Was war

Im März schrieben wir (SMWB):

Die USA wollen ByteDance mal wieder zwingen, TikTok zu verkaufen. Klingt nach „Und täglich grüßt das Murmeltier“, doch dieses Mal könnte die Drohung wahr werden.

Die Kurzfassung der damaligen Situation:

  • Die Abgeordneten des US-Repräsentantenhauses stimmten einstimmig einem Gesetzentwurf zu, der ByteDance zwingen sollte, die US-Version von TikTok zu verkaufen. Andernfalls müssten Apple und Google sowie Internetprovider verhindern, dass die App aktualisiert und heruntergeladen wird.
  • Bereits 2020, zur Zeit von Trumps Verbotsversuchen, änderte China seine Regeln zur Exportkontrolle und sicherte sich damit ein Vetorecht (New York Times). Die Regierung wird einem Verkauf kaum zustimmen, es liefe also auf ein Verbot hinaus.
  • US-Präsident Joe Biden signalisierte Unterstützung für den Vorstoß. Er werde das Gesetz unterschreiben, falls der Senat zustimme, sagte Biden.
  • Schon damals war aber unklar, wie sich die Senatorïnnen verhalten würden. Der demokratische Mehrheitsführer Chuck Schumer hatte in der Vergangenheit zwar vor der angeblichen Bedrohung für die nationale Sicherheit gewarnt, die von TikTok ausgehe. Zum Gesetzentwurf äußerte er sich aber nicht eindeutig.
  • Noch schwerer einzuschätzen waren die Republikaner. Denn ausgerechnet Donald Trump, der jahrelang xenophobe und rassistische Narrative bedient hatte, um Stimmung gegen TikTok zu machen, schlug sich auf die Seite von TikTok. Ein Verbot spiele den „wahren Feinden des Volkes“ in die Hände: „Facebook und Zuckerschmuck“.

Es folgten einige turbulente Tage, dann ebbte die Aufregung ab. TikTok schien davongekommen zu sein – mal wieder. Vergangene Woche bilanzierte Casey Newton (Platformer):

Taken together, these do not seem to me like the actions of a company that believes its apps are about to be banned in the United States and elsewhere. Rather, it seems like a bet that any effort to force the divestiture of TikTok won’t be able to clear both houses of Congress. And as the weeks go on, the odds on that bet are looking increasingly good.

Doch wer die TikTok-Diskussionen in den vergangenen Jahren verfolgt hat, sollte eines gelernt haben: Dieses Thema ist wie das Wetter im April, launisch und unstet. Am blauen Frühlingshimmel können sich jederzeit dunkle Wolken zusammenziehen. Genau das ist jetzt geschehen.

Was ist

  • Am Mittwoch verkündete Mike Johnson einen neuen Plan. Der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses will das TikTok-Thema erneut ins Haus einbringen (FT).
  • Der Clou: Dieses Mal soll der Gesetzentwurf mit weiteren Vorhaben gebündelt werden. Die Abgeordneten sollen gleichzeitig über TikTok sowie über finanzielle Unterstützung für Israel, Taiwan und die Ukraine entscheiden.
  • Das könnte die Chancen erhöhen, dass der Senat zustimmt. Einige Senatorïnnen hatten Bedenken geäußert, ob ein erzwungener Verkauf oder ein Verbot verfassungsgemäß wären. Womöglich tritt das in den Hintergrund, wenn es gleichzeitig um Außenpolitik geht.
  • Bereits am Samstag soll das Repräsentantenhaus die vier Gesetzentwürfe beschließen. Dann würde das gesamte Paket im Senat landen, der zeitnah darüber abstimmen soll. Das ist ein ungewöhnliches, aber aussichtsreiches Vorgehen (NYT):
The move “to package TikTok is definitely unusual, but it could succeed,” said Paul Gallant, a policy analyst for the financial services firm TD Cowen. He added that “it’s a bit of brinkmanship” to try to force an up-or-down vote without further negotiation with the Senate.
  • Der neue Gesetzentwurf zu TikTok gleicht größtenteils dem Vorstoß aus dem März. Lediglich die Frist wurde verlängert. Statt 180 Tagen blieben ByteDance nun 270 Tage für einen Verkauf. Zudem kann der US-Präsident weitere 90 Tage Aufschub gewähren.
  • In jedem Fall endete die Deadline nach der US-Wahl im November. Je nach Wahlausgang und politischer Stimmung könnte das eine wichtige Rolle spielen.
  • Sollte der US-Kongress zustimmen, stünde dem Gesetz nichts mehr im Weg. Biden will das gesamte Paket unterzeichnen, sagte er:
The House must pass the package this week and the Senate should quickly follow. I will sign this into law immediately to send a message to the world: we stand with our friends, and we won’t let Iran or Russia succeed.

Wie TikTok reagiert

It is unfortunate that the House of Representatives is using the cover of important foreign and humanitarian assistance to once again jam through a ban bill.
  • In den vergangenen Wochen bearbeiteten TikTok-Lobbyisten nach Kräften die Senatorïnnen. Ihr Hauptargument: Ein Verbot beschränke die Redefreiheit der 170 Millionen Menschen, die TikTok in den USA nutzen.
  • Zudem seien Millionen Creator und kleine Unternehmen auf TikTok angewiesen. In die Hände spielen dürfte TikTok dabei der offene Brief an Biden, den einige reichweitenstarke US-Creator unterzeichnet haben.
  • Anders als bei den Verbotsversuchen unter Trump hielt sich ByteDance offenbar weitgehend raus. TikTok-Chef Chew Shou Zi durfte selbst versuchen, die Wogen zu glätten (SCMP):
The Chinese parent of TikTok has kept a safe distance from the troubles facing its short video app in the US, leaving the response to the local team and Singaporean CEO Chew Shou Zi as they face a possible legal battle against a forced sale or a ban, according to people briefed on the matter.
  • Die Verantwortlichen in Peking scheinen das Risiko eines Verbots für gering zu halten. Vielleicht trauen sie dem US-Team mittlerweile auch mehr zu oder fürchten (vermutlich zurecht), dass eine Einmischung aus China strategisch unklug wäre.
  • Die chinesische Regierung scheint das anders zu sehen. Diplomatïnnen der Botschaft in Washington sollen versucht haben, US-Politikerïnnen umzustimmen (Politico):
The embassy downplayed the national security concerns with TikTok in both meetings, the two staffers said, and sought to align the app with American interests: In one meeting, the embassy said a ban on TikTok would harm U.S. investors who hold some ownership in ByteDance. In the other, the embassy emphasized that not all ByteDance board members were Chinese nationals.
  • Gleichzeitig arbeitete TikTok munter weiter an anderen Produkten. In Australien und Kanada wird seit gestern der Instagram-Klon (oh, the irony) TikTok Notes getestet, mit dem man – tada! – Fotos teilen kann (The Verge).
  • Das ist nicht gerade innovativ, aber auch nicht allzu kontrovers. Ganz im Gegensatz zu TikTok Lite, mit dem man sich in Europa gerade Ärger einhandelt. Die App ist bislang in Frankreich und Spanien verfügbar und bezahlt Nutzerïnnen für Screentime und Likes – was der EU gar nicht gefällt (Reuters):
ByteDance's TikTok has been given 24 hours to provide a risk assessment on its new app TikTok Lite launched this month in France and Spain because of concerns about its potential impact on children and users' mental health, the European Commission said on Wednesday.
  • Eine solche App scheint in der aktuellen Situation nicht die allerbeste Idee zu sein. Die öffentlichen Vorbehalte, ob nun begründet oder nicht, entzünden sich schließlich nicht nur an den Verbindungen nach China, sondern auch an den angeblichen Risiken für Kinder und Jugendliche.
  • Mindestens genauso bedrohlich sind die Aussagen ehemaliger Angestellten, die aus Sicht von TikTok zu einem ungünstigen Zeitpunkt öffentlich werden (Forbes):
Many of those ex-workers, four of whom were employed as recently as last year, say at least some of TikTok’s operations were intertwined with its parent during their tenures, and that the company’s independence from China was largely cosmetic. (…) The allegations of close ties, made in interviews between August and April, raise more questions about the relationship between TikTok and ByteDance. They also create more fodder for critics who fear the Chinese government could use TikTok as a sort of Trojan horse to spy on Americans by sifting through the huge amounts of digital data that it collects.
  • Und als sei das nicht genug der schlechten Presse, scheint sich TikTok mal wieder selbst ein Ei gelegt zu haben (Forbes):

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