Was ist

Das TikTok-Verbot ist der neue Elon Musk: Das Thema, über das wir mindestens einmal zu oft geschrieben haben, aber doch nicht dran vorbeikommen:

  • Einerseits ist genau das geschehen, was wir am Dienstag angekündigt hatten (SMWB): Senat und US-Präsident Biden haben dem Gesetz zugestimmt, das auf ein TikTok-Verbot hinauslaufen könnte. Unsere Analyse ist weiter aktuell, darüber hinaus gibt es wenig wirklich neue Entwicklungen.
  • Andererseits wäre es seltsam, das bestimmende Tech-Thema dieser Tage komplett zu ignorieren. Ausgerechnet das Land, das FREE SPEECH in Großbuchstaben schreibt, schickt sich an, eine App zu verbieten, die mehr als die Hälfte der US-Bevölkerung nutzt.

Wir möchten uns nicht wiederholen und Dich nicht langweilen. Deshalb beschränken wir uns auf Aspekte, die in den vergangenen beiden Tagen relevant geworden sind. Dabei fassen wir uns kurz und verlinken auf weiterführende Quellen.

Falls Du doch tiefer einsteigen willst, findest Du unsere eigene TikTok-Berichterstattung hier:

1. Das Gesetz könnte vor Gericht scheitern

  • TikTok wird sich juristisch wehren. Das Argument: Das Gesetz verstoße gegen den Zusatzartikel der Verfassung, der in den folgenden Worten das Recht auf freie Meinungsäußerung garantiert:
Der Kongress darf kein Gesetz erlassen, das die Einführung einer Staatsreligion zum Gegenstand hat, die freie Religionsausübung verbietet, die Rede- oder Pressefreiheit oder das Recht des Volkes einschränkt, sich friedlich zu versammeln und die Regierung durch Petition um Abstellung von Missständen zu ersuchen.
  • Deshalb unterliegen Eingriffe in die Rede- und Meinungsfreiheit hohen Hürden. Das gilt erst recht für eine App, die mehr als 170 Millionen Menschen nutzen (Wired).
  • Die USA werden sich darauf berufen, dass TikTok eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellt. Das ist die einzige Chance, Richterïnnen zu überzeugen, dass ein Zwangsverkauf oder ein Verbot verhältnismäßig sind.
  • Frühere Verbotsversuche scheiterten vor Gericht, das aktuelle Gesetz ist aber präziser formuliert. Trotzdem ist der Ausgang einer Klage ungewiss.
  • Alle Juristïnnen, die sich öffentlich zu dem Thema äußern, klingen ähnlich zurückhaltend. Evelyn Douek, Professorin an der Stanford Law School, sagt etwa (Platformer):
National security tends to be a context where fundamental constitutional rights unfortunately do give way, and we do see courts bow to the pressure,” Douek said. “So there absolutely is uncertainty. Even if I’m 110 percent confident that the precedents say one thing, that doesn’t make me anywhere near 100 percent confident that that’s what the court will say.

2. Eine Entscheidung könnte sich noch Jahre hinziehen

  • Seit Bidens Unterschrift tickt die Uhr. Die 270-Tage-Frist (die um weitere 90 Tage verlängert werden könnte) endet am 19. Januar 2025 – einen Tag vor der Amtseinführung des neuen US-Präsidenten.
  • Doch womöglich ist dieses Datum gar nicht so entscheidend. Denn eine Klage würde den Countdown ohnehin pausieren (NBC):
Boltansky said ByteDance would file a suit no later than this fall. And while the case is under judicial review, the “clock” on any ban is effectively paused, he said.
  • Zunächst müsste sich ein Berufungsgericht in Washington, D.C. damit beschäftigen. Je nach Urteil dürften TikTok oder die USA Einspruch einlegen, der dann wiederum vor dem Supreme Court verhandelt würde.
  • In jedem Fall verzögert ein juristisches Verfahren das Inkrafttreten des Gesetzes. TikToks Tage in den USA sind also noch lange nicht gezählt. Wir reden nicht von Monaten, sondern voraussichtlich von Jahren.
  • Diese Zeit wird TikTok nutzen, um seine Lobbyarbeit auszubauen und massive Kampagnen zu starten (CNBC). Je näher die Wahl rückt, desto aggressiver dürften die Anschuldigungen der Gegnerinnen und Befürworter eines Verbots werden.

3. Der Kongress ist Beweise schuldig

  • Für das Gesetz werden drei zentrale Argumente angeführt: TikTok schade Kindern und Jugendlichen, sensible Daten könnten nach China abfließen, die KP könne durch Änderungen an den Algorithmen die öffentliche Meinung manipulieren.
  • Zu Punkt 1 und 2 haben wir jeweils eine Frage: Und was ist mit Instagram? Und was ist mit den Daten, die China legal von US-Brokern kaufen kann?
  • Der dritte Vorwurf hat die größte Substanz. Tatsächlich gab es in der Vergangenheit mehrfach Fälle von Drosselung oder Zensur bestimmter Inhalte, die zumindest misstrauisch machen. Zudem lassen sich subtile Eingriffe in die algorithmische Gewichtung kaum nachweisen.
  • Alle Argumente haben aber eine Gemeinsamkeit: Es handelt sich um Anschuldigungen, keine Beweise.
  • Die Kongressabgeordneten wurden hinter verschlossenen Türen von Geheimdiensten gebrieft. Angeblich wurden ihnen „schockierende Einblicke“ präsentiert. Der demokratische Senator Mark Warner sagt (The Verge):
Many Americans, particularly young Americans, are rightfully skeptical. At the end of the day, they’ve not seen what Congress has seen. They’ve not been in the classified briefings that Congress has held, which have delved more deeply into some of the threats posed by foreign control of TikTok.
  • Quelle: Trust us, Bro.
  • Das ist aus zwei Gründen faul bis fahrlässig. Zum einen geht es um einen beispiellosen Eingriff mit drastischen Konsequenzen, der gut begründet sein muss. Wenn es Belege gibt, sollte die Öffentlichkeit davon erfahren.
  • Zum anderen zählen US-Senatorïnnen nicht unbedingt zu dem Personenkreis, dem wir gern blind vertrauen, wenn es um Tech-Regulierung geht (Bloomberg):
This would carry more weight had Congress not consistently embarrassed itself on technology matters — like when a Senator asked Mark Zuckerberg how Facebook makes money, or when TikTok Chief Executive Officer Shou Chew was asked whether his app connects to home Wi-Fi.

4. China hat sehr wohl Einfluss auf TikTok

  • TikTok versucht seit Jahren, sich als Unternehmen darzustellen, das nichts mit China zu tun hat. Diese Behauptung war noch nie besonders glaubwürdig.
  • Immer wieder enthüllten Medien, dass chinesische Angestellte auf Daten zugreifen konnten oder gar einzelne Journalistinnen gezielt ausspionierten. Einen guten Überblick gibt diese Artikelsammlung von Forbes zu „TikTok’s China Problem“.
  • Jetzt sind erneut zwei Recherchen aufgetaucht, die TikToks enge Verflechtungen mit China in den Blick nehmen. Pikanterweise haben dabei jene beiden Journalistinnen mitgewirkt, die TikTok eins bespitzelte (angeblich handelte es sich damals nur um zwei Mitarbeiter, die sofort gefeuert worden seien).

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