Apple vs. Meta: Der Kampf der Giganten in neuem Licht

Was ist

Apple und Meta liegen seit Jahren im Clinch. Dabei geht es nicht nur um Meinungsverschiedenheiten zwischen zwei Milliardenkonzernen. Wenn sich zwei solche Giganten streiten, hat das Nebenwirkungen, die andere Unternehmen, die Werbeindustrie und auch Nutzerïnnen unmittelbar betreffen.

Jetzt sind zwei Berichte erschienen, die ein neues Bild des Konflikts zeichnen. Sie zeigen, dass Apple wohl nicht der weiße Ritter ist, als der sich der Konzern gern darstellt. Und es wird klar, dass sich Facebook in eine andere Richtung hätte entwickeln können, wenn Mark Zuckerberg vor einigen Jahren anders entschieden hätte.

Worum es bei dem Streit geht

  • Bevor wir auf die aktuellen Entwicklungen eingehen, treten wir einen Schritt zurück und beschreiben die Ausgangslage.
  • 20 Minuten braucht man mit dem Auto von Metas Firmenzentrale in Menlo Park nach Cupertino, wo Apple seinen Campus errichtet hat. Meta entwickelt Apps, Apple baut den umsatzstärksten App-Store und hat mit dem iPhone dazu beigetragen, dass es überhaupt Apps gibt.
  • Man könnte also meinen, dass die beiden Konzerne viel verbindet.
  • Physisch mögen Apple und Meta nahe beieinander liegen, philosophisch trennen die beiden Welten. Tim Cook betont bei jeder Gelegenheit, Privatsphäre sei ein Grundrecht, das man selbst hochhalte, da man Hardware verkaufe und nicht Werbung.
  • Dieser deutliche Seitenhieb zielt vorrangig auf Meta ab, was Zuckerberg gehörig auf den Keks geht.
  • Im Kern steht die Frage: Ist es besser, Menschen teure Hardware oder Abos anzudrehen und dafür weniger Daten zu sammeln? Oder braucht es personalisierte Werbung, weil sich der Großteil der Menschheit keine iPhones leisten und nicht für werbefreie Dienste zahlen kann?
  • Wir glauben, dass es darauf keine abschließende Antwort gibt, und sind froh, dass beide Modelle gleichzeitig existieren können. Die jahrelange Auseinandersetzung zwischen Apple und Meta und die leidenschaftliche Abneigung, die Cook und Zuckerberg verbindet, haben wir in Ausgabe #703 ausführlich beleuchtet.

Wie Apple und Facebook verhandelten

  • Eine Recherche des Wall Street Journal wirft die Frage auf: Was wäre wenn? "The Secret Talks That Could Have Prevented the Apple vs. Facebook War" überschreibt das Blatt den langen Bericht von Salvador Rodriguez, und das ist vermutlich nicht mal übertrieben.
  • Der Text enthält zwei brisante Informationen, die bislang nicht bekannt waren. Zum einen soll Apple darauf gedrängt haben, mit Facebook ein "gemeinsames Business zu bauen". Konkret bedeutet das: Apple wollte, dass Facebook einen Weg findet, Apple an den Einnahmen aus seinen Apps zu beteiligen. Unter anderem wurde offenbar ein werbefreies Abomodell erwogen.
  • Wenn Nutzerïnnen zahlen, um die Reichweite eines Beitrags zu steigern, erachtet Facebook das als Werbung. Apple dagegen hält es für eine In-App-Zahlung und würde gern an den Umsätzen beteiligt werden, wie es die Richtlinien des App-Stores vorsehen.
  • Das soll ein ständiger Konflikt zwischen den beiden Konzernen gewesen sein. Am Ende gab es jedenfalls keine Einigung.
  • Der Bericht sei "a bit of a bombshell", schreibt Tech-Analyst Ben Thompson (Stratechery). Er sei aber "ziemlich sicher", dass die Informationen zuträfen.
  • Thompson habe Ähnliches von einem "anderen großen App-Entwickler" gehört. Zudem verweist er auf vergleichbare Erfahrungen von SaaS-Anbietern, Tumblr-Entwickler Automattic (Twitter / Matt Mullenweg) und dem E-Mail-Dienst Hey (The Verge). Diese Unternehmen bekamen ebenfalls Probleme mit Apple, weil sie keine In-App-Zahlungen anbieten, von denen Apple seine 30-prozentige Provision abzwacken kann.
  • Zum anderen soll Facebook im Jahr 2018 wohl ernsthaft erwogen haben, komplett darauf zu verzichten, sogenannte Third-Party-Data zu sammeln und für Targeting-Zwecke zu verwenden. Das hätte die Abhängigkeit von Apple (iOS) und Google (Android) deutlich reduziert.
  • Doch es gab offenbar Vorbehalte:

Some in the internal Facebook meetings believed the public would never accept Facebook as a leader in consumer-data privacy. Others worried that if Facebook gave up some of its data collection, there would be no end in sight for what practices the public would call on the company to also shut off. Some believed the hit to revenue would simply be too great.

  • Dem Bericht zufolge war es letztlich Zuckerberg persönlich, der sich dafür entschied, weiter Tracker in anderen Apps und Webseiten zu integrieren, um den Datenschatz zu vergrößern.
  • Wir wissen nicht, wie die internen Diskussionen damals abliefen und welche Gründe den Ausschlag gaben. Rückblickend ist es jedenfalls leicht zu sagen: Tja, hättet ihr mal besser.

Wie Apple Fakten schuf

  • Zuckerberg hätte sich eine Menge Ärger ersparen können. Denn 2020, also rund zwei Jahre später, kam Apple mit dem Projekt App Tracking Transparency (ATT) ums Eck (siehe Briefing #691).
  • Vereinfacht gesagt wurde App-übergreifendes Tracking von einem Opt-out zu einem Opt-in-Mechanismus – und nur ein kleiner Teil der Nutzerïnnen lässt sich freiwillig überwachen. Dem WSJ zufolge stimmen in den USA rund ein Drittel zu, andere Angaben schwanken zwischen fünf und 40 Prozent.
  • Damit kann Facebook viel weniger Daten sammeln, folglich werden die Anzeigen ungenauer. Also buchen weniger Unternehmen Werbung, die Einnahmen sinken.
  • Das betrifft nicht nur Facebook und Instagram. Alle Apps und Plattformen mit werbefinanziertem Geschäftsmodell spüren die Folgen, Snap, Twitter oder YouTube haben dadurch Milliarden verloren. Kleinen und mittelständischen Unternehmen fällt es schwerer (FT), potenzielle Kundïnnen mit ihren Anzeigen zu erreichen.
  • Thompson Zusammenfassung legt nahe, ATT auch als eine Art Rache zu interpretieren – oder, etwas neutraler ausgedrückt, als einen Versuch von Apple, Konkurrenten das Leben schwer zu machen:

Apple embarked on an aggressive campaign to boost its App Store revenue. It started by looking for money from Facebook — the most obvious place to start given Facebook’s symbiotic relationship with the App Store. It extended that campaign to other ad-supported apps, then started cracking down on consumer SaaS companies. Finally, it announced ATT that kneecapped the entire ad-supported app economy.

Wie groß Apples Einfluss ist

  • In den vergangenen Tagen gab es Diskussionen, ob die Auswirkungen von ATT überschätzt werden. Anlass war ein Blogeintrag von Nick Heer: "Ad Tech Revenue Statements Indicate Unclear Effects of App Tracking Transparency" (Pixel Envy)
  • Der einflussreiche Apple-Blogger John Gruber griff das Thema auf (Daring Fireball), auch wir wollten bereits im vergangenen Briefing darauf eingehen.
  • Gut, dass wir es nicht mehr geschafft haben. Denn in der Zwischenzeit haben sowohl Ben Thompson (Stratechery) als auch Eric Seufert (Twitter) ausführliche Debunkings veröffentlicht, die auf Fehler in Heers Argumentation aufmerksam machen.
  • Unter anderem geht es um den Euro-Dollar-Wechselkurs, die fehlende Differenzierung zwischen Google und YouTube sowie die makroökonomische Situation in Europa.
  • Wir ersparen dir die Details und belassen es bei einem verkürzten Fazit: ATT ist nicht allein schuld an Metas aktuellen Umsatzeinbußen. Apples Anti-Tracking-Maßnahmen haben aber sehr reale Folgen, die sowohl Social-Media-Plattformen als auch werbetreibenden Unternehmen wehtun.
  • Um nicht missverstanden zu werden: Wir halten ATT für sinnvoll. Wenn Nutzerïnnen mitbestimmen können, ob und wie Daten über sie gesammelt werden, ist das definitiv ein Schritt in die richtige Richtung.
  • Werbung wird etwas ungenauer, greift dafür aber nicht ganz so in die Privatsphäre ein? Darüber sollte sich wirklich niemand beklagen.
  • Es ist ja nicht so, als könnte Meta jetzt gar keine Daten mehr sammeln. Das Netz an Trackern und die Masse an First-Party-Data aus den eigenen Apps sind immer noch gewaltig. Und wenn der WSJ-Bericht zutrifft, hätte Zuckerberg es selbst in der Hand gehabt, Apple dieses Druckmittel aus der Hand zu nehmen.

Warum wieder Apple ins Werbegeschäft einsteigen möchte

  • Erinnert sich noch jemand an iAd? 2010 wollte Apple ein eigenes Werbenetzwerk aufbauen. Der Versuch scheiterte, nach sechs Jahren wurde die Plattform eingestellt.
  • Trotzdem setzt Apple rund vier Milliarden Dollar pro Jahr mit Anzeigen um. Sie tauchen im App-Store auf sowie in den eigenen Apps News und Stocks.
  • Jetzt mehren sich die Anzeichen, dass Apple sein Werbegeschäft ausbauen möchte. Der gut vernetzte Apple-Insider Mark Gurman berichtet (Bloomberg), dass Apple an deutlich mehr Stellen im App-Store Anzeigenbuchungen anbieten werde. Ende Juli gab es bereits erste Anzeichen (9to5mac).
  • Offenbar wurde die Anzeigenabteilung bereits vor einigen Monaten intern priorisiert. Der zuständige Manager berichtet jetzt direkt an Eddy Cue, der das Service-Geschäft leitet, statt an dessen Stellvertreter.
  • Gurman geht davon aus, dass Apple künftig in weiteren Apps Werbung schalten könnte:

I believe that the iPhone maker will eventually expand search ads to Maps. It also will likely add them to digital storefronts like Apple Books and Apple Podcasts. And TV+ could generate more advertising with multiple tiers.

  • Dazu passt, dass Apple derzeit mit Jobanzeigen nach Expertïnnen sucht (Digidays), die helfen sollen, eine Demand Side Platform aufzubauen. Darüber können Werbetreibende Anzeigenplätze ersteigern, der Verkauf läuft automatisiert ab.
  • Apple setzt langjährige Erfahrung voraus und wünscht sich Bewerberïnnen, die nachweislich "mit Anzeigen verbundene Produkte für Zielgruppen in der Größe von Hunderten Millionen" entwickelt haben.
  • Interessanterweise sollen sich Kandidatïnnen auch gut damit auskennen, "mobile Kampagnen mit Messverfahren und Attribution" zu optimieren – also genau das, was Apple durch ATT anderen Konzernen wie Meta gerade massiv erschwert.
  • Wir können gut verstehen, warum sich Apple unabhängiger von seinem Hardware-Geschäft machen möchte. Wer ein geschlossenes Ökosystem wie iOS kontrolliert, das mehr als eine Milliarde überwiegend kaufkräftige Menschen nutzen, kann mit einem sinnvoll aufgesetzten Werbegeschäft vermutlich Dutzende Milliarden verdienen.
  • Wir gehen auch davon aus, dass Apple dabei weniger Daten sammelt und mehr Wert auf Privatsphäre und Pseudonymisierung legt als die meisten anderen Konzerne, die Anzeigen verkaufen.
  • Trotzdem drängt sich der Eindruck auf, dass Apple mit zweierlei Maß misst: Wenn Meta personalisierte Werbung schalten lässt, ist das ein Grundrechtseingriff.
  • Wenn Apple ein Anzeigengeschäft aufbaut, geht es darum, Menschen zu ermöglichen, spannende neue Apps zu entdecken. Tracken, das tun immer die anderen. Wir nutzen natürlich nur harmlose Informationen aus unseren eigenen Apps.
  • Wenn man sich dann noch im Detail anschaut, wie extrem großzügig Apple die Definition von First-Party-Data auslegt, sobald es um Daten geht, die man selbst sammelt, wird es endgültig scheinheilig. Ben Thompson fasste es im Juni treffend zusammen (Stratechery):

What is frustrating about the debate about ATT, though, is that Apple presents itself as a representative of the latter, with its constant declarations that privacy is a human right, and advertisements that lean heavily into the (truly problematic) world of data brokering, even as it builds its own targeting advertising business.

Be smart

Angesichts von Apples nahezu unbegrenzter Macht im iOS-Ökosystem ist es nachvollziehbar, dass sich Zuckerberg nach seiner eigenen Plattform sehnt. Vor neun Jahren floppte das Facebook-Phone, seitdem ist er auf Apple und Google angewiesen. Jetzt ruhen Zuckerbergs Hoffnungen auf dem Metaverse, in dem er Meta als neuen Gatekeeper positionieren könnte.

Deshalb steckt Meta zweistellige Milliardenbeträge pro Jahr in seine Sparte Reality labs, die unter anderem Hardware für das Metaverse entwickelt. Aber es gibt noch einen Konzern, der Gerüchten zufolge bald eine Brille für Augmented und Virtual Reality auf den Markt bringen wird: Apple. Cook und Zuckerberg dürften sich also auch im Metaverse weiter streiten.


Social Media & Politik

  • Oracle überprüft Algorithmen und Content Moderation von TikTok: Um US-Politikerïnnen zu besänftigen, hat das chinesische Unternehmen ByteDance den US-Technologie-Konzern Oracle damit beauftragt, TikToks Algorithmen auf mögliche Manipulationen durch chinesische Behörden zu untersuchen (Axios). Auch TikToks Content Moderation soll durch die US-Firma überprüft werden. Mmmh, wir belassen es heute mal bei dieser Nachricht. Eigentlich hätte die News aber einen eigenen Deep Dive verdient. Nicht zuletzt auch wegen der folgenden Nachricht:
  • China inspiziert Algorithmen: Die Cyberspace Administration of China interessiert sich bekanntlich schon länger dafür, wie die Algorithmen der großen chinesischen Plattformen funktionieren. Jetzt hat die Behörde eine Liste veröffentlicht (Business Insider), die Einblicke in die Logiken der Algorithmen von 30 Unternehmen gewährt – darunter befinden sich Top-Adressen wie ByteDance, Tencent und Alibaba. Die Beschreibungen sind allerdings recht schlicht und bieten Experten keinen wirklichen Mehrwert. Gleichzeitig sucht der Vorgang seinesgleichen. Alles nur Show?
  • Wie sich Meta, Twitter und TikTok auf die Midterms vorbereiten: In den USA stehen mal wieder Wahlen an. Sowohl Meta als auch Twitter und TikTok haben in diesen Tagen erklärt, wie sie die Integrität der Wahlen im November schützen möchten. Wir werden uns damit in den kommenden Tagen sicherlich noch einmal ausführlicher beschäftigen (müssen).

Follow the money


Social Media & Journalismus


AR / VR / Metaverse


Was wir am Wochenende lesen / hören

  • How Instagram’s TikTok Envy Finally Backfired: For years, Instagram has grown increasingly concerned about TikTok as the Chinese-made video app has chipped away at its place in the pop culture zeitgeist. Instagram has repeatedly sought to neutralize the threat, but its latest move to test TikTok-like new video features has sparked a backlash from users. (The Information)
  • This is Facebook’s plan to be cool again: Land of the Giants examines the past, present, and future of the News Feed (The Verge / Podcast)
  • Social media’s big bet: the shopping revolution will be livestreamed: Internet platforms including TikTok, YouTube and Amazon say the future of retail is live ecommerce, but early experiments in the UK and the US suggest there’s still a long way to go (Financial Times)
  • Pinterest’s plan to better compete with TikTok, Shopify and Instagram: Pinterest has a new CEO, a former Google top commerce executive, and activist investor Elliott Management as its top shareholder, which says the company “occupies a unique position in the advertising and shopping ecosystems.” (CNBC)

Neue Features bei den Plattformen

Meta

YouTube

TikTok

  • Stories auf Facebook / Instagram posten: LOL! Passend zu den zwei vorangegangenen Meldungen noch diese schnell hinterher: TikTok-Nutzerïnnen können jetzt ihre Stories auch bei Facebook und Instagram posten (Techcrunch). Warum LOL? Weil Meta erst vor ein paar Monaten am Reels-Algorithmus geschraubt hatte, damit nicht mehr so viele TikToks als Reels zweitverwertet werden. Wir sind schon einmal gespannt, wie sich das mit TikTok-Stories verhalten wird…

WhatsApp


Header-Foto von lf.Franciz !!!