple sein, in internen Facebook-Chatrooms herrsche Chaos. Wie lange Facebook ausgesperrt bleibt, ist unklar.

Kalter Tech-Krieg? Dass Tim Cook und Mark Zuckerberg in diesem Leben keine engen Freunde mehr werden, ist seit Monaten offensichtlich. Immer wieder hat sich Apple auf Kosten von Facebook profiliert und betont, dass man im Gegensatz zur Konkurrenz kein Interesse habe, möglichst viele Daten zu sammeln. Privatsphäre sei ein Menschenrecht, sagt der Apple-Chef – das kommt bei Zuckerberg nicht gut an. Dennoch sind die beiden Unternehmen aufeinander angewiesen. Facebook braucht iPhone-Nutzer, und Apple braucht Facebooks Apps in seinem Store. Andere Entwicklern, die Apples Richtlinien ähnlich dreist umgehen, hätten wohl drastischere Konsequenzen fürchten müssen. Aber alle Facebook-Apps komplett zu verbannen, kann und will sich Apple nicht leisten.

Be smart: Erst alles abstreiten, dann ein halbgares, passiv-aggressives Statement, keine Entschuldigung und offenbar auch kein Unrechtsbewusstsein: Reue sieht anders aus. Da verwundert es kaum, dass Facebook das Testprogramm für Android-Nutzer weiterlaufen lässt und die Onavo-App nach wie vor im Play Store anbietet. Finger weg – und lieber ein VPN nutzen, das Geld kostet (dieser Testbericht ist ein guter Einstieg), statt für ein paar Dollar die Privatsphäre aufzugeben.

One more thing: Angeblich hat auch Google Enterprise-Zertifikate genutzt, um den Apple-Store zu umgehen und normalen Nutzern eine ähnliche VPN-App wie Facebook unterzujubeln. Ach ja, der Überwachungskapitalismus …

Autor: Simon Hurtz

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Facebook macht in drei Monaten 6.900.000.000 Dollar Gewinn

Was ist: Facebook hat die Zahlen für das vierte Quartal 2018 vorgelegt. Sie könnten kaum besser ausfallen – Datenskandalen, „Fake News“ und allem anderen Wahnsinn zu trotz. (Investor / Facebook)

Die wichtigsten Zahlen im Überblick:

  • Der Gewinn beläuft sich im 4. Quartal auf 6,9 Milliarden Dollar.
  • Der Umsatz konnte im Jahresvergleich um 30 Prozent gesteigert werden – auf nunmehr 16,9 Milliarden Dollar.
  • Die Zahl der monatlich aktiven Nutzer (MAUs) wuchs innerhalb des 4. Quartals um rund 50 Millionen Nutzer auf etwa 2,3 Milliarden.
  • Im Vorjahresvergleich macht das 9 Prozent mehr Nutzer.
  • 1,51 Milliarden Menschen nutzen Facebook demnach täglich.
  • In Europa konnte Facebook die Anzahl von monatlich aktiven Nutzern von 375 auf 381 Millionen Nutzern steigern.
  • 2,7 Milliarden Menschen greifen schätzungsweise auf eine App des Unternehmens zurück – nutzen also entweder Facebook, Instagram, WhatsApp oder Facebook Messenger.
  • Die Anzahl der Mitarbeiter wuchs im Jahresvergleich um 42 Prozent auf 35,587.
  • Instagram Stories nutzen nun 500 Millionen Menschen jeden Tag.
  • Rund 2 Millionen Werbetreibende lancieren Anzeigen in Stories.

Was Facebook 2019 plant:

  • Verschlüsselung und Vergänglichkeit (ephemerality) stehen hinsichtlich der Themen Sicherheit und Datenschutz im Mittelpunkt.
  • Messenger werden „zum Zentrum sozialer Erfahrungen“.
  • WhatsApp-Pay wird in anderen Ländern angeboten.
  • „Stories“ sollen künftig noch andere Möglichkeiten des privaten Teiles erhalten.
  • Gruppen sollen weiter an Bedeutung gewinnen.
  • Facebook Watch soll stärker ausgebaut werden (und zwar indem Video künftig nur noch dort stattfindet?).
  • Augmentend und Virtual Reality sollen ebenfalls ausgebaut werden.
  • Instagram soll noch stärker zur Shopping-Mall ausgebaut werden.

Be smart: Interessanterweise hat sich Facebook nicht genauer zur technischen Zusammenführung von WhatsApp, Instagram und Facebook Messenger geäußert. Aber davon einmal abgesehen darf Mensch feststellen, dass Facebook (und das Ego von Mark Zuckerberg ) unbeirrt weiter wächst. Während ich eigentlich davon ausgegangen bin, dass Facebook analog (und doch aus ganz anderen Gründen) zu Apple Federn lässt, ist genau das Gegenteil der Fall: Facebook Inc wächst und wächst und wächst.

Plus: Zuckerbergs Blogpost zu den Q4-Zahlen und den Zielen für 2019

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Kampf gegen Desinformation

Facebooks Supreme Court: In Ausgabe #519 hatten wir darüber berichtet, dass Facebook einen Rat installieren möchte, der sich um Content Moderationsrichtlinien und -beschwerden kümmern soll. Hier ist noch einmal die Ankündigung von Facebook. In der WIRED macht sich nun Kollegin Issie Lapowsky darüber Gedanken, wie ein solcher Rat (wenn überhaupt) funktionieren könnte und warum die Vorschläge von Facebook bislang zu kurz greifen – etwa weil ein Rat von 40 Personen kaum in der Lage sein wird, über Millionen von Entscheidungen zu brüten. In jeder einzelnen Woche. Real Facebook Oversight Requires More Than a 40-Expert Board.

State of Deepfakes: Spätestens seitdem wir wissen, dass eine Infocalypse auf uns zurollt, ist die Angst vor Fake-Videos groß, die so täuschend echt sind, dass sie womöglich nur mit forensischen Mitteln zu entlarven sind (BuzzFeed News). Eben jene Videos werden als Deepfakes bezeichnet und bereiten Wissenschaftlern und Sicherheitsbehörden gleichermaßen Kopfschmerzen. CNN hat einen tollen Primer zum Thema produziert, der einem sehr anschaulich vermittelt, was es mit Deepfakes auf sich hat.

Kooperation zwischen Universitäten und Crowdtangle: Facebooks hauseigenes Werkzeug, um virale Posts aufzuspüren, wird ja bereits in vielen Redaktionen eingesetzt. Auch viele Investigativ-Kollegen nutzen die Funktionen von Crowdtangle bereits intensiv, um Fakes und Desinformationen auf die Schliche zu kommen. Jetzt kündigt Facebook mehrere Kooperationen mit ausgewählten Universitäten zu genau diesem Zwecke an: künftig können einige Wissenschaftler Crowdtangle für Studien und Recherchen im Kampf gegen Desinformationen frei nutzen. Sehr gut! Crowdtangle für alle – und zwar umsonst! (Facebook for Media)

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Schon einmal im Briefing davon gehört

Seitenwechsler: Was haben ein Datenschutzaktivist von der Electronic Frontier Foundation, ein Anwalt vom Open Technology Institut und ein politischer Berater vom Access Advocacy Team gemein? Genau: Alle drei gelten als profilierte Facebook-Kritiker. Was haben sie noch gemein? Nun, Facebook hat sie abgeworben. So wird etwa Nate Cardozo (ehemals EFF) künftig für WhatsApp arbeiten. Die beiden anderen Kollegen, Robyn Greene und Nathan White, werden direkt für Facebook tätig. Nun ja. Hoffen wir mal, dass sie sich ihre kritische Sicht bewahren und nicht dem Zuck-Cult verfallen. (Ars Technica)

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Studie: What happens when you drop Facebook?

Das Stanford Institute for Economic Policy Research hat ein Arbeitspapier veröffentlicht, das Facebooks Rückkopplungseffekte auf Individuen, Politik und Gesellschaft untersucht. Es zeigt sich, dass Menschen, die auf Facebook verzichten:

  • mehr Zeit mit Freunden und Familie verbringen
  • etwas glücklicher & zufriedener mit ihrem Leben sind
  • leichte Verbesserungen hinsichtlich Depressionen und Angstzuständen zeigen

Allerdings zeigt die Untersuchung auch, dass Menschen bei Verzicht auf Facebook weniger über politische Events informiert sind und weniger polarisiert sind. Wirft also zurecht die Frage auf, was man als Gesellschaft lieber haben möchte.

Plus: Hier eine Einordnung von der New York Times: This Is Your Brain Off Facebook.

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Lesetipps fürs Wochenende

Leben ohne die Big Five: Kashmir Hill schreibt derzeit eine Artikel-Serie darüber, wie es sich ohne Google, Amazon, Microsoft, Facebook und Apple lebt. Nach einer Woche ohne Google wird klar: der Tech-Riese hat sich so ziemlich in jeden Part des Internets eingeschlichen und ein Leben ohne Google ist zwar möglich, aber mit erheblichen Einbußen verbunden. Kleines Beispiel: Wer auf Google gänzlich verzichtet, kann Spotify ebenfalls nicht mehr nutzen – die Musik wird in der Google Cloud gehostet. Anderes Beispiel: Wer AirBnb ansteuert, wird dort keine Fotos mehr zu sehen bekommen – ebenfalls bei Google gespeichert. Auch Uber und Lyft lassen sich nicht mehr nutzen, basiert die Navigation doch auf Google Maps. Die Liste der Services, die in einem Leben ohne Google nicht mehr funktionieren, lässt sich beliebig fortsetzen. Aber schau dir einfach selbst den Artikel an, es lohnt sich. (Gizmodo)

Die Opfer von Verschwörungstheorien: Wie fühlt es sich wohl an, wenn das eigene Foto durchs Internet getragen wird und Abertausende das Gerücht weiterreichen, dass du für ein Massaker an einer amerikanische High School verantwortlich zeichnest? Marcel Fontaine ist genau das passiert und bei weitem nicht der einzige, der obskuren Hetzjagden auf 4Chan und Verschwörungstheoretikern bei Twitter zum Opfer gefallen ist. Der Guardian hat mit einigen von ihnen gesprochen. Erschütternd. Trapped in a hoax: survivors of conspiracy theories speak out.

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Tipps, Tricks und Apps

Hintergrund wegzaubern: Wer es nicht so mit Photoshop hat, dürfte seinen Spaß an der Website remove.bg haben. Dort lassen sich wie von Geisterhand (read: ohne weitere Kenntnisse) Porträts freistellen. Zwar erklärt die Website, sie würde die Fotos danach wieder löschen, aber eine Garantie übernehme ich dafür natürlich nicht.

Wie groß ist eigentlich… ein Hund? Ein Eurocopter? Eine Apple Watch? Ein Eukalyptus-Baum? Eine Rolltreppe? Ein Stuhl? Ein aufblasbarer Swimmingpool? Die Website dimensions.guide zeigt es dir. Herrlich zum Stöbern und toll, falls Mensch einmal nicht das berühmte Fußballfeld als Vergleichsgröße heranziehen möchte.

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One more thing

Meine erste B1-Kolumne: Ich freue mich riesig, dass in der Februar-Ausgabe die erste Social-Media-Kolumne von Kollege Mischa Täubner und mir in der brand eins erscheint. Es geht um Marques Brownlee und die Frage, warum Authentizität so wichtig für den Erfolg auf Social ist. 😊