Was ist

Facebook hat eine turbulente Woche hinter sich:

  • Immer mehr Unternehmen schließen sich der Kampagne #StopHateforProfit an, die dazu aufruft, im Juli keine Anzeigen auf Facebook zu schalten.
  • Die Unterstützerïnnen kritisieren unter anderem Mark Zuckerbergs Entscheidung, Beiträge von Donald Trump nicht zu löschen.
  • Der US-Präsident ist dagegen erbost, dass es Facebook gewagt hat, Anzeigen seines Wahlkampfteams zu entfernen – und erwägt nun, im Wahlkampf statt auf Twitter und Facebook verstärkt auf seine eigene App zu setzen.
  • Zugleich werfen mehrere investigative Recherchen ein schlechtes Licht auf Facebook. Sie erwecken den Eindruck, dass die Plattform den Kampf gegen strafbaren Hass und Hetze verliert.

Der Werbeboykott

  • „What would you do with $70 billion?”, fragen die Aktivistïnnen der Initiative #StopHateforProfit auf ihrer Webseite und in einer ganzseitigen Anzeige in der L.A. Times. Die Antwort: „We know what Facebook did.”
  • Es folgt eine Auflistung an Vorwürfen, die sich darum drehen, dass Facebook angeblich Rassistïnnen und Rechtsradikalen freie Hand lässt, schwarze Nutzerïnnen nicht ausreichend schützt und Rechtsaußen-Seiten wie Breitbart und den Daily Caller hofiert.
  • Daraus leitet die Kampagne eine Forderung ab: „Let’s send Facebook a powerful message: Your profits will never be worth promoting hate, bigotry, racism, antisemitism and violence.”
  • Dahinter stehen mehrere große US-Bürgerrechtsorganisationen wie die Anti-Defamation League, Color of Change, NAACP und Sleeping Giants.
  • Was klein angefangen hat (The Information), ist mittlerweile groß geworden (NYT): In den vergangenen Tagen haben sich etliche Unternehmen angeschlossen, darunter auch bekannte Namen wie Ben & Jerry's, The North Face, Patagonia, Magnolia Pictures, Dashlane und Arc’teryx.
  • „It’s obviously a cultural moment of pain”, begründet etwa der Marketing-Chef von The North Face die Entscheidung (Bloomberg) – natürlich mit Blick auf die #BlackLivesMatter-Proteste in den USA.
  • Die Aktivistïnnen kontaktieren auch Werbeagenturen (WSJ) und Weltkonzerne wie Procter & Gamble (NBC) und fordern sie auf, ihr Werbebudget anders zu verteilen.
  • Offenbar mit Erfolg: P&G will Plattformen aussortieren (Marketing Week), die keine ausreichenden Maßnahmen gegen Rassismus und Hass einleiten. Auch bei Agenturen und anderen Marketingfirmen hat die Kampagne Wirkung hinterlassen (Popular Information).
  • Der Boykott soll vorerst auf den Juli beschränkt bleiben, die finanzielle Auswirkungen für Facebook dürften sich in Grenzen halten (Quartz).
  • Dennoch scheint Facebook die Kampagne sehr ernst zu nehmen: Ein führender Manager gestand in einer eigens anberaumten Telefonkonferenz mit mehr als 200 Werbekunden ein, dass Facebook an einem „Vertrauensdefizit” leide (FT).

Der Trump-Boykott

  • Im Vergleich zu #StopHateForProfit wirkt die Drohung, mit der US-Präsident Donald Trump derzeit Druck aufbauen will, eher harmlos.
  • Die Trump-Kampagne denkt darüber nach, die großen Social-Media-Plattformen zu boykottieren (WSJ).
  • Demnach will Trump mögliche Wählerïnnen verstärkt über seine eigene App ansprechen und sich ein Publikum auf alternativen Plattformen aufbauen.
  • Erst kürzlich hatte Brad Parscale, der Trumps digitalen Wahlkampf organisiert, Zuckerberg bei Fox News ein (zweifelhaftes) Lob ausgesprochen: Im Gegensatz zu anderen CEOs verstehe der Facebook-Chef, wie wichtig Redefreiheit sei.
  • Doch dann löschte Facebook mehrere Trump-Anzeigen (BBC), die Nazi-Symbolik beinhalteten – und zog den Zorn des Präsidenten auf sich.
  • Und damit nicht genug: Facebook und Twitter wagten es auch noch, ein manipuliertes Video, das Trump geteilt hatte, wegen Urheberrechtsverstößen zu entfernen (The Verge).
  • Trump und die Republikaner interpretieren das natürlich als weiteren Beleg für den angeblich anti-konservativen Bias des Silicon Valley – der in diesem Fall schlicht darin besteht, eindeutig illegale Inhalte zu löschen.
  • Der Wahlkampfauftritt in Tulsa dürfte nicht zur Beruhigung des Präsidenten beigetragen haben: Dort blieben Tausende Plätze frei (Spiegel) – wohl auch, weil TikTok-Teenager Trump einen ziemlich erfolgreichen Streich gespielt haben.
  • Trotzdem kann und wird Trump wohl keine der großen Plattformen boykottieren. Dafür sind sie zu wertvoll für seinen Wahlkampf, nur dort erreicht er die breite Masse der Menschen in den USA.
  • Während manche Unternehmen Facebook links liegen lassen, gibt Trump dort weiter Hunderttausende Dollar pro Tag aus (Twitter / Donie O'Sullivan)
  • Trotzdem ist eine weitere Eskalation denkbar: Trump hat in den vergangenen Monaten die Grenzen der Plattformen ausgelotet – fragwürdige Inhalte blieben online, aber selbst der US-Präsident darf offenbar keine Nazi-Symbolik posten und muss sich an das Urheberrecht halten.
  • Wer sagt, dass es Trump dabei belässt?
  • „Surely worse is to come”, prophezeit Casey Newton (Revue). „I’ve never thought it was even plausible that a big social network would ban one of the president’s accounts. But if he continues in this vein, one or more of them may feel as if they don’t have a choice.”

Der Kampf gegen den Hass

  • „Die Analyse von 2,6 Millionen Posts und Kommentaren aus rechten Facebook-Gruppen zeigt, wie Facebook beim Hass im Netz versagt.”
  • Dieses Fazit ziehen BR, NDR und WDR, die für das Projekt „Die Hassmaschine” eine gewaltige Datenbank mit Kommentaren aus den Jahren 2010 bis 2019 ausgewertet haben.
  • Mit erfundenen Identitäten haben die Journalistïnnen in 138 geschlossenen Gruppen recherchiert und Tausende strafbare Kommentare gefunden.
  • Die Erkenntnisse sind in ihrer Tendenz nicht neu. Was in vielen privaten Gruppen abgeht, ist lange bekannt.
  • Doch das Ausmaß der Recherche verdeutlicht die Herausforderung vor der Facebook steht – und die Hilflosigkeit des Unternehmen.
  • Teils schlägt Facebook die Gruppen sogar selbst vor und trägt mit seinen Empfehlungsalgorithmen dazu bei, dass noch mehr Nutzerïnnen beitreten.
  • „Der Konzern weiß, dass er aggressiver gegen Hassrede vorgehen muss”, sagt Autor Steven Levy, der Facebook so gut kennt wie kaum jemand sonst. „Aber weil die Plattform auf eine Art entwickelt wurde, die extreme und virale Inhalte bevorzugt, hat der Konzern nun ein Problem mit der Welt, die er erschaffen hat.”
  • Auch in den USA setzen Recherchen Facebook unter Druck: Rechtsextreme und gewaltverherrlichende Inhalte und Seiten der „Boogaloo”-Bewegung bleiben online (Washington Post), obwohl sie klar gegen die Gemeinschaftsstandards verstoßen.
  • Ähnlich hilflos wirkt das Vorgehen gegen die verschwörungsideologische Seite Natural News, die Facebooks Maßnahmen immer wieder umgeht (Vox) und Desinformation verbreitet.
  • A propos irre Verschwörungsideologien: Auch QAnon-Gruppen wachsen und gedeihen munter vor sich hin (Guardian), unter tatkräftiger Mithilfe von Facebooks Empfehlungsalgorithmen.
  • Sagten wir investigative Recherchen? Da darf Judd Legum nicht fehlen, der in seinem Newsletter Popular Information erklärt, wie der Rechtsaußen-Influencer Ben Shapiro „The Daily Wire” zu einer der erfolgreichsten Facebook-Seiten aufgebaut hat und sich dabei teils über Facebooks Regeln hinwegsetzt – ohne, dass Facebook eingreift.
  • Genauso fragwürdig ist der Umgang von Facebook mit Klimawandel-Leugnerïnnen, über den Legum in einer weiteren Ausgabe berichtet: Statt die unwissenschaftlichen Falschbehauptungen von Faktenprüferïnnen checken zu lassen, bleiben sie unwidersprochen stehen – weil es sich um eine „Meinung” handle.

Be smart

Facebook vorzuwerfen, dass es tatenlos zusieht, wie die Plattform von Rechtsradikalen, Rassistïnnen und dem US-Präsidenten missbraucht wird, um Hass zu säen und die Gesellschaft zu spalten, wäre unfair:

  • In Briefing #643 haben wir ausführlich analysiert, was hinter Zuckerbergs Entscheidung steht, Trumps Beitrag nicht zu löschen, in dem dieser Plünderern mit Gewalt droht.
  • Unser Fazit: „Das kann man für falsch halten, aber es scheint seine Überzeugung zu sein, und nicht nur eine wirtschaftlich motivierte Haltung.”
  • Anfang der Woche veröffentlichte die EU-Kommission einen Bericht (PDF), demzufolge Facebook und Instagram illegale Hassrede, die gemeldet wurde, zuverlässiger löschen als YouTube und Twitter – worauf Facebook auch selbst aufmerksam machte.
  • Ebenfalls im Unternehmensblog finden sich die Ankündigung, dass Nutzerïnnen künftig politische Werbung ausblenden können (wir berichteten), ein Überblick der Maßnahmen, mit denen Facebook die schwarze Community unterstützen will (unter anderem mit 200 Millionen Dollar) und ein Beitrag zu einer neuen Funktion, die automatisch warnt, wenn man Inhalte teilen will, die mehr als drei Monate alt sind.

Das sind sinnvolle Initiativen. Die Frage ist nur: Werden sie reichen, um den Ruf der Plattform langfristig zu retten? Je näher die US-Wahl rückt, desto wilder dürfte es Trump treiben, desto größer dürften die Spannungen werden, desto schwerer wird es Facebook fallen, nicht zwischen den politischen Lagern zerrieben zu werden.

Nach wie vor drohen Regulierung und kartellrechtliche Ermittlungen, die Facebook härter treffen könnten als das öffentliche Pöbeln des US-Präsidenten. Und obwohl #StopHateForProfit nicht der erste Boykottaufruf ist, dem einige große Unternehmen folgen (2017 traf es etwa YouTube), sollte Facebook die Kampagne ernst nehmen.

Stephan Loerke, Chef der World Federation of Advertisers, glaubt jedenfalls, dass sich etwas verändert hat (Digiday):

What’s different this time is the nature of the issue and the level of concern I’m picking up with respect to the perception of social media platforms’ role in society at a time when society is divided and going through significant unrest.


Header-Foto von Charles Fair bei Unsplash