Was ist
Immer wenn wir denken, wilder kann es nicht mehr werden, belehrt uns Elon Musk eines Besseren. Nachdem Twitters neuer Boss, seine Kollegïnnen genötigt hatte, sich zum neuen Twitter 2.0 zu bekennen (jetzt richtig Hardcore!!!), haben sich folgende Ereignisse zugetragen:
- Einige Mitarbeiterïnnen legten einfach auf, als Elon Musk versuchte, sie während eines Video-Calls zum Bleiben zu überreden (New York Times).
- Sämtliche Mitarbeiterïnnen der Lohnbuchhaltung und der US-Steuerabteilung sind zurückgetreten (@HaysKali).
- Der Twitter-Account der US-Rapperin Cardi B wurde offenbar gehackt (@iamcardib) und postete – natürlich – Hardcore-Pornografie.
- Rund 75 Prozent der Belegschaft soll sich geweigert haben (@kyliebytes), auf besagten Link zu klicken, um sich zu Musks Twitter 2.0 zu bekennen.
- Hunderte Mitarbeiterïnnen haben sich in internen Slack-Gruppen von ihren Kollegïnnen verabschiedet (The Verge).
- Experten (und Mitarbeiter) geben der Seite nur noch einige Tage, bis sie zusammenbricht (The Verge).
- Niemand kommt übers Wochenende in die Twitter-Büros, weil keiner mehr einen Überblick hat, wer dort eigentlich noch arbeitet (@oliverdarcy).
- Irgendjemand hat einen Livestream aufgesetzt, der einen Kopfsalat beim Verwelken zeigt. Die Frage dazu: Was hält länger: Der Kopfsalat oder Twitter?
- Musk juckt das alles nur halb. Er twittert munter weiter: „The best people are staying, so I’m not super worried“.
- Ach ja, eine gute Sache ist auch passiert: Twitter hat einen neuen Head of Trust and Safety (The Information): Ella Irwin, vormals für das Thema Gesundheit bei Twitter zuständig, übernimmt den Posten von Yoel Roth, der zwar hochdekoriert ist, aber bei Twitter unter Musk nicht länger arbeiten mochte.
Warum das wichtig ist
Was anmutet wie eine Realsatire hat dramatische Konsequenzen für das Produkt Twitter. Zwar ist nicht davon auszugehen, dass bei Twitter direkt morgen die Lichter ausgehen. Was US-Journalist Charlie Warzel in Gesprächen mit Twitter-Mitarbeiterïnnen hört, deutet eher auf einen langsamen Verfall hin (The Atlantic):
(…) most people with any understanding of how the platform works say Twitter is unlikely to just cough, sputter, and go dark forever. Those I spoke with all described a slow rot of systems that get more load than expected and “just fail silently,” as one recent employee put it.
Die Frage, die sich daraus ergibt, ist aber die selbe: Was kommt nach Twitter? Welche anderen Services könnten Twitters Platz einnehmen?
- Ist Mastodon tatsächlich der logische Nachfolger von Twitter? Wir haben da unsere Zweifel.
- Kann Tumblr vielleicht als Successor dienen? Die User bei Tumblr tun alles, damit das nicht passiert (Polygon).
- Erleben wir mit dem Niedergang von Twitter einfach nur eine logische Weiterentwicklung der Social-Media-Landschaft – raus aus den Pseudo-Öffentlichkeiten von Facebook, Instagram und Twitter, hin zu mehr privatem Austausch via Messenger, geschlossenen Gruppen und Diskussionen in Kommentarspalten bei TikTok, YouTube und demnächst auch Spotify?
- Vielleicht – so schreibt es Ian Bogost bei The Atlantic – waren wir eh nie dafür bestimmt, mit so vielen Menschen gleichzeitig zu sprechen?
Was jetzt
Es ist nicht abzusehen, was mit Twitter passiert. Hier ein paar Tools und Ressourcen, die in den kommenden Tagen auf jeden Fall hilfreich sein könnten:
- Wer sich bei Mastodon anmelden möchte, bekommt bei d64 einen guten Primer.
- Wer sein Twitter-Netzwerk ins Fediverse rüberholen möchte, schaut bei Luca vorbei.
- Wer seine Daten bei Twitter sichern möchte – soweit das geht – bekommt in diesem Thread viele gute Hinweise, was jetzt zu tun ist (@sophiasgaler)
Was verloren geht, wenn Twitter geht
Wir laufen beim Social Media Watchblog nicht gerade Gefahr, als Außendienstmitarbeiter von Twitter oder anderen Social-Media-Plattformen wahrgenommen zu werden. Zu differenziert ist unsere Kritik. Heute möchten wir aber gern einfach mal zeigen, warum Twitter neben all den Problemen eine großartige Plattform ist (die Musk hoffentlich nicht kaputt kriegt).
- Twitter gibt Menschen eine Stimme, die sonst nicht gehört werden: Ja, Twitter ist schon seit Jahren eine Kampfzone für Meinungsmacherïnnen jeglicher Couleur – mit zum Teil dramatischen Konsequenzen für Einzelpersonen. Aber Twitter ist eben auch der Ort, über den es Menschen geschafft, sich Gehör zu verschaffen, die es sonst vermutlich nicht in den breiteren gesellschaftlichen Diskurs geschafft hätten – #MeToo oder #BlackLivesMatter sind Paradebeispiele dafür. Die derzeitigen Proteste in Iran unterstreichen die Funktion ebenfalls sehr deutlich.
- Twitter ist ein Ort der Wissen schafft: Ja, auf Twitter gibt es eine Menge Schmutz, Desinformationen und haltlosen Quatsch. Twitter ist aber auch der Ort, auf dem sachkundige Menschen jeglicher Profession profundes Wissen in meterlangen Threads teilen, zur Willensbildung beitragen, Falschbehauptungen zügig entlarven und die Welt so ein Stück weit zu einem klügeren Ort machen.
- Twitter bringt Menschen zusammen: Twitter hat Abertausenden von Menschen Begegnungen ermöglicht, die ihnen sonst verwehrt geblieben wären. Sicher, viel zu viele Idioten und Hetzer hätten besser nie den Weg auf die Plattform finden dürfen. Aber Twitter hat Karrieren, Freundschaften und Beziehungen hervorgebracht, die ohne die Plattform womöglich niemals stattgefunden hätten. (Auch unsere ganz persönlichen Vitae hätten sicherlich ganz anders ausgesehen, wenn es Twitter nicht gegeben hätte.)
- Twitter ist kultureller Schmelztiegel: Was heute auf Twitter diskutiert wird, steht morgen in der Zeitung und übermorgen bei Facebook. Twitter ist die maßgebliche Instanz für Trends und Memes. Vermeintlich nischige Fandoms beeinflussen Popkultur und teils auch Politik. Twitter ist (neben TikTok) die zentrale Instanz für die Auseinandersetzung um Deutungshoheit. Ideen, die sich auf Twitter durchsetzen, können die ganze Welt berauschen.
- Twitter ist witzig: Twitter ist die zentrale Anlaufstelle für Gagschreiber, Werbetexter und alle Menschen, die absurde Momente mit einem größeren Publikum teilen wollen (anstatt sie nur in der WhatsApp-Volleyball-Gruppe zu posten). Nicht umsonst ist das halbe Internet voll mit Twitter-Screenshots. Wer auf Twitter zündet, kann groß rauskommen. Jeder von euch hat mindestens einen dieser Accounts in seiner Timeline. Weil sie das Leben oft leichter machen. Looking at you Alf, EL HOTZO und Co!
Hoffen wir das Beste!
Social Media & Politik
- FBI warnt vor TikTok: Bei einer Anhörung (YouTube) hat FBI-Direktor Chris Wray noch einmal ausdrücklich seine Bedenken bezüglich TikTok zum Ausdruck gebracht. Die App stelle eine potentielle Gefahr für die nationale Sicherheit der USA dar:
“Under Chinese law, Chinese companies are required to essentially—and I’m going to shorthand here—basically do whatever the Chinese government wants them to, in terms of sharing information or serving as a tool of the Chinese government. So that’s plenty of reason by itself to be extremely concerned”
- Meta unterbindet Fact-Checks bei Trump: Weil Donald Trump nun offiziell seinen Hut (respektive sein hässliches rotes Maga-Cap) in den Ring geworfen hat, um sich erneut als Kandidat im Rennen um das Amt des US-Präsidenten aufzustellen, unterbindet Meta nun jegliche Fact-Checkings von Posts, die Trumps Botschaften beinhalten. (CNN)
Follow the money
- TikTok plant, seine Mitarbeiterzahl im Valley zu verdoppeln. Dass Meta und Twitter gerade ziemlich viele Leute gefeuert haben, dürfte bei der Suche helfen. (The Information)
- OnlyFans erlaubt den Verkauf von Merchandise – dadurch sollen Creator Möglichkeiten erhalten, über den Verkauf von Paid-Content hinaus Einnahmen zu generieren. Ach so, OnlyFans verdient natürlich auch etwas dabei. (Financial Times)
- Linktree bietet eine Paywall für alles an: Wir haben uns mit Linktree ja bislang immer nur hier und da am Rande beschäftigt. In einer der kommenden Ausgaben werden wir uns einmal ausführlich das Geschäftsmodell dieser „Link in Bio“-Startups anschauen. Apps wie Linktree haben sich nämlich ziemlich clever als Scharnier zwischen Social-Media- und anderen Plattformen etablieren können (The Verge).
Schon einmal im Briefing gesehen
- TikTok goes YouTube: TikTok ist ja in allererster Linie eine App für digitale Endgeräte. Dass TikTok aber auch auf Computern noch eine Menge vorhat, zeigt dieser Screenshot (@michaelgrowth) – sieht irgendwie YouTube dann doch ganz schön ähnlich, don’t?
Was wir am Wochenende lesen / hören
- TikTok Is the Canary in the U.S.-China Coal Mine: Diplomacy has done little if anything so far to restore trust in tech between the two rival powers. (The Information)
- The unbearable lightness of BuzzFeed: BuzzFeed built a digital media empire in part by aggregating viral content from social media. A decade later, what’s next? (The Verge)
- Cui Bono: Wer hat Angst vorm Drachenlord? Cui Bono geht in die zweite Staffel: „Wer hat Angst vorm Drachenlord?“ erzählt in fünf Episoden die Geschichte des YouTubers Rainer Winkler – besser bekannt als „Drachenlord“. (Podigee)
- The Spoken Word Audio Report 2022: The fourth annual Spoken Word Audio Report from NPR and Edison Research explores the ways spoken word media consumption in the U.S. has increased over time, looking at both the number of listeners, and how long they listen. (YouTube, NPR)
One more thing
- Tumblr verkauft blaue Haken: Womöglich kennen viele Tumblr gar nicht mehr. Dabei ist es nicht lange her, da galt die App noch als Epizentrum der Internet-Kultur. Kaum ein BuzzFeed-Artikel kam ohne Tumblr-Post aus (- unvergessen die Debatte um die Farbe eines Kleids). Doch nach einigem finanziellen Hin- und Her und ziemlichen Popularitätsverlusten scheint Tumblr mit WordPress-Mutterhaus Automattic nun einen feinen Besitzer gefunden und ein Stück weit zu alter Kraft zurückgefunden zu haben. Der Scherz, nicht nur einen, sondern gleich zwei blaue Haken für 7,99 zu verkaufen, ist auf jeden Fall Tumblr in Reinform.
Header-Foto von Aryan Athalye
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