Was ist

Jede Menge schlechte Nachrichten für TikTok:

  • Der US-Senat hat einem Gesetzentwurf zugestimmt (FT), der staatlichen Angestellten verbietet, TikTok zu nutzen. Bevor das Gesetz in Kraft tritt, muss aber noch das Repräsentantenhaus zustimmen.
  • Ähnliches haben bereits ein halbes Dutzend republikanische Bundesstaaten beschlossen (WaPo), weitere Verbote und Klagen könnten folgen.
  • Gleichzeitig möchte der Republikaner Marco Rubio TikTok komplett aus den USA verbannen (The Verge) und hat prominente Unterstützer in seiner Partei.
  • Die Verhandlungen zwischen TikTok und der US-Regierung gestalten sich schwierig. Bis Ende des Jahres wollten sich beide Seiten auf einen Deal einigen, der die Sicherheitsbedenken der USA ausräumen sollte. Das wird nicht mehr klappen (WSJ), denn innerhalb der Regierung fürchten viele, dass die bislang vereinbarten Maßnahmen nicht ausreichen.

Zusammengefasst: Beide politischen Lager in den USA misstrauen TikTok zutiefst. Ein Verbot erscheint unwahrscheinlich, doch der Druck wächst Woche für Woche. Mit ein paar unverbindlichen Zusicherungen und leicht zu erfüllenden Zugeständnissen wird TikTok wohl nicht davonkommen. 2023 wird TikTok gute Lobby-Arbeit benötigen, um seinen Siegeszug fortzusetzen.

Was hinter den Vorwürfen steckt

  • Bereits vor zweieinhalb Jahren wollte der damalige US-Präsident Donald Trump TikTok verbieten. Die App sei eine Gefahr für die nationale Sicherheit.
  • Im Wahlkampf setzte er auf andere Themen und verlor schnell das Interesse, doch das Misstrauen gegen TikTok ist geblieben.
  • Auch der Anlass ist nach wie vor derselbe: TikToks Mutterkonzern ByteDance sitzt in China. Viele Politikerïnnen fürchten, dass die App zur Spionage oder Manipulation genutzt werden könnte.
  • TikTok kann noch so oft beteuern, dass man keine Beziehungen nach China pflege und Daten ausschließlich in den USA und Singapur verarbeitet würden – die Zweifel gehen nicht mehr weg.
  • Ein Teil davon ist berechtigt. Im Sommer deckten mehrere Recherchen auf, dass China deutlich größeren Einfluss auf TikTok hat, als das Unternehmen öffentlich zugibt. In Ausgabe #804 bilanzierten wir deshalb:

Diese Form der Einflussnahme lässt sich kaum messen oder nachweisen. Mit jeder Recherche, die zeigt, dass TikTok öffentlich wiederholt die Unwahrheit sagt, wächst die Sorge, dass die App nicht nur ein Sicherheitsrisiko ist, sondern auch eine Gefahr für westliche Demokratien.

Wir glauben nicht, dass westliche Demokratien TikTok verbieten sollten. Dafür braucht es keine Befürchtungen, sondern Beweise. Trotzdem können wir nachvollziehen, warum man zum Schluss kommen kann, dass von TikTok eine ernsthafte Bedrohung ausgeht.

  • Diese Einschätzung trifft nach wie vor zu. TikTok kann nicht garantieren, dass keine sensiblen Daten nach China abfließen und die Regierung keinen Einfluss nimmt. Es ist unmöglich, zweifelsfrei zu beweisen, dass etwas nicht geschieht.
  • TikTok kann nur wieder und wieder beteuern, dass man sich keine Sorgen machen muss – doch das Unternehmen hat schon so oft Dinge verharmlost, verschwiegen oder schlicht gelogen, dass es wenig Grund gibt, den Versprechungen zu glauben.
  • Gleichzeitig existieren bislang aber auch keine eindeutigen Beweise, dass die Befürchtungen der USA zutreffen. Ein Gutteil der Vorwürfe ist eher auf Xenophobie und Geltungssucht zurückzuführen.
  • Tatsächlich haben insbesondere die Republikaner den Datenschutz in den USA seit Jahrzehnten derart entkernt und wirksame Gesetze zum Schutz der Privatsphäre verhindert, dass der Furor gegen TikTok wie ein Strohmann wirkt (Techdirt):

That opened the door for countless app makers, data brokers, telecoms, and bad actors from all over the world (including TikTok) to repeatedly abuse this accountability and oversight free for all. (…) You could ban TikTok immediately and the Chinese government could simply buy this (and more) data from a rotating crop of dodgy data brokers and assorted middlemen. As such, banning TikTok doesn’t actually fix any of the problems here.

Be smart

Wir können nicht beurteilen, ob TikTok eine Gefahr für die nationale Sicherheit ist, tendieren aber zur Unschuldsvermutung: Wer ein Verbot fordert, sollte zumindest Indizien vorlegen können. Die Recherchen von Forbes und BuzzFeed News zeigen zwar, dass man TikTok nicht vertrauen kann – aber sie liefern bislang nicht genug belastendes Material, um radikale Maßnahmen zu rechtfertigen.

Unabhängig davon gibt es genug Gründe, TikTok kritisch zu sehen. Heute hat das Center for Countering Digital Hate eine Studie veröffentlicht, die der Guardian so zusammenfasst:

TikTok’s recommendation algorithm pushes self-harm and eating disorder content to teenagers within minutes of them expressing interest in the topics (…) “The results are every parent’s nightmare,” said Imran Ahmed, CCDH’s chief executive. “Young people’s feeds are bombarded with harmful, harrowing content that can have a significant cumulative impact on their understanding of the world around them, and their physical and mental health.”


Social Media & Politik

  • Milliardenklage gegen Meta in Äthiopien: Zwei Äthiopier werfen Meta vor, auf Facebook wissentlich Hass und Gewalt zu verbreiten und damit mitverantwortlich für die Gewalt im äthiopischen Bürgerkrieg zu sein. Deshalb reichten sie Klage im Nachbarland Kenia ein (Heise) und fordern die Einrichtung eines Entschädigungsfonds in Höhe von 1,6 Milliarden Dollar. Zeit-Reporterin Kerstin Kohlenberg besuchte kürzlich eine Frau, deren Mann ermordet wurde, nachdem auf Facebook gegen ihn gehetzt wurde. Herausgekommen ist ein langer, differenzierter und unbedingt lesenswerter Text, der Zweifel hinterlässt, ob Facebook seine Verantwortung ansatzweise ernst nimmt.
  • Apple wird wohl alternative App Stores zulassen: Die EU verpflichtet Unternehmen mit dem Digital Markets Act, sich für Konkurrenz zu öffnen. Offenbar beugt sich Apple: Von 2024 an sollen Drittanbieter eigene App Stores für iPhones und iPads (Bloomberg) anbieten können. Nachdem die EU Apple bereits gezwungen hat, den proprietären Lightning-Anschluss zugunsten von USB-C aufzugeben, zeigt sich erneut, dass die Politik eben nicht machtlos ist. Wir bezweifeln allerdings, dass dieses Regulierungsvorhaben in der Praxis allzu viel verändern wird und halten es mit Jason Snell:

I really have a hard time seeing most members of the public turning off App Store protections and installing separate App Stores. Yes, it will happen, but the Play Store is still the place to be on Android, despite its long-time support for sideloading. In fact, Android developers have found that leaving the Play Store and going it alone is quite bad for business. Bet on the status quo.


Musk Watch

  • Twitters Werbegeschäft läuft mies, die Prognose für 2023 sind düster. Keine Sorge, Elon hat da eine geniale Idee (Platformer) : Wie wäre es, personalisierte Werbung und Standortfassung verpflichtend für alle Nutzerïnnen zu machen und den Opt-out zu entfernen?
  • Twitters laufende Kosten sind immer noch zu hoch, das Unternehmen verliert Geld. Keine Sorge, Elon hat da eine geniale Idee (NYT): Wir feuern einfach weiter wichtige Angestellte, verweigern Abfindungszahlungen und weisen Angestellte an, offene Rechnungen für Büromieten und Charterflüge zu bezahlen. Ach, und die Newsletter-Plattform Revue machen wir bei der Gelegenheit auch noch dicht. Das reicht nicht? Dann bricht Musk eben sein Versprechen, keine weiteren Tesla-Aktien zu verkaufen, und verscherbelt Anteile (Axios) im Wert von rund 3,6 Milliarden Dollar.
  • Ein 20-jähriger Student nervt Musk, weil er mit dem Account @ElonJet dessen Flüge trackt und veröffentlicht. Keine Sorge, Elon hat da eine geniale Idee (Techdirt): Lass uns doch einfach die Regeln ändern und Live-Tracking verbieten, damit wir mehr als zwei Dutzend Accounts plattmachen können (NYT), die Flugbewegungen von Privatjets von Milliardären beobachten. Und weil @ElonJet so hart genervt hat, schalten wir den privaten Account von Betreiber Jack Sweeney auch noch ab (BuzzFeed News). Wen interessiert schon, was Elon vor einem Monat gesagt hat?

My commitment to free speech extends even to not banning the account following my plane, even though that is a direct personal safety risk.

Bloomberg Businessweek interviewed dozens of former employees and partners—some of whom were privately impressed with Musk and his sincere interest in grasping the issues facing Twitter before being repelled by his public behavior. They describe a leader, fully capable of charm, who deeply understands the service he’s trying to fix but is so addicted to its regular injections of ego gratification that he often sets the whole thing aflame.


Neue Features bei den Plattformen

Instagram

Instagram hat eine Reihe neuer Features (Instagram) gelauncht. Zwar kapieren wir nicht so ganz, was Instagram nun eigentlich sein will: Eine Plattform für Videos? Für Creator? Für Promis? Für den Austausch mit Freunden? Aber vielleicht wissen Mosseri und Co das aktuell auch nicht so ganz. Die neuen Funktionen dürften jedenfalls primär dafür gedacht sein, Verbindungen zwischen Freunden zu stärken.

  • Candid Stories heißt Instagrams BeReal-Klon. Das Feature lädt dazu ein, zu bestimmten Zeiten ein Foto zu knipsen und mit Freunden zu teilen. Der Clou: Nur wer ebenfalls Candid Stories nutzt, kann die Fotos der Freunde sehen.
  • Notesist quasi eine Art Status-Update wie bei AOL Instant Messenger. Nur halt nicht von 2008 sondern 2022. User können mit 60 Zeichen und einem Emoji sagen, was los ist. Nach 24 Stunden verschwindet das Update wieder. Tjoaaaaaa.
  • Collaborative Collections: Eine Art Sammelbecken für Freunde, um gespeicherte Posts miteinander zu teilen.
  • Group Profiles laden dazu ein, dass User gemeinsam mit Freunden Posts und Stories in einem Profil teilen.

TikTok

  • Vollbild – here we come: Tja, so langsam aber sicher scheint sich TikTok von seinem Steckenpferd „Kurz-Videos“ zu verabschieden – derzeit wird eine Option getestet, mit der Nutzerïnnen 16:9-Videos im Vollbild posten können (TechCrunch). Hallo YouTube! Und alle gelernte Kameramenschen so: Aaaaah, Gott sei Dank!

Flipboard


Header-Foto von Kamil Feczko