Salut und herzlich Willkommen zur 608. Ausgabe des Social-Media-Watchblog-Briefings. Heute beschäftigen wir uns mit Alternativen zu den Giganten aus dem Silicon Valley. Auch schauen wir auf das Badezimmer als Keimzelle von Social-Media-Content und erklären, wie Instagram DM schon jetzt am Desktop genutzt werden können. Herzlichen Dank für das Interesse an unserem Newsletter und ein großes Sorry für den späten Versand heute, Martin ✌️🏻
Im Schatten der Giganten
Was ist: Die längste Zeit schien es so, als sei Facebooks Siegeszug nicht aufzuhalten. Und ja: Die Quartalszahlen sind immer wieder aufs Neue beeindruckend. Gleichzeitig lässt sich aktuell aber so viel Bewegung im Markt feststellen wie lange nicht mehr. Ein paar Beispiele:
Talent vs status based
- Über TikTok wurde in den letzten Monaten ja ausführlich berichtet. Das Angebot des chinesischen Unternehmens ByteDance hat es 2019 geschafft, in der westlichen Welt Fuß zu fassen. Der primäre Grund dafür besteht vor allem darin, dass die App komplett ohne Freunde funktioniert. Das ganze Nutzungserlebnis basiert nicht so sehr auf Status, sondern auf Talent. Ein entscheidender Unterschied zu Facebook und Instagram, bei denen Status (Stars, Friendgraph, etc.) zentral ist. Und auch ein entscheidender Grund dafür, warum Facebook den Erfolg von TikTok nicht so einfach aufhalten kann: es reicht eben nicht immer, einfach nur ein paar Features zu kopieren.
Musik & Social Media
- Spotify testet derzeit ein Stories-Feature, das stark an die Features von Snapchat und Instagram erinnert. Der Clou: Spotify gibt Künstlerïnnen damit die Möglichkeit, ihre Fans direkt auf der Plattform zu unterhalten. Ein Umweg über Instagram ist nicht mehr notwendig.
- Resso heißt der Streaming-Service von ByteDance, der ebenfalls Elemente aus der Welt der sozialen Medien mit Ideen von Musik-Angeboten verknüpft. Wie in Briefing #600 dargestellt, können Resso-Nutzerïnnen direkt unter einem Song Kommentare verfassen. Zudem sehen sie die Real-Time-Lyrics zu jedem Song – ein dauerhafter Karaoke-Modus sozusagen. Auch können Nutzerïnnen aus den Songs Gifs und Videos produzieren und sie auf der Plattform posten. Eine derart konsequente Verquickung von Streaming und Social Media hat bislang keine Plattform im Angebot.
Unabhängige, dezentrale Netzwerke
- Planetary Social heißt der neueste Versuch, den übermächtigen Angeboten von Facebook und Co die Stirn zu bieten. Das Startup verspricht, alles besser zu machen als die Platzhirschen und soll dieses Jahr regulär starten – als „offene und humane Alternative zu Facebook“. Ob dies in der Breite gelingen kann, sei einmal dahingestellt. Wichtig ist lediglich, dass es Menschen gibt, die Social Media weiterdenken und sich zutrauen, dezentrale Alternativen zu erfinden. Der Clou von Planetary besteht nämlich vor allem darin, dass es mit einem offenen Protokoll arbeitet – etwa so wie Email. Planetary wäre damit das Gegenteil der prominenten Walled Gardens aus dem Silicon Valley. (Danke Johannes Brümmer für den Tipp 🙏)
- Die Wiki-Alternative: Der Mitgründer der Wikipedia, Jimmy Wales, hat ein soziales Netzwerk – WT:Social – gelauncht, das explizit als „Gegenpol zu Clickbait und anderen Formen der Volksverdummung“ wahrgenommen werden soll. WT:Social soll komplett ohne Werbung auskommen und sich über freiwillige Spenden finanzieren. Die grundsätzliche Idee des Netzwerks besteht darin, Diskussionen zu bestimmten Themen in Gang zu bringen (t3n). Bislang hebt das Projekt zwar noch nicht so richtig ab – aber es sorgt für Bewegung im Markt.
- Für den kleinen Kreis: Wie in Briefing #595 berichtet, haben zwei ehemalige Facebook-Mitarbeiter Cocoon gegründet. Das Startup wirbt damit, Familien und Freunden einen sicheren und intimen Ort zum Austausch zu bieten. Alles ohne Tracking und Werbung, dafür aber später einmal mit einer Bezahl-Version.
Special-Purpose-Netzwerke
- Auch im Bereich der Special-Purpose-Netzwerke hat sich in den letzten Monaten und Jahren einiges getan: So haben sich Sportler-Netzwerke wie Strava einen festen Platz im Tagesablauf von Sportbegeisterten gesichert – nicht zuletzt durch die Möglichkeit, dort Fotos und Berichte von Events und Erlebnissen zu teilen.
- Foto-Communities: Wer sich für Fotografie interessiert, bleibt nicht zwangsläufig bei Instagram stehen. Apps wie VSCO bieten Foto- und Kunstinteressierten Orte und Features, um sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Und sind so wirkmächtig, dass sie selbst zum Meme werden (VOX).
- Berufsnetzwerke wie LinkedIn haben in den letzten Monaten eine regelrechte Rennaissance (Social Media Today) erlebt. Selten zuvor haben sich so viele Unternehmen & Kollegïnnen über ihre LinkedIn-Strategie Gedanken gemacht.
- Entdecker-Portale wie Pinterest sind auch weit entfernt davon, das Licht auszumachen. Im Gegenteil: Pinterest entwickelt sich neben den Platzhirschen weiter recht anständig. Und hat häufig sogar die besseren Ideen (Pinterest Newsroom), wenn es um die Verantwortung gegenüber den Nutzerïnnen geht – eine Attitüde, die sich auszahlen könnte.
Livestreaming
- Last but not least erleben wir gerade eine enorme Weiterentwicklung im Bereich des Livestreamings. Tummelten sich bislang vor allem Gamer auf den Plattformen von Twitch und Co, rücken zunehmend auch andere „Livestreaming-Gattungen“ ins Zentrum. Bei brand eins habe ich über diesen Trend geschrieben: Helden wie wir.
Be smart: Nicht alle Angebote können das nächste Facebook werden. Müssen sie auch nicht. Die Vielzahl der Services zeigt, dass sich jenseits der etablierten Unternehmen neue Akteure auftun (bzw. alte berappeln) und spezielle Bedürfnisse sehr viel besser befriedigen. Wer als Unternehmen oder Organisation darauf angewiesen ist, Menschen zu erreichen, sollte bekanntlich immer schauen, wo sich die Zielgruppe aufhält. Vielleicht ja irgendwo im Schatten der Giganten.
Social Media & Politik
500 Millionen Dollar für Lobbying: Fast eine halbe Milliarde Dollar haben Amazon, Facebook, Google und Co für Lobbyarbeit in den 2010er Jahren ausgegeben – Tendenz steigend (Washington Post). Sagen wir mal so: Das kann sich nicht jeder leisten…
Forderung nach AI-Regulierung: Langsam aber sicher wird es zum Trend, dass Tech-Unternehmen nach mehr Regulierung rufen. Nach Mark Zuckerberg sucht nun auch Alphabet- und Google-Chef Sundar Pichai die Öffentlichkeit und fordert in der Financial Times, dass künstliche Intelligenz reguliert wird. Auch er tut dies natürlich nicht ohne Hintergedanken. Wenn wir uns einmal kurz die Anhörungen von Zuckerberg in Erinnerung rufen (Mr. Zuckerberg, if your service is free, how do you make money?), dann bekommen wir eine Idee davon, wie wenig Sachverstand erst recht beim Thema AI vorliegen dürfte. Perfekte Bedingungen also für Google, um bei der Regulierung ordentlich mizuhelfen.
„There is no question that AI needs to be regulated. It is too important not to. The only question is how.„
Kampf gegen Desinformation
Studie zu Facebook’s Coordinated Inauthentic Behavior: Eine Studierende der New York University Abu Dhabi hat sich die Mühe gemacht, sämtliche von Facebook öffentlich gemachten Berichte zu Desinformationskampagnen auf Facebook zu clustern. Zitat:
„The goal of this project is to provide a better overview of the disinformation campaigns identified by Facebook, but also to encourage further transparency from Facebook to provide more data on each of them as we are approaching several governmental leadership elections.„
Angelina Jolie produziert zusammen mit der BBC eine Show, um Kids beizubringen, welche Formen von Falschinformationen es gibt. Neben den Shows gibt es in Kooperation mit Microsoft Education auch Online-Kurse, um das Gelernte zu vertiefen. Klingt für mich ganz spannend. Vor allem auch deshalb interessant, weil sich der ÖR auch in Deutschland imho stärker um die Medienkompetenz ihrer Zuschauer bemühen sollten.
Follow the money
TikTok sucht neuen CEO: Laut Bloomberg soll sich der neue CEO von den USA aus vor allem um nicht-technische Fragen kümmern (read: ums Geld verdienen und für gute Presse sorgen). Der bisherige Chef, Alex Zhu, könnte sich dann von China aus weiter um das Produkt kümmern. Tricky! Vor allem auch mit Blick auf einen potentiellen Börsengang.
Libra verliert Vodafone: Nach PayPal, Mastercard, Visa, Mercado Pago, eBay, Stripe und Booking Holding verabschiedet sich nun auch Vodafone aus Facebooks Libra Association (Coindesk). Ob das mit Faebook Cryptowährung noch etwas wird? Immer unwahrscheinlicher…
Studie zu Facebooks Impact in Europa: Facebook hat eine Studie in Auftrag gegeben, um herauszufinden, wie insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen in Europa von Facebook profitieren. Die Zahlen sind kaum zu glauben:
„Surveyed businesses said that using Facebook apps helped them generate sales corresponding to an estimated EUR 208 billion last year. Using standard economic modeling techniques, this translates into an estimated 3.1 million jobs.„
„Businesses also said that using Facebook apps helped them generate an estimated EUR 98 billion in exports last year. Of these exports, EUR 58 billion are sales within the EU and EUR 40 billion are sales to the rest of the world.„
Falls das jemand mal kritisch überprüfen könnte, Danke!
Inspiration
Headliner Flix: Bislang ist es ja ziemlich unattraktiv, neue Podcasts zu entdecken. Die Macher von Headliner haben sich da mal etwas überlegt: ihre Website Headliner Flix erinnert eher an eine Podcast-Videothek – also ein Mix aus Podcasts und Netflix. Vielleicht die Zukunft der Podcast-Empfehlung?
Empfehlungen fürs Wochenende
Nicole Diekmann über Social Media: ZDF-Kollegin Nicole Diekmann erklärt bei journalist, warum Medienmacher Twitter und Facebook „nicht dem Mob“ überlassen dürfen und warum es mehr Medienkompetenz in den Redaktionen braucht. Ihr Text beschreibt ziemlich gut unsere Motivation, das Social Media Watchblog zu betreiben.
Internet of Beefs: Wer sich intensiver mit der Streit- und Mobbing-Kultur in sozialen Medien beschäftigen möchte, dem sei diese übertrieben lange Abhandlung über das Internet of Beefs bei Ribbonfarm empfohlen. Ist zwar ein ordentliches Zeitinvest, lohnt sich aber sehr.
Hacker-Angriff auf Bezos: In anderen Medien war die Story über den Hackerangriff auf Amazon-Boss Bezos völlig zurecht ganz weit oben. Zwar kein genuines Social-Media-Thema, aber dennoch viel zu komplex, irre und spannend, als dass wir die Geschichte hier unerwähnt lassen möchten: „Hallo MBS“ – Chronologie des Hackerangriffs auf Amazon-Chef Bezos (SPIEGEL)
Das Badezimmer: Aufmerksame Leserïnnen dürften es bereits mitbekommen haben: Simon und ich sind große Fans von Taylor Lorenz. Der Grund für unseren Crush: Sie schafft es, auf unnachahmliche Weise über die Schnittstelle von Social Media und Kultur zu berichten. So auch in ihrem neuen Artikel, der sich mit dem Badezimmer als Keimzelle von Social-Media-Content beschäftigt. We’re All in the Bathroom Filming Ourselves (New York Times)
Neues von den Plattformen
YouTube
- Channel Permissions: Wer sich professionell mit YouTube beschäftigt, wird sich über diese Neuerung freuen: Google führt Channel Permissions bei YouTube Studio ein (Support / Google). Künftig gibt es die Rollen Manager, Editor, Viewer und Viewer (limited) – sehr praktisch!
- Douyin-Konkurrenz: Um Douyin (TikToks chinesischem Zwilling) nicht kampflos das Feld der Short-Videos zu überlassen, arbeitet WeChat an neuen Kurzvideo-Features (Panda Daily).
Tinder
- Panic Buttons: Um Nutzerïnnen mehr Sicherheitsoptionen zu bieten, gibt es bei Tinder demnächst Safety Check-ins und Panic Buttons ($ WSJ).
- Emoji Reactions & DM: Wir wollten einen Edit-Button und bekamen Emoji Reactions für Twitter DM (Techcrunch).
TikTok
- Neue Search-Page: Um Nutzerïnnen besser aufzuzeigen, was sie alles auf TikTok finden können, arbeitet TikTok an einer neuen Search-Page (Twitter / MattNavarra).
- Bestimmte Inhalte blocken: Auch auf TikTok können Nutzerïnnen übrigens aktiv darüber mitbestimmen, welche Inhalte sie in ihren Feed gespült bekommen. Einfach bei einem Video per Klick angeben, dass von diesem Nutzer / von diesem Sound keine weiteren Videos gewünscht sind.
Tipps, Tricks und Apps
Was Marken bei TikTok beachten müssen: The Drum hat ausführlich aufgeschrieben, welche Optionen Marken bei TikTok haben, um auf sich aufmerksam zu machen. Und was sie dabei berücksichtigen müssen. Die grundsätzliche Frage, ob ein Unternehmen überhaupt auf TikTok unterwegs sein sollte, stellen sie natürlich nicht. Dabei ist das wahrscheinlich die wichtigste Frage von allen… Want your brand to be present on TikTok? Here are your options – einige Takeaways:
- Den eigenen Content nicht „überproduzieren“ – Rawness is everything
- Nicht bei jeder Challenge mitmachen
- Lieber selber Hashtag Challenges initiieren
- Custom Filter bauen
Instagram DM auf Desktop lesen: Instagram arbeitet ja derzeit daran, Direct Messages auch auf dem Desktop lesen zu können (siehe Briefing #606). Was viele unter euch vielleicht noch nicht wussten: Schon jetzt können Instagram Direct Messages am Desktop genutzt werden:
- Chrome & instagram.com öffnen
- Rechtsklick & „untersuchen“ klicken
- „Responsive“ auswählen
- Seite neu laden
- Taaaadaaaaaaaaaa 🧙🏻♀️
Funktioniert auch noch einfacher – Strg+Shift+I & Strg+R – und nicht nur mit Chrome.
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