Was ist

  • TikTok ist erwachsen geworden. Die App hat sich nicht nur als eine der großen Plattformen etabliert, sondern auch als treibende Kraft für Musik und Popkultur.
  • Doch 2024 könnte ein schwieriges Jahr für ByteDance werden. Die alten Probleme bleiben, allen voran das Misstrauen und die teils offene Xenophobie, die der "chinesischen" App aus den USA entgegenschlägt. (TikTok selbst ist kein chinesisches Unternehmen, auch der Mutterkonzern ByteDance wurde offiziell auf den Caymaninseln registriert; die operative Firmenzentrale liegt aber in Peking, die chinesische Regierung kann Druck ausüben.)
  • Im Wahljahr dürften die Republikaner erneut Stimmung gegen China machen, das verheißt nichts Gutes für TikTok. Nach vergleichsweise ruhigen Jahren wird es 2024 wieder ungemütlich.
  • Die feindselige Anhörung im US-Kongress war ein erster Vorgeschmack (The Verge), TikTok-Chef Shou Zi Chew wird sich auf heftige Angriffe einstellen müssen. Da ist es kein Wunder, dass die Lobby-Ausgaben in den USA drastisch steigen (Nikkei Asia).
  • Hinzu kommen neue Probleme. Die Zeiten des rasanten Wachstums sind vorbei, die Konkurrenz hat die Erfolgsformate kopiert. Jetzt will sich TikTok neu erfinden, läuft dabei aber Gefahr, sich von seinen Wurzeln zu entfernen.

Welche Baustellen TikTok plagen

Wachstum

  • Die gute Nachricht: Zwischen 2021 und 2023 ist TikTok schneller gewachsen als alle anderen Plattformen (Pew). Unter Jugendlichen und jüngeren Erwachsenen in den USA zählt TikTok zu den beliebtesten Apps.
  • Die schlechte Nachricht: Das Wachstum schwächt sich offenbar ab. 2022 stieg die Zahl der monatlich aktiven Nutzerïnnen um durchschnittlich zwölf Prozent pro Quartal, 2023 waren es nur noch drei Prozent (TechCrunch).
  • Die Daten von Sensor Tower sind nur ein Näherungswert, doch auch die Download-Zahlen stagnieren. TikTok wird sich wohl darauf einstellen müssen, dass die Bäume nicht mehr in den Himmel wachsen.
  • Es dürfte kein Zufall sein, dass TikTok versucht, volljährige Nutzerïnnen mit finanziellen Anreizen zu überzeugen, Freundïnnen auf die Plattform einzuladen. Im Januar konnte man in den USA Geld verdienen, wenn Menschen sich über Referral-Links neu anmeldeten.
  • Langsameres Wachstum muss nichts Schlechtes sein. Die Plattform ist riesig, der kulturelle Einfluss weiter enorm, und das Werbegeschäft hat noch viel Potenzial.
  • Das bedeutet aber auch, dass man neue Wege finden muss, um mehr Geld zu verdienen. Und das kann schiefgehen, womit wir direkt zu unserem nächsten Punkt kommen …

Shopping

  • Seit Monaten versucht TikTok mit aller Macht, Nutzerïnnen zu animieren, Geld auszugeben. Im laufenden Jahr will man allein in den USA Waren im Wert von 17,5 Milliarden Dollar über TikTok Shop verkaufen (Bloomberg).
  • Dafür baut TikTok Studios auf, die Creator für Shopping-Livestreams nutzen können (The Information). Zudem testet man eine Funktion, die Produkte in allen Videos erkennt und automatisch zu TikTok Shop verlinkt (Bloomberg).
  • Kurzfristig mag das kommerziell erfolgreich sein. Langfristig riskiert TikTok aber, einen Teil seines Publikums zu verärgern.
  • Die App ist auch deshalb groß geworden, weil sich die Inhalte leicht und spielerisch anfühlten, kreativ und authentisch. In dem Maße, wie sich Creator kommerzialisiert haben, hat sich auch TikTok verändert – und einen Teil des Charmes seiner Anfangsjahre eingebüßt.
  • Wenn TikTok jetzt Shopping-Funktionen pusht, verstärkt das den Eindruck, eine Dauerwerbesendung zu betrachten (Digiday):
Generally speaking, users aren’t as taken with Shop right now as TikTok — mostly because its ads have taken over much of their feeds, to the point of overkill. It’s certainly something that marketers highlighted to Digiday last year. Perhaps this could be one of the reasons for slowing usage? Regardless, it seems like TikTok still needs to get the balance right when it comes to going all in on social commerce, without destroying users’ experience.
"There's links everywhere," Brassel says in the video. "There's a hundred ads. Why is there 17-year-old girls trying to sell me 35-cent ring lights?"
  • Natürlich ist das bloß anekdotische Evidenz, nur TikTok kennt die internen Metriken. Aber uns kommt es so vor, als spiegelten solche Texte die Stimmung eines relevanten Teils der Nutzerïnnen wider (NYT):
The effect of seeing all of these quasi-ads — QVC in your pocket — is soul-deadening. Often, around two of every five videos are for products I don’t need: I have been offered a version of an ad for a specific magnetic phone charger over 100 times, easily, and I have seen people shilling for one specific oil-pulling dental health concoction even more often. The possibility of making a few bucks has turned ordinary people into creative directors and provided a steady flow of free advertising and marketing ideas for pennies on the dollar.

Musik

  • Ende Januar entfernte Universal, das größte Musiklabel der Welt, alle Songs von TikTok. Das betrifft unter anderem Lieder von Taylor Swift, Drake, Adele und Billie Eilish. Insgesamt geht es um rund sieben Millionen Songs.
  • Vorausgegangen war ein offener Brief, in dem Universal TikTok vorwirft, zu wenig für die Nutzung zu bezahlen, Künstlerïnnen durch KI zu ersetzen und kaum etwas gegen Urheberrechtsverletzungen zu unternehmen:
TikTok proposed paying our artists and songwriters at a rate that is a fraction of the rate that similarly situated major social platforms pay. (…) On AI, TikTok is allowing the platform to be flooded with AI-generated recordings—as well as developing tools to enable, promote and encourage AI music creation on the platform itself – and then demanding a contractual right which would allow this content to massively dilute the royalty pool for human artists, in a move that is nothing short of sponsoring artist replacement by AI.
  • Die Reaktion von TikTok fiel vorwurfsvoll aus (TikTok-Newsroom). Das Statement ist so kurz und schnippisch, dass wir es hier in Gänze zitieren:
Es ist bedauerlich und enttäuschend, dass die Universal Music Group ihre eigene Gier über die Belange ihrer Künstlerïnnen und Songwriterïnnen stellt.

Trotz der falschen Darstellung und Rhetorik von Universal steht fest, dass sie sich dafür entschieden haben, auf die Unterstützung einer Plattform mit weit über einer Milliarde Nutzer*innen zu verzichten, die zur kostenlosen Promotion und Entdeckung ihrer Talente dient.

TikTok hat mit allen anderen Labels und Verlagen „Artist-First"-Vereinbarungen getroffen. Offensichtlich ist das eigennützige Vorgehen von Universal nicht im besten Interesse von Künstlerïnnen, Songwriterïnnen und Fans.
  • Deutlicher kann man nicht „fuck you“ sagen. Ohne die Details der Verhandlungen und die gebotenen Summen zu kennen, lässt sich kaum beurteilen, welche Seite mehr zur Eskalation beigetragen hat.
  • Sehr wohl kann man aber sagen, dass das Ergebnis für TikTok eine Blamage ist. Bereits jetzt laufen etliche virale Videos stumm (The Verge), und das könnte erst der Anfang gewesen sein (Wired)
In an email to WIRED, Barney Hooper, a global head of music communications at TikTok, indicated that the change impacts only music from UMG and confirmed that videos with previously licensed music will stay muted until another deal is closed. Soon, TikTok might also take steps to remove songs in the Universal Music Publishing Group catalog, which would increase the number of impacted artists.
  • Am Ende riskiert TikTok damit, ähnlich wie mit dem Shopping-Push, sein wichtigstes Kapital: das Wohlwollen der Nutzerïnnen (Techdirt):
It’s one thing to play chicken with a major music publisher that is probably playing strongman with its music catalogue for reasons not entirely on the level. But to hang your own users out to dry as a result of that game of chicken is platform malpractice.
  • Vermutlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich Universal und TikTok auf einen neuen Vertrag einigen. Doch allein die Tatsache, dass TikTok es so weit hat kommen lassen, deutet auf eine schlechte Verhandlungstaktik hin.

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