Was ist
Seit dem heutigen Donnerstag gelten die Vorgaben des Digital Markets Act (DMA). Mit dem Gesetz will die EU-Kommissionen fairen Wettbewerb im Netz ermöglichen und verhindern, dass dominante Digitalkonzerne ihre Macht ausnutzen, um Konkurrenz im Keim zu ersticken. Wir geben einen Überblick, wie das Regelwerk das Netz für Nutzerïnnen verändert.
Für wen der DMA gilt
- Vor einem halben Jahr, am 6. September, gab die EU bekannt, welche Unternehmen zu den sogenannten Gatekeepern zählen und sich damit an die Regeln halten müssen. Betroffen sind die folgenden Konzerne mit ihren jeweiligen Diensten (European Commission):
- Alphabet: Android, Chrome, Google, Google Ads, Google Maps, Google Play, Google Shopping, YouTube
- Amazon: Amazon Ads, Amazon Marketplace
- Apple: iPhone App Store, iOS, Safari
- ByteDance: TikTok
- Meta: Facebook, Facebook Messenger, Instagram, Meta Ads, Meta Marketplace, WhatsApp
- Microsoft: LinkedIn, Windows
Was der DMA vorschreibt
- Die meisten großen Tech-Konzerne haben in den vergangenen Jahrzehnten versucht, abgeriegelte Ökosysteme zu erschaffen. Nutzerïnnen sollen möglichst innerhalb der eigenen Dienste und Apps gehalten werden.
- Aktuell haben viele innovative Ideen keine Chance, weil die Marktmacht der etablierten Plattformen zu groß ist. Manipulatives Design, restriktive Standardeinstellungen und hohe Gebühren für Konkurrenten verhindern echte Wahlfreiheit.
- Der DMA versucht, diese digitalen Mauern einzureißen oder zumindest Leitern zu bauen, um den Wechsel zu alternativen Angeboten zu erleichtern. Damit soll sichergestellt werden, dass sich auch wirklich der beste, nutzerfreundlichste Dienst durchsetzen kann.
Was der DMA in der Praxis bewirkt
Manche Vorgaben haben für Nutzerïnnen wenig unmittelbar spürbare Konsequenzen, etwa die neuen Regeln für Werbenetzwerke. Der DMA hat aber auch Auswirkungen, die sich konkret auf Produktebene auswirken.
- Am Beispiel von WhatsApp zeigt sich, dass vieles, was auf dem Papier gut klingt, in der Realität an Charme verliert.
- Der DMA schreibt WhatsApp und dem Facebook Messenger vor, sich für andere Messenger zu öffnen, sodass man dienstübergreifend chatten kann. Das ist eine verlockende Vorstellung: endlich Schluss mit der Multi-Messenger-Verwirrung und der lästigen Frage, mit wem man wo kommuniziert.
- Doch es gibt mehrere Probleme. Zum einen ist die Umsetzung technisch komplex, schließlich müssen unterschiedliche Verschlüsselungsprotokolle aneinander angebunden werden.
- WhatsApp verschlüsselt Nachrichten mit dem Signal-Protokoll, das neben Signal auch Google und Skype verwenden. Threema setzt dagegen auf ein eigenes Protokoll, bei Telegram kommt wieder andere Technik zum Einsatz.
- Wenn sich andere Messenger mit WhatsApp verbinden wollen, müssen sie eine Vereinbarung unterzeichnen und sich zu bestimmten Sicherheitsstandards verpflichten (Meta Engineering). Trotzdem werden die externen Nachrichten in einem separaten Posteingang auftauchen, zudem fehlen bestimmte Funktionen.
- Zunächst gilt die Interoperabilität nur für Textnachrichten, Bilder, Videos und Dateien, die man mit Einzelpersonen austauscht. Gruppenchats sollen 2025 folgen, für Anrufe lässt sich WhatsApp bis 2027 Zeit.
- Zum anderen ist die Öffnung keine Einbahnstraße, auch die Konkurrenz muss mitspielen. Doch die hat größtenteils gar kein Interesse. "Derzeit würde eine Zusammenarbeit mit Facebook Messenger, iMessage, WhatsApp oder auch mit einem Matrix-Dienst eine Verschlechterung unserer Datenschutzstandards bedeuten", sagt etwa Meredith Whittaker, Präsidentin der gemeinnützigen Signal-Stiftung.
- Was sie meint: Die Inhalte der Nachrichten sind bei WhatsApp zwar verschlüsselt, doch im Gegensatz zu Signal sammelt der Dienst haufenweise Metadaten – wer wann und wo mit wem kommuniziert. Deshalb will sich Signal nicht mit WhatsApp verbinden.
- Der Schweizer Messenger Threema, der neben Signal als besonders datensparsam und sicher gilt, sieht das ähnlich. Ein Sprecher verweist auf die eigenen Standards für Datenschutz und sagt: "WhatsApp gibt alle Protokolle vor, und wir wüssten nicht mit Sicherheit, was mit den Nutzerdaten geschieht, wenn sie an WhatsApp übertragen werden."
App Stores
- Auf mobilen Geräten gibt es genau zwei relevante Marktplätze: die App Stores von Apple und Google. Die beiden Konzerne kontrollieren Betriebssystem und Zugang zu Apps.
- Das gibt ihnen große Macht. Sie können ihre eigenen Apps bevorzugen und von Entwicklerïnnen hohe Gebühren verlangen, um Apps anzubieten und Zahlungs-Infrastruktur zu nutzen.
- Deshalb laufen seit Jahren klagen von Spotify und Epic Games gegen Apple und Google. Im Streit mit Spotify verdonnerte die EU-Kommission Apple Anfang der Woche zu einer Strafzahlung von 1,8 Milliarden Euro (Reuters), die Auseinandersetzung mit Epic eskaliert gerade wieder (TechCrunch). Beide Fälle hängen aber nicht unmittelbar mit dem DMA zusammen.
- Der DMA möchte das App-Store-Duopol aufbrechen. Apple und Google müssen alternative Stores für Android und iOS zulassen und das Sideloading von Apps ermöglichen. Unter Android ist das bereits möglich, für Apples geschlossenes Ökosystem bedeutet es eine einschneidende Veränderung (WSJ).
- Entsprechend bitter war die Pressemitteilung, mit der Apple Ende Januar reagierte. M.G. Siegler kommentierte den Text damals Absatz für Absatz, sein Fazit (Spyglass):
I'm honestly not sure I can recall a press release dripping with such disdain. Apple may even have a point in many of the points above, but the framing of it would just seem to ensure that Apple is going to continue to be at war with the EU over all of this and the only question now is if these changes placate the body at all. Typically, if you're going make some changes and consider the matter closed, you don't do so while emphatically shoving your middle fingers in the air.
Some of these changes do seem good and useful, but most simply seem like convoluted changes to ensure the status quo actually doesn't change much, if at all. Just remember that, "importantly, developers can choose to remain on the same business terms in place today if they prefer." What do you think Apple prefers?
- Sowohl Apple als auch Google (Heise) wollen happige Gebühren von Entwicklerïnnen verlangen, wenn diese Apps außerhalb der Standard-Stores anbieten. Viele Unternehmen, darunter Spotify und Epic, wehren sich mit einem offenen Brief an die EU-Kommission (Spotify).
Wahlmöglichkeiten
- Die Standard-Suche in Google Chrome: Google, natürlich. Die Standard-Suche in Apples Safari-Browser: ebenfalls Google – was sich Google einen zweistelligen Milliardenbetrag im Jahr kosten lässt.
- Künftig müssen Nutzerïnnen häufiger gefragt werden, welche Dienste sie nutzen möchten. Der DMA schreibt Choice Screens vor, die unterschiedliche Suchmaschinen in zufälliger Reihenfolge zur Auswahl stellen, etwa Bing, DuckDuckGo, Ecosia und Yahoo. Dann kann man sich entscheiden, welchen Dienst man zum Standard machen möchte.
- Auch die Google-Suchergebnisse sollen sich ändern. Google Shopping und Flights verschwinden, dafür sieht man andere Aggregatoren in einem Karussell (Heise).
Werbefreiheit und Datenaustausch
- Der DMA wirft seit Monaten seine Schatten voraus. Das werbefreie Bezahlmodell für Facebook und Instagram (SMWB) geht ursprünglich auf einen DSGVO-Prozess zurück, in der Ankündigung erwähnte Meta aber auch die Vorgaben des DMA als Grund für die Einführung.
- Eine direkte Folge des DMA ist die Möglichkeit, Konten bei unterschiedlichen Diensten von Google und Meta zu trennen. Damit lässt sich etwa verhindern, dass Daten zwischen Facebook und Instagram oder YouTube und der Websuche geteilt werden.
- Seit Monaten wird man mit Pop-ups informiert und soll dem Datenaustausch zustimmen. Wer das bereits getan hat: Nachträglicher Widerspruch ist in den Einstellungen möglich. Die Details haben wir im Januar beschrieben (SMWB).
Be smart
Der DMA macht keine Vorgaben, wie genau die Gatekeeper die Regeln umzusetzen haben. Jetzt beginnt die EU-Kommission zu prüfen, ob die Implementierung wirklich im Sinne des DMA war, oder ob die Tech-Konzerne nachbessern müssen. Wir sind ziemlich sicher, dass insbesondere Apples, nun ja, widerwillige Umsetzung nicht der endgültige Stand sein wird.
Gleichzeitig laufen Beschwerden gegen die Einstufung als Gatekeeper, im Fall von iMessage und Bing waren diese bereits erfolgreich. Auch Meta und TikTok wehren sich (Politico).
In den kommenden Monaten dürfte sich die Umsetzung des DMA also noch mehrfach verändern. Klar ist nur, dass das Team, das diesen Prozess überprüfen soll, heillos überfordert ist. Bei der EU-Kommission arbeiten rund 80 Personen daran, vor zwei Jahren hatte die zuständige Kommissarin Margrethe Vestager fast dreimal so viel Personal gefordert (Politico).
Regulierung ist schön, Umsetzung ist gut, Kontrolle ist besser - LobbyControl schlägt deshalb vor, die Konzerne an den Kosten der Aufsicht zu beteiligen:
Laut Kommission sind aktuell 80 Personen mit der Durchsetzung der DMA-Regeln befasst. Expert:innen schätzen, dass es 220 Personen bräuchte und auch das EU-Parlament hatte sich in den Verhandlungen dafür ausgesprochen, das nötige Geld für 220 Personen bereitzustellen. Davon ist die Kommission aktuell weit entfernt. Dass der DMA ein Ressourcenproblem hat, haben wir bereits in einem Rechtsgutachten im Februar 2022 festgestellt und als strategischen Fehler kritisiert.
Eine naheliegende Lösung des Problems wäre es, zusätzliche Mittel von den Technologieunternehmen selbst einzutreiben, indem sie nach dem Verursacherprinzip für die Missbrauchsaufsicht Gebühren zahlen. Dies ist bei anderen Gesetzen wie dem Digital Services Act (DSA) gängige Praxis und wurde beim DMA leider versäumt im Gesetz festzuschreiben. Wenn die EU-Kommission diese Idee der neuen Kommission ab Herbst als Arbeitsauftrag mitgibt, besteht die reelle Chance, dass der Vorschlag nach den Europawahlen umgesetzt wird.
Social Media & Politik
- Neuer Vorstoß für TikTok-Verbot in den USA: Ein parteiübergreifender Gesetzesentwurf, der ByteDance dazu verpflichten würde, TikTok zu veräußern, oder den App-Stores verbieten würde, die Social-Media-Plattform anzubieten, nimmt aktuell in Washington etwas Fahrt auf. Auch wenn noch gar nicht klar ist, was aus dem Vorschlag wird, ist die Rhetorik schon jetzt kaum noch zu übertreffen: TikTok sieht in dem Vorschlag den Versuch, die App komplett zu verbieten, was dem Unternehmen nach „die freie Meinungsäußerung ersticken würde“. Abgeordnete hingegen vergleichen das Gesetzesvorhaben mit einer notwendigen „Operation, bei der der Tumor entfernt und der Patient dadurch gerettet wird“. (Congress / Gov)
- Wir sind skeptisch, dass es zu einem Verbot kommt. Vor allem in einem derartigen Super-Wahljahr ist damit wohl kaum zu rechnen. Im Gegenteil: Die Politik sieht zunehmend die Notwendigkeit, auf TikTok präsent zu sein. Die Kampagne von US-Präsident Biden hat TikTok jüngst für sich entdeckt (ZDF) und auch in Deutschland rückt die Kurzvideo-App für Politikerïnnen immer stärker in den Fokus. Zuletzt hat etwa Karl Lauterbach angekündigt, TikTok nutzen zu wollen, um der AfD etwas entgegenzusetzen. (T-Online)
- Go deep: Sämtliche Analysen zu TikTok, unter anderem auch Deep Dives zur Verbotsdebatte, findest du auf unserer Website im Archiv unter socialmediawatchblog.de/tag/tiktok
Follow the money
- ByteDance verdient phänomenal: Laut internen Unterlagen, die The Information $ sichten konnte, hat TikToks Mutterhaus im dritten Quartal 2023 einen Gesamtumsatz von 30,9 Milliarden Dollar verbucht — eine Umsatzsteigerung von 43 Prozent. Damit wächst ByteDance in etwa doppelt so schnell wie Meta. Das ist mal eine Ansage.
- Linktree testet Affiliate-Marketing-Programm: Das Link-in-Bio-Unternehmen Linktree schickt sich an, weit über das Kerngeschäft hinaus unternehmerisch aktiv zu sein. So sollen Userïnnen künftig am Verkauf von Artikeln aus ihrem eigenen Store mitverdienen können, auch arbeitet das Unternehmen an einem Algorithmus, der Produkte mit Linktree-Nutzerïnnen für potenzielle Product-Placements abgleicht. (The Information $)
Next (AR, VR, KI, Metaverse)
- Google überarbeitet Suche, um KI-generierte Schrottartikel aus den Suchergebnissen herauszufiltern: Künftig sollen vorrangig originäre Inhalte belohnt werden. Expertïnnen sehen darin eines der größten Updates seit langer Zeit. (Google)
- Meta arbeitet an KI-Empfehlungssystem: Nachdem die Zeit, die User mit Reels verbringen, um knapp zehn Prozent gesteigert werden konnte, will Meta nun das dort eingesetzte Empfehlungssystem auch für andere Produkte auf der Plattform nutzen. Video steht dabei im Fokus, andere Formate sollen laut Meta perspektivisch aber ebenfalls Berücksichtigung finden. (CNBC)
- Über 100-KI-Expertïnnen haben einen offenen Brief unterschrieben, in dem sie die Entwicklerïnnen von generativen KI-Produkten dazu auffordern, mehr Transparenz zu wagen. Die Verschleierung von Protokollen habe die unabhängige Forschung behindert, so die Unterzeichner (MIT). Konkret haben sie sich auf diese drei Dinge verständigt:
- Independent evaluation is necessary for public awareness, transparency, and accountability of high impact generative AI systems.
- Currently, AI companies’ policies can chill independent evaluation.
- AI companies should provide basic protections and more equitable access for good faith AI safety and trustworthiness research.
Frische Zahlen
- TikTok: User schauen deutlich mehr längere Videos: Bei einer Veranstaltung mit ausgewählten Creator hat TikTok die Gemeinde darauf eingeschworen, öfter längere Videos zu produzieren. In den vergangenen Monaten sei die Zahl der Zuschauerïnnen, die sich längere Videos ansehen, um fast 40 % gestiegen. Na, wenn das kein Zufall ist.
Tipps fürs Wochenende
Neue Features bei den Plattformen
TikTok
- Bei TikTok gibt es jetzt eine Unterseite mit dem Namen Creator Academy, auf der Kurse, Artikel, Videos und Informationen rund um die Themen Monetarisierung und Kreation zu finden sind.
- Zudem hat TikTok angekündigt, dass das Feature LIVE Subscription künftig auch all jenen zur Verfügung steht, die gar keine Livestreams anbieten.
ChatGPT
- ChatGPT kann jetzt Antworten vorlesen. Dabei erkennt das Tool automatisch, in welcher Sprache der Prompt formuliert wurde und antwortet entsprechend. Bis dato „spricht“ ChatGPT 37 Sprachen. (The Verge)
Apple Podcasts
- Apple-Podcasts haben jetzt Transkripte. Sehr praktisch! (Apple)
Telegram
- Telegram-Nutzerïnnen können ihr persönliches Konto in ein Business-Konto umwandeln. Damit erhalten sie die Option, weiterführende Angaben in ihrem Profil zu hinterlegen — etwa zu Öffnungszeiten oder Adressen. Für kleinere Geschäfte bestimmt ganz interessant. (Telegram / Durov)
Twitch
- Twitch steht vor einem großen App-Relaunch. Angelehnt an TikTok soll die App künftig stärker zur Discovery einladen, Livestreams werden dann nur noch ein Teil des Angebots sein (Twitch). Klingt gut, finden wir. Vor allem die Begründung überzeugt uns sehr. Daher hat Twitch-CEO Dan Clancy heute auch das letzte Wort:
People can’t be live all the time, right? So we want to give tools to creators, to help them continue to engage their community while they’re offline.
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