Was ist
Google setzt durch, was vor Jahren angekündigt und mehrfach verschoben worden war: Bei immer mehr Chrome-Nutzerïnnen werden bestimmte Erweiterungen automatisch entfernt. Unter anderem trifft es uBlock Origin, den mit Abstand wirksamsten Adblocker.
Das hat Empörung und Misstrauen ausgelöst. Es sei wohl kein Zufall, dass der größte Anzeigenverkäufer Erweiterungen loswerden möchte, die sein eigenes Geschäftsmodell gefährden, lautet der Vorwurf. uBlock Origin war einer der wenigen Adblocker, mit dem sich Werbung auf YouTube zuverlässig filtern ließ.
Das Thema mag auf den ersten Blick etwas technisch und abseitig wirken. Tatsächlich geht es aber um mehr als einen Werbeblocker. Wir erklären, was Google bezweckt und welche Auswirkungen die Entscheidung hat.
Warum das wichtig ist
Google dominiert nicht nur die Websuche, sondern auch den Browser-Markt. Chrome hat alle Konkurrenten weit abgehängt. Das liegt einerseits daran, dass Google gute Software entwickelt hat. Chrome ist stabil, schnell und sicher.
Andererseits hat Google seine Macht genutzt, um den eigenen Browser zu pushen und ein weiteres Monopol zu schaffen. Auf Android-Geräten ist Chrome vorinstalliert. Viele Google-Dienste funktionieren am besten mit Chrome. Wer Gmail, Docs oder YouTube mit einem anderen Browser aufruft, sieht manchmal Werbung für einen Browser-Wechsel.
Für Google ist Chrome ein wichtiges Werkzeug. Browser kontrollieren nicht nur, wie Webseiten aussehen, welche Werbung sie anzeigen dürfen und was Betreiber über Besucherinnen erfahren. Sie sammeln auch selbst massenweise sensible Daten: Jede Seite, die man aufruft, wird protokolliert, jeder Suchbegriff registriert, auf Wunsch auch jedes Passwort gespeichert.
Chrome setzt auf die sogenannte Chromium-Engine, um Webseiten zu rendern. Mittlerweile nutzen fast alle Konkurrenten ebenfalls Chromium, nur Apple und Mozilla pflegen für Safari und Firefox noch eigenständige Engines.
Das gibt Google großen Einfluss auf die Entwicklung von Web-Standards. Diese Führungsrolle hat Google nicht immer zum Wohle der Allgemeinheit genutzt, etwa bei der Verbreitung von Accelerated Mobile Pages (AMP), einem von Google entwickelten Format für mobile Webseiten.
Was Google macht
- Google will Erweiterungen loswerden, die auf das sogenannte Manifest V2 setzen. Vereinfacht gesagt ist das eine Art Bauplan, der festlegt, welche Funktionen und Berechtigungen eine Erweiterung haben darf und wie diese Erweiterung im Browser eingebunden wird.
- Bereits 2018 stellte Google Manifest V3 vor. Seitdem war klar, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Unterstützung für MV2 eingestellt wird. Der Zeitplan wurde wegen großer Bedenken und Proteste aber mehrfach verschoben.
- Die Kritik entzündet sich vorwiegend an den Einschränkungen, die MV3 mit sich bringt. Die Funktionalität von Adblockern wird dadurch deutlich beschnitten. Unter anderem ist nur noch ein Bruchteil der Filter erlaubt, zudem können Erweiterungen über die API den Datenverkehr nur begrenzt beeinflussen. Das erschwert das Blockieren von Werbung.
- Seit einigen Wochen häufen sich Berichte, dass Google nun endgültig MV2-Erweiterungen deaktiviere. Das ist auch bei unseren Chrome-Browsern der Fall. Es handelt sich um einen schrittweisen Rollout, der genaue Zeitpunkt der Durchsetzung ist unklar. Fest steht aber, dass die Tage für MV2-Erweiterungen gezählt sind.
Was das bedeutet
- uBlock Origin büßt einen Teil seiner Funktionalität ein. Der beste und beliebteste Adblocker lässt sich im Chrome Web Store nicht mehr installieren.
- Stattdessen bietet der Entwickler eine Lite-Version an, die mit MV3 kompatibel ist. Sie bietet aber weniger Optionen, langsamere Updates und blockiert unerwünschte Elemente von Webseiten deutlich unzuverlässiger.
Was Google sagt
- Google begründet die Entscheidung mit Sicherheit und Datenschutz. Das ist ein valides Argument. Tatsächlich gibt MV2 Entwicklern weitreichende Zugriffsrechte – und damit auch die Möglichkeit des Missbrauchs.
- Immer wieder haben Kriminelle über millionenfach installierte Erweiterungen illegal sensible Nutzerdaten gesammelt und weiterverkauft oder gar Login-Daten ausspioniert. Google kontrolliert den Chrome Web Store besser als noch vor einigen Jahren, dennoch rutschen regelmäßig schädliche Erweiterungen durch.
- Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Werbeblocker wie uBlock Origin dem Geschäftsmodell von Google schaden. Angeblich hat das eine nichts mit dem anderen zu tun. Trotzdem dürfte Google nichts dagegen haben, dass MV3-Erweiterungen nur einen Teil der Anzeigen blockieren, die Google etwa auf YouTube ausspielt.
Welche Alternativen es gibt
- Wer Chrome weiter nutzen will, muss auf Werbeblocker umsteigen, die auf MV3 basieren – und mit den beschriebenen Einschränkungen Vorlieb nehmen.
- Alternativ kann man AdGuard für Windows oder Mac installieren. Die Software filtert auf Ebene des Betriebssystems und umgeht die Einschränkungen im Browser, ist aber kostenpflichtig.
- Pi-hole funktioniert ähnlich und ist quelloffen und kostenlos. Die Installation setzt aber Hardware wie einen Raspberry Pi voraus und erfordert Technikkompetenz oder zumindest die Bereitschaft, sich mit den ausführlichen Anleitungen auseinanderzusetzen.
- Weniger aufwendig dürfte ein Browser-Wechsel sein. Allerdings sind die Möglichkeiten begrenzt. Microsoft folgt mit Edge dem Kurs von Google und wird die Unterstützung für MV2 einstellen.
- Browser wie Brave, Opera und Vivaldi, die ebenfalls auf Chromium beruhen, werden MV2-Erweiterungen nicht von selbst deaktivieren. Allerdings sind sie auf den Chrome Web Store angewiesen. Sobald Google dort aufräumt, sind keine Updates mehr möglich, sofern die Browser nicht eigenständige Stores anbieten (was unwahrscheinlich ist).
- Safari ist ebenfalls keine gute Alternative, wenn man Wert aufs effektive Blockieren von Anzeigen legt. Apple hat die dafür nötigen APIs in seiner WebKit-Engine bereits vor Jahren stillgelegt.
- Bleibt also Firefox, dessen Entwickler Mozilla einen eigenständigen Web-Store betreibt und MV2-Erweiterungen weiter unterstützen wird. Im entsprechenden Blogeintrag bezieht sich Mozilla ausdrücklich auf uBlock Origin und begründet die Entscheidung mit einem Prinzip aus seinem Manifest: "Individuals must have the ability to shape the internet and their own experiences on it."
- Auch Mozilla hat ein paar unruhige Tage hinter sich, nachdem eine Änderung an der Datenschutzerklärung die Interpretation zugelassen hatte, dass die Organisation künftig Nutzerdaten verkaufen könnte (Netzpolitik). Mozilla hat auf die Vorwürfe reagiert und eine nachvollziehbare Erklärung geliefert.
- Leider ist es nicht das erste Mal, dass Mozilla mindestens unglücklich kommuniziert und damit Vertrauen verspielt. Trotzdem haben wir keine Bedenken, Firefox als Alternative zu Chrome zu empfehlen. Bei aller, teils berechtigter Kritik hat Mozilla garantiert weniger kommerzielles Interesse an Nutzerdaten als Google.
Be smart
Als Journalisten löst das Thema Adblocking bei uns ambivalente Gefühle aus. Online-Werbung ist nicht per se schlecht, und die meisten Verlage könnten ohne Anzeigen nicht überleben. Werbung finanziert viele Blogs, Medien und andere Webseiten, die sonst keine Einnahmequelle hätten.
Gleichzeitig muss man zugeben, dass manche Seiten ohne Adblocker kaum zumutbar sind. Damit meinen wir nicht nur die schiere Masse und Hässlichkeit der Werbung oder die teils geschmacklosen bis empörenden Inhalte. Auch manche Medien binden massenhaft Werbenetzwerke ein und lassen Dritte mitlesen. Im Hinblick auf Datenschutz ist Online-Werbung oft ein Albtraum, und das Blockieren fühlt sich wie Notwehr an.
Deshalb nutzen wir selbst Adblocker, obwohl sie ein Problem für das Geschäftsmodell vieler Verlage sind. Allerdings deaktivieren wir die Funktion auf vielen Seiten, deren Inhalte wir schätzen. Zudem kommen wir zusammen auf mehrere Dutzend Angebote, die wir mit einer Mitgliedschaft, bzw. einem Abo unterstützen.
Social Media & Politik
- "Beratungskompass Verschwörungsdenken": Ab heute steht die bundesweite Anlaufstelle „Beratungskompass Verschwörungsdenken“ allen Betroffenen und Ratsuchenden offen. Die neue Beratungsstelle ist Teil eines Projekts, das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) sowie vom Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) finanziert und beauftragt wurde. Das Projekt läuft seit März 2024 im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ und wird von den Organisationen Violence Prevention Network, der Amadeu Antonio Stiftung sowie modus – Zentrum für angewandte Deradikalisierungsforschung durchgeführt. Ziel ist es, Menschen zu unterstützen, die mit Verschwörungserzählungen konfrontiert sind oder Hilfe im Umgang mit betroffenen Angehörigen suchen.
- Bündnis fordert effektive Kontrolle von Online-Plattformen: Ein Zusammenschluss von über 75 zivilgesellschaftlichen Initiativen, Organisationen und Verbänden mit mehr als 1.000 Mitgliedsorganisationen appelliert an die zukünftige Bundesregierung, eine wirksame Regulierung von Online-Plattformen voranzutreiben. Ihre Ziele (Open Source Business Alliance): Bestehende Regulierung durchsetzen, also DSA und DMA konsequent anwenden, Transparenz & Interoperabilität stärken sowie offene Plattformen fördern.
- AfD verliert auf TikTok ihre Dominanz: Bei Belltower News gibt es spannende neue Zahlen zur Frage, wie es um die Dominanz der AfD bei TikTok bestellt ist. Siehe da: SPD, Grüne und Linke holen deutlich auf. Heidi Reichinnek hat sich als neuer Politstar auf TikTok etabliert (siehe dazu unsere Analyse auf Instagram zur Social-Media-Strategie der Linken). Vor allem wird durch die Zahlen aber einmal mehr deutlich, wie stark die AfD von ihrem ominösen Unterstützernetzwerk profitiert. Belltower schreibt:
Die Masse an nicht-offiziellen Accounts, die pro-AfD-Content verbreiten, wirft Fragen auf. Es gibt Hinweise auf koordinierte Kampagnen, womöglich auch aus dem Ausland. Die Gefahr gezielter Desinformationsstrategien, wie sie in Rumänien bereits sichtbar wurden, sollte nicht unterschätzt werden. Hier ist TikTok in der Pflicht, Manipulationsversuche frühzeitig zu unterbinden.
- Reddit-Mitbegründer Alexis Ohanian unterstützt Übernahmeangebot für TikTok: Frank McCourt, ehemaliger Besitzer der Los Angeles Dodgers, plant mit seiner Initiative "The People's Bid" bekanntermaßen den Erwerb der US-Anteile von TikTok. Jetzt hat sich Reddit Co-Founder Ohanian McCourt als strategischer Berater angeschlossen (Reuters). Ob das Unterfangen Aussichten auf Erfolg hat? We really dunno.
Neue Features bei den Plattformen
YouTube
- YouTube plant umfassendes Redesign seiner TV-App: YouTube bereitet ein Redesign seiner TV-App vor, das in den kommenden Monaten in den USA eingeführt werden soll. Ziel ist es, die App stärker an das Erscheinungsbild von Netflix anzupassen und bezahlte Inhalte verschiedener Streaming-Dienste direkt auf der Startseite anzuzeigen (The Verge). Einfach krass, wie wichtig (smarte) Fernseher mittlerweile für YouTube sind.
Bluesky
- Es gibt eine neue Foto-Sharing-App, die auf dem ATProto-Protokoll läuft und daher mit Bluesky kompatibel ist: Flashes heißt das Ding (TechCrunch). Spannend!
In eigener Sache
- ZDFinfo hat einen Film über "Volksversteher" gemacht. Martin durfte darin erklären, warum soziale Medien so wichtig für Populisten sind und welche Probleme die Plattformen für die Demokratie verursachen. Hier geht es zur Doku: Volksversteher - Die Tricks der Populisten. Hier ist der Arbeitsnachweis:

Mitglieder-Diskussion