Was ist

Knapp sechs Wochen nach dem Hype um Bluesky hat der falsche Account von Zeit Online immer noch mehr Follower als der echte: 9500 vs. 7100. Zwar ging der verifizierte und von den Social-Kollegen der Zeit betriebene Account etwas später an den Start. Was aber wie eine Randnotiz anmutet, sagt viel über den Zustand von Bluesky aus. Und damit auch über den Status quo von Social Media generell.

Wenn wir mit Freunden sprechen, können wir kaum noch Begeisterung für die Social-Media-Plattformen der ersten Stunde identifizieren: Facebook? Da unterhalten sich doch ohnehin nur noch die immer gleichen zwölf Bekannten. Für Events noch ganz brauchbar. Aber ansonsten? Was soll ich dort noch posten?

Auch Instagram wird vor allem genutzt, um sich für den nächsten Einkauf im Möbelhaus inspirieren zu lassen oder wenn die Langeweile mal wieder groß ist. Selbst etwas zu posten oder zu kommentieren, fällt kaum jemanden in unserem Bekanntenkreis noch ein. Reels und Stories schauen, ja. Kommentieren oder selbst etwas teilen? Nein.

Für viele Social-Media-Nutzerïnnen geht gerade eine Epoche zu Ende. Nach MySpace und StudiVZ schienen Facebook und Instagram perfekte Plattformen, um Millennials zusammenzubringen. Auch heute steht auf der Startseite von Facebook noch immer, was die Plattform von ihren Nutzerïnnen erwartet:

Auf Facebook bleibst du mit Menschen in Verbindung und teilst Fotos, Videos und vieles mehr mit ihnen.

Doch die Realität sieht anders aus. Facebook und Instagram haben sich in reine Konsum-Plattformen verwandelt. Wo einst der Austausch im Vordergrund stand, geht es heute um eine Art zeitgemäßes Fernsehen: Unterhaltung und Konsum haben Priorität. Schließlich will Meta die junge Nutzerschaft TikTok nicht allein überlassen. In einem Call mit Investoren sagte Mark Zuckerberg schon im Herbst 2021:

So we are retooling our teams to make serving young adults their north star, rather than optimizing for the larger number of older people. Like everything, this will involve tradeoffs in our products and it will likely mean that the rest of our community will grow more slowly than it otherwise would have. But it should also mean that our services become stronger for young adults. This shift will take years, not months, to fully execute, and I think it's the right approach to building our community and company for the long term. (Investor)

Heute sehen wir, was damit gemeint war. Durch die Priorisierung von Reels, professionellen Content-Anbietern und Viralität, sind die Apps für viele Social-Media-User dysfunktional geworden. Wer postet schon etwas, wenn die Chancen derart schlecht stehen, dass der Inhalt auch bei Freunden und Bekannten im Feed landet? Dann lieber eine Gruppe, einen Messenger oder eine Special-Interest-App wie Strava nutzen.

Auch wir haben uns schon länger von der aktiven Nutzung von Facebook und Instagram verabschiedet. Wenn wir Instagram nutzen, dann aus beruflichen Gründen – etwa um auf Texte hinzuweisen oder um damit zu kokettieren, was wir doch für coole Journalisten sind. Da uns letzteres aber in der Regel eher peinlich ist, spielen wir das Game kaum mit. Privat nutzen wir Insta schon seit Jahren nicht mehr. Und Facebook? Die Plattform spielt selbst für die Entwicklung der viel besprochenen Personal Brand keine Rolle.

Was aber bis vor gut einem Jahr einen großen Platz eingenommen hatte, war Twitter. Die Plattform war lange Jahre unersetzlich, um sich zu Themen in Echtzeit einen Überblick zu verschaffen, eigene Netzwerke aufzubauen, Interviews zu organisieren, die eigene berufliche Karriere zu pushen. Das Social Media Watchblog gäbe es ohne Twitter nicht.

Twitter war bei allen Schwierigkeiten der zentrale Ort, um progressive Ideen zu artikulieren. Bewegungen wie #Aufschrei, #metoo und #blacklivesmatter hätten niemals diese Dynamik entfachen können. Erst Twitter macht es möglich, diese Themen auf die Tagesordnung zu setzen, Menschen Gehör zu verschaffen, die ansonsten zum Schweigen verdammt waren.

Jetzt aber steht die Plattform in Flammen. Elon Musk setzt alles daran, alles, was Twitter einst interessant und relevant gemacht hat, auszulöschen. Wir haben uns die Finger wund geschrieben zum Thema (Social Media Watchblog / Twitter) und verzichten daher darauf, hier neuerlich darüber zu weinen.

Warum das wichtig ist

Was bleibt, ist der Verlust. Social-Media-User haben keinen gemeinsamen Ort im Internet mehr, an dem es sich lohnt, sich einzubringen. Passives Scrollen, Swipe, Swipe, Push, Push, läuft. Aber die Idee, sich öffentlich auszutauschen, ist gestorben. Bei Facebook und Instagram aus kommerziellen, bei Twitter aus politischen Motiven. Bei TikTok vermutlich aus beidem.

Plattformen wie Mastodon oder Bluesky bieten interessante Optionen, um sich in der Nische zu vernetzen. Allen voran Mastodon ist wirklich ein unterschätztes Werkzeug, um sich auszutauschen. Allerdings eben nicht in der Breite. Ganz wie bei Bluesky. Wenn nach gut sechs Wochen der Hype um die Plattform schon wieder so abgeflaut ist, dass das Interesse am echten Account der Zeit nicht einmal groß genug ist, dass sie es schaffen, den Fake-Account zahlenmäßig zu überholen, dann ist das nicht nur eine Frage der Invite-Politik, die die Plattform weiterhin pflegt. Ganz zu schweigen davon, dass Invite-Codes für Bluesky im Freundeskreis zu verteilen einem Spaziergang bei Regen gleicht: Haben nur die Wenigsten Lust drauf.

Auch die Plattformen schienen lange Zeit keine wirkliche Strategie mehr zu haben, wie sie die User zurückgewinnen, ja aktivieren, können. Es sah eher danach aus, dass sie einfach Dinge hinwerfen und schauen, was kleben bleibt: User können jetzt Sticker für die Story auch mittels Prompt generieren? Joa. Das zieht bestimmt. Nicht.

Doch Mark Zuckerberg hat die Zeichen der Zeit erkannt. Mit viel Energie möchte er sich nun WhatsApp annehmen (The New York Times). Der Messenger habe all das, wie heute ein soziales Netzwerk „from scratch“ aufgesetzt würde, erklärt Zuckerberg gegenüber der Times. Klarer Fokus auf Austausch mit Freunden und Bekannten, kaum Creator, Medien und Marken (NiemanLab). Nicht Feeds bestimmen, was ankommt, sondern Freunde untereinander. Sogar Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Fair enough.

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