Ausgabe #872 | 11.4.2023
Was ist
Kann man Twitter noch ernst nehmen? Haha! Nervt Elon Musk? Aber hallo! Kann man Twitter komplett ignorieren? Nein – zumindest nicht, wenn man einen Newsletter verschickt, der sich Social Media Watchblog nennt. Und weil sonst nicht viel passiert ist, fassen wir zusammen, was in den vergangenen anderthalb Wochen bei Twitter los war – ohne Schnickschnack und mit kurzer Einordnung.
Twitter vs. Medien
- Ende März schrieben wir über Musks Pläne, verifizierten Accounts den blauen Haken wegzunehmen (#869). Künftig soll den Haken nur noch erhalten, wer für Twitter Blue bezahlt.
- Für einzelne Accounts kostet das zwischen acht und elf Euro pro Monat. Organisationen in Deutschland zahlen monatlich 1130,50 Euro – und zusätzlich 59,50 Euro für jeden verknüpften Account (Twitter Help Center). Zahlende Unternehmen und Medien erhalten dann einen goldenen Haken.
- Ursprünglich sollten am 1. April alle Legacy-Abonnenten das Verifizierungssymbol verlieren. Vom 15. April an wollte Musk nur noch Blue-Kundinnen im For-You-Feed anzeigen.
- Nach heftigem Gegenwind änderte Musk den Plan: "Forgot to mention that accounts you follow directly will also be in For You, since you have explicitly asked for them" (Twitter / Elon Musk). "Forgot to mention" ist eine billige Ausrede, aber hey, manchmal scheint selbst Musk offen für berechtigte Kritik zu sein.
- Auch die Drohung, am 1. April aufzuräumen, hat Twitter nicht wahr gemacht. Bislang haben nur wenige Accounts den blauen Haken verloren, die öffentlich ankündigten, garantiert nicht für Blue zu zahlen. Das betrifft etwa die New York Times, einen persönlichen Lieblingsfeind von Musk (NYT). Basketball-Star LeBron James, knapp 53 Millionen Follower auf Twitter, ist dagegen nach wie vor verifiziert, obwohl er am 31. März schrieb: "Welp guess my blue ✔️ will be gone soon cause if you know me I ain’t paying the 5. 🤷🏾♂️" (Twitter / LeBron James)
- Es ist unklar, ob, wie und wann Twitter die Haken entfernen will. Allmählich scheinen einzelne Konten "entverifiziert" zu werden, etwa der deutsche Anwalt Chan-jo Jun (Twitter / Chan-jo Jun).
- Womöglich hängt die verzögerte Umsetzung damit zusammen, dass Twitter offenbar jeden Haken einzeln entfernen muss (WaPo). Angestellte müssen demnach eine riesige Datenbank durchforsten, teils werden die Änderungen nicht übernommen, teils bringen sie Twitters Infrastruktur durcheinander.
- Klar ist jedenfalls: Falls Twitter Ernst macht, wird das Scammer und Kriminelle anziehen. Menschen habe jahrelang gelernt, dass der blaue Haken für Glaubwürdigkeit und Authentizität steht. Bald könnte es Fake-Accounts mit Blue-Abo geben, während echte Promis und Medien völlig ohne Verifizierung dastehen.
- Das wird auch deutsche Medien betreffen. Frederik von Castell hat sich deshalb bei Zeit, Spiegel, Axel Springer, Funke Mediengruppe, Hubert Burda Media, FAZ, SZ, ARD, ZDF, Deutscher Welle, ProSiebenSat.1, RTL, Jung&naiv, Correctiv, Vice, Netzpolitik und dpa nachgefragt (Übermedien). Das Ergebnis ist eindeutig: "Keines der Medienunternehmen, die unsere Fragen beantwortet haben, plant derzeit, insgesamt oder für einzelne Personen im Unternehmen Twitter Blue zu abonnieren."
- Allerdings haben sich einige Medien noch nicht endgültig entschieden. Dazu zählen etwa Zeit, SZ, Burda, Funke und Deutsche Welle. Manche Accounts haben bereits goldene Haken – das bedeutet aber nicht, dass die Medienhäuser zahlen. Die ARD teilt etwa mit: "Einigen Accounts der ARD hat Twitter eigenständig, ohne jegliche Information, ohne nachvollziehbare Kriterien und ohne Zahlung einen goldenen Haken (‚Verified Organization‘) gegeben."
- Frederik fasst das Problem so zusammen:
Das grundsätzliche Problem ist aber, dass es keine einheitliche Logik mehr gibt, mit der User:innen Verifikations-Symbolen einen Wert beimessen können: Hat ein Account keinen Haken, weil er nicht seriös ist – oder weil der Betreiber nicht für den Haken bezahlen will? Die Umstellung könnte einen größeren Wandel in der Wahrnehmung von Medien-Accounts mit sich bringen.
- Apropos Musksche Medienvendetta: Vergangene Woche blendete Twitter bei öffentlich-rechtlichen Medien wie dem US-Sender NPR und der britischen BBC ein irreführendes Label ein: "state-affiliated media" (Techdirt). Das stellt diese seriösen, unabhängigen Medien auf eine Stufe mit RT oder Sputnik. ARD und ZDF sind bislang nicht betroffen.
- Später änderte Twitter die Bezeichnung zu "Government Funded" (Axios). Wer auf den Link im Label klickt, landet auf einer Hilfeseite, auf der es heißt: "outlets where the government provides some or all of the outlet’s funding and may have varying degrees of government involvement over editorial content".
- BBC und NPR wehren sich gegen die Stigmatisierung (NPR). Angeblich möchte Musk das Label bei "einer großen Zahl weiterer Institutionen" einführen (Twitter / Bobby Allyn).
- Mike Masnick fragt sich zu Recht (Techdirt):
Shouldn’t Tesla and SpaceX be labeled as “government funded” as well? Tesla, somewhat famously, has relied tremendously on government subsidies to make its cars more affordable. Meanwhile, SpaceX basically only exists because of government funding. (…) Oh, and meanwhile, we should note that Twitter also should be labeled as “Government Funded” and possibly “Government Funded Media,” considering how much money the Saudi government invested in Twitter, and rolled over into the deal when Musk took it over.
Twitter vs. Substack
- Vergangene Woche stellte die Newsletter-Plattform Substack eine neue Funktion namens Notes vor (On Substack). Im Browser und in der App wird es zusätzlich zum Newsletter-Feed einen neuen Tab geben, in dem kürzere Nachrichten von Autorïnnen auftauchen.
- Die Posts erinnern an Tweets, es gibt Likes, Replies und Retweets … Verzeihung: Substack nennt sie Restacks, was aber nichts daran ändert, dass Notes große optische und inhaltliche Parallelen zu Twitter aufweist (The Verge).
- Die meisten erfolgreichen Substack-Autorinnen haben viele Follower auf Twitter. Das Netzwerk ist für viele der wichtigste Hebel, um Abos für den eigenen Newsletter zu generieren. Twitter versinkt im Chaos, einige Substack-Autoren haben die Plattform bereits verlassen.
- Man könnte also sagen: Es ist logisch, dass Substack einige der Funktionen, die Twitter bietet, auf der ei…