Salut und herzlich Willkommen zur 557. Ausgabe des Social-Media-Watchblog-Briefings. Heute blicken wir noch einmal auf Facebooks Pläne, eine Kryptowährung einzuführen – es gab ja ziemlichen Gegenwind. Zudem schauen wir auf die miesen Arbeitsbedingungen von Content Moderatoren bei Facebook. Es sieht ganz so aus, als würde die „Müllabfuhr des Internets“ selbst wie Dreck behandelt. Ferner haben wir einen toll designten Überblick über die wichtigsten Tech-Unternehmen Chinas im Angebot. Falls Du magst, sehen wir uns später um 11:00 Uhr beim zweiten Ask Me Anything – dieses Mal steht der wunderbare @wahl_beobachter Martin Fuchs Rede und Antwort. Wenn Du dabei sein magst, antworte mir bitte kurz auf dieses Briefing. Herzlichen Dank für das Interesse an unserem Angebot, Simon und Martin
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Die Müllabfuhr des Internets
Was ist: Über die Arbeit von Content Moderatoren haben wir im Social Media Watchblog bereits häufiger geschrieben. Kurz zur Erinnerung: Die Aufgabe der Content Moderatoren ist es, gepostete Inhalte daraufhin zu überprüfen, ob sie den Community Standards der großen Plattformen entsprechen. Im Alltag bedeutet dies, dass die Damen und Herren Moderatoren permanent Videos und Fotos von Enthauptungen, Vergewaltigungen und anderen Greueltaten anschauen und aussortieren müssen. Dass dieser Job mit enormen Belastungen verbunden ist, wurde bereits vielfach berichtet. Jetzt haben sich erstmals drei ehemalige Content Moderatoren öffentlich zu Wort gemeldet – das Video mit den Interviews sollte jeder schauen, der eine der Plattformen nutzt.
Was die Content Moderatoren zu Protokoll geben:
- Für gerade einmal 30.000 Dollar pro Jahr wird von den Content Moderatoren Höchstleistung erwartet. So müssen sie bis zu 400 Posts pro Tag moderieren und dabei mindestens zu 98 Prozent richtige Entscheidungen treffen – sonst droht der Rauswurf.
- Genau das aber gestaltet sich äußerst schwierig, da erstens die Regeln, nach denen Posts moderiert werden, so gut wie jeden Tag Neuerungen erfahren und zweitens viele Videos und Bilder so brutal und schwer zu verarbeiten sind, dass sie nicht wie am Fließband abgearbeitet werden können.
- Wenig überraschend klagen zahlreiche Content Moderatoren über mangelnde psychologische Betreuung und post-traumatische Belastungsstörungen – etwa Schlaflosigkeit und permante Albträume.
Be good: Wir erleben in unserem Alltag als Nutzer ein weitesgehend sauberes Facebook, Twitter, etc. – einmal von den ganzen Hasskommentaren abgesehen. Dass aber Content Moderatoren bereits dafür gesorgt haben, dass hunderttausende verstörende Videos und Fotos nicht die Runde machen können, ist für uns in aller Regel nicht sichtbar und spielt daher für uns auch keine Rolle. Vielleicht lohnt es sich, da mehr drüber nachzudenken und für bessere Arbeitsbedingungen dieser Menschen einzutreten – denn sie befinden sich wirklich ganz unten in der Facebookschen Nahrungskette.
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Reaktionen auf Facebooks Kryptowährung
Was ist: Im vergangenen Briefing #556 haben wir uns 10.000 Zeichen lang mit Facebooks Versuch beschäftigt, eine neue Weltwährung zu schaffen. Die Zusammenfassung enthält alle wichtigen Fakten und unsere Einschätzung, die nach wie vor gültig ist. Inhaltlich gibt es also nur wenig Neues zu berichten – aber mittlerweile haben einige kluge Menschen Kritik an Libra geäußert, die wir überblicksweise verlinken. Ein Projekt, das so groß und ambitioniert ist, verdient es, zweimal nacheinander im Briefing aufzutauchen:
- Martin Weigert sieht in Libra einen zweiten "Whatsapp-Moment": Politik und Kartellbehörden müssten jetzt einschreiten und verhindern, dass Facebook noch mächtiger wird. Sein Fazit: “Nobody should believe that the goal would be anything else than total domination of the global payments market.“
- Ähnlich pessimistisch beurteilt es Guardian-Kolumnist Charles Arthur: "I’m worried that the future involves being forced to use Facebook in order to make everyday transactions, and that the privacy promises will evaporate."
- Ebenfalls im Guardian befasst sich Medienwissenschaftler Siva Vaidhyanathan mit Libra. Seine Analyse ist kritisch, aber besonnen: "We need not panic about Libra. This network will take years to establish itself. But we should be concerned about further concentration of corporate power. Most seriously, it could wipe out many businesses, small and large, that have been serving people for decades."
- Die FT (deren Cheat Sheet nach wie vor das Beste ist, was man zu Libra lesen kann) erklärt, warum Libra den meisten Menschen ohne Zugang zu einem Bankkonto kaum weiterhelfen wird. Facebook hatte das in seiner Ankündigung als eines der großen Heilsversprechen angepriesen – tatsächlich handle es sich um eine gesellschaftliche Herausforderung, der nicht mit technischen Lösungen, sondern mit Bildungsarbeit und lokalen Maßnahmen begegnet werden müsse.
- Autor Noam Cohen beschreibt Libra in der Wired als Symbol für die beängstigenden Ambitionen des Silicon Valley. Er vergleicht Facebooks Vorstoß mit Paypal und schreibt: "Facebook, with its 2 billion-plus users, has finally taken up the challenge. You know what should keep us up at night? What if Facebook actually succeeds?"
- Matt Stoller arbeitet in der New York Times vier zentrale Probleme heraus:
- Ein globales Zahlungssystems aufzubauen und zu verwalten ist verdammt komplex – zu komplex für Facebook, dem die Erfahrung von Banken fehlt.
- Seit Jahrhunderten gibt es eine strikte Trennung zwischen Bankenwesen und anderen Unternehmen. Aus gutem Grund: Wer beides kontrolliert, sammelt zu viele Daten und wird zu mächtig.
- Libra bedroht die Stabilität des Wirtschaftssystems: Wenn eine große Zahl von Menschen ihre Einheiten gleichzeitig verkaufen will, könnte das zu einem Crash führen.
- Staaten verlieren an Kontrolle: Statt den USA oder den UN könnte Facebook entscheiden, ob Handelssanktionen gegen Nordkorea verhängt werden.
Be smart: Facebooks Ambitionen sind gewaltig. Libra könnte dem Unternehmen endgültig mehr Macht geben als jedem Nationalstaat. Diese Vorstellung kann einem Angst machen – aber ob es so kommt, ist noch lange nicht sicher. Dafür gibt es mindestens drei Gründe:
- Facebooks Ruf hat durch zahlreiche Skandale stark gelitten. Kaum ein Unternehmen musste so oft zugeben, Daten versehentlich weitergegeben oder Nutzerïnnen gegen deren Willen ausspioniert zu haben. Nur wenige Menschen scheinen Facebooks Smart Display Portal zu kaufen – weil sie dem Unternehmen nicht genug vertrauen, um ein Facebook-Mikrofon und eine Facebook-Kamera in ihr Schlafzimmer zu stellen. Werden sie Facebook ihr Geld überlassen?
- Facebook versucht seit Jahren, eigene Zahlungssystem aufzubauen – mit mäßigem Erfolg: "In 2010, it began offering Facebook Credits, a way to buy virtual goods inside Facebook games. But in 2012 it scrapped Credits, and in 2013 it started working with third-party services like PayPal to process some payments. Facebook's revenue from "payments and other service" was less than 2% of total sales in 2018." Klar, Libra ist ungleich ambitionierter, aber es wäre nicht das erste große Projekt, das Facebook in den Sand setzt.
- Facebook befindet sich seit Monaten im Visier von Kartellbehörden und Politikerïnnen, die Zerschlagung, Entflechtung oder Regulierung fordern. Das ist nicht die beste Ausgangslage, um Pläne für eine neue globale Währung vorzustellen. In den USA und Deutschland gibt es Kritik und Bedenken, der US-Senat hat bereits eine Anhörung für den 16. Juli angesetzt. Libra wird nicht komplett verboten werden, das hat Facebook mit der relativ unabhängigen Libra Association sichergestellt. Aber es ist gut möglich, dass Facebooks Kryptowährung stärker reguliert wird, als Facebook sich das wünscht.
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Social Media & Politik
Die US-Handelsaufsicht ermittel gegen YouTube – der Grund dafür: YouTube trackt laut Verbraucherschützern seit Jahren Kinder, um ihnen „passende Videos“ zu empfehlen. Das allerdings verstoße gegen geltendes Recht – genauer gesagt gegen die Children’s Online Privacy Protection, ein US-Datenschutzgesetz speziell für Kids unter 13 Jahren. YouTube denkt nun offenbar darüber nach, den Empfehlungsalgorithmus bei Kinder-Videos auszuschalten, respektive sämtliche Kinder-Videos in die hauseigene Kids-App zu verlagern. Ob YouTube solche View-Einbußen wirklich in Kauf nimmt? Bin mir da nicht so sicher. Die Washington Post hat die ganze Geschichte.
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Blick gen Osten
WeChat ist aus dem Alltag in China nicht mehr wegzudenken – so die einhellige Meinung von Locals und Branchenbeobachtern gleichermaßen. Wie schmal dabei der Grat zwischen Überwachung und Komfort ist, zeigt auch dieser Bericht der BBC. So wurde einem Reporter der BBC das WeChat-Konto gesperrt, nachdem er Fotos von der Tiananmen-Gedenkfeier gepostet hatte. Soweit so normal: der lange Arm der chinesischen Behörden sorgt dafür, dass unliebsame Themen in der App keine Verbreitung finden. Dass der Reporter danach aber sein Gesicht scannen und seine Stimme aufnehmen lassen musste, um den Account wiederherzustellen, setzt dem Überwachungswahnsinn wirklich die Krone auf. Wer weiß, in welcher Behörde diese Samples nun gelandet sind – und wie sie u.U. noch einmal gegen ihn verwendet werden könnten.
Chinas wichtigste Tech-Unternehmen: Die Website Abacus News berichtet aus Hong Kong über Technologie-Themen aus China. Die Seite gehört zur South China Morning Post, die widerum zur Alibaba-Group gehört. Dass es da schon einmal den einen oder anderen Interessenkonflikt in der Berichterstattung gibt, kann ich mir gut vorstellen. Das hindert mich aber nicht daran, auf dieses tolle Projekt aufmerksam zu machen: China Tech City. Die Website bietet einen grandios designten Überblick über Chinas wichtigste Tech-Unternehmen und ist ein wirklich guter Primer, um sich einen Eindruck zu verschaffen, welche Unternehmen in China dominant sind. Einfach toll zu sehen, was dabei herauskommt, wenn Grafik, Technik und Redaktion zusammenarbeiten…
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Empfehlungen fürs Wochenende
Digitalisierungsreligion? Christian Hoffmeister beschäftigt sich in einem, Essay bei Meedia sehr lesenswert mit der Frage, ob wir aus der Digitalisierung eine neue Religion machen.
Drogen per Telegram: Die Kollegen Theresa Locker und Sebastian Meineck haben sich für Vice wochenlang auf Telegram rumgetrieben und recherchiert, wie der Messengerdienst zur Darknet-Alternative für Drogen, Filme und geknackte Accounts geworden ist. Ziemlich spannend. Vor allem auch deshalb, weil die Polizei eigentlich jederzeit zuschlagen könnte – der Handel aber trotzdem floriert.
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Neues von den Plattformen
- Schluss mit Geolocation: Bei Twitter können Tweets nicht mehr mit einem Geo-Tag versehen werden. Das mag einige Datenschützer freuen. Für viele Journalisten, Wissenschaftler und Menschenrechtsaktivisten bringt das aber eher Probleme mit sich, schließlich ließen sich Tweets anhand von Geo-Tags recht solide verifizieren. Das NiemanLab beschreibt das Dilemma.
YouTube
- Experimente mit Kommentaren: YouTube arbeitet weiterhin daran, die Nutzungserfahrung etwas freundlicher zu gestalten. Der neueste Clou: Kommentare sind nur dann zu sehen, wenn sie aktiv angewählt werden. Zwar vorerst nur ein Test, aber da Twitter ja mit ganz ähnlichen Ideen rumhantiert, vielleicht ja doch etwas, was wir im Blick behalten sollten.
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Tipps, Tricks und Apps
Wie spricht man eigentlich dies, das, Ananas aus? Künftig kann sich der/die Sprachinteressierte auf der Website youglish.com anhand von YouTube-Videos anhören, wie bestimmte Wörter korrekt ausgesprochen werden. Möglich macht dies eine Schnittstelle bei YouTube, auf die zugegriffen werden kann, um innerhalb eines Videos das entsprechende Wort zu finden. Da ist es wieder: SEO für Videos. Das wird noch ganz groß…
Twitter als Data Source: In Briefing #555 hatten wir ja bereits über zwei Artikel berichtet, die diverse Optionen aufzeigen, um auf Twitter besser zu recherchieren. Heute setzen wir das fort und verweisen auf diesen tollen Artikel, der 23 Twitter-Analyse-Tools vorstellt.
Not A Newsletter: Im letzten Briefing hatte die Verlinkung irgendwie nicht geklappt – mea culpa! Hier nun der Link zum Google-Doc „Not A Newsletter“ – eine fantastische Sammlung rund um das Thema Newsletter.
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One more thing
Ask Me Anything: Heute um 11:00 Uhr findet das zweite Ask Me Anything statt. Dieses Mal steht der wunderbare Martin Fuchs Rede und Antwort. Martin ist sicherlich vielen als @wahl_beobachter auf Twitter bekannt. Er beschäftigt sich bereits seit langem mit allem, was an der Schnittstelle Social Media und Politik passiert, und ist zudem grundsätzlich ziemlich frisch unterwegs, was Social-Media-Skills angeht. Wer bei dem rund dreißigminütigen Gespräch dabei sein möchte und vor allem auch die Chance ergreifen möchte, selbst eine Frage an Martin zu stellen, antwortet bitte auf dieses Briefing – dann schicke ich eine Einladung zum Skype-Gespräch raus. Würde mich freuen, viele von euch nachher begrüßen zu dürfen!
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Header-Foto von Benjamin Hung bei Unsplash
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