Was ist

Das Erste und Wichtigste, was wir im letzten Newsletter für 2023 sagen wollen, passt in ein Wort: DANKE!

Das Social Media Watchblog gibt es seit mehr als zehn Jahren. Was im Februar 2013 als Hobbyprojekt startete, ist mittlerweile eines der ältesten und erfolgreichsten Indie-Journalismus-Projekte in Deutschland. Für uns ist es nicht nur Beruf, sondern auch Berufung.

Manchmal verfluchen wir unseren Job, wenn uns morgens noch 57 ungelesene Tabs entgegenblicken und wir wissen: Bis 15 Uhr müssen wir das alles gelesen, verstanden, eingeordnet und analysiert haben. Zum Glück ist das die Ausnahme. Viel öfter sind wir einfach nur froh, dass wir von unserem Herzensprojekt leben können.

Dieses Briefing ist die 79. Ausgabe im Jahr 2023. Insgesamt haben wir 928 Newsletter verschickt. Wenn wir in diesem Tempo weitermachen, landet 2024 Nummer 1000 in deinem Postfach. Das macht uns froh und auch ein bisschen stolz.

Ohne dich und euch wäre das nicht möglich. Das Social Media Watchblog lebt von seinen Abonnentinnen. Das ist einerseits eine große Verpflichtung, gibt uns andererseits aber auch maximale Freiheit und Unabhängigkeit. Vielen Dank für deine Unterstützung!

Was kommt

Jahresendspurt! Das bedeutet: Es ist Zeit für die unvermeidlichen Prognosen für das kommende Jahr. Wir haben uns dieser Tradition lange verweigert, weil viele Vorhersagen wenig Mehrwert bieten. Entweder sind sie schlicht langweilig (2024 setzt sich fort, was Ende 2023 wichtig war) oder so waghalsig, dass nichts davon eintritt. Wer regelmäßig Hot Takes raushaut, die Wirklichkeit werden, schreibt meist keine Newsletter, sondern verdient woanders Millionen. Die richtig spannenden Entwicklungen sagt kaum jemand voraus, zumindest nicht öffentlich.

Deshalb versuchen wir, beides zu bieten: Trend-Extrapolation und Kaffeesatzleserei. Dafür teilen wir unsere Vorhersagen in drei Kategorien ein:

  • Safe Bet: Trotz des Namens würden wir kein Geld darauf setzen. Das liegt aber in erster Linie an unserer generellen Abneigung gegenüber Wetten. Wir halten es für recht realistisch, dass diese Vorhersage eintritt.
  • Long Shot: Buchmacher würden dafür richtig gute Quoten anbieten – nicht völlig abwegig, aber doch eher unwahrscheinlich.
  • Hot Take: Hier ist Platz für Utopien und Dystopien. Natürlich fantasieren wir nicht völlig frei drauflos, ein gewisser Realitätsbezug bleibt.

Und damit genug der Vorrede und ab zu den Vorhersagen!

Instagram

  • Safe Bet: Instagram bleibt das wichtigste Social-Media-Netzwerk in Deutschland. Aufgrund der anstehenden Landtagswahlen wird die Plattform allerdings zunehmend politischer. Die Verzahnung mit Threads beschleunigt diesen Trend.
  • Long Shot: Da Meta weiter versucht, dem Fernsehmarkt Werbekunden abzuringen, wird das Video-Angebot auf Instagram kontinuierlich ausgebaut. 2024 erleben wir die Wiedereinführung einer Art Instagram-TV — mit Kurzvideos lässt sich einfach nicht genug verdienen.
  • Hot Take: Meta nimmt die Creator Economy endlich ernst – nicht nur finanziell, sondern auch kulturell. Man wirbt Influencerïnnen von TikTok ab und überzeugt talentierte Creator, ihre Karriere lieber auf Instagram zu starten. Auf Reels gehen keine recycelten TikTok-Hits mehr viral, das Format wird zur popkulturellen Petrischale, in der Mode- und Musik-Trends entstehen.

TikTok

  • Safe Bet: TikTok erreicht in den USA und Europa ein Plateau. Die Plattform ändert den Kurs von Growth auf Monetarisierung. Längere Videos sind das Mittel der Wahl, um mehr Geld zu verdienen. Weitere Ausspielwege wie Smart-TVs und In-App-Käufe rücken ebenfalls in den Fokus.
  • Long Shot: Video war erst der Anfang, 2024 nimmt es TikTok mit Spotify und Amazon auf. Mit Streaming und Shopping sollen User bei Laune gehalten und vom Geld ausgeben überzeugt werden. Dafür kommen E-Commerce-Größen wie Otto, Zalando und AboutYou an Bord, die eine Chance sehen, der übermächtigen Amazon-Konkurrenz etwas entgegenzusetzen.
  • Hot Take: 2024 wird das Jahr der "TikTok-Paper". Ein Konsortium aus internationalen Journalistïnnen deckt auf, was viele befürchtet haben: ByteDance hat TikTok nur ins Leben gerufen, um politischen Einfluss auf die USA und Europa zu nehmen. Gebt den Leuten Zerstreuung, dann kommen sie nicht auf die Idee, sich politisch zu engagieren.

Snapchat

  • Safe Bet: Im Schatten von Instagram und TikTok bleibt Snapchat eine der drei beliebtesten Apps von Teenagern. Medial erhält die Plattform trotzdem kaum Aufmerksamkeit. Im Herbst wundern wir uns dann wieder, warum die ARD/ZDF-Onlinestudie mehr junge Nutzerïnnen für Snapchat als für TikTok ausweist (#919).
  • Long Shot: Snapchat hat My AI eine zu lange Leine gelassen. Die Funktion löst einen Skandal aus, weil der Chatbot Fragen von Jugendlichen auf anstößige oder unangemessen Art beantwortet. Das führt dazu, dass auch andere Plattformen ihren Umgang mit generativer KI überdenken, unter anderem stellt Meta seine KI-Chatbots ein.
  • Hot Take: Evan Spiegel schlägt erneut zu. Nach Stories entwickelt Snapchat das nächste originelle Format, das TikTok und Instagram im Rekordtempo nachbauen.

Twitter/X

  • Safe Bet: Die Republikaner nominieren Donald Trump als Präsidentschaftskandidaten, der X zur zentralen Plattform seines Wahlkampfs macht. Die täglichen Angriffe und Kontroversen bringen Aufmerksamkeit, nach der Musk und Trump lechzen.
  • Long Shot: Der Exodus der Werbekunden setzt sich fort, gleichzeitig muss X hohe Zinsen für seine Schulden zahlen. Musk verliert das Interesse an seinem Lieblingsspielzeug, am Ende sind die vielen Milliarden doch wichtiger als seine politische Agenda. Er lässt das Unternehmen Pleite gehen oder verkauft es.
  • Hot Take: Wegen wiederholter Verstöße gegen den Digital Services Act eskaliert der Streit zwischen X und der EU-Kommission (#911). Die brummt die Maximalstrafe von sechs Prozent des Jahresumsatzes auf – woraufhin Musk X in der EU abschaltet.

Threads

  • Safe Bet: Threads findet eine stabile Nutzerschaft in Deutschland und USA, ohne die kulturelle und vor allem politische Relevanz des alten Twitters komplett zu ersetzen. Trotzdem etabliert sich der Ausdruck "Wie er/sie beim Microblogging-Dienst Threads sagte" in der deutschen Medienlandschaft.
  • Long Shot: Durch die enge Verzahnung mit Instagram wird die digitale deutsche Meinungsführer-Landschaft ordentlich durchgeschüttelt. Die einstige "Twitter-Elite" hat (auf Threads) kaum noch was zu melden.
  • Hot Take: Threads entwickelt sich zu einer politischen Kampfzone. Der Moderationsaufwand ist gewaltig, die Plattform färbt negativ auf Instagram ab. Deshalb wickelt Meta Threads wieder ab und konzentriert sich voll und ganz darauf, aus Instagram eine Politik-freie Entertainment-App zu bauen.

US-Wahl

  • Safe Bet: Der Wahlkampf zeigt die Fragmentierung der Social-Media-Landschaft. Politikerïnnen posten auf einem halben Dutzend unterschiedlicher Plattformen, nur Truth Social spielt keine Rolle. Fox News bleibt das einflussreichste Medium.
  • Long Shot: Mindestens eine Plattform verbannt mindestens einen der Kandidaten – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen, der bereits Erfahrung damit hat, die digitale Bühne zu verlieren.
  • Hot Take: Die Massenentlassungen der Tech-Konzerne rächen sich, weil sie ausländischer Propaganda Tür und Tor öffnen. Überforderte Sicherheitsteams scheitern daran, Manipulationsversuche zu erkennen und zu verhindern. Russische oder chinesische Kampagnen beeinflussen nachweisbar den Wahlausgang.

Creator Economy

  • Safe Bet: Die Creator Economy ist Schätzungen zufolge rund 250 Milliarden Dollar schwer. 2024 wird der Wirtschaftszweig von der Politik stärker unter die Lupe genommen, strengere Regulierungen sind die Folge — auch zum Schutz der Creator.
  • Long Shot: Nutzerïnnen gewöhnen sich daran, für Inhalte im Netz Geld auszugeben. Es wird völlig normal, mindestens einen Creator finanziell zu unterstützen — ein Streaming-Abo haben ja schließlich auch fast alle.
  • Hot Take: Tech-Unternehmen entziehen auf Basis der Entscheidungen eines demokratisch gewählten Gremiums allen Schwurblern, Nazis und anderen Menschenfeinden die Option, über ihre Plattform Geld zu verdienen.

Paid Social

  • Safe Bet: Kaum jemand zahlt 10 bis 13 Euro pro Monat, um Facebook oder Instagram ohne Werbung zu nutzen (#912). Die Organisation noyb verklagt Meta wegen dieses "Pay or Okay"-Modells. 2024 gibt es kein abschließendes Urteil.
  • Long Shot: Die kostenpflichtigen Versionen von Snapchat und Telegram wachsen weiter (#801). Zusammengenommen kratzen Snapchat+ und Telegram Premium an der Schwelle von 20 Millionen Abonnentïnnen. Daraufhin führt eine weitere große Plattform ein Modell ein, bei dem man für zusätzliche Funktionen bezahlt – in Abgrenzung zu Inhalten (Spotify, Netflix), Werbefreiheit (YouTube, Meta) oder Verifizierung und Reichweite (Meta).
  • Hot Take: X verschwindet komplett hinter einer Paywall und in der Irrelevanz.

Social Media & Journalismus

  • Safe Bet: Das Netz wird mit synthetischen Inhalten geflutet, Content-Farmen produzieren Klasse statt Masse. Vermeintlich seriöse Medien folgen dem zweifelhaften Vorbild von BuzzFeed, CNET und Burda, die Autorïnnen durch KI ersetzen. Anzeigenpreise sinken weiter, Qualität wird noch wichtiger als Quantität.
  • Long Shot: Facebook bekommt, woraufhin es schon lange hinarbeitet: Mindestens ein großes deutsches Medium stellt seine Präsenz auf der Plattform ein, weil der Aufwand in keinem Verhältnis mehr zum Ertrag steht.
  • Hot Take: Meta macht die Rolle rückwärts bei News und Politik. Weil Twitter im Rekordtempo irrelevant wird, gibt es eine Lücke zu füllen. Als textlastige Instagram-Erweiterung war das Potenzial von Threads ohnehin gedeckelt. Stattdessen setzt Meta alles daran, einen politisch relevanten Dienst zur Echtzeitkommunikation zu bauen.

Next: KI

  • Safe Bet: Nach dem Hype kühlt die KI-Entwicklung ab. Googles Gemini bewegt sich etwa auf dem Niveau von GPT-4. Weder OpenAI noch ein anderes Unternehmen veröffentlichen ein Modell, dessen Kapazitäten komplett neue Möglichkeiten eröffnen. Dafür werden bestehende LLMs in immer mehr Dienste und Produkte integriert, der Umgang mit generativer KI wird selbstverständlich.
  • Long Shot: Das Google, das wir kennen, stirbt aus – aber nicht, weil Bing zum ernsthaften Konkurrenten wird, sondern weil Google die Entwicklung von der Such- zur Antwortmaschine radikal beschleunigt. Links verlieren an Bedeutung, im Zentrum stehen KI-generierte Snippets. Das Fernziel ist der erste echte persönliche Assistent, der Antworten auf alle Fragen gibt (Stratechery).
  • Hot Take: GPT-5 wird das Sprachmodell, das alles verändert. Plötzlich ergeben die Warnungen von Ilya Sutskever und dem restlichen OpenAI-Board Sinn. Wir erleben kein Terminator-Szenario, aber Maschinen, die man zum ersten Mal als wahrhaft intelligent bezeichnen kann.