Ausgabe #903 | 12.9.2023
Social Media & Politik
- Die USA nehmen Google ins Visier: Am heutigen Dienstag startet einer der wichtigsten Kartellprozesse der vergangenen zwei Jahrzehnte. Das US-Justizministerium wirft Google vor, seine Marktmacht zu missbrauchen. Im Raum stehen drastische Einschränkungen oder sogar eine Zerschlagung, das ist aber unwahrscheinlich. Google wird alles daran setzen, das Schicksal von Microsoft zu vermeiden: Ende der 90er-Jahre läutete ein vergleichbares Kartellverfahren den Anfang vom Ende der einstigen Dominanz des Konzerns ein (The Ringer). Wir werden uns zum Ende des zehnwöchigen Prozesses noch ausführlicher mit Google beschäftigen. Für den Moment verweisen wir auf die fundierte Berichterstattung von SZ, NYT, Vox, New Yorker und Platformer.
- Wie Rechtsextremisten über Telegram Spenden eintreiben: Die drei CeMAS-Forscher Miro Dittrich, Joe Düker und Martin Müller haben rund 1,3 Millionen Telegram Nachrichten aus 419 rechtsextremen Telegram-Kanälen analysiert (CeMAS). Demnach haben Verschwörungsideologen und Rassisten Hunderttausende Euro eingenommen, einen Gutteil in Bitcoin. Der Aktionsplan gegen Rechtsextremismus von Bundesinnenministerin Nancy Faeser sieht vor, radikale Gruppen finanziell auszutrocknen. Das scheint bislang nur eingeschränkt zu funktionieren. Details gibt es im 44-seitigen Report (PDF) sowie beim BR und Spiegel.
- Diese Gatekeeper sind vom Digital Markets betroffen: Vergangene Woche hat die EU-Kommission verkündet, welche Konzerne sie als sogenannte Gatekeeper einstuft. Alphabet, Amazon, Apple, ByteDance, Meta und Microsoft müssen sich an die schärferen Regeln des DMA halten (SZ). Etwas überraschend fehlt Samsung (Netzpolitik). Die DMA-Liste umfasst damit 22 Dienste, Plattformen und Betriebssysteme, darunter Facebook, Instagram und WhatsApp, Chrome, Google und YouTube sowie TikTok. Hintergründe zum DMA und den anderen Digitalgesetzen der EU findest du in Ausgabe #895.
- Der AI-Act könnte ein gewaltiges Schlupfloch für Big Tech beinhalten: Apropos EU-Digitalgesetze, aktuell wird in Brüssel der AI Act verhandelt, der KI-Anwendungen regulieren soll. 118 zivilgesellschaftliche Organisationen aus ganz Europa sagen jetzt: Die Vorschläge der EU sind lückenhaft, weil sie es Unternehmen ermöglichen, die Gefährlichkeit ihrer Anwendungen selbst einzuschätzen: "Letting companies decide the risk classification of their AI systems undermines the human rights protection afforded by the legislation – companies have profit incentives to understate the risks their system poses." (EDRi)
- Lassen sich Menschen eher beeinflussen, wenn ein Post viele Likes hat? Diese Frage stellten sich fünf Forschende, die ihre Ergebnisse in einem Research Paper veröffentlichten (Sage Journals). Die Kurzfassung: Nein, es sei denn, die Probandïnnen verbringen viel Zeit auf Social-Media-Plattformen: "Participants who reported using Facebook or Twitter for more than one hour a day did appear to be influenced. For these respondents, the perceived endorsements in the posts affected their policy preferences." (Nieman Lab)
- Wie Studierende das TikTok-Verbot an US-Unis umgehen: Dutzende US-Bundesstaaten haben ihren Angestellten verboten, TikTok zu nutzen, auch aus den Netzwerken Hunderter Universitäten ist die App verbannt. Monica Chin hat sich unter Studierenden umgehört und nachgefragt, warum und mit welchen technischen Tricks sie TikTok trotzdem weiternutzen (The Verge).
- Donald Trump treibt Spenden auf Facebook ein: Zwei Jahre lang war der Ex-Präsident von Metas Plattform verbannt. Jetzt ist er wieder da und nutzt seine Reichweite, um dort Geld für den Wahlkampf zu sammeln (CNBC). 2024 könnte ein ungemütliches Jahr werden.
- Threads blockiert Suchanfragen zu Gesundheitsthemen: Keine 24 Stunden, nachdem Threads seine Suchfunktion freigeschaltet hat, gibt es schon den ersten Aufreger. Wer nach Begriffen wie "covid" oder "long covid" sucht, sieht … nichts (Washington Post). Das Gleiche gilt für "coronavirus" und "vaccination". Wir verstehen den Impuls, kontroverse Themen zu vermeiden, aber diese Filter sind viel zu pauschal. Julia Doubleday von der WHO sagt: "The decision to censor searches about covid will make it harder for public health experts and people who work in public health to get out important info to the public about how they can protect themselves."
- Substack möchte gern Medium sein — jedenfalls wie das Medium, das wir alle noch von vor zehn Jahren kennen. Damals hatte sich die Website mit dem schönsten WYSIWYG-Editor kurzzeitig als eine der zentralen Instanzen im Internet etabliert: Einflussreiche Menschen (und auch alle, die sich dafür hielten) nutzten die Plattform, um der Welt mitzuteilen, dass etwas Großes ansteht. Diese Position möchte Substack nun bei der anstehenden US-Wahl einnehmen. Dafür wurde erstmals ein Head of Politics installiert: “To help make Substack the central place for thoughtful, rigorous conversations.“ (Substack)
Datenschutz-Department
- Google bring seine umstrittene Cookie-Alternative in den Chrome-Browser: Seit Jahren versucht Google, Tracking-Cookies von Drittanbietern zu eliminieren. Das Vorhaben ist brisant, weil es Googles Macht weiter stärken könnte. Schließlich sammelt der Konzern massenhaft First-Party-Daten, die nicht von den Einschränkungen betroffen wären. Ursprünglich war das Vorhaben unter dem Namen Federated Learning of Cohorts (FLoC) gestartet, wir berichteten in Ausgabe #707 und #728. Mittlerweile heißt die Funktion Topics API, umstritten bleibt sie trotzdem. Vergangene Woche wurde sie für alle Chrome-Versionen eingeführt, Ron Amadeo ist gar nicht erf…