Pew-Studie: Der TikTok-Hype ist real, YouTube wird unterschätzt

Was ist

Das Pew Research Center hat die Studie "Teens, Social Media and Technology 2022" veröffentlicht. Unsere geschätzte Watchblog-Kollegin Katrin Jahns fasst die Ergebnisse in ihrem eigenen Newsletter prägnant zusammen (Heise Scheise):

Fast alle nutzen täglich das Internet. Facebook interessiert keine Sau mehr. YouTube und TikTok sind am beliebtesten. Mehr Jungs checken Twitch und Reddit, mehr Mädels eher TikTok, Insta und Snapchat. Wie gesagt: Es ist alles extrem überraschend.

Ganz so knapp möchten wir die Untersuchung dann aber doch nicht abhandeln. Schließlich schreiben wir uns zweimal im Jahr die Finger wund, sobald Reuters Digital News Report (#803) und ARD/ZDF-Onlinestudie erscheinen (#757). Wenn eine renommierte Institution wie Pew Research Center diese jungen Menschen fragt, wie und welche sozialen Medien sie nutzen, dann verdient das in unserem Briefing einen ausführlicheren Blick.

Eine wichtige Einschränkung vorab: Die Studie bezieht sich ausschließlich auf die USA und lässt sich nicht direkt auf Deutschland übertragen. Wenn wir uns die digitalen Entwicklungen der vergangenen Jahre anschauen, ist die Wahrscheinlichkeit aber groß, dass es hierzulande in drei bis fünf Jahren ähnlich aussieht. Manche Trends brauchen einfach nur etwas länger, bis sie bei uns ankommen.

Die zentralen Erkenntnisse

  • Zuerst zur Methodik: Die Forschenden haben 1316 Teenager im Alter zwischen 13 und 17 Jahren befragt, zusätzlich jeweils mindestens einen Elternteil. Die Befragung fand größtenteils im April statt und ist repräsentativ, die statistische Schwankungsbreite beträgt 3,2 Prozentpunkte.
  • YouTube ist mit Abstand die Plattform mit der größten Reichweite. Auf die Frage, welche App oder Seiten sie nutzen, sagen 95 Prozent der Befragten: YouTube.
  • Mit knapp 30 Prozentpunkten Abstand folgt TikTok auf Platz 2, das von zwei Dritteln der US-Teenager genutzt wird. Knapp dahinter kommen Instagram (62%) und Snapchat (59%).
  • Danach gibt es wieder eine riesige Lücke. Nur ein Drittel der Befragten nutzt Facebook – vor sieben Jahren war es noch die mit großem Abstand am meisten genutzte Plattform unter Jugendlichen. Es folgen Twitter, Twitch, WhatsApp und Reddit.
  • 35 Prozent der Teenager sagen, dass sie "fast durchgängig" Zeit mit mindestens einer der Apps verbringen. Besonders hoch ist der Anteil der Dauernutzerïnnen bei TikTok und Snapchat mit jeweils einem Viertel.
  • Rund ein Fünftel der YouTube-Nutzerïnnen ist dort ständig online, bei Instagram ist es nur ein Sechstel. Man kann schon verstehen, warum Mark Zuckerberg Angst hat, dass die Gen Z zu wenige Ads auf Insta sieht.
  • Das passt zu Daten aus dem Juli: Demnach verbringen Kinder und Jugendliche im Schnitt mehr Zeit auf TikTok als auf YouTube (TechCrunch). TikTok versteht es wie keine andere App, Nutzerïnnen in den Bann zu ziehen und ihre Aufmerksamkeit zu absorbieren.
  • Mädchen, Schwarze und Hispanics nutzen TikTok überdurchschnittlich häufig. Zudem ist die App in Haushalten mit geringem Einkommen weiter verbreitet als in Mittel- und Oberschicht.
  • Bei Instagram ist der Sprung zwischen den 13/14-Jährigen und den 15-17-Jährigen besonders ausgeprägt. In der jüngeren Gruppe nutzen nur 45 Prozent die App, bei den Älteren sind es 73 Prozent. Das ist ein deutlich größerer Unterschied als etwa bei TikTok oder Snapchat.

Was sich daraus lernen lässt

  • Zwischen 2014 und 2022 hat sich die Social-Media-Landschaft komplett verändert. Damals dominierte Facebook, TikTok gab es noch nicht mal.
  • Das zeigt: Selbst scheinbar unantastbare Plattformen können binnen weniger Jahre in bestimmten Altersgruppen nahezu irrelevant werden. Das Nutzungsverhalten von Teenagern ist extrem schnelllebig, und wer einen Trend verpennt, wird links liegen gelassen.
  • Mit Bezug auf TikTok machen die Ergebnisse abermals klar: Der Hype ist real. ARD/ZDF-Onlinestudie und die deutsche Untersuchung des Digital News Report (DNR) hatten TikTok jeweils als eine Art Scheinriesen gezeichnet: Alle sprechen darüber, aber kaum jemand nutzt es wirklich. Beide Studien bezifferten die Verbreitung von TikTok auf einen Wert im einstelligen Prozentbereich.
  • Allerdings wurden für den DNR ausschließlich Erwachsene befragt, und die ARD/ZDF-Onlinestudie fasst alle 14-29-Jährigen in einer Altersgruppe zusammen – man erfährt also nicht, wie Jugendliche TikTok nutzen.
  • Dagegen beschäftigt sich das Pew Research Center ausdrücklich und ausschließlich mit Teenagern. Wir würden nur zu gern entsprechende Zahlen für die DACH-Region erfahren.
  • TikTok selbst rückt diese Statistiken leider nicht heraus und sagt nur, die App sei auch bei älteren Menschen viel weiter verbreitet als angenommen. Alle bisherigen Befragungen geben das nicht her.
  • Wir sind jedenfalls sehr gespannt auf die diesjährige ARD/ZDF-Onlinestudie, die voraussichtlich im November erscheinen wird. Vielleicht bringen diese Ergebnisse etwas mehr Klarheit, wen man denn auf TikTok nun wirklich erreicht.
  • Neben TikToks Relevanz unterstreicht der Report aber noch einen zweiten Punkt: YouTube fliegt zu Unrecht unter dem medialen Radar.
  • Wir fragen uns in diesem Briefing seit Jahren, warum Facebook so viel und YouTube so wenig Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die Plattform ist riesig, hat großen gesellschaftlichen Einfluss, wird aber konstant unterschätzt.
  • Das gilt auch für die Risiken und Nebenwirkungen. YouTube macht genauso Fehler wie Facebook und TikTok. Gefährliche Desinformation bleibt online, harmlose Videos werden fälschlicherweise und ohne nachvollziehbare Erklärung gelöscht.
  • Kürzlich waren wir bei einem Hintergrundgespräch im Bundespresseamt, das Faktencheck-Organisationen, Vertreterïnnen aus der Wissenschaft und Journalistïnnen eingeladen hatte, um über Desinformation und die Verantwortung der großen Plattformen zu sprechen. Der Name, der am häufigsten fiel, wenn es darum geht, Fehlinformationen zu entfernen: YouTube.
  • Zuckerberg wird für alles persönlich verantwortlich gemacht, was falsch auf Facebook läuft. YouTube gelingt es dagegen, sich dem Argwohn der Politik zu entziehen. Mit Blick auf die Zahlen des Pew Research Centers schreibt Evelyn Douek (Twitter):

Susan Wojcicki still has not appeared before Congress. I have lost count of how many times Mark Zuckerberg has.

Be smart

Apps wie TikTok und Instagram haben ein gemeinsames Ziel: Sie kämpfen um Aufmerksamkeit und möchten so viel wie möglich davon auf sich vereinen. Wie viel Zeit sollten Kinder und Jugendliche dort verbringen? Sollten sie solche Plattformen überhaupt nutzen? Schaden soziale Medien der psychischen Gesundheit, sind sie gar schädlich für die Demokratie?

Über diese Fragen wird seit Jahren gestritten. In den vergangenen Monaten hat der Psychologe Jonathan Haidt dazu mehrere Essays publiziert (beide The Atlantic), die wiederum lange Antworten (New Yorker) und heftige Kritik (Techdirt) nach sich gezogen haben.

Wir verorten uns irgendwo dazwischen. Soziale Medien zum Sündenbock zu machen, ist zu simpel. Es gibt aber berechtigte Sorgen, die man nicht einfach als Kulturpessimismus abtun sollte. In diesem Zusammenhang empfehlen wir einen Essay von Ezra Klein, bislang wahrlich nicht als technikfeindlich bekannt, der mit Bezug auf Haidt schreibt (NYT):

He’s arguing three things. First, that the way Instagram works is changing how teenagers think. It is supercharging their need for approval of how they look and what they say and what they’re doing, making it both always available and never enough. Second, that it is the fault of the platform — that it is intrinsic to how Instagram is designed, not just to how it is used. And third, that it’s bad. That even if many people use it and enjoy it and make it through the gantlet just fine, it’s still bad. It is a mold we should not want our children to pass through.


Social Media & Politik

  • Facebook verdient weiter Geld mit Rassisten: Offiziell hat Facebook die rassistische White-Supremacy-Bewegung von seiner Plattform verbannt. Tatsächlich findet man immer noch Dutzende Seiten und Gruppen, wie eine Untersuchung des Tech Transparency Project ergibt. Rund ein Drittel der Organisationen zählen zu Facebooks eigener Liste mit gefährlichen Organisationen und Individuen. Facebook profitiert auch finanziell davon: Wer nach Begriffen wie "Ku Klux Klan" oder "American Defense Skinheads" sucht, sieht Anzeigen. "We immediately began resolving an issue where ads were appearing in searches for terms related to banned organizations", sagt eine Sprecherin dazu (Washington Post).
  • TikTok-Sperre in Russland hat viele Schlupflöcher: Die von Mozilla gegründete NGO Tracking Exposed hat zum dritten Mal (PDF) TikToks Umgang mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine untersucht (die anderen beiden Berichte findest du hier). Die Kurzfassung: Russische Accounts sehen nach wie vor ausländische Inhalte, obwohl TikTok die russische Version offiziell auf Videos aus Russland beschränkt. Die Clips tauchen zwar nicht auf der Profilseite der jeweiligen Accounts auf, werden aber algorithmisch auf der eigenen For-You-Page empfohlen, sobald man den Konten folgt. Tracking Exposed nennt das "Shadow Promotion", angelehnt ans Shadow Banning. Ob Absicht oder ein technischer Fehler dahintersteckt, ist unklar.
  • Tech Platforms Election Database: Wenn du dich dafür interessierst, wie Social-Media-Plattformen mit Wahlen umgehen, dann könnte dieses Google-Doc ausgesprochen hilfreich sein. Katie Harbath und Collier Fernekes vom Bipartisan Policy Center haben dort mithilfe des Integrity Institutes eine wirklich spannende Datenbank aufgebaut (Bipartisan Policy Center): Welche Maßnahmen haben Tech-Konzerne vor großen Wahlen verkündet? Die Daten reichen 20 Jahre zurück, beinhalten Links auf die jeweiligen Ankündigungen in den Newsrooms und Unternehmensblogs (zur Not eine Version von Archive.org) und umfassen mehr als 400 Policy-Updates von großen und kleinen Plattformen.

Follow the money

  • 1 Million Snapchat+ Nutzerïnnen: Snap verzeichnet sechs Wochen nach Einführung des Abo-Modells Snapchat+ mehr als eine Million Nutzerïnnen (Techcrunch). Bei monatlichen Kosten von 3,99 Dollar kommt Snap schon jetzt auf 48 Millionen Dollar Mehreinnahmen pro Jahr. Das macht zwar noch lange nicht das maue Werbegeschäft wett. Es zeigt aber, dass Social-Plattformen mit Plus-Angeboten sehr wohl ihr Geschäft diversifizieren können.
  • Streaming-Abos via YouTube abschließen: Streaming-Anbieter wie Disney oder Netflix sind gut beraten, bei so vielen Plattformen wie möglich aufzutauchen, um neue Kunden zu akquirieren. Bei Apple TV oder Amazon Fire TV ist das geübte Praxis. Künftig sollen Nutzerïnnen auch via YouTube entsprechende Abos abschließen können (Wall Street Journal). Gut für die Nutzerïnnen, da sie so an einem zentralen Ort auf ihre Streaming-Angebote zugreifen können. Gut für YouTube, das an den Vertragsabschlüssen mitverdient. Gut für die Streamer, die dadurch mehr Leute auf ihr Angebot ziehen können.

Schon einmal im Briefing davon gehört


Neue Features bei den Plattformen

Facebook / Instagram

TikTok

Snapchat

  • 1 Million Plus-Abos = neue Features: Um den gelungenen Start von Snapchat+ zu feiern, haut Snap ein paar neue Features raus (Snap Newsroom). Zum einen gibt es jetzt eine Funktion, die die Antworten von Plus-Nutzerïnnen hervorhebt, wenn sie Creatorn oder Stars schreiben. Zum anderen gibt es ein paar kosmetische Updates wie etwa spezielle Hintergründe für Bitmojis und neue App-Icons.

Telegram

  • Geheimes Feature: Telegram-Gründer Pavel Durov beschwert sich in einem Post über Apple, weil sie die neueste Version der App nicht freigeben. Angeblich würde sie eine Funktion beinhalten, die die Art und Weise, wie sich Leute texten, revolutioniert. Well, da sind wir aber mal gespant, was das sein soll…

Bumble

  • Neue Gruppen-App: Dating-App-Unternehmen Bumble möchte gern mehr Social wagen und arbeitet an einer neuen Gruppen-App, die auf den Namen Hive hören soll (Techcrunch). Zu den Funktionen sollen Gruppen-Chats, Umfragen und Videotelefonie gehören. Bumble geht es dabei laut eigenen Angaben um “platonic connections through small communities.” Hihi.

Substack

  • Threads: Substack arbeitet weiter daran, das Feld von hinten aufzurollen. Nach der Einführung einer eigenen App, in der sämtliche E-Mail-Newsletter verwaltet und gelesen werden können (anstatt die E-Mail frei floaten zu lassen), integriert das Unternehmen nun eine eigene Social-Komponente in die App. Mittels der Thread-Funktion können Newsletter-Autorïnnen und Fans Text-Nachrichten, Fotos und Links miteinander teilen. Die neue Funktion geht also weit über die Kommentarfunktion hinaus, die es bislang bei Substack gab. Das Unternehmen versucht damit dem Trend entgegenzuwirken, dass viele Autorïnnen parallel zu ihren Substack-Publikationen bei Discord oder Slack Communities aufbauen. Apropos: Wenn du Teil unserer Community werden möchtest, schreib uns eine Nachricht – wir schicken dir gern ein Invite ☺️

Header-Foto von Touann Gatouillat Vergos