Trumps Klagen gegen Facebook, Twitter und Google sind ein Witz – und gar nicht lustig

Was ist

Donald Trump verklagt Facebook & Mark Zuckerberg, Twitter & Jack Dorsey sowie YouTube & Sundar Pichai (jeweils PDFs). Der Vorwurf: Die Plattformen hätten ihn zensiert und damit sein Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt.

Warum das wichtig ist

Er ist wieder da, aber wir hätten gut darauf verzichten können. 2020 haben wir das Wort "Trump" knapp 1000-mal in unseren Briefings erwähnt. Im vergangenen halben Jahr tauchte der Ex-Präsident nur noch bei uns auf, wenn es um seine gesperrten Facebook-Accounts und die Entscheidung des Oversight Boards ging. Ohne Amt und Mandat ließ sich Trump ganz gut ignorieren.

Jetzt müssen wir uns erneut mit ihm beschäftigen. Denn die Klagen, so viel sei vorweggenommen, haben keine Aussichten auf Erfolg. Aber leider geht es nicht nur um Trump, der versucht, sich irgendwie im Gespräch zu halten. Es geht um viele Millionen Menschen, die ihm nach wie vor vertrauen. Es geht um eine zutiefst gespaltene Gesellschaft und eine Situation, in der etliche prominente Republikaner Big Tech als Sündenbock für ihre Niederlage ausgemacht haben. Mit absurden Vorwürfen, aber leider mit Erfolg.

Was Trump den Plattformen vorwirft

Versprochen: Wir machen es kurz. Die Anschuldigungen sind dermaßen hanebüchen, dass es sich gar nicht lohnt, ausführlich auf die Klageschriften einzugehen. Sie könnten fast lustig sein, wenn die Situation nicht so ernst wäre.

Im Wesentlichen behauptet Trump, dass Facebook, Twitter und YouTube gegen den ersten Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten verstoßen hätten, indem sie seine Accounts sperrten. Das 1st Amendment schützt aber nur Bürgerïnnen vor Eingriffen des Staats und richtet sich nicht gegen private Konzerne. Trump sagt also, dass die Plattformen seine privaten Rechte als US-Bürger zu seiner Zeit verletzt hätten, als er selbst Teil der Regierung war, obwohl das verfassungsmäßig garantierte Recht auf Meinungsfreiheit genau andersherum funktioniert.

Es geht noch wirrer: Trump verlangt auch, Section 230 abzuschaffen, also jenen Teil des Communications Decency Acts, der verhindert, dass Plattformen für Inhalte haftbar gemacht werden können, die Nutzerïnnen veröffentlichen. Tatsächlich hätten Facebook und Twitter Trump ohne den Schutz durch Section 230 womöglich sogar früher rauswerfen müssen, weil sie dafür verklagt worden wären, dessen teils grenzwertige Äußerungen online zu lassen.

Die drei Klageschriften strotzen vor weiterem Unsinn, den wir an dieser Stelle nicht in Gänze wiedergeben. Wer will, kann sich die Absurditäten von Mike Masnick erklären lassen (Techdirt). Ausnahmslos alle Expertïnnen, die in Medien zum Thema zitiert werden, sind sich einig: Diese (Axios) Klagen (Vox) haben (Techcrunch) keine (Protocol) Chance (Washington Post) auf (The Verge) Erfolg (NYT). (Okay, Fox News und der Parler Interims-CEO sehen das anders, aber wir sprachen ja auch von Medien und Expertïnnen.)

Am prägnantesten drückt es Yale-Professorin Kate Klonick aus (Twitter):

I’ll be filing a class action suit against Trump for unconstitutionally wasting everyone’s time.

Was hinter den Klagen steckt

Es wäre nicht das erste Mal, dass Trump Rumpelstilzchen spielt und vollkommen aussichtslose Gefechte anzettelt. Doch im Gegensatz zu ein paar Tweets schreiben sich drei Klageschriften mit jeweils mehreren Dutzend Seiten nicht von selbst. Dafür braucht es Menschen mit juristischem Sachverstand, und die werden wissen, dass die Vorwürfe vor Gericht keinen Bestand haben werden.

Womöglich weiß das auch Trump selbst. Schließlich wurden die Klagen nicht mal in Kalifornien eingereicht, wo die drei Konzerne sitzen, sondern in Florida. Selbst wenn die Vorwürfe ernster zu nehmen wären, könnten die CEOs dort gar nicht verurteilt werden. (Interessanter Nebenaspekt: In Florida schützt ein Gesetz vor missbräuchlichen Klagen, was zur Folge haben könnte, dass Trump auch für die Rechtskosten von Facebook, Twitter und YouTube aufkommen muss. Wir vermuten, dass sie sich teure Anwältïnnen suchen werden.)

Es geht Trump aber ohnehin nicht darum, Zuckerberg, Dorsey und Pichai verurteilt zu sehen (auch wenn ihn das sicher freuen würde). Die Klagen erfüllen einen anderen Zweck: Sie bringen Trump zurück in die Schlagzeilen.

Mit seinem Amt und seinen Social-Media-Konten hat Trump auch einen Großteil der Aufmerksamkeit verloren: Die Zahl der Interaktionen in sozialen Medien, die sich um seinen Namen drehen, ist seit Januar um rund 90 Prozent gesunken (Axios). "Trump's social media superpower was never his ability to tweet — it was his ability to get the media to cover what he tweeted", sagt Jim Anderson, CEO von SocialFlow, das einen Teil der Daten ausgewertet hat. Diese Superpower hat Trump eingebüßt – und das ist für ihn ein großes Problem.

Zum einen geht ihm das Geld aus. Wenn er 2024 erneut als Kandidat der Republikaner antreten will, ist er auf Spenden angewiesen. Die fließen aber nur, wenn Trump weiter präsent in den Medien ist. Zur großen Überraschung von exakt niemandem hat Trump just in dem Moment, als er die Klagen ankündigte, zu einer neuen Spendenkampagne aufgerufen (MotherJones).

Zum anderen können die Klagen Facebook, Twitter und YouTube schaden, auch wenn kein Gericht in den USA sie ernst nimmt. Sie nähren ein Narrativ, das Trump und viele Republikaner seit Jahren mit Erfolg gewoben haben (OneZero): Das angeblich linke Silicon Valley habe sich gegen Konservative verschworen, "zensiere" abweichende Meinungen und tue alles, um die Demokraten an die Macht zu bringen.

Das setzt nicht nur die Konzerne unter Druck (NYT), sondern eint auch das eigene Lager, das auf "die da oben" schimpfen und sich ungerecht behandelt fühlen kann (Washington Post). Dabei ist es egal, was Richterïnnen sagen – Gefühle wiegen schwerer als Fakten.

Be smart

Die gute Nachricht: Trump ist nach wie vor auf klassische Medien und große Plattformen angewiesen. "Il faut parler de Parler" (Man muss über Parler reden), schrieben wir im vergangenen November (#684). Nachdem Amazon, Apple und Google dem alternativen Netzwerk die Plattform entzogen haben, spricht niemand mehr von und auf Parler (Axios). Auch Gab, MeWe und Rumble werden immer irrelevanter.

Anfang der Woche dachten wir noch, dass wir uns in diesem Briefing mit Gettr beschäftigen müssen. Ehemalige Mitglieder von Trumps Team hatten den Twitter-Klon gegründet, und wir fürchteten, dass eine rechtslastige Echokammer entstehen könnte – doch das Projekt zerlegte sich schneller, als wir schreiben konnten. Deshalb verweisen wir nur auf Casey Newton (Platformer), der den (sehr kurzen) Aufstieg und (sehr tiefen) Fall von Gettr beschreibt.

Die schlechte Nachricht: Trump ist weg, der Trumpismus ist es nicht. Die US-amerikanische Gesellschaft ist tiefer gespalten denn je, Jahre voller Desinformation, Lügen und Rassismus haben Spuren hinterlassen. An vielen Orten im Land formieren sich Trumps Unterstützerïnnen (Washington Post), die jegliches Vertrauen in Medien und staatliche Institutionen verloren haben. Sie verhindern die Einführung von Impfausweisen oder protestieren vor Impfzentren, bis diese geschlossen werden. Auch QAnon lebt und gedeiht weiter (LA Times).

Trumps Einfluss mag abgenommen haben und dürfte weiter schrumpfen, doch für viele Menschen ist er immer noch ein Idol. Sie hängen an seinen Lippen und folgen seinen Worten. Trump selbst ist seit Januar geimpft, trotzdem hat er sich öffentlich immer wieder widersprüchlich über die Impfung geäußert. Das hat Folgen (Washington Post): 93 Prozent der Anhängerïnnen der Demokraten sind bereits geimpft oder wollen sich impfen lassen – aber nur 49 Prozent der Menschen, die den Republikanern nahestehen. Unter den Impfgegnerïnnen vertrauen 53 Prozent auf den medizinischen Rat von Trump – und gerade mal neun Prozent auf die Expertise von Anthony Fauci (YouGov).

Kurzum: Trump hat große Macht – aber offenbar kein Interesse, die Verantwortung wahrzunehmen (Popular Information), die damit einhergeht:

Trump still has a chance to (…) end the pandemic in the United States, and save many lives. He can reach people that don't trust Biden, Fauci, or the CDC. But his new lawsuits suggest Trump has other priorities.

Follow the money

  • Fidji Simo verlässt Facebook: Wir sind kein Medium, das sich explizit mit Personalrochaden beschäftigt. Wenn sich allerdings die Chefin von Facebook Blue, also der guten alten Facebook App, verabschiedet, um CEO beim Essenslieferservice Instacart zu werden (CNBC), ist uns das eine Notiz wert. Zwei Gründe: Erstens zeigt es, dass der Job, Chefin der Facebook App zu sein, nicht mehr das Größte auf der Welt ist. Zweitens wird mit Tom Alison jemand ihr Nachfolger, der bislang vor allem die Entwicklung von Facebook Gruppen verantwortete – zeigt also vielleicht ganz gut, in welche Richtung die Reise für Facebook gehen könnte.

Influencer

  • 24 Stunden pro Woche verbringen Influencer im Schnitt damit, ihre Social-Media-Accounts zu pflegen. Diese und viele weitere interessante Stats hat eine Studie von Hype Auditor hervorgebracht. Hier einige ausgewählte Ergebnisse:

Schon einmal im Briefing gehört

  • Amerikaner verbringen mehr Zeit auf TikTok als auf YouTube: So lautet das Ergebnis einer Untersuchung, die die App-Analyse-Firma App-Annie veröffentlicht hat. Zwar stützt sich die Untersuchung nur auf Zahlen von Android-Nutzerïnnen, sie untermauern aber trotzdem den unfassbaren Höhenflug, den TikTok über die letzten Monate hingelegt hat: Nutzerïnnen verbringen im Schnitt 24,5 Stunden pro Monat auf TikTok, auf YouTube hingegen nur 22 Stunden. Beides völlig irre Zahlen.

  • YouTube-Empfehlungen können an dunkle Ort führen: Eigentlich hatte YouTube Besserung gelobt: Keine spalterischen Videos mehr empfehlen, so lautete die gut gemeinte Zielvorgabe. Eine Untersuchung von Mozilla zeigt: Funktioniert hat das leider nicht wirklich. Immer noch trägt der Empfehlungsalgorithmus in großem Umfang dazu bei, dass „minderwertige, spalterische und desinformierende Inhalte“ ein Publikum auf YouTube finden.
  • Pinterest macht Ernst in Sachen Body Positivity: Wenn das keine guten Nachrichten sind: Pinterest aktualisiert seine Anzeigenrichtlinien, um alle Anzeigen mit Sprache und Bildmaterial zum Thema Gewichtsverlust zu verbieten. Konkret sind fortan alle Anzeigen verboten, die folgende Dinge beinhalten:
    • Jegliche Sprache oder Bildsprache zur Gewichtsabnahme
    • Jegliche Zeugnisse über Gewichtsabnahme oder Produkte zur Gewichtsabnahme
    • Jegliche Sprache oder Bildsprache, die bestimmte Körpertypen idealisiert oder verunglimpft
    • Bezugnahme auf den Body Mass Index (BMI) oder ähnliche Indizes
    • Jegliche Produkte, die eine Gewichtsabnahme durch etwas versprechen, das getragen oder auf die Haut aufgetragen wird

Pinterest ist damit die erste große Plattform, die sämtliche Anzeigen zum Thema Abnehmen verbietet. Wir sind gespannt, ob die Regeln auch effektiv durchgesetzt werden (können).

Neue Features bei den Plattformen

TikTok

  • Shoutouts von Influencerïnnen: TikTok bastelt an einem Feature (Business Insider), das stark an Cameo erinnert. Mit der neuen Funktion könnten sich Fans von Influencerïnnen Shoutouts kaufen – etwa Geburtstagsgrüße für eine Freundin.
  • Job via TikTok finden: Wenn Amerikaner schon mehr als einen ganzen Tag ihres Lebens pro Monat auf TikTok abhängen, dann könnten sie die Zeit doch wenigstens auch etwas produktiv nutzen, oder? Well, zumindest können sich US-Nutzerïnnen jetzt via TikTok mit einem Video auf Jobs von ausgewählten Unternehmen bewerben. Ob mensch mit einem Prank, Shuffle-Dance oder Shanty die besten Karten hat, ist nicht überliefert.

Facebook

  • Threads: Facebook testet eine neue Art, Kommentare zu strukturieren. Threads (Techcrunch) sind uns ja bereits von anderen Plattform bekannt.

Twitch

  • Watch Parties jetzt auch auf iOS und Android: Watch Parties sind anscheinend immer noch ein Thema. Mit Watch Parties können Twitch-Nutzerïnnen zusammenkommen, um Sendungen, die mit ihrem Amazon-Prime-Abonnement verfügbar sind, direkt auf Twitch anzusehen, darauf zu reagieren und darüber zu diskutieren. Bislang war das nur am Desktop möglich – jetzt geht das auch mobil (The Verge).

Discord

One more thing

  • Social Media Watchblog auf Instagram: Ja, Instagram ist ziemlich überdreht aktuell. Da hat Daniel in unserer gestrigen Lecture schon einen Punkt gemacht. Nichtsdestotrotz wollen wir in den kommenden Monaten ein wenig auf Instagram experimentieren. Wer mag, kann uns dort gern folgen: instagram.com/socialmediawatchblog. Falls jemand Lust hat, bei unseren Instagram- (und weiteren Social-) Aktivitäten mitzuwirken, bitte melden!


Header-Foto von Teddy Österblom bei Unsplash