Wie sich die Plattformen permanent weiterentwickeln

Move fast and break things — das einstige Facebook-Motto wurde längst von zeitgemäßeren Sprüchen abgelöst. Der Spirit aber lebt: Alle Plattformen sind einem permanenten Wandel unterzogen.
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Ausgabe #898 | 22.8.2023

Was ist

Aus Twitter wird jetzt X und sonst ändert sich nix? Nun, das kann wahrlich niemand behaupten. Die Plattform ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Nick Heer beschreibt es am schönsten:

„X“ and that character means so little it is literally used as a placeholder for people to think of other, better stuff.

Aber auch die anderen Plattformen befinden sich permanent im Umbruch, entwickeln sich kontinuierlich weiter. User-Präferenzen ändern sich. Prioritäten werden neu gesetzt. Wie heißt es schon bei Heraclitus: Wandel ist die einzige Konstante. Drei aktuelle Beobachtungen untermauern dies.

Instagram: Direktnachrichten wichtiger als Stories

In einem Interview mit 20VC erklärte Insta-Chef Adam Mosseri jüngst, welche herausragende Rolle Instagrams Direktnachrichten-Feature (DM) bei jüngeren Nutzerïnnen spielt. Mosseri zufolge würden Instagram-User unter 20 mehr Zeit mit ihren Direktnachrichten als mit der Nutzung von Stories verbringen. Erst dann kämen Feed-Posts. Zudem würden immer mehr junge Nutzerïnnen das neue Notes-Feature nutzen, um Unterhaltungen zu starten. ICQ ist quasi back in town.

Der Trend ist nicht ganz neu: Wir machen beim Social Media Watchblog und in unseren Vorträgen seit Jahren darauf aufmerksam, dass sich Userïnnen zunehmend stärker in privatere Gefilde zurückziehen. Natürlich nicht „privat“ im eigentlichen Sinne. Wir befinden uns in aller Regel noch im Vorgarten von Mark Zuckerberg. Aber Menschen tauschen sich lieber in Messengern und Gruppen aus, als sich mit professionellen Medienanbietern im Feed und in Stories um die besten Plätze zu streiten. Lieber dort posten, wo die Nachrichten auch ankommen, als zu versuchen, irgendwelche Algorithmen zu bezwingen. Nachvollziehbar. Machen wir selbst ja auch. Letztlich ist sogar dieser Newsletter eine Reaktion auf den brutalen Kampf um Aufmerksamkeit in den Feeds dieser Welt.

Neu ist aber, dass Instagrams Chef-Creator Telegram (und Messenger ganz allgemein) als Wettbewerber nennt. Bislang galt es ja vor allem, TikTok das Wasser abzugraben („the most well-executing competitor we’ve ever faced“). Nun also soll Messaging stärker in den Fokus rücken. Wir sind sehr gespannt, ob und wie Instagram der Wandel gelingt, ohne all zu viele Userïnnen zu vergraulen. Für minimalinvasive Eingriffe ist Meta jetzt ja nicht so bekannt.

TikTok und der Streaming-Markt

TikToks Einfluss auf die Musikbranche ist ohne Vergleich. Wer heute eine Karriere als Musikerïn anstrebt, kommt an der App nicht vorbei. Zu wichtig ist das Format „Kurzvideo“ für die Discovery geworden. Und das nicht nur bei TikTok. Auch YouTube und Spotify bieten Video-Features, mit denen Konsumentïnnen neue Musik entdecken können. Während aber die Nutzerïnnen bei den Streaming-Anbietern neben den Kurzvideos auch direkt das ganze Lied (bzw. das ganze Album) hören können, müssen sich die User bei TikTok immer noch zum Streamer ihrer Wahl klicken. Das soll sich künftig ändern.

Laut TikToks Global Head of Music, Ole Obermann, ist TikTok (Semafor) schon jetzt…

(…) the most impactful discovery platform or discovery tool in the history of the music industry.

Um diese Position weiter auszubauen, soll nun in einem nächsten Schritt mit TikTok Music ein eigenes Streaming-Angebot etabliert werden. Das Angebot ist in Brasilien und Indonesien bereits live, soll in den kommenden Monaten auch in anderen Märkten ausgerollt werden.

Dann könnte TikTok bei allen Teilen der Verwertungskette dabei sein: Von Kreation (TikTok und Ripple) über Discovery (TikTok) bis hin zu Distribution (TikTok Music). Fehlt eigentlich nur noch, dass TikTok auch Konzerte veranstaltet. Aber das wird schon noch kommen.

Facebooks Abschied vom Journalismus

Dass Facebook und der Journalismus keine einfache Beziehung haben, ist seit Jahren bekannt. Wir haben an vielen Stellen darüber berichtet — zuletzt etwa hier und hier. Die Traffic-Einbrüche, die einzelne Publisher im englischsprachigen Raum derzeit erleben, sollten aber allen Medienmanagern im Journalismus einmal mehr eine Warnung sein: 30 bis 40 Prozent weniger Refferal Traffic können wohl kein Zufall sein (CNN).

Klar, für Facebook sind News mittlerweile nur noch nervig. Mal sind die Inhalte zu links, dann wieder zu rechts, mal zu viel Verschwörung, mal zu seicht. Auf jeden Fall ist Facebook dafür mit verantwortlich, dass wir als Gesellschaft immer weiter auseinander driften. Mindestens! Eins11!111 So zumindest die gängige Lesart.

Wir wollen die Probleme gar nicht klein reden. Dafür sind wir nun auch wahrlich nicht bekannt. Aber wenn die Angaben stimmen, die Facebook immer wieder in den Raum stellt, dann machen News nur drei Prozent aller Inhalte bei Facebook aus. Wirtschaftlich gesehen hat Nachrichten-Journalismus für die blaue App also kaum Relevanz. Dass man da schon einmal darüber nachdenkt, News Stück für Stück komplett aus dem Programm zu nehmen, scheint zumindest nachvollziehbar.

Auch Adam Mosseris Worte (Threads) zur Einführung von Metas neuem Text-Angebot Threads lassen erahnen, welche Rolle Nachrichten-Journalismus künftig im Meta-Kosmos spielen könnte — keine:

Politics and hard news are important, I don’t want to imply otherwise. But my take is, from a platform’s perspective, any incremental engagement or revenue they might drive is not at all worth the scrutiny, negativity (let’s be honest), or integrity risks that come along with them.

There are more than enough amazing communities – sports, music, fashion, beauty, entertainment, etc – to make a vibrant platform without needing to get into politics or hard news.

Für Publisher würden damit wichtige Instrumente wegfallen, um Userïnnen auf ihre Inhalte aufmerksam zu machen. Denn nicht jeder kann Kurzvideos so gewinnbringend nutzen, wie The Economist (Wan Ifra). Ob es aber für die Gesellschaft wirklich einen Unterschied macht, wenn Nachrichten-Inhalte bei Facebook nur noch bedingt ausgespielt werden sollten, wird sich zeigen.


Social Media & Politik

  • Meta: Reels und Stories bekommen chronologischen Feed: Der Digital Services Act (DSA) sieht vor, dass Nutzerïnnen von großen Plattformen künftig selbst entscheiden können, ob sie personalisierte (read: auf ihren Sehgewohnheiten basierend) oder neutrale Feeds nutzen wollen. Zu den großen Plattformen zählen natürlich allen voran auch Facebook und Instagram. Meta hat daher angekündigt, dass europäische Userïnnen bald die Option erhalten, Reels und Stories in chronologischer Reihenfolge zu sehen (The Verge, Meta).
  • Wie der TikTok-Deal hätten aussehen sollen: Emily Baker-White hat wieder zugeschlagen und ein Dokument ausgekramt, das außer ihr bislang keine weiteren Journalistïnnen zu Gesicht bekommen haben (Forbes). Bei dem Papier handelt es sich angeblich um den Entwurf, wie der Deal zwischen US-Regierung und TikTok hätte aussehen können (siehe Ausgabe #868). Sagen wir es mal so: Dass die chinesische Seite diesen Konditionen nicht zustimmen mochte, scheint durchaus nachvollziehbar. Baker-White schreibt:

“Were it to be finalized, the agreement would provide the government near unfettered access to internal TikTok information and unprecedented control over essential functions that it does not have over any other major free speech platform.“


Next (VR, AR, KI, Metaverse)

  • ChatGPT hat einen liberalen Bias? Never! Wie in Ausgabe #897 berichtet, zirkuliert derzeit ein Paper, das ChatGPT eine liberale Weltanschauung zuspricht. Zu unserer völligen Überraschung (#nicht) gibt es direkt die ersten Stimmen, die bei dem Paper ganz wesentliche Schwachstellen ausmachen (Pixel Envy). Diese hier gefällt uns am besten:

„The prompt is very long and seems to make the model simply forget what it’s supposed to do.“

  • YouTube sucht die richtige KI-Balance: YouTube schickt sich an, ein KI-Framework zu erarbeiten (The Verge, YouTube). Auf drei Prinzipien haben sie sich dabei schon einmal verständigt:

AI is here, and we will embrace it responsibly together with our music partners.

AI is ushering in a new age of creative expression, but it must include appropriate protections and unlock opportunities for music partners who decide to participate.

We’ve built an industry-leading trust and safety organization and content policies. We will scale those to meet the challenges of AI.


Lesetipp:

  • Wer sich für Elon Musk interessiert, sollte unbedingt den Artikel „Elon Musk’s Shadow Rule: How the U.S. government came to rely on the tech billionaire—and is now struggling to rein him in“ im New Yorker lesen. Darin beschreiben die Autorïnnen, wie es Musk geschafft hat, Befugnisse zu erlangen, die ansonsten eigentlich nur gewählten Repräsentanten vorbehalten sind. Super spannend und auch der Grund, warum wir hier beim Watchblog leider nicht einfach ausblenden können, was der Mann so treibt.

Neue Features bei den Plattformen

WhatsApp

  • WhatsApp arbeitet an neuen Optionen, um Texte besser formatieren zu können. (Wabetainfo)
  • WhatsApp-Nutzer können nun auch Fotos in HD-Qualität verschicken (The Verge). Bald sollen auch HD-Videos möglich sein. Aber, aber: Wer Ressourcen schonen möchte, verzichtet auf HD-Schnickschnack. Wer kann, spart Bytes und macht sich digital ganz leicht.

Instagram

Twitter / X

  • Twitter hat Bilder verbummelt. Und zwar alle zwischen 2011 und 2014 (Techdirt). Kein Problem, sagt Elon. Die werden alle wiederhergestellt. Fingers crossed!
  • Elon Musk hat einmal mehr angekündigt, dass die Block-Funktion bald abgeschafft wird. Wir gehen da erst wieder drauf ein, wenn sie auch wirklich abgeschafft wurde. Was aus unserer Sicht Wahnsinn wäre. (The Verge, Techdirt)
  • Vielleicht gibt es bei X-Posts auch bald keine Überschriften und Teaser-Texte mehr bei News-Artikeln. Link und Foto sollen reichen, meint Space Shuttle Elon. (Fortune)

You don’t need to hol‘ up

I’m so a-bove and beyond

You take drugs to make it up way up where we on

Space shuttle, Elon

Threads

  • Aha, es gibt vielleicht noch diese Woche eine Web-Version von Threads. (The Verge)
  • Reposts haben jetzt ein eigenes Tab. (TechCrunch)

Pinterest

  • Pinterest hat neue Sicherheitsfeatures im Angebot, um Teens besser zu schützen: Nutzerïnnen unter 16 Jahren haben jetzt immer per default ein privates Profil. (Pinterest)

Tumblr

  • Tumblr-Web sieht jetzt aus wie Twitter-Web. (Tumblr)

Twitch

  • Twitch ermöglicht es nun, einzelne User bei einem Stream auszusperren. (The Verge)

BeReal

  • BeReal tauscht den Discovery-Feed gegen einen Feed mit dem Namen „Friends of Friends“. Warum es bei BeReal überhaupt diesen völlig random Feed gab, war uns schon immer schleierhaft. Da macht es doch deutlich mehr Spaß, die Fotos von Freunden von Freunden anzuschauen. (TechCrunch)
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